Die fünfundfunfzigste Fabel.
Von der Göttin Juno und Venus.

Frau Juno hat allzeit geliebt
Eelich keuschheit und sich drin giebt,
Dagegn Venus das freie leben,
Nit vil umb einen man hat geben,
Denn sie sprach: »Zwar mit einem man
Mich nit allzeit behelfen kan;
Drumb leg ich oft ein andern zu:
Man milkt nit vil von einer ku.
Drei nem ich allzeit vor ein par.«
Ein hennen stellt ins mittel dar;
Damit sie auch beweisen wolt,
Daß man einr frauen geben solt
Des dings so vil, als sie wolt haben,
Das leder außn und innen schaben,
[276]
Und daß mans doch damit nit füllen,
Mit vil krauen den kützel stillen;
Und sprach: »Sag her on alln betrug,
An wie vil weizen hastu gnug?
Wo man dir geb des tags ein metzen,
Küntstu dich gnug damit ergetzen?«
Sie sprach: »Ein scheffel aufgeheuft,
Den man umb sieben groschen kauft,
Damit könt nit den vorwitz büßen,
Daß ich nit scharret mit den füßen.«
Sie sprach: »Hab dir ein malter weizen,
Laß dich nit mer zu scharren reizen.«
Da antwort ir dieselbig henne:
»Wenn du auftetst die ganze tenne,
Und daß ich auf dem weizen stünt,
Dennoch das scharrn nit laßen künt.«
Mit holz leßt sich das feur nit stillen,
Die erd auch nit mit waßer füllen.
Den frommen allzeit wol genügt,
Wenn in wird notturft zugefügt;
Welch aber einst der geiz hat troffen
Und in den sünden sein ersoffen,
Dazu in bosheit gar betagen,
Da hilft kein singen oder sagen.
Ob man schon straft und anderst lert,
Doch wird die gwonheit transformiert
Und der natur ganz eingeleibt,
Darumb bekleibt und ewig bleibt,
Welchen nichts denn das ir behagt.
Drumb auch das alte sprichwort sagt:
Ein alter jüd on großes gut,
Ein junger kriegsman one mut,
Ein schöne junge metz on liebe,
Ein großer jarmark one diebe,
Ein alter weiher one fische,
Ein große wirtschaft one tische,
Ein weite küchen one hunde,
Ein reicher man on vile fründe,
[277]
Ein alter müller one korn,
Ein leuchtenmacher one horn,
Ein würfelmacher one bein,
Ein hodenschneider one stein,
Ein reicher baur on weites felt,
Ein kaufmans taschen one gelt,
Ein mechtig könig one lant,
Ein alter reuter unbekant,
Ein alter schneider one scher,
Ein alter stecher one sper,
Ein frischer honig und nit süß,
Ein guter laufer one füß,
Ein großer krieg, doch one schaden,
Ein alter fauler käs on maden,
Ein gutes bier, doch one malz,
Ein gutes mus, doch one salz,
Ein guter eßig und nit saur,
Ein guter frischer most on laur,
Ein altes panzer one rust,
Ein schöne junge frau on lust,
Ein rechter christenglaub on frucht,
Ein frommer schüler one zucht,
Ein alter stier on große hörner,
Ein granatapfel one körner,
Ein edler stein, doch ungefaßt,
Ein frommer richter ungehaßt,
Ein guter hammer one stiel,
Ein guter zimmerman on biel,
Ein alter wirtsknecht one kreiden,
Ein neues meßer one schneiden,
Ein große glocken one klank,
Ein großer dreckhauf one stank,
Ein erlich fromme frau on scham,
Ein alter keßel one ram,
Ein großer fisch on allen grat,
Ein großer regen one kat,
Ein großer kaufman one borgen,
Ein armer hausman one sorgen,
[278]
Ein alter scheffel ungemeßen,
Ein alter stul, doch unbeseßen,
Ein alter doctor one lere,
Ein alter hausvatter on ere,
Ein alter mönnich one blatten,
Ein alter keller one ratten,
Ein alter nollhart one kappen,
Ein alter mantel one lappen,
Ein alter landsknecht on franzosen,
Ein bettler one leus in hosen,
Ein alter furman one taschen,
Ein alter pilger one flaschen,
Ein alter schreiber one feder,
Ein alter schuster one leder,
Ein alte gute stadt on warten,
Ein altes meßer one scharten,
Ein alter scherer one zug,
Ein alter kremer on betrug,
Ein alter küstall one mist,
Ein alter roter fuchs on list,
Ein alter priester one buch,
Ein alter bader one bruch,
Ein alter rat on gut gericht,
Ein altes schiff und ungebicht,
Ein alter belz on alle leuse,
Ein alte scheuren one meuse,
Ein alter messner one wachs,
Ein alte spinnerin on flachs,
Ein alt apoteken one würz,
Ein alter esel one fürz,
Ein altes messbuch ungelesen,
Ein altes tischtuch one fesen,
Ein alter wuchrer unbeschatzt,
Ein alte wunden ungekratzt,
Ein altes schaf, doch unbeschorn,
Ein alter zwirn, doch unverworn,
[279]
Ein altes dinthorn one schwarz,
Ein alte küfen one harz,
Ein alter walt on dörre beume,
Ein alte vettel one treume,
Ein altes sieb und one löcher,
Ein alter schütze one köcher,
Ein neuer harnisch one riemen,
Ein gutes steupen one striemen,
Ein alter wagen ungeknarrt,
Ein alte geigen ungeschnarrt,
Ein alte wunden one schmerzen,
Vil junge kelber one scherzen,
Große schöne stet one mauren,
Ein großes leiden one trauren,
Ein alter rauber ungefangen,
Ein alter dieb auch ungehangen,
Ein kindervatter one frauen,
Ein alter steinmetz one hauen,
Ein alter weinstock unbeschnitten,
Ein gutes pfert, doch unberitten,
Ein reife gersten ungemäet,
Ein guter acker unbesäet,
Reife trauben und unbehut,
Große melonen, dennoch gut,
Ein alter zaun und ungetreten
Schöne frauen und ungebeten,
Ein feister bachen ungestochen,
Reife äpfel und ungebrochen,
Ein alter wolf one weit maul,
Ein sack voll birn und keine faul,
Ein alter landsknecht one schrammen,
Ein saugends kleines kind on ammen,
Ein große krankheit one wee,
Ein langer winter one schnee,
Reife haselnüß und nit braun,
Ein guter garten one zaun,
[280]
Ein alter seiger wein on kam,
Ein süße sommer milch on ram,
Ein großer fürst und one narren,
Ein großer rosstall one barren,
Ein köstlich buch und ungebunden,
Ein großer schatz und ungefunden,
Ein alte orgel ungepfiffen,
Ein badstubentür unbegriffen,
Ein alter schornstein one ruß,
Ein frommer sünder one buß,
Ein große hochzeit one tanz,
Ein zierte jungfrau one kranz,
Junge pflanzen und unbegoßen,
Ein langer dienst und unverdroßen,
Ein lerer wagen ungehemmet,
Ein großes har und ungekemmet,
Ein guter senf und ungerieben,
Feißte rinder und ungetrieben,
Ein alter buchsbaum und nit grün,
Ein alter kempfer und nit kün,
Ein alter jäger one hunde,
Ein alter wieger one pfunde,
Ein alte sau on große zitzen,
Ein alte want on große ritzen,
Ein alter bettler one stab,
Ein alte beurin one lab,
Ein gutes schiff und one ruder,
Ein observanz und one bruder,
Ein guter pflug und one schar,
Ein schöner kopf und one har,
Ein alter töpfer one ton,
Ein alter vatter one son,
Die münz zu Straßburg one hemmer,
Die mess zu Frankfurt one kremer,
Alte vetteln, die nit schwatzen,
Alte katzen, die nit kratzen,
[281]
Alte hüner, die nit scharren,
Jung gesellen, die nit narren,
Ein alter eber one zene,
Ein guter bogen one sene,
Ein altes böses weib on wort
Hab ich mein tag nit nennen hort;
Und ein alter bock one bart
Ist als wider natürlich art.
Verlorn ists; art leßt nit von art,
Der bock noch nie kein gärtner wart.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 55. Von der Göttin Juno und Venus. 55. Von der Göttin Juno und Venus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8F1D-B