Die achtzehnte Fabel.
Von einem gelben Schleier.

Ich zoh eins mals hinauf an Rhein
Und kam zu Worms zum kaufhaus ein
An einem sambstag abent spät
Mit gsellschaft, die ich bei mir het.
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Am sontag morgens tagts uns fru,
Ließen das früstück richten zu;
Denn es uns war das mal kein feir,
Ritten denselben tag gen Speir.
Spaziert ich in der stuben umb
Und sahe die wirtin ausher kum;
Schmuckt und putzt sich und legt sich an,
Denn sie wolt bald zur kirchen gan.
Zuhand sie vor den spiegel trat,
Und schloß auf ire schleierlad
Und zohe heraus die gelben schleier,
Geferbt wie totter von den eier.
Wie ich ir zier daselben sach,
In scherzweis zu der frauen sprach:
»In disem land der schmuck der frauen
Gefellt mir wol, bei meinen trauen.
In meim land hats ein ander weis,
Darfür ich dise schleier preis,
Da tragent frauen rot baret,
Wiewol es auch nit übel stet.«
Und sprach: »Wenn ich mich bgeben solt
In eestand, daß ich weiben wolt,
Solts auch im gelben schleier gan,
Denn ich hab sondern gfallen dran;
Denn ir mir auch also gefallt
Vil baß denn in einr andern gstalt.«
Solchs redt ich nit aus ernstem herzen,
Daß ich nur möcht mit worten scherzen.
Sie seufzt und sprach: »Ei, lieber herr,
Wolt auch wol, daß ich schöner wer.
Ich bin meins unglücks auch nit fro;
Doch muß ichs nemen jetzt also.
Ein krenzlin ziert mich in der jugent,
Jetzt mach ich aus der not ein tugent
Und all mein kunst zusamen heisch
Und muß so an ein magers fleisch
Zum schmack ein gelbe suppen machen.«
Ob solchen worten ward ich lachen,
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Daß sie auf meine red von stunden
Het bald ein höflich antwort funden.
Was an im selber nit fast schon,
Da muß man fleiß und achtung han,
Daß man dieselben schwachen glider
Handhabt und ert, wirfts nit danider.
Das hübsch ist an im selber fein.
Ein wirt, der hat ein guten wein.
Gedenkt denselben auszuschenken,
Der darf zwar keinen kranz aushenken.
Also ists umb ein junge magt,
Die eim gesellen baß behagt,
Wenn sie mit schön und tugent putzt,
Denn wers mit kleidern aufgemutzt.
Die andern, die solch gab nit han,
Den muß es werden angetan;
Wenn sie mit gülden flittern bsteckt,
So wird die misgestalt bedeckt:
Denn alles ding den menschen freut,
Wenns scheint oder ist mit gelt bestreut.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 18. Von einem gelben Schleier. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8F1C-D