[93] Fragment eines größeren Gedichtes:


Die Nacht in St. Peter 1

1.

Am Tage, da St. Petrus einst in Rom
Den heil'gen Stuhl der Christenheit bestiegen,
Sieht man das Volk in seinem Riesendom
Vorm heil'gen Vater auf den Knieen liegen.
Und wie sie alle gläubig oder nicht
Von allen Enden zu dem Fest erschienen,
Da als der Glocke mächtiges Gewicht
Vom Schlag erklang, so kam auch ich mit ihnen –
Und als die Feier nun vollendet war,
Saß ich noch lange stumm an einer Säule,
Ich dachte manches mir, und wunderbar
Auch die Vergangenheit in stiller Weile.
Wenn hinter deinen stolzen Pinienhain
Die Sonne sinkt in ihren süßen Gluthen,
Gianicolo, wie da im Abendschein
Die Wolken trunken sind von goldnen Fluthen,
Ja, wie das Meer, wenn's auch die Klipp' umschäumt,
Die Fläche hin voll immer zärt'rer Töne,
Von dieses Himmels reinem Licht besäumt,
Doch glänzt in unaussprechlich hoher Schöne,
So sanft im Sonnenschein des Augenblicks
Erglühten alle Schatten meines Lebens,
Und selbst dem dunkeln Abgrund des Geschicks
Entdrohten alle Strömungen vergebens.
Dem Tantalus glich einst die Herzensqual,
Die mir die Tage nahm, die Nächte raubte,
Dem alten Halbgott, der das Feuer stahl,
Und das Geschlecht nur zu beglücken glaubte.
[94]
Fern vom Lebend'gen, in der Schattenwelt
Stand ich verwaist in grenzenloser Leere,
Die Brust vom heißen Wissensdurst geschwellt,
Von Sehnsucht nach Verdienst und Ruhm und Ehre.
Es winkte mir des Lebens goldne Frucht,
Und doch entschwang der Zweig sich meinen Lippen,
Und mitten in der Fluth war ich verflucht,
In Tropfen nur den kühlen Trunk zu nippen.
Und meine Schuld? Ach daß in kühnerm Drang
Nach höhern Dingen und nach größern Thaten
Mein Mund oft im begeisterten Gesang
Aus dem Olymp Geheimnisse verrathen.
Und als in reichem Frühling mein Gemüth
Die jungen frischen Augen aufgeschlossen,
In ungemeßner Liebe nun erblüht,
Den höchsten Schmerz, die höchste Lust genossen,
Da knüpft' ich thöricht an der Blüthe Saft
Die sel'ge Hoffnung eines ew'gen Segens,
Bald starb die schöne Wirkung mit der Kraft,
Die Blume mit dem Keim des frohen Regens.
Der Schlange glich ich nun, die halb zerstückt,
Vom blut'gen Schwerdt der Feinde schon zerspalten,
Im letzten ungeheuern Weh umstrickt,
Was sie für alle Ewigkeit will halten.
Doch wie sie aus sich selbst sich auch erneut,
So wuchs auch ich aus eignem Drange wieder,
Nur daß von schwerer Schicksalshand geweiht,
Des Gifts zuviel blieb in der grimmen Hyder. –
Jetzt sah ich mich im großen Gotteshaus
Der Christenheit allein in all' der Menge,
Sie beteten, sie gingen ein und aus,
Und Tausende verlor ich im Gedränge.
Hat ja ein Volk beinahe Raum genug
In diesem freundlich hochgewölbten Baue,
In dessen Hallen mich die Sehnsucht trug,
[95]
In dem ich auf, wie zu den Sternen schaue.
Still ist's um mich: der ferne Orgellaut
Klingt leise her zu mir aus der Kapelle,
Jemehr der Abend durch den Tempel graut,
Jemehr die Sonne schwindet und die Helle.
Bald schweigt's, und lange Züge seh' ich schon
Die weite Marmorebene durchwallen,
Ein heilig Lied in schwermuthsvollem Ton
Hör' ich in den Gewölben dumpf verhallen.
Sie sind verschwunden mit dem Volksgewühl:
Um mich und über mir ist's Todtenstille,
Und dieser Stätte schauderndes Gefühl
Ergreift das Herz in nie gekannter Fülle.
Wie's dunkelt! Wie schon von den Höh'n herab
Die Schatten wandeln in gewalt'gen Massen,
Wie seh' ich's düstern um St. Petri Grab,
Wie der Apostel furchtbar Bild erblassen!
Wie lagert sich voll heil'gem Grau'n die Nacht
Schon in der Kuppel wie in ihrem Schooße,
Wie Buonarotti's Geist in ihr erwacht,
Die über Berge ragt gleich einer Rose.
Mich faßt der Schwindel! Als ob Geister mich
Empor zur himmelweiten Rundung zögen,
Wie für Jahrtausende, so fürchterlich
Thürmt sich hinan die Marmorlast der Bögen.
Welch Pünktchen in der dunkeln Fläche dort!
Kaum sichtbar ist's – es regt sich – auf den Knieen
Liegt noch ein Mönch – bald schwebt auch dieser fort,
Allein bin ich mit meinen Phantasieen.
Ich blick' empor, und bin der Mücke gleich,
Wie klein der Lichterkreis das Grab umzittert,
In diesem übermächt'gen Schöpfungsreich
Fühl' ich vom Weltgeist schaudernd mich umwittert.
Mich fesselt eine namenlose Macht,
So daß die Sinne mir in Nebel schwinden,
[96]
Bis sich im Schlummer kühner angefacht,
Des Geistes Flammen, so wie nie entzünden.

Fußnoten

1

Die Idee zu dem Gedichte, von dem wir hier einige Zeilen mitgetheilt haben, bekam der Dichter am Feste der Thronerhebung St. Petri, oder vielmehr des Abends, wo er einsam in den ungeheuern Räumen der St. Peterskirche die Nacht einbrechen sah. In wenigen Augenblicken war ihm die ganze Einrichtung aufgestiegen, und es sollte folgendermaßen ausgeführt werden.

Der Dichter befindet sich auf dem Hügel des Venustempels vor dem Colosseum. Er redet den Orion an, und erinnert sich dabei so vieler süßer und schmerzlicher Täuschungen seines Lebens. Noch hat er nicht gelernt, sie zu vergessen, auch unter den Denkmalen altrömischer Größe erinnert er sich noch der Erschütterungen in seiner Vergangenheit. Da tritt er ins Colosseum ein. Eindruck der ungeheuern Trümmermassen und historischen Bilder. Schon hat er seine kleinen bittern Erfahrungen aus dem Gedächtniß verloren. Jetzt erscheint ihm in einem niederwerfend erhabenen Gesichte der Geist der Geschichte unter den nächtlichen furchtbaren Gewölben des Vespasianischen Wunders. Dieser, wie er ihn zu Boden stürzte, hebt ihn mit stärkender Weihung wieder empor, und öffnet ihm das Auge zum Schauen der Geister. Der Dichter taumelt aus dem Colosseum, geht durch den Triumphbogen des Titus, und kommt an den Fuß des Palatin. Hier erscheint ihm der Geist des Romulus. Er erkennt ihn. In allen Tempeln belebt sichs, die via sacra ziehen die Vestalen und Priester hin, das Forum ersteht aus dem Schutt und bildet sich heran, das Capitol verändert seine jetzige Gestalt und der Tempel des Jupiter Capitolinus steigt düster und erhaben empor. Die Geschichte Roms und seiner Weltherrschaft, selbst sein fabelhafter Ursprung wird lebendig. Der Dichter ist hingerissen von Schauen, und wagt kein Wort. Romulus aber spricht Worte voll tiefen Sinns, und nun beginnt der Dichter zu klagen über den Zustand seines eigenen Volkes, da der König der Römer selbst das seinige beweint. Aber er wird, als er zu weit gehen will, gebieterisch von ihm zum Schweigen ermahnt und der Geist ruft ihm die Größe Deutschlands durch das Herrscherhaus der Hohenstaufen zurück. Diese sollst du ehren, sagt er ihm, diesen dein Leben weihen, darum siehst du diese Nacht die höchsten Schrecken des Staats, der Religion und der Kunst.

So verschwindet der Heros und der Dichter sieht sich dem Campo Vaccino entrückt und vor der Riesenbasilike der katholischen Christenheit, dem St. Peter. Er tritt hinein in die gigantischen Hallen, die Thüre reißt ihm der Sturm auf, und ein zweites entsetzliches Gesicht wirft ihn zu Boden. In Einer Reihe sitzen alle Päbste vom Ersten bis zum Letzten um die vier Säulen über dem Grabe St. Petri. Christus, der Herr selbst, steht in einfacher Schönheit am Altar, und die Glorie umgiebt ihn. Der Dichter wagt kaum sein Aug' empor zu heben, er erkennt einige besonders ausgezeichnete Päbste, und schildert sie. Da ertönt ein gewaltiger Donner aus der Kuppel herunter, so daß das Gebäude bebt, die Welt zu stürzen droht, die Kolossen der Apostel und Heiligen wanken, und auf einmal fallen alle Päbste unter dem furchtbaren Hallen des Donners ins Nichts zusammen, nur ihre Kronen und Goldgewande bleiben noch leer und inhaltslos auf der Erde liegen, aber aus manchen kriechen Schlangen, Krokodille und schreckliche Thiere hervor. Christus allein steht noch in seiner seligen Klarheit und Einfalt am Altare, und bricht das Brod, und hält den Kelch. Siehe da erdröhnt ein anderer Schlag aus der Kuppel, noch fürchterlicher als der erste, und die titanischen Pilaster, die das Gewölbe wie einen Himmel tragen, schwanken und wollen zerfallen. Da verschwebt auch Christus und öde grauenvolle Nacht umgiebt den Dichter. Schon ist er der Verzweiflung nahe, als sichs in der unermeßlichen Kuppel über ihm zu lichten beginnt, ein sanfter linder Rosenschein erhellt sie himmlisch und eine tiefe, stille, liebende, selige Stimme spricht aus ihm unter entzückenden Akkorden: Ich bin dein unsichtbarer Gott – ich bin all ein! Und nahe und immer fernere Engelstimmen erklingen, und verschweben allmählich hinüber, und der Dichter flieht aus dem Tempel. Jetzt empfängt ihn eine majestätische Gestalt, die Muse. Aber es ist jene Muse, die nur die höchste Begeisterung entzündet. Mit stolzer anmuthsvoller Sprache empfängt sie ihn, und schildert ihm die Größe jener unsterblichen Seelen, die nur Sie geliebt, und die sie zum höchsten Rang erhoben. Zum Zeichen ihrer Macht reckt sie die Hand aus, und Michel Angelo's jüngstes Gericht sieht der Dichter mit schauenden Augen in dem Nachthimmel sich ausbreiten und entfalten. Schilderung des fürchterlichen Gesichts und Eindruck auf die Seele des Dichters, der fast zernichtet ist. Da führt ihn die gütige Muse, die ihn nur läutern aber nicht zerstören will, durch die Hallen und Gänge des ninifeischen Wunders, des Vaticans, und er sieht sich vor der Verklärung Raffaels. Feier dieses Augenblicks und Höchstes der Kunst. Da erscheint der Geist des Jünglings in seiner ganzen Liebenswürdigkeit, und redet mit dem Dichter, ihm tiefsinnige Worte über Harmonie und Schönheit sagend, und ihn zu bescheidenem, reinem, und vernünftigem Streben aufmunternd. Noch aber sagt ihm die Muse strafende und befeuernde Worte, und er sieht, plötzlich auf den grünen Pinienhügel des Janus zu Tasso's Grab versetzt, die Sonne glorreich über das ewige Rom emporsteigen.

Man sieht leicht, daß wir uns viel vorgenommen hatten, und sogar mehr, als wir damals auszuführen im Stande waren. In der Begeisterung des Abends im St. Peter dünkte uns alles leicht und schon wie herausgegangen aus dem Innern in reifer und gediegener Vollkommenheit. Allein mein Zimmer ist kein St. Peter; ich ward sogleich durch abenteuerliche Begegnisse gestört, konnte nicht fortfahren, das Carneval erschien, und in ihm schien mir wie die ganze Welt so auch mein angefangenes Gedicht närrisch zu sein, so unterbliebs. Freilich kann man sagen, daß der Dichter auch nicht nöthig gehabt hätte, das Maul so voll zu nehmen, weiß der Himmel was für ein erhabenes Ding zu versprechen und am Ende gar nichts zu geben, als eben das Versprechen. Aber man weiß ja, wie die Dichter sind, und wie sie gleich sich in Brand und Feuer setzen. Mein Wille übrigens und mein Ernst war allerdings etwas ganz vorzüglich Erhabenes zu erfinden und auszuführen, ja etwas so Ernsthaftes und Sublimes, daß man gar keinen Verleger dafür gefunden hätte. Allein es blieb einmal Fragment. Sollte nun jemand gar, wenn er das Bruchstückchen gelesen, der Meinung sein, daß es kein Schaden um das Uebrige sei, und daß ich gescheidt daran gethan, aufzuhören, so ist mir das fast das Angenehmste, was ich mir wünschen kann.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Anhang. Die Nacht in St. Peter. 1. [Am Tage, da St. Petrus einst in Rom]. 1. [Am Tage, da St. Petrus einst in Rom]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8C0D-D