[223] Horatianisch

Eheu fugaces, etc.


Wie unverhinderlich ein jahr
schnell nach dem andern dahin fliehet!
wie unempfindlich unser haar
sich grau zu färben nicht verziehet!
umsunst die fromkeit selbs, die stirn
von rünzlen und von sorg das hirn
zu freien sich bemühet.
Lauf alle tag der kirchen zu
und dien dem, der allein allmächtig
und ohn erquickung, nahrung, ruh
erweis dich tag und nacht andächtig
und christlich, so wird endlich doch
das unvermeidenliche joch
des tods auch durch dich prächtig.
Die sünd, die alle menschen gleich
gemachet, machet sie fortgehen
und lasset weder arm noch reich
sich länger spreißen noch still stehen.
ein junker, herr, graf und monarch
wird wie ein baur mit einem sarch
und einem grab versehen.
Umsonst der forchtsam für ein weil
dem meer, dem krieg, der pest entfliehet,
dan ja der tod, der dan in eil,
dan langsam ist, nicht lang verziehet:
gleich ist ihm der klein und der groß
und der gewafnet und der bloß,
der welk und der noch blühet.
Umsunst sich setzet ungeduld,
forcht und geheul dem tod entgegen;
[224]
es muß ein jeder dise schuld
auf die bestimte zeit ablegen:
nichts kan den tod, unser geschlecht,
von staub und aschen ein gemächt,
zu sparen je bewegen.
Da müssen wir dan alles gut,
so wir begehret und erfassen,
was uns mit hochmut und unmut
jemals zu lieben und zu hassen
beliebet, mit dem lieben leib,
haus, hof, spil, kurzweil, kinder, weib
und freind dahinden lassen.
Hat einer (nichts mehr dan gestank)
verlassend alles dan beschlossen,
erfolget dafür schlechter dank
vermischet mit spot, schmach und bossen:
wan er errungen vil alhie
für andre leut mit sorg und müh
und (narr) selbs nicht genossen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weckherlin, Georg Rodolf. Gedichte. Gedichte. Horatianisch [1]. Horatianisch [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9306-F