[35] Die sechzehnte Fabel.
Von der Schwalben.

Im sommer, als man zu seen pflag
Den lein, umb sanct Johannes tag,
Ein witzig schwalb die vögelein
Fordert, zu halten ein gemein,
Und sprach: »Ir seht, wie sichs jetzt helt,
Wie man zu fahen uns nachstellt;
Mit garnen, netzen und mit stricken
Tut man uns oft herüber rücken:
Die werden all vom flachs gesponnen.
Dasselb hab ich jetzt wol besonnen.
Nach dem jetzund der baur da stet,
Den leinsamen in acker seet,
So rat ich, daß wir jetzt sein wacker,
Fliegen mit haufen auf den acker
Und freßen auf den samen gar,
Daß uns hienehst nicht widerfar
Ein großer schade, wenn der flachs
Mit der zeit groß werd und erwachs.«
Aber ir rat ward gar veracht
Und von den andern vöglen blacht.
Das ließ die schwalb also geschehen
Und sprach: »Ich wils mit euch ansehen.«
Darnach der flachs bald grünen tet;
Die schwalb in guter achtung het,
Fordert zusamen die vögel all,
Tet sie vermanen noch ein mal,
Sie solten auf den acker laufen,
Den grünen flachs behend ausraufen
Und laßen in verderben gar,
So kemens aus des lebens far.
Die vögel sie belachen teten,
Hießens ein beschißnen propheten.
[36]
Das tet die schwalb gedultig leiden.
In dem der herbst kam an bei zeiten;
Der flachs ward reif und bracht vil knotten.
Da teten sich die vögel rotten,
Hinaus zu fliehn nach irer speis,
Wie im herbst ist der vogel weis.
Als sie die schwalb mit haufen sach,
Zuläßlich zu den vögeln sprach:
»Lieben brüder und schwestern all,
Verman euch jetzt zum dritten mal,
Wie ich denn vormals auch getan.
Den flachs seht ir jetzt vor euch stan;
Der ackerman komt bald daher
Mit seinem gsinde on gefer,
Den flachs zu sameln und zu raufen,
Ein zu bringen mit großen haufen,
Daß er gederrt werd an der sonnen,
Geschwungen, gehechelt und gesponnen
Zu netzen, stricken und zu garn,
Damit man uns tut überfarn,
Zwackt und erwüscht, die köpf zerdruckt
Und mit haufen uns überruckt.
So fliegend hin mit großen rotten
Und freßen von dem flachs die knotten
Und treten gar in dreck den flachs,
Auf daß er nimmer wider wachs,
So wird daraus kein garn geworcht,
Und mögen leben sonder forcht.«
Die vögel teten gleich wie vor,
Gaben der schwalben kein gehör
Und hielten ire red vor scherzen,
Ir warnung gieng in nicht zu herzen.
Als das die schwalb nun ward gewar,
Sah iren rat verachtet gar,
Zun andern vögeln sprach: »Ade!
In eur gmeinschaft kom ich nit me.
[37]
Zun leuten wil ich mich gesellen,
Bei in mein herberg mir bestellen.
Das sehe ich an jetzund vors best,
Und machen mir ein leimen nest
Dort oben under jenem dach,
Und haben fried und hausgemach,
Und singen meinem wirt ein lied;
Schützt mich, daß mir kein leid geschiht.
Wölln sich die andern laßen worgen,
Davor laß ich die vögel sorgen.«
Es gschicht noch oftmals in einr stadt,
Daß ein vorstendig man im rat
Aus weisheit redt allzeit das best,
Wird nicht angenomen; so gschicht zu letst
Das widerspiel, als er geraten.
Denn spricht man: Ach, daß wirs nicht taten!
Mancher im selbs nicht raten kan,
Nimt auch eins andern rat nicht an.
Wenn dem sein anschlag anders gerät,
Denn er im vorgenomen het,
Denn tut er sich bedenken baß,
Spricht: Hett ich tan diß oder das!
Der im nicht raten leßt bei zeiten,
Muß hinden nach den esel reiten;
Dem tut der reuel große qual,
Denn die ursach ist hinden kal.
Die nicht bei zeit den fehl lan büßen,
Darnach den schaden schmecken müßen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 16. Von der Schwalben. 16. Von der Schwalben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8D50-9