Rosa Taddei 1

Träumt' ich die Muse zu sehn, so laß mir den Wahn! auf Papier nur,
Doch auf lebendigem Mund sah ich noch nie ein Gedicht.

Fußnoten

1 Rosa Taddei, unter den Arkadiern Licoris genannt, gab im Carneval 1827 sechs Akademien in Rom. Ich habe eine Schilderung von ihr nach Deutschland gesandt, kann aber nicht darauf verweisen, weil ich in der That nicht weiß, ob sie gedruckt worden. Die Dichterin erschien in dem Moment der Begeisterung schlechterdings als solche, und Graf von Platen, mit dem ich der Akademie im teatro capranica beiwohnte, war hingerissen, wie ich. Sie improvisirte zur Begleitung einer Harfe sechs bis acht Gedichte in allen möglichen Versmaaßen, häufig auch mit Intercalaren. Jeder konnte beim Eintritt seine Aufgabe einhändigen. Der Anstand und die Simplizität der Arkadierin, die blasse Physiognomie und der leibende Ausdruck des Gesichts interessirte schon zu Anfang. Als aber die Themen alle gelesen und gezogen waren, als sie allein auf der Bühne stand, als die Harfe präludirte, als sie einigemal sinnend umherwandelte, und nun urplötzlich der Geist sie ergriff, ihr bis dahin so leidendes Angesicht einer Begeisterten glich, und sie in der hohen einfachen Melodie zu singen anhub, eine Ottave nach der andern vollendete, in immer raschere Flammen gerieth, als von allen Seiten bei trefflichen Stellen ein rauschender Beifall ausbrach, da meint' ich, daß ich mich in einem der dichterischsten Augenblicke meines Lebens befände. Sie brachte wirklich Gedanken vor, welche auch bei kälterm Blut erfreut hätten, in diesem stürmischen Moment aber auf dieser lauter Wohlklang und Gleichmaaß tönenden Lippe gewaltsam erschütterten. Es ist in Spoleto ein Heftchen ihrer Impromptü's gedruckt worden, und ich habe darin Vieles gefunden, was von poetischem Werthe war, und unzähliges, was von unglaublicher Gewandtheit im Denken und Sprechen, und von einem ausnehmenden Talent zeugt, eine Erinnerung geistreich einzuflechten. In Thorwaldsens Studium ist ihre Büste zu sehen. Ausgezeichnet lebendig benimmt sich das italiänische Volk bei solchen Gelegenheiten: in meiner Nachbarschaft saßen einige Bursche von der niedrigsten Classe, wie sich ihrer überall auf dem Parterre der italiänischen Theater befinden, welche die Reime voraussagten, ehe die Improvisatrice sie aussprach. Als einmal über die Wahl von zwei Themen entschieden werden sollte, rief eine treuherzige Stimme von der Gallerie herab: cantate pure, che volete, mi piace tutto. Ein unermeßlich Gelächter entstand, und Rosa lächelte selbst.

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. Dichter. Rosa Taddei. Rosa Taddei. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8AFD-0