[143] Klag

Wan der welt aug ganz fruchtbar seinen schein
breit über das erdreich ausstrecket,
alsdan mein ganz ruhlose pein
ein solche klag erwecket:
»O schönes liecht, von jedem, nur von mir
nicht gern, allsehend gern gesehen!
ach, lieber! bracht man dir je für
ein kläglicheres flehen!
Zwar deines liechts gesicht-geliebter lust
kan leichtlich die geschöpf erlaben,
und doch das herz in meiner brust
mit keinem trost begaben.
Vol qual und angst ein schrecklich-schwarze nacht
mein herz, seel und gesicht beschweret,
die dan mit meines schmerzens macht
den weg des tods mich lehret.
Geheime ort such ich voll finsternus,
die ich erfüll mit meinen klagen,
daß sie mir doppeln den verdruß
wan sie die widersagen.
Ein end hat nu mein lust, freud und gesang,
nichts kan mein elend von mir wenden;
darum wart ich nu des tods gang,
mein leid und klag zu enden.«
Wan dan die nacht mit ihrem schwarzen kleid
den sterblichen die schlafstund bringet,
alsdan mein wachend-frisches leid
also den luft durchdringet:
»O schöne stern, der nacht liechtreicher pracht,
die ihr, bleich, meine not beweinet
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und meiner seelen letzten nacht
zu dem grab traurig scheinet.
Ihr könt zwar wol der schlafsucht süßen saft
der sterblichen gesicht eingießen,
ihr aber habt nicht so vil kraft
ein aug mir zu beschließen.
Du nacht thust mir mit scheuzlich-schwerer hand
geduld und ruh gar hinweg raufen,
die Furien mit ihrem brand
stets meinem geist nachlaufen.«
Also hab ich kein liecht, trost noch geduld
in meinem geist, gesicht und herzen
und nur den trost, daß meine schuld
noch größer, dan die schmerzen.
Doch wird noch der, so mich gar tödtet nicht,
mich wider seiner gnad gewehren
und gnädig durch sein angesicht
mein leid in freud verkehren.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weckherlin, Georg Rodolf. Gedichte. Gedichte. Klag. Klag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9490-F