[112] Die fünfundsiebzigste Fabel.
Vom Esel.

Ein esel tet groß arbeit schwer
Daußen bei einem gärtener;
Solchs klagt er dem Jupiter hoch,
Wie er trüg gar ein schweres joch,
Bat, daß er im dasselb wolt mindern
Und durch ein andern herren lindern.
Weil Jupiter ein gnedig gott,
Sich über die esel zurbarmen hot,
So wolt er auch des esels bitt
Auch unerhöret laßen nit.
Den ziegelstreicher er im gab,
Sprach: »Denselb zum herren hab!«
Da must er schwere ziegel tragen;
Dem Jupiter tets aber klagen,
Sprach: »Tu dich mein, o Gott, erbarmen
Und hilf aus nöten mir vil armen,
Daß ich ein andern herrn bekum:
Die stein mich wiegen umb und umb,
Die ich auf meinem rucken trag.
O Jupiter, erhör mein klag,
Mich mit eim andern herren versorg,
Der mir zum teil die arbeit borg
Und nicht so ser wie diser treib:
Sunst mit der last beligen bleib.«
Da lacht der Jupiter so fron
Dort oben hoch in seinem tron,
Dacht: wil dem esel gnad beweisen,
Daß er mich hab dest mer zu preisen!
Und weist in an den lederer,
Sprach:»Gee zu dem, der sei dein herr.«
Als der esel den gerber sach,
Zum Jupiter gar kleglich sprach:
[113]
»Nun sihe ichs wol, wie sichs wil fügen.
Ich ließ mir an keim herren gnügen:
Jetzt hab ich zwar den rechten troffen,
Keinr guten tag darf ich mer hoffen.
Mit arbeit endige ich mein leben:
Nach meinem tod werd ich gegeben
Dem schelmenschinder, der mich streift,
Nach meiner haut mein herr denn läuft,
Die gerbt er und gibts umb ein pfund,
Und frißt mein fleisch des schinders hund.«
Kein mensch noch nie so bstendig ward,
Er het an im des esels art.
Die welt jetzt keinen menschen hat,
Dem das benügt an seinem stat.
Was jener hat, das wölln wir han:
Das unser stet uns übel an.
Meins nehsten wise hat beßer gras,
Meins nachbaurn pferd füttert sich baß,
Die meisten milch gibt seine kue,
Sein weib ich ser belieben tue.
Was sich beim andern tu erzeigen,
Dunkt mich beßer sein denn mein eigen,
Und wolt gern stets ein neues han:
Sich die achtzehend Fabel an.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 75. Vom Esel. 75. Vom Esel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-90DA-9