Die siebenundneunzigste Fabel.
Von einer Bonen.

Im dorf dort niden in der au
Da het ein arme alte frau
Ein wenig bonen zamen brocht,
Auf daß sies irem manne kocht.
Sie macht ein feur und war sein fro
Und zündts an mit ein wenig stro,
[116]
Gedacht: es ist der müe wol wert!
Ein bon entfiel ir auf den hert
Ongfer, und daß sies nit fand wider.
Ein glüend kol sprang bei ir nider;
Ein strohalm lag ongfer dabei:
Die kamen zamen alle drei.
Der strohalm sprach: »Ir lieben freund,
Von wannen komt ir beid jetzund?«
Da sprach die kol: »Mir ist gelungen,
Daß ich bin aus dem feur entsprungen;
Wo ich mit gwalt nit wer entrunnen,
Ich wer zu aschen gar verbrunnen,
So wenig tut man eins verschonen.«
Desgleichen fragtens auch die bonen;
Sie sprach: »Dem alten bösen weibe
Entkam ich kaum mit gsundem leibe;
Wo sie mich auch in topf het bracht,
Het gwiß ein mus aus mir gekocht.«
Der strohalm sprach: »Der maßen auch
Het sie ein feur und großen rauch
Aus allen meinen brüdern gmacht,
Ir sechzig auf einmal umbbracht,
Und bin ich von denselben allen
Ir ongefer allein entfallen.
Drumb, weils uns allen dreien glückt,
Ists gut, daß eins zum andern rückt,
Und uns verbinden mit einandern,
Und alle drei zusamen wandern,
Von solchem unglück zu entfliehen,
Fern hin in fremde lande ziehen.«
Und stunden auf in einem sin
Und zohen mit einander hin.
Bald kamens an ein kleine bach;
Der strohalm zu der gsellschaft sprach:
»Hie han wir weder brück noch steg;
Auf daß wir dennoch kommen weg,
Wil euch zu gut mich des erwegen,
Zwergs über dise bach zu legen.
[117]
Ir all beid über meinen rücken
Mögt gen wie über eine brücken,
Wenn ich mich fein hinüber streck.«
Die kol daucht sich freudig und keck,
Wolt auch wagen den ersten tritt.
So bald sie kommet in die mitt
Und sahe das waßer nider sausen,
Begunt der kolen ser zu grausen,
Stund still und war erschrocken hart.
In dem der strohalm brennend wart.
Zuhand zerbrach dieselbig brück,
Fiel nab ins waßer an zwei stück.
Die kol folgt bald hinnach und zischt,
Da sie das waßer auch erwischt.
Des lacht die bone auf dem grieß
So ser, daß ir der bauch zerriß.
Da lief bald hin dieselbig bone,
Auf daß sie möcht irs leibs verschonen,
Zum schuhster umb ein kleinen flecken,
Damit sie mocht den riß bedecken.
Der schuhster war ein frummer man,
Nam sich derselben bonen an
Und sprach: »Wolan, mein liebe bone,
Wenn du mirs treulich woltst belonen,
Wolt ich dir deinen hauch verpletzen,
Dafür ein schwarzen flecken setzen.«
Und griff bald hindersich zu rück,
Schneid von einr kalbeshaut ein stück
Und nehts der bonen für das loch;
Denselben flecken tregt sie noch.
Die fabel uns diß stück bedeut:
Was tolle, unverstendig leut
Mit iren kindischen anschlegen
Anheben, brengen nichts zu wegen.
Weils im anfang nicht wol bedacht,
Wards nit zu gutem ende bracht.
Man sagt: ein unweislich anfang
Gewint gemeinlich den krebsgang.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das dritte Buch. 97. Von einer Bonen. 97. Von einer Bonen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-909B-8