Die vierundneunzigste Fabel.
Von zweien Gesellen und dem Beren.

Zwen gsellen kamen zu einander
Und wolten beid zusamen wandern,
Schwuren einander rechte treu
Mit eides pflicht on alle reu,
Zu leiden beide tod und leben
Und was Gott und das glück wurd geben.
Begegnet in im wald ein ber,
Tet brüllend laufen zu in her.
Der ein erwüscht ein hohen baum,
Darauf entran dem beren kaum,
Daß er die ferlichkeit mocht meiden.
Der ander stund in großem leiden,
Gedacht: du kanst im nit entfliehen,
Die strebkatz mustu mit im ziehen,
Und sprach: kein andern rat ich weiß.
Er legt sich in ein wagenleis,
Sam wer er tot, tet sich hinstrecken,
Das angesicht mit laub bedecken.
[138]
Bald kam der ber und kert in umb,
Er lag, als wer er taub und stum,
Verhielt den atem mit maul und nas:
Da meint der ber, es wer ein as.
Als er in umb und umb besicht,
Get wider hin und tut im nicht.
Wie nun der ber verlaufen war,
Stieg er vom baum hernider dar,
Seinen gesellen fragen tet:
»Was hat der ber mit dir geredt,
Da er dir heimlich raunt ins or?«
Er sprach: »Er tet mich warnen zwar,
Daß ich eim solchen treulosen gsellen
Fürbaß nicht mer sol glauben stellen.«
Ein weißen rappen und schwarzen schwan,
Wer mag den je gesehen han?
Gar seltzam vögel in der welt.
Der maßen sichs auch jetzund helt
Mit dem glauben zu unsern zeiten,
Er ist ganz kleine bei den leuten,
Ein seltzam traut, in almans garten
Darf mans zu wachsen nicht erwarten.
Man list, vor zeiten bei den alten
Tet einr dem andern glauben halten;
Jetzt sagt man, dwelt sei worden neu,
Gibt gute wort on alle treu:
Lach mich jetzt an und gib mich hin,
So falsch ist jetzt der welte sin.
Wer jetzt hat gut, der hat auch ere;
Es fraget niemand fürbaß mere.
Man sagt, seit untreu sei geborn,
So hat der glaub das feld verlorn.
Die not tut freunde kennen leren.
Wenn sie in nöten zu dir keren
Und tröstlich deines leids ergetzen,
Ir gut und leben für dich setzen
Und nimt sich an all deins gebrechen,
Den magst vor einen freund wol rechen.
[139]
Die ein mit solchen treuen meinen,
Under tausent findstu kaum einen.
Darumb rat ich on allen spott,
Daß man vertrau allein auf Gott
Und sich allein auf in verloß.
Am glauben ist die menschheit bloß,
Und ist diß falls das fleisch kein nutz;
Verlorn ist all sein hilf und schutz,
Und ist in allen sachen feil;
Glaub mir, ich habs versucht zum teil.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 94. Von zweien Gesellen und dem Beren. 94. Von zweien Gesellen und dem Beren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E80-6