Psalm. 22. Deus deus meus

Weissagung vom Leiden vnd aufferstehung Christi, erlösung menschlichs geschlechts, vnnd ehre Göttlichs namens.

1.
Da Christus an dem Creutze hieng
in schmach zu vnsern ehren,
Für vnser schuldt die straff empfieng,
rieff er zu got dem herren:
»Mein Got, mein Got, wie hastu mich
so gentzlich vbergeben!
Ich ruff vnd schrei, kein hülff nit sich,
es geht mir an dz leben!
rüff tag vnd nacht,
doch wirt meins schreiens nit gedacht!
2.
Du aber wonst im heiligthumb
vnd Israel dich preiset,
Du bist gewest der vätter rhum,
den du stedts gnad beweisest
In aller not die sie anfacht
reychtstu jn deine hande,
Auß jrem leyd vnd trübniß bracht,
sie wurden nit zuschanden,
all jr geschrei
erhörtestu vnd machtst sie frei.
3.
Ich aber bin ein wurm veracht
vnd keinem menschen gleiche,
Verspeit, von iederman belacht,
mich hönt beyd arm vnd reiche,
All die mich sehen spotten mein,
gegn mir jr maul auffsperren,
Sprechen ›Wie bsteht er nun so sein!
wie rüfft er nit zum HERREN,
daß Er ietz käm
vnd hülff jm, hat Er lust zu jm?‹
4.
Dennoch bistu mein Got vnd hort
auß meiner mutter leibe,
Ich bin dein Son vnd ewig Wort,
Mensch geborn von einem weibe.
Auff dich mich stedts verlassen hab
von meiner mutter brüsten,
Drumb laß in diser angst nit ab,
mich auß der not zu fristen!
sunst ist niemand,
der mir ietz reycht der hülffen hand.
5.
Groß Ochsen vnd vil feyster Stier
mich gwaltiglich vmbringen,
Sperrn auff jrn rachen gegen mir,
wie Löwen mich verschlingen,
Bin wie ein wasser auß gestürzt,
mein hertz wie wachs zerflossen,
Mein safft vertrucknet vnd verkürtzt,
gantz trostloß vnd verlassen,
mein zung anklebt
vnd ist nichts mehr an mir das lebt.
6.
Es rotten sich vil böser hund,
mich gar vmbgeben haben,
Han mir mein hend vnd süß verwundt,
mit negeln gar durchgraben,
Gantz außgereckt hang ich hie bloß,
all mein gebein möcht zelen,
Vmb mein kleydt werffen sie das loß
vnd meinen rock verspielen,
mein schmach vnd pein
lassens jrs hertzen freude sein.
7.
Doch wirstu mich auß diesem leyd,
vom todt vnd Hellschem schrecken
Bringen zu grosser herligkeyt,
am dritten tag erwecken,
Daß ich deins Namens ehr vnd rhum
meinn Brüdern mög verkünden,
Daß man durch Gnad allein wirdt fromb,
erlöst von Todt vnd Sünden,
von pein der Hell,
des frewt sich Jacob vnd Israel!
8.
Dann du, HERR Got, hast nit verschmeht
den elenden vnd armen.
Dein gnad vbr all gar reichlich geht,
läßst dich der welt erbarmen.
[654]
Vom Auffgang biß zum Nidergang
mit deinem wort sie speisest!
Des sagen dir die frommen danck
den du solch gnad beweisest,
vnd frewen sich,
daß sie solln leben Ewiglich!
9.
Dann wirdt dein nam gepredigt recht,
wann mich die Heyden ehren,
Für mir dubetten all geschlecht
vnd sich zu mir bekeren,
König vnd Fürsten alle die
beyd armen vnd geringen
Für mir solln biegen jre knie,
zu meinem Reich eindringen,
daß sich dein ehr
biß an das end der welt vermehr.«
10.
Dein Sam bleibt in der Christenheyt,
deinn Namen zu verkünden
Von gschlecht zu gschlecht wirdt außgebreyt,
von kind zu kindes kinden,
Daß wir von Sünd gewaschen reyn
auffs new werden geboren:
Das thustu, HERR vnd Got, allein
an den die du erkoren
durch Jesum Christ,
der vnser Got vnd heyland ist.
11.
Dein Nam, Vatter im himelreich,
müß hie geheilget werden,
Vnd widerfar dein gnad alln gleich,
dein will gescheh auff erden
Der maß wie dort im himel hoch,
den leib wöllst vns erneren,
Laß vns die schuldt gnediglich nach,
wöllst vnser feind bekeren,
auß allem leydt
hilff vns zur Ewign seligkeyt!

Notes
Erstdruck in: Der Psalter, Frankfurt 1553. Das Lied steht in dem Quartgesangbuch der Brüdergemeinde von 1566, bei Keuchenthal 1573, Alten-Stettin 1576 und Zinkeisen 1584.
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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Psalm. 22. Deus deus meus. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8F19-4