[127] Lieder aus Sorrent

1.

Nein! Apulien hat der Hohenstaufen
Letzten Sprößling geraubt dem Vaterlande,
Nicht den Dichter, o Kaiserhaus von Schwaben.
Nein, hochherziger Freund, in gold'ner Strömung
Flossen Jahre dahin, seit ich am Tiber
Und am städtebesäten, meerumspülten
Aschenberge der Vorwelt Heldengröße
Und der reizendsten Mitwelt Lust genieße.
Alter Römer gedacht' ich, doch beim großen,
Theuern Namen des Vaterlands und Friedrichs
Herrschergenius, Freund, geschworen sei dir's,
Deutscher Glorie dacht' ich auch. Wohl hat ans
Junge Herz der Sirene Lied geklungen
Und im Rausch des Moments der Zukunft Plane,
Der Vergangenheit Kraft vergaß der Wandrer.
Doch nur kurz; aus des Anio Wasserstürzen,
Aus des Pantheons heil'gen Dämmerungen,
Von der Säule herab des Imperators
Und aus Pästums gewalt'gen Dorertempeln
Sprach der strengere Gott: Wach' auf zum Werke!
Feire muthig dein Volk und seine Helden!
Dir bekenn' ich beschämt, dem großen Rufe
Folgt' ich nicht und des eig'nen Herzens Leiden
Und vermessene Wünsch' und Liebefreuden
Sang ich nur; auf dem Haupt Weinlaub und Rosen,
Oft die Asche des Grams, doch nie den Lorbeer,
Oeffnet' ich zum Gesang die Lipp' und strömte
Gluth aus eigenem Feuerquell in manches
Glüh'nde Herz; doch vergieb, o Freund, der Jugend.
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Denn voll blühte der Frühling meines Lebens
Und ergieb'ger vielleicht als dort im Norden
Du zu sehen gewohnt; und feur'ge Wetter,
Brausten stürmend im wilden Geist des Frühlings,
Kräfte strömend im Kampf der Leidenschaften,
Und was Wetter und Sturm dem auferweckten
Frühlingsdrang der Natur, war mir die Liebe.
Doch vom Sommer die Frucht, vom heißen Mittag
Nicht die kräftige That zu fordern, däucht mir
Billig. Komm' in den Süden, Freund, und lerne,
Ob geschmeichelt, getränkt von süßern Lüften,
Ob am athmenden Busen nicht Armida's,
Ob dein Auge nicht bricht. Ich harre deiner
In Sorrento. Mein Retter willst du werden;
Komm' und bleibe bezaubert wie Rinaldo.

2.

Wähle, Göttin der Liebe, mit den Grazien
Heute Paphos zum Sitz und morgen Knidos,
Ich beneide dich nicht; denn bald lockt Capri's
Morgenländischer Fels in seine Stille;
Bald zu Ischia's duft'gen Bergen rudr' ich;
Bald aus Reben- und heitern Säulentempeln
In Pompeji die See und Thal und Ufer
Und blauschattig Gebirg und Insel seh' ich,
Bald aus wildem Getöse des Toledo
Flücht' ich mich in Sorrent's Orangenhaine.
Ja, geliebt ist der Berg dir wohl, der schöne,
Jener Stammberg im eb'nen Schwaben mein' ich,
Der dir Eigenthum fast geworden, dessen
Wolkenscheitel den Schmetterling dir sandte,
Und der Zeuge des Becherklangs gewesen,
Als großsinnige Freunde mein gedachten
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Sei er beiden gelobt, der Hohenstaufe,
Paladin des gewalt'gen Schwabens sei er,
Capitol uns genannt des Heldenhauses!
Aber schöner noch ist des Deutschen Erbland.
Frage Friedrich den Kaiser, frage Manfred!
Hier auf blühenden Felsen, die der Abend
Purpurn färbt und der frische Meerwind kühlet,
Hier im ewigen Schatten der Citrone,
Freund, umathmen mich Lüfte rein und milde,
Wie die Götter sie trinken! Klar und helle
Lockt zum Bade das heit're Meer, es lockt die
Schatt'ge, hallende Grotte. Wie die Seele,
Die in Unschuld ich liebt', durchs holde Auge,
Leuchtet ruhig der stille Grund der Wasser.
Selbst das Kieselchen siehst du hier, nur selten,
Dem bescheidenen Wunsch des Innern ähnlich,
Regt ein lieblicher Schauer diese Tiefe.
Hier zu kühlen den Leib und hinzuplätschern
Unterm Felsen ist Wonne, nur dem Seegott
Und der lüsternen Nymphe ganz gegeben.
Aber steige die Nacht, die kühle, holde,
Steige nur den gewund'nen Pfad der Felsschlucht
Hier empor, und die Last der üpp'gen Pflanzen,
Die verschwenderisch niederhängt und schwellend
Grünt und wuchert, erblicke sie mit Staunen,
Und schon lachen die Gärten dir entgegen,
Weinlaub rankt sich empor, in stolzem Wuchse
Blühet über der Mauer die Orange,
Die Granate, der Lorbeer und die Feige.
Was im kindischen Drang' der ersten Liebe
Von Elysiums Früchten du geträumet,
Glänzt und duftet dir zu, aus ew'gem Grüne
Schimmert ebenen Dach's das Haus, die Kirche.
Sieh', es öffnet das Thor sich schon der Mauer,
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Und der schattige Hofraum und der Brunnen,
Trepp' und Laube, vielleicht ein braunes Mädchen
Ladet ein, und die schwere Traube nimmst du
Oder Feig' und Orange selbst vom Baume.
Nachtigallen geweiht sind diese Haine;
Denn so voll und gedrängt ist Frucht an Frucht und
Blüth' an Blüthe, daß kaum durchs Laub der Erde
Allerlieblichstes, kaum der Himmel glänzet.
Aber rühmt' ich dich nicht, o meine Freude,
Heimisch Dach, wo mich oft die Ghibellinen,
Rothbart oft und der große Friedrich und des
Kaisers ähnlichster Sohn, der schöne Manfred,
Oft der sterbende Konradin begeistert?
Denn in Reizen der ew'gen Jugend schimmert
Mir das goldene Erbland vor den Augen,
Meer und Golf und die Stadt und selbst der Himmel.
Hoch auf ländlichgetünchten Säulen ranket
Weinlaub über das Dach und reicht des Morgens
Kühlen Schatten, bis bald des weißen Daches
Heller Schimmer, der Lüfte Glanz mich blendet.
Abends aber auch nimmt es schon den Müden
Wieder auf; denn die Sonne brennt im Laube
Schon mit röthlichem Gold, und tausendfältig
Glühn die glänzenden Gärten; drüber lächelt
Blau die See und der schöne Berg im Dufte,
Der den zartesten Rauch die Lüfte hinströmt,
Dem weißschimmernde Städte, gleich Juwelen,
Fuß und Ufer begränzen. Doch nach Bajä's
Zarten Hügeln und nach Misen zu blicken,
Nicht vergönnt es der Sonne Pracht. Schon sinkt sie
Ueber Procida nieder, übergossen
Wie von flammendem Wein; vom Lichte trunken
Leuchten rosige Berg' und fast in Wollust,
Dünkt mir öfter, verschmachtet Mutter Erde.
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Da, o Freund, auf dem theuern Dach beim Mahle
Denk' ich Großes, und fühle Muth und Stärke,
Und den Träumenden überrascht das Dunkel;
Sterne blinken hervor und Purpurröthe
Glühet auf dem Vesuv, die holde Nacht hin;
Denn nur schön ist der Berg, wenn ihm die Flamme
Hoch entlodert; nur schön das Herz, wenn's Liebe,
Ruhm und Ehre zu großem Kampf entzündet.

3.

Freunde glaubt' ich im Vaterland nur einen,
Dich zu haben, o großes Herz. Der Jugend
Irrthum deutet die Welt zu schwer, und wenig
Wird, wer größer als sie, erkannt. O Alles,
Alles that sie, daß ich sie haßt', und dennoch
Mit verhülltem Gesicht und feuchten Augen
Von mir stoßend, was sie mir gab, begann ich
Die Verbannung; und mich nur, meiner Feinde
Grimm und hämischen Neid, nicht dich anklagend,
Heimath, pilgert' ich in ersehnte Lande,
Jung wie Konradin noch, wie er der Hoffnung
Und hochherzigen Muthes voll, im Kampfe
Mit dem Kinde der Nacht, dem stolzen Priester.
Mag anmaßender Geistesdruck und Blödsinn,
Mag, o Freunde, der Ghibelline siegen,
Laßt uns streiten! Der Lohn ist eine Krone!
So oft denk' ich auf meerumspültem Felsen,
So im Hause des Tasso, da dem Dichter
Vom Balkone herab des Golfes Anmuth
Und der Liebreiz der Berge sich entfaltet.
Lorbeerheiliges Haus, wo oft im Dufte
Fremder Sieg' und Triumphe sich zum eignen
Volksbegeisternden Lied mein Herz ermuthigt.
Freund, wohl weiß ich, den Hohenstaufen schmückte
[132]
Schon im zwanzigsten Jahr die Königskrone;
Fünf der Lustern durchlebt' ich bald, und ruhmlos
Bin ich noch!
Und in tiefster Seele fühl' ich
Mich betrübt. O was that ich, euch zu preisen,
Im gewalt'gen Gesang die deutsche Vorwelt
Als ein Deutscher und Kampf und Herrschergenius,
Wahrheit, Kraft und des Völkerlebens Größe,
Hohe Menschen und Thaten zu verew'gen?
Denn im Tempel der Weltgeschichte, dünkt mir,
Ist der Dichter der Priester, und den Vorhang
Vor dem Heiligsten wahret seine Obhut.
Da, wenn oft mir die Scham die Stirne röthet,
Ruf' ich flehend Torquato's Genius, ruf' ich
Meinen Helden, und siehe, er naht mir langsam
Aus des Lorbeers Umschattungen, der Jüngling,
Friedrich's Sohn, der apul'sche König naht mir,
Schön und fröhlich, wie einst, da er Epirus'
Tochter, Helena, mit des Vaters Kraft und
Hohenstaufischem Arm als Braut umfangen,
Minnesänger und saracen'sche Mädchen
Einst den Dichter, den König, einst das junge
Liebenswürdigste Paar mit Jubel grüßten!
Aber groß und gebietrisch, wie das Erbland
Tausendjährigem Vorurtheil und Wahnwitz,
Und Roms heil'gen Tyrannen er entrissen,
Wie er einst mit dem Schwerdt der fränk'schen Räuber
Schaar durchbrach und ein Opfer frecher Habsucht
Ungeheuern auf Petri Stuhl und blindem
Aberglauben sein Heldenblut vergossen!
Da, o Freund, des Geschlechtes denk' ich nicht mehr,
Das mich neidet und haßt im Vaterlande
Und dreifältigen Haß und Stolz mir abdringt,
Und im höheren Geist nenn' ich mein Schwaben
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Heimath mir, und vor Grieche nicht und Römer
Beug' ich mich, doch bei Manfred's Grab, o Deutscher,
Benevento's und Alba's blut'gem Schlachtfeld,
Wo ich stand und zum großen Werk mich weihte,
Sei's geschworen: Dem Kaiserhaus' mein Leben!

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Lieder aus Sorrent. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8B8F-F