Die fünfundvierzigste Fabel.
Von einer Frauen, die iren sterbenden Man beweinet.

Es war ein mal ein junges weib,
Gar wolgetan und schön von leib,
Dieselb het auch ein jungen man;
Den kam ein eilend krankheit an,
Daß er sich legen must zu bet.
Die krankheit in fast engsten tet,
Daß er auch mit dem tode facht.
Den het die frau in guter acht,
Betrübt sich des so mechtig ser,
Daß sie auch kaum kunt reden mer.
[223]
Da sprach ir vatter: »Tochter mein,
Bitt, wöllest nit so traurig sein.
Würd dir jetzt schon der man absterben,
Ich wolt dir umb ein andern werben.
Ich weiß auch, daß derselb für allen
Dir baß denn diser solt gefallen
Und dich wol bald also gewehnen,
Daß dich nit darfst nach disem sehnen.«
Darab erzörnt die junge frau
Und sprach zum vatter: »Auf mein treu,
Ir seht, ich bin betrübtes herzen;
Dennoch vermert ir mir den schmerzen,
Daß ir mir sagt vom andern man:
Das wort ich zwar nit hören kan,
Daß aus meins kranken mannes liebe
Ich mich gar herzlich ser betrübe.«
Bald tet derselbig man verscheiden,
Darab der frauen herzlich leiden
Mit traurigkeit ward ser vermert,
Wie uns die folgend tat belert.
Mit weinen sie den man beklagt,
Daneben auch irn vatter fragt
Und sprach: »Ich bitt, mir sagen wöllen,
Wie ists umb den jungen gesellen,
Von dem ir heut gesaget hat?
Ist er auch hie in diser stadt?
Ir seht, wo mich der schuh jetzt drückt,
Ob ich meins leids möcht werden erquickt.«
Hie mag man sehen, wie die frauen
Ir männer meinen mit all trauen.
Bei dem sie zwenzig jar geseßen,
Könnens in einer stund vergeßen;
Doch wißens vil davon zu waschen.
Ist gleich, als wenn einr kauft ein taschen
Und braucht sie lang, biß sie wird alt
Und im on all gefar entfallt,
Get hin zum krämer, kauft ein neu:
So ists auch um der frauen reu,
[224]
Wenn in die männer sterben ab,
Wie ich oftmals gesehen hab.
Wie man sunst von einr andern sagt,
Welch auch irn toten man beklagt,
Der am karfreitag war verscheiden,
Drumb sie sich müt mit großem leiden.
Ir mutter tröstet sie und sprach:
»Mein tochter, laß das trauren nach,
Was gschehen ist, das ist geschehen.
Wil dir einst umb ein andern sehen,
Daß du dich trösten mögst damit.«
Sie sprach: »Vor disen ostern nit!
Er hat mirs herz also beseßen,
Daß ichs nit kan so bald vergeßen.«
Davon ich jetzt nit mer wil sagen;
Ich förcht, sie möchten mich verklagen
Und so ir ungunst auf mich laden.
Beßer, daß ich mich hüt für schaden,
Behalt der frauen gunst und huld,
Denn daß ich wurd von in beschuldt
Als der nit anderst het zu schaffen,
Künt nichts denn nur die frauen strafen.
Wiewol die feder jetzt gern wolt,
Daß ich von in mer schreiben solt,
Daß sie gut sein zu bösen sachen,
Irs gfallens können weinen, lachen,
Unbstendig, gschwetzig, schnell zu liegen,
Mit bhendigkeit den man betriegen:
Das wil ich jetzund alles sparn;
Mir ist schier allzu vil entfarn.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das ander Buch. 45. Von einer Frauen, die iren sterbenden Man beweinet. 45. Von einer Frauen, die iren sterbenden Man beweinet. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E67-F