Frank Wedekind
König Nicolo
oder
So ist das Leben
Schauspiel in drei Aufzügen und neun Bildern mit einem Prolog

Personen

[520] Personen.

    • Nicolo, König von Umbrien.

    • Prinzessin Alma, seine Tochter.

    • Pietro Folchi, Schlächtermeister,
    • Filipo Folchi, sein Sohn,
    • Andrea Valori,
    • Benedetto Nardi,
    • Pandolfo, Damenschneidermeister, Bürger von Perugia.

    • Ein Söldner.

    • Ein Gutsbesitzer.

    • Ein Landstreicher.

    • Michele,
    • Battista,
    • Noè, Schneidergesellen.

    • Der Oberrichter.

    • Der Prokurator des Königs (Staatsanwalt).

    • Der Verteidiger.

    • Der Gerichtsaktuar.

    • Ein Kerkermeister.

    • Ein Kunstreiter.

    • Ein Schauspieler.

    • Eine Kupplerin.

    • Erster Theaterbesitzer.

    • Zweiter Theaterbesitzer.

    • Ein Edelknabe, von einem jungen Mädchen dargestellt.

    • Erster Bedienter.

    • Zweiter Bedienter.

    • Handwerker, Richter, Bürgersleute, fahrendes Volk, Theaterbesucher, Söldner und Hellebardiere.

Prolog

Vor dem Zwischenvorhang gesprochen von König Nicolo im Kostüm des neunten Bildes und von Prinzessin Alma im Kostüm des achten Bildes.

KÖNIG NICOLO.
Nur kein Gelächter! Toren seid auch ihr
So blind wie ich. Gleich werd ich's euch beweisen:
Ihr geht, so glaubt ihr, auf Vergnügungsreisen,
Um fremder Menschen fremdes Land zu schauen,
Am seltnen Anblick schneebedeckter Höhen,
Am nie erträumten Blau weltferner Seen,
Um euren Sinn an all dem zu erbauen,
Was nicht ihr selber seid. Und hofft auch hier
In diesem Haus am Funkelnagelneuen,
Am Unbekanntesten euch zu erfreuen –
Ich schwör's euch zu: Erst dann seid ihr entzündet,
So wie's bei jedem anderen Wunderding
Im Grund besehen auf eurer Reise ging,
Wenn ihr in uns euch selber wiederfindet.
PRINZESSIN ALMA.
Wer seid ihr nun, die ihr euch hier vereint?
Kapitalisten, Krieger, Volksvertreter,
Gelehrte, Hochzeitspärchen, Schwiegerväter –
Und wieder weiß ich ganz genau: Ihr scheint
Euch all so grundverschieden an Gestaltung,
Kunstwerken gleich, die sich zur Prachtentfaltung
Ein großer Lebenskünstler auserkor.
Und doch nenn ich sofort euch zwei Gestalten,
Die unbotmäßig in euch allen walten:
Ein kleiner König und ein großer Tor.
KÖNIG NICOLO.
Des Königs Auftritt komm ich nun zu melden:
Ein König, wie zu dutzend Malen schon
Er hoffnungslos gekämpft um seinen Thron.
Ehrt ihr in ihm den Menschen statt des Helden,
[523] Dann sei für uns der Ruhm heut auserbeten,
Vor einem Haus von Königen aufzutreten.
PRINZESSIN ALMA.
Und dann meld ich zugleich euch einen Toren,
Wie kaum noch einer die Vernunft verloren.
Mit nichts als Einfalt, nichts als Unverstand,
Mit nichts als kümmerlichen Winkelzügen
Ringt er verzweifelt um das kleine Land,
In dem der Kindheit Märchenträume liegen.
Und regnet's Prügel knüppelhageldick,
Er schrickt vor weiteren Kämpfen nicht zurück.
Doch seiner Torheit Gipfel zu beschreiben,
Muß unserem Schauspiel vorbehalten bleiben.
Eins nur verrat ich noch: Was an Verbrechen
Ein Mensch in blindem Aberwitz begeht,
Sei er zu richten, sei er freizusprechen,
Mit eherner Schrift in seinem Schuldbuch steht:
Beleidigung der eigenen Majestät.
KÖNIG NICOLO.
Nehmt unser Spiel denn als ein buntes Bild
Der Menschenwürde mit Genuß entgegen.
Ich zeig es euch nicht äußeren Glanzes wegen.
Und wenn's von Torheit maßlos überquillt,
So mögt ihr um so ernster überlegen,
Daß es der nackten Menschenwürde gilt.
PRINZESSIN ALMA.
Nur keinen Beifall! Flammende Morgenröte
Pflegt Botin eines trüben Tags zu sein,
So wahr uns Abendglut auf Sonnenschein
Auch für die morgige Feier Aussicht böte.
KÖNIG NICOLO
Prinzessin Alma die Hand reichend.
Nun laß uns in der Seele Schlünden wühlen,
Laß schweifen uns durchs dunkle Menschentum!
PRINZESSIN ALMA
zum Publikum.
Dann werdet ihr die stolze Freude fühlen,
Mit Freiheit, Adel, Majestät und Ruhm
Gleichwie mit goldnen Äpfeln Ball zu spielen!
[524]

1. Akt

Erstes Bild
Thronsaal.

ERSTER BEDIENTER
sich aus dem Fenster beugend.
Sie kommen! Das wälzt sich näher und näher, wie das Jüngste Gericht!
ZWEITER BEDIENTER
stürzt zur gegenüberliegenden Tür herein.
Weißt du, daß der König gefangen sitzt?
ERSTER BEDIENTER.
Unser König gefangen?!
ZWEITER BEDIENTER.
Seit gestern früh! Die Hunde haben ihn ins Gefängnis geworfen!
ERSTER BEDIENTER.

Dann machen wir uns am besten aus dem Staub, sonst verfahren sie mit uns, als wären wir die Betten gewesen, auf denen er ihre Kinder verführt hat!


Die Bedienten stürzen hinaus. Bewaffnet, mit Blut besudelt, vom Kampf erhitzt, treten Pietro Folchi, Filipo Folchi, Andrea Valori nebst einigen Bürgern auf.
PIETRO FOLCHI
stößt eines der Bogenfenster auf und spricht zu der draußen versammelten Menge.

Mitbürger! – Die Gassen von Perugia sind mit den Leichen unserer Kinder und Brüder bedeckt. Manchem von euch ist es heiligster Wunsch, einen teuren Toten zu würdiger Ruhestätte zu geleiten. – Mitbürger! Vorher gilt es noch eine höhere Pflicht zu erfüllen. Laßt uns so rasch als möglich das Unsrige tun, daß die Toten nicht einzig zum Ruhm ihrer Tapferkeit starben, sondern zum dauernden Glück ihres Vaterlandes! Nutzen wir den Augenblick! Geben wir unserem Staat eine Verfassung, die seine Kinder in Zukunft vor der Mordwaffe schützt und seinen Bürgern den gerechten Lohn ihrer Arbeit sichert!

DIE BÜRGER.
Es lebe Pietro Folchi!
ANDREA VALORI
im Eingang des Saales nach außen sprechend.

Mitbürger! Wir können diesen teuer erkämpften Platz, eh wir ihn wieder verlassen, nur dadurch vor unseren [525] Feinden schützen, daß wir uns jetzt schon über die zukünftige Staatsform einigen. Den ehemaligen König halten wir im Gefängnis verwahrt; die Patrizier, die ihr Nichtstun mit unserem Schweiß bestritten, sind auf der Flucht nach den Nachbarstaaten. Nun frage ich euch, Mitbürger, proklamieren wir, wie es in Florenz, wie es in Parma, in Siena geschehn ist, in unserem Staate die Umbrische Republik?

DIE BÜRGER.
Es lebe die Freiheit! Es lebe Perugia! Es lebe die Umbrische Republik!
PIETRO FOLCHI.
Schreiten wir ohne Verzug zur Wahl eines Podesta!
DIE BÜRGER.
Es lebe unser Podesta Pietro Folchi! Es lebe die Republik Perugia!
ANDREA VALORI.

Mitbürger! Keine Übereilung in dieser Stunde! Es gilt, die erstrittene Macht derart zu befestigen, daß sie uns, solange wir leben, nicht entrungen werden kann! Gelingt uns das, wenn wir Umbrien zur Republik machen?! Unter dem Schütze republikanischer Freiheit werden die verjagten Herrensöhne sich die Eitelkeit unserer eigenen Töchter zunutze machen, um uns unversehens, während des nächtlichen Schlummers wieder in Ketten zu schmieden! Blickt hinüber nach Florenz! Blickt nach Siena! Ist dort nicht die Freiheit nur der Deckmantel wüstester Willkürherrschaft, unter der der Bürger zum Bettler wird? Unter seinen Königen ist Perugia zu Macht und Wohlstand emporgediehen, bis das Zepter einem Dummkopf und Wüstling in die Hände geriet. Erheben wir den Würdigsten unter uns auf seinen Thron! Nur dann werden wir selber, so wie wir vom Kampf ermattet hier stehen, in Zukunft die Aristokraten unserer Stadt und die Herren des Landes sein; nur dann werden wir uns dauernd und in Ruhe unserer heißerrungenen Vorrechte erfreuen können!

DIE BÜRGER.
Es lebe der König! Es lebe Pietro Folchi!
EINIGE STIMMEN.
Es lebe die Freiheit!
DIE BÜRGER
lauter.
Es lebe unser König Pietro Folchi! Es lebe König Pietro!
EINIGE BÜRGER
unwillig den Saal verlassend.
Dafür vergossen wir unser Blut nicht! Nieder mit der Knechtschaft! Es lebe die Freiheit!
[526]
DIE BÜRGER.
Hoch lebe König Pietro!
PIETRO FOLCHI
besteigt den Thron.

Durch eure Wahl dazu berufen, besteige ich diesen Thron und nenne mich König von Umbrien! – Die Mißvergnügten, die unter dem Ruf nach Freiheit aus unserer Mitte schieden, sind nicht weniger die Feinde unseres Staates als die adligen Faulenzer, die unsern Mauern den Rücken kehrten. Ich werde ein wachsames Auge auf sie haben, denn sie fochten an unserer Seite nur in der Hoffnung, in den Trümmern unserer teuren Stadt plündern zu können. Wo ist mein Sohn Filipo?

FILIPO FOLCHI
aus der Menge tretend.
Was befehlt Ihr, mein Vater?
KÖNIG PIETRO.

An den Schrammen, die du über dem Auge trägst, sehe ich, daß du gestern und heute dem Tode nicht aus dem Wege gingst! Ich ernenne dich zum Befehlshaber unserer Kriegsmacht. Verteile die uns ergebenen Söldner auf die zehn Tore der Stadt und laß auf dem Markte die Werbetrommel schlagen! Perugia muß in allerkürzester Frist zu einem Zuge nach den Grenzen gerüstet sein. Du haftest mir für das Leben eines jeden Bürgers und stehst mir gut für die unverbrüchliche Sicherheit allen Eigentums! Nun laß den ehemaligen König von Umbrien aus seiner Gefangenschaft heraufführen, denn es ziemt sich wohl, daß niemand anders als ich ihm sein Urteil verkünde.

FILIPO.
Eure Befehle sollen pünktlich vollzogen werden. – Hoch lebe König Pietro! Ab.
KÖNIG PIETRO.
Wo ist mein Schwiegersohn, Andrea Valori?
ANDREA VALORI
vortretend.
Hier, mein König, bin ich zu Eurem Befehl.
KÖNIG PIETRO.

Ich ernenne dich zum Schatzmeister des Königreiches Umbrien. Du und mein Vetter Giulio Diaceto und unser berühmter Rechtsgelehrter Bernardo Ruccellai, dessen beredtes Wort im Auslande unsere Stadt zu wiederholten Malen vor Blutvergießen bewahrt hat –: Ihr drei werdet meine Ratgeber bei der Erledigung der Staatsgeschäfte sein. Nachdem die Gerufenen vorgetreten. Stellt euch mir zur Seite! Sie tun es. Der hohen Pflicht, über andere zu herrschen, kann [527] ich nur genügen, wenn die verdienstvollsten Männer des Vaterlandes ihr Leben in meinen Dienst stellen. – Und nun geht, ihr übrigen, um die Opfer des zweitägigen Kampfes zu bestatten. Damit sie nicht umsonst für ihrer Brüder und Kinder Wohl in den Tod gegangen sind, lasset den heutigen Tag einen Tag der Trauer und der ernstesten Wachsamkeit sein.


Alle verlassen den Saal bis auf König Pietro, den Staatsrat und einige Landsknechte. Hierauf wird der gefangene König von Filipo Folchi und zwei Bewaffneten hereingeleitet.
DER KÖNIG.

Wer erdreistet sich, uns durch die Gewalt dieser pflichtvergessenen Schelme hierher führen zu lassen?!

KÖNIG PIETRO.

Durch, die Bestimmung unserer Gesetze war die Königsgewalt in Umbrien dir als dem ältesten Sohne des Königs Giovanni zugefallen. Du hast deine Macht verwandt, um mit Dirnen und Buhlknaben den Namen eines Königs zu entwürdigen. Schwelgereien, Maskenbälle und Jagden, durch die du den Staatsschatz vergeudet und das Land arm und wehrlos gemacht hast, zogst du jeder fürstlichen Beschäftigung vor. Du hast uns unsere Tochter geraubt und dein Treiben war unseren Söhnen das verderblichste Beispiel. Du hast für des Staates Wohlergehen so wenig wie für dein eigenes gelebt. Du schafftest nur an deinem und unseres Vaterlandes Untergang!

DER KÖNIG.
Mit wem redet der Schlächtermeister?
FILIPO FOLCHI.
Schweig!
DER KÖNIG.
Gebt mir mein Schwert zurück!!
ANDREA VALORI.
Legt ihm Fesseln an! Er wird rasend!
DER KÖNIG.
Der Schlächtermeister soll weitersprechen!
KÖNIG PIETRO.

Dein Leben ist verwirkt und liegt in meiner Hand. Aber ich lasse das Todesurteil unvollstreckt, wenn du hier in einer staatsrechtlichen Urkunde zu meinen Gunsten und zugunsten meiner Erben für dich und deine Anverwandten auf die Königswürde Verzicht leistest und mich als deinen Herrn, als rechtmäßigen Nachfolger und als Herrscher von Umbrien anerkennst.

DER KÖNIG
lacht laut auf.

Hahaha, man verlange von einem [528] Karpfen, der in der Pfanne liegt, er möge darauf verzichten, Fisch zu sein. Daß dieses Gewürm unser Leben in seiner Macht hat, beweist freilich, daß die Fürsten nicht unter die Götter gehören, weil sie wie Menschen sterblich sind. Töten kann auch der Blitzstrahl; aber wer als König geboren ist, stirbt nicht als Mensch! Es lege einer dieser Handwerker Hand an uns, wenn ihm nicht vorher das Blut in den Adern erstarrt! Dann mag er sehen, wie ein König stirbt!

KÖNIG PIETRO.

Ihr seid Euch selbst mehr Feind, als es Eure Todfeinde sein könnten. Wollt Ihr denn nicht Verzicht leisten, so lassen wir in dankbarem Andenken an die segensreiche Herrschaft des Königs Giovanni, dessen leibliches Kind Ihr seid, Milde walten und verbannen Euch von heute ab auf ewig unter Verhängung der Todesstrafe aus den Grenzen des Umbrischen Staates.

DER KÖNIG.

Verbannen, hahaha! Wer in der Welt will den König verbannen! Aus einem Lande, dessen Beherrschung ihm vom Himmel verliehen ist, soll ihn die Todesangst fernhalten! Nur ein Handwerker kann sich das Leben so teuer und die Königskrone so wohlfeil ausmalen! – Hahaha, diese bedauernswürdigen Toren scheinen sich einzubilden, wenn man einem Schlächtermeister eine Krone aufsetzt, dann werde ein König daraus. Schau einer hin, wie der Dickwanst bleich und zitternd dort oben klebt, gleich einem an die Wand geschleuderten Käse! – Hahaha, wie sie uns anstarren, die blöden Dickköpfe mit ihren feuchten Hundeaugen, als wäre ihnen der Sonnenball vor die Füße gefallen!

PRINZESSIN ALMA
stürzt herein.

Fünfzehn Jahre alt, mit wirrem Haar, in reicher aber zerfetzter Kleidung, an der Tür die Wachen durchbrechend. Laßt mich hindurch! Laßt mich zu meinem Vater! Wo ist mein Vater? Vor dem König zusammensinkend und seine Knie umfassend. Vater! Hab ich Euch wieder! Mein innigstgeliebter Vater!

DER KÖNIG
zieht sie empor.

So halte ich dich unversehrt wieder in meinen Armen, du mein teuerstes Kleinod! Warum mußt du mit deinem herzzerfleischenden Jammer eben in diesem Augenblicke vor mich hintreten, wo ich die blutlechzende [529] Meute schon beinahe wieder unter die Füße gestampft hatte!

ALMA.

Dann laßt mich mit Euch sterben! Den Tod mit Euch zu teilen, ist mir höchste Seligkeit gegen alles, was ich in diesen beiden Tagen in den Straßen von Perugia erlebt habe. Stoßt mich nicht von Euch! Man ließ mich nicht zu Euch ins Gefängnis, aber nun seid Ihr wieder mein! Bedenkt, mein Vater, daß ich keinen anderen Menschen auf dieser weiten Welt habe als Euch!

DER KÖNIG.

Mein Kind, mein liebes Kind, warum zwingst du mich, vor meinen Mördern zu bekennen, wie schwach ich bin! Geh, ich habe mein Geschick selbst über mich heraufbeschworen; laß es mich allein tragen! Von meinen ärgsten Feinden, das werden dir diese Männer bestätigen, hast du jetzt mehr Gnade und Glück zu hoffen, als wenn du dich an deinen vom Schicksal zerschmetterten Vater klammerst.

ALMA
in höchster Leidenschaftlichkeit.

Nein, sagt das nicht! Ich beschwöre Euch, sprecht das nicht noch einmal aus! – Schmeichelnd. Bedenkt doch nur, es ist ja noch gar nicht entschieden, daß sie uns hinmorden. Und wenn wir lieber sterben, als daß wir uns voneinander trennen, wer auf dieser Welt kann uns dann etwas anhaben!

KÖNIG PIETRO
der sich während dieser Szene mit dem Staatsrat leise verständigt hat, zum König gewandt.

Die Stadt Perugia wird Eurer Tochter bis zu ihrer Mannbarkeit die sorgsamste Erziehung angedeihen lassen und wird sie alsdann mit einem fürstlichen Heiratsgut ausstatten, wenn Eure Tochter das Versprechen ablegt, meinem Sohne Filipo Folchi, der mein Nachfolger auf diesem Throne sein wird, die Hand zum ehelichen Bunde zu reichen.

DER KÖNIG.
Hast du's gehört, mein Kind? Der Thron deines Vaters steht dir offen!
ALMA.
O mein Gott, wie könnt Ihr Eures armen Kindes so spotten!
KÖNIG PIETRO
zum König.

Was dich betrifft, so werden dich noch in dieser Stunde Bewaffnete unter meines Sohnes Führung bis an die Grenze des Landes bringen. Laß dich's nicht gelüsten, noch je einen Fuß breit unseres Staates zu betretenLangsam und mit Nachdruck. wenn dein [530] Haupt nicht auf dem Markt von Perugia unter Henkershand fallen soll!


Filipo Folchi läßt den König und die Prinzessin, die sich fest an ihren Vater klammert, durch Bewaffnete abführen. Er will ihnen eben folgen, als er von dem atemlos hereinstürzenden Benedetto Nardi in vollster Wut am Arm gepackt wird.
BENEDETTO NARDI.

Hab ich dich, Schandbube!Zu König Pietro. Dieser dein Sohn, Pietro Folchi, hetzte gestern abend im Verein mit seinen Zechbrüdern mein wehrloses Kind durch die Gassen der Stadt und stand im Begriff, ihr Gewalt anzutun, als zwei meiner Gesellen, auf ihr Wehgeschrei herbeigeeilt, die Nichtswürdigen mit Stockhieben in die Flucht jagten. – Da trägt der Bube noch die blutigen Schrammen über dem Auge!

KÖNIG PIETRO
aufbrausend.
Verteidige dich, mein Sohn!
FILIPO FOLCHI.
Er spricht die Wahrheit.
KÖNIG PIETRO.

Zurück in die Werkstatt mit dir! Von meinem eigenen Sohn muß ich meine Herrschaft am ersten Tage in der ruchlosesten Weise geschändet sehen! Dich treffe das Gesetz mit seiner grausamsten Strenge! Und nachher bleib an der Schlachtbank stehen, bis die Bürger Perugias auf den Knien vor mir liegen, um Gnade für dich zu erflehen! – Legt ihn in Ketten!


Die Söldner, die den König hinausgeführt, kommen mit Alma zurück. Ihr Führer wirft sich, ein Knie beugend, vor dem Throne nieder.
DER SÖLDNER.

Laßt, o Herr, Eure Knechte das furchtbare Unglück nicht entgelten! Wie wir den König eben hier vor dem Portal über die Brücke San Margherita führen, kommt uns ein Fähnlein unserer Kameraden entgegen und drängt uns an die Brustwehr. Diese Gelegenheit nutzte der Gefangene, um sich mit gewaltigem Sprung in die vom Regen angeschwollenen Fluten zu stürzen. All unserer Kraft bedurften wir, um diese Jungfrau zu hindern, ein gleiches zu tun; und als ich mich dem Gefangenen nachstürzen wollte, hatten ihn die tosenden Wogen längst unter sich begraben.

[531]
KÖNIG PIETRO.

Sein Leben ist das bedauernswerteste Opfer nicht in diesen blutigen Tagen! Für ihn sind hundert Bessere gefallen. – Zu den Staatsräten. Man führe das Kind zu den Ursulinerinnen und halte es in sorglichster Obhut. Sich erhebend. Die Sitzung des Staatsrates ist geschlossen.

ALLE ANWESENDEN.
Heil dem König Pietro!
Zweites Bild
Heerstraße. Waldsaum.
Der König und Prinzessin Alma, beide in Bettlerkleidern.

DER KÖNIG.
Wie lange ist es jetzt her, daß ich dich von Ort zu Ort schleppe und du für mich bettelst?
ALMA.
Ruht Euch aus, Vater; nachher werdet Ihr besserer Laune sein.
DER KÖNIG
setzt sich am Wege nieder.
Warum verschlangen mich an jenem Abend die tobenden Wogen nicht! Dann wäre alles längst vorbei!
ALMA.

Stürztet Ihr Euch denn aber über den Brückenrand, um Eurem Leben ein Ende zu bereiten? Ich wußte doch, welch eine Kraft in Euren Armen wohnt, und daß Euch das reißende Wasser zur Freiheit verhelfen werde. Wo hätte ich ohne diese Zuversicht den Mut hergenommen, aus dem Kloster und aus der Stadt zu entfliehen!

DER KÖNIG.

Hier unten liegen die reichen Jagdgründe, in denen ich mit der Hofgesellschaft auf die Reiherbeize ritt. Du warst noch zu jung, um uns zu begleiten.

ALMA.

Daß Ihr dieses kleine Land Umbrien nicht verlassen wollt, mein Vater! Die Welt ist so groß! In Siena, in Modena harren Euer die Anverwandten. Ihr würdet mit Jubel begrüßt und Euer teures Haupt wäre endlich in Sicherheit.

DER KÖNIG.

Du opferst mir viel, mein Kind! Trotzdem bitte ich dich, mir diese eine immer wiederkehrende Frage nicht mehr zu stellen. Darin eben Hegt mein Verhängnis: [532] Vermöchte ich dieses Land zu verlassen, dann hätte ich auch seine Krone nicht verloren. Aber meine Seele wird von Wünschen beherrscht, die ich auch um mein Leben nicht unerfüllt lassen kann. Als König glaubte ich mich sicher genug vor der Welt, um ohne Gefahr meinen Träumen leben zu können. Ich vergaß, daß der König wie auch der Bauer und jeder andere Mensch nur der Wahrung seines Standes und der Verteidigung seines Besitzes leben darf, wenn er nicht beides verlieren will.

ALMA.
Jetzt spottet Ihr Euer selbst, mein Vater!
DER KÖNIG.

Das ist der Gang der Welt! – Du findest, daß ich meiner spotte? – Das wäre schon wenigstens etwas, wofür die Menschen vielleicht unseren Unterhalt bestreiten möchten. So wie ich mich ihnen jetzt darbiete, bin ich nicht zu verwenden. Entweder verletze ich sie durch Anmaßung und Stolz, zu denen mein Bettlergewand im lächerlichsten Gegensatz steht, oder mein höfliches Benehmen macht sie mißtrauisch, da bei ihnen mit schlichter Bescheidenheit niemand auf einen grünen Zweig gelangt. Wie zerquälte ich meinen Geist schon in diesen sechs Monaten, um mich in ihr Wesen und Treiben zu finden. Aber von allem, was ich einst als Erbprinz von Umbrien lernte, läßt sich in ihrer Welt nichts verwerten; und von allem, was sich in ihrer Welt verwerten läßt, habe ich als Prinz nichts gelernt. – Gelänge es mir aber, meiner Vergangenheit zu spotten, wer weiß, mein Kind, ob wir dann nicht noch einmal an reich gedeckter Tafel Platz finden! Denn wenn der Schweine schlächter auf den Thron erhoben wird, dann bleibt für den König schlechterdings keine andere Lebensstellung im Staate mehr übrig, als die eines – Hofnarren.

ALMA.

Entrüstet Euch in Eurer Müdigkeit nicht so, mein Vater. Seht, daß Ihr ein wenig schlummert! Ich schaue nach frischem Wasser aus, um Euren Durst zu löschen und Eure glühende Stirn zu kühlen.

DER KÖNIG
sein Haupt zurücklehnend.
Dank dir, mein Kind!
ALMA
ihn küssend.
Geliebter Vater! Ab.
DER KÖNIG
erhebt sich, plötzlich auffallend munter.

Wie ich jetzt erst dieses schöne Land lieben lerne, seit ich unter [533] steter Lebensgefahr darin umherschweife! – Auch das schlimmste Unheil führt doch immer sein Gutes mit: hätte ich mich um mein braves Volk von Perugia und Umbrien nicht so blutwenig geschert, hätte es mich nicht je nur im Karneval im Maskenflitter zu sehen bekommen, Gott weiß, ob ich dann nicht schon längst erkannt worden wäre! – Da kommt wieder einer von der Sorte!


Ein Gutsbesitzer kommt des Weges daher.
DER KÖNIG.
Gott zum Gruß, Herr! Habt Ihr nicht Arbeit für mich auf Eurem Gute?
DER GUTSBESITZER.

Für dich möchte sich lohnende Arbeit auf meinem Gute wohl finden, aber gottlob wird mein Haus von kräftigen Wolfshunden bewacht. Und hier, siehst du, trage ich ein Weidmesser, das ich so gut zu handhaben verstehe, daß ich dir nicht raten mochte, mir noch einen Schritt näherzukommen!

DER KÖNIG.

Herr, Ihr habt es auch nicht vom Himmel verbrieft, daß Ihr nicht noch einmal, um nicht zu hungern, um Arbeit bitten müßt!

DER GUTSBESITZER.

Hahaha! Wer arbeiten will, um nicht zu hungern, der ist mir schon gerade der rechte Arbeiter! Erst kommt die Arbeit und dann der Hunger! Wer ohne Arbeit leben kann, der verhungere lieber heute als morgen!

DER KÖNIG.
Herr, Ihr hattet wohl klügere Lehrmeister als ich!
DER GUTSBESITZER.
Das will ich wohl hoffen! – Was hast du gelernt?
DER KÖNIG.
Das Kriegshandwerk.
DER GUTSBESITZER.

Damit ist Gott sei Dank unter der Herrschaft König Pietros, den uns der Himmel noch lange erhalten möge, in Umbrien wenig mehr zu verdienen. Stadt und Land genießen der Ruhe, und mit den Nachbarstaaten leben wir endlich in Eintracht.

DER KÖNIG.
Herr, Ihr werdet mich für jede Arbeit auf Eurem Gute brauchbar finden.
DER GUTSBESITZER.

Ich werde mir das Geschäft überlegen. Du scheinst mir ein harmloser Bursche zu sein. Ich bin auf dem Wege zu meinem Neffen, der in Todi ein großes Haus und Familie hat. Nach Mittag komme ich zurück. [534] Erwarte mich hier an dieser Stelle. – Vielleicht nehme ich dich dann mit. – Ab.

DER KÖNIG
allein.

Wer ohne Arbeit leben kann, der verhungere! Welche Weistümer dieses Geschmeiß hegt, um sich sein kümmerliches Dasein zu ermöglichen? – Und ich? – Nicht einmal meinem Kinde kann ich zu essen geben! Mir ward vom Himmel eine Herrlichkeit überantwortet, wie sie unter Millionen Menschen nur einem zuteil wird! Und ich kann nicht einmal meinem Kinde zu essen geben! Mir gestaltete mein gütiger Vater jede Stunde des Tages durch fröhliche Spielgefährten, durch die weisesten Lehrer, durch den ehrerbietigsten Dienertroß zum Freudenfeste; und mein Kind muß zitternd vor Kälte am Heerweg unter dem Zaun schlafen! – Erbarm dich ihrer, o Gott, und tilg die Liebe zu mir Elendem aus ihrem Herzen! Sehr leichtherzig. Mir soll dann begegnen was will – ich trag es leicht!

ALMA
stürzt mit aufgelöstem Haar aus dem Gebüsch.
Vater! Jesus Maria! Mein Vater! Steht mir bei!
DER KÖNIG
sie in die Arme schließend.
Was ist dir, Kind?
EIN LANDSTREICHER
der das Mädchen verfolgt hat, tritt vor und stutzt.
Ah!? – – Wie kann ich wissen, daß ein anderer sie hat!
DER KÖNIG
stürzt mit erhobenem Stock auf ihn los.
Von hinnen, du Hundeseele!
DER LANDSTREICHER.
Ich Hundeseele? – Was bist denn du??
DER KÖNIG
schlägt ihn.
Das bin ich! – Und das! – Und das!

Der Landstreicher sucht das Weite.
ALMA
sich bebend an ihren Vater schmiegend.
O mein Vater! Ich beuge mich über die Quelle, da stürzt sich der Mensch auf mich!
DER KÖNIG
schwer atmend.
Beruhige dich, mein Kind ...
ALMA.
Mein armer Vater! Daß ich, statt Euch helfen zu können, noch Eurer Hilfe bedarf!
DER KÖNIG.
Ich bringe dich heute noch nach Perugia. Wirf dich dem König Pietro zu Füßen ...
ALMA.
O laßt mich das nicht immer wieder hören! Ich Euch verlassen, wo Euch täglich der Tod bedroht!
DER KÖNIG.

– Es wird in Zukunft wohl klüger sein, wenn du statt [535] in Frauentracht in Männerkleidern gehst. Wunder genug, daß dich die Vorsehung bis heute vor den Schrecknissen bewahrt hat, die dich bei unserem Umherirren bedrohen! In Männerkleidern wirst du sicherer sein. – Ein Bauer kam eben des Weges. Wenn er zurückkehrt, will er mich mitnehmen und mir Arbeit auf seinem Gute geben.

ALMA.

Wollt Ihr wirklich den Versuch noch einmal unternehmen, Euch in die Knechtschaft von Leuten zu verdingen, die so abgrundtief unter Euch stehen?

DER KÖNIG
verdutzt.

Das sagst du, mein Kind! Warum stehen sie unter mir? – Übrigens ist es noch gar nicht sicher, daß er mich seiner Arbeit für würdig findet. – Heißt er mich aber mitgehen, dann folge uns, auf daß ich dir meinen Platz unter seinem Dache überlassen kann.

ALMA.
Nein, nein, meinetwegen dürft Ihr Euch kein Ungemach bereiten. Wie hätte ich das um Euch verdient!
DER KÖNIG.

Weißt du auch, mein Kind, daß ich heute wahrscheinlich längst wegen gemeinen Straßenraubes am lichten Galgen hinge, wenn ich dich, mein Kleinod, nicht als Schutzengel bei mir hätte?! – Er läßt sich am Wege nieder. Nun laß uns hier in geduldiger Ergebung des Ironisch. allgewaltigen Mannes harren, dessen Rückkunft über unser Sehnen und Hoffen, mit Menschen in Gemeinschaft leben zu dürfen, entscheiden wird.

Drittes Bild
Damenschneiderwerkstatt.
Der König in Gesellentracht sitzt, an einem reichen Frauenkleid arbeitend, mit untergeschlagenen Beinen auf den Stufen. Meister Pandolfo tritt geschäftig herein.

MEISTER PANDOLFO.
Pünktlich bei der Arbeit, Gigi! Pünktlich bei der Arbeit! Brav, Gigi!
DER KÖNIG.
Der Hahn hat gekräht, Meister!
MEISTER PANDOLFO.

Künftig rüttle mir nur auch die Gesellen gleich aus dem Schlaf! In Gesellschaft, Gigi, arbeitet sich's besser [536] als allein. Nimmt ihm die Arbeit aus den Händen. Sieh her, Gigi! Er zerreißt das Kleid. Ratsch! – Was helfen Frühaufstehen und Spätschlafengehen, wenn die Nähte nicht halten! Und die Knopflöcher, Gigi! Haben dir die Ratten dabei geholfen? Ich habe für Ihre Majestät die Königin Amalie schon gearbeitet, als ihr Mann noch Mortadella und Salami fabrizierte. Soll mir deine Pfuscherei die hohe Dame jetzt abspenstig machen? He, Gigi?

DER KÖNIG.
Wenn ich Euch zum Schaden arbeite, dann schickt mich fort!
MEISTER PANDOLFO.

He, diese Grobheit, Gigi! – Du glaubst wohl, in Baschi noch die Schweine zu hüten?! Vierzig Jahre auf dem Buckel und nichts gelernt! Pack dich aus meinem Haus, Landstreicher, und sieh, wo du dein Essen findest!

DER KÖNIG
erhebt sich und schüttelt die Flicken ab.
Ich nehme Euch beim Wort, Meister!
MEISTER PANDOLFO.

Zum Henker, Tollkopf, verstehst du keinen Spaß? Kann ich meinem Lehrbub mehr Liebe antun, als wenn ich ihm die Arbeit gebe, die sonst der Meister verrichtet?! Laß ich dich nicht, seit du bei mir bist, sämtliche Gewänder zuschneiden? Hol mich der Teufel, daß ich dir deinen Schnitt nicht absehen kann! Aber die Damen von Perugia sagen: Meister Pandolfo, seit der alte Lehrbub bei Euch schafft, hat Eure Arbeit einen vornehmen Schnitt! Aber was hilft das vornehme Zuschneiden, wenn den Jungfrauen beim Tanz die Nähte platzen! Du wirst nie Geselle, Gigi, wenn du nicht nähen lernst! Mein lieber süßer Gigi, siehst du denn nicht selbst, daß ich nur dein Bestes will?!

DER KÖNIG.

Gut, Meister Pandolfo, ich bleibe bei Euch, wenn Ihr mir von nun an jede Woche außer freier Verpflegung noch dreißig Soldi bezahlt.

MEISTER PANDOLFO.

Das verspreche ich dir, Gigi! – So wahr ich hier stehe, verspreche ich dir das! – Dreißig Soldi willst du? – Ja, ja, dreißig Soldi! Ja, ja! – Das Kleid für Ihre Majestät die Königin muß bis zum Mittag fix und fertig genäht sein. Also fleißig, Gigi! Immer fleißig! – Ab.


[537] Der König lächelt, nachdem Meister Pandolfo die Werkstatt verlassen, verächtlich vor sich hin und setzt sich dann wieder zur Arbeit. Prinzessin Alma steckt nach einer Weile den Kopf zur Tür herein.
ALMA.
Seid Ihr allein, Vater?
DER KÖNIG
freudig aufspringend.
Mein Kleinod!
ALMA
tritt ein.
Sie trägt einen schmucken schwarzen Knabenanzug. Hört uns auch niemand?
DER KÖNIG.

Der Meister sitzt oben beim Frühtrunk und die Gesellen schlafen noch. – Die Augenblicke, mein Kind, die ich mit dir zusammen bin, entschädigen meine Seele für Tage des dumpfen Hindämmerns. Wüßtest du, welch endlose Gespräche ich mit dir führe, wie lieb und verständig du mir auf alles antwortest! Verlaß mich nicht! Es ist ein neues Verbrechen, das ich mit dieser Bitte an dir begehe, aber ich bin eben ein schwacher Mensch!

ALMA
sehr vergnügt, beinah übermütig.

Jetzt, mein Vater, wird es bald anders mit uns werden. Der alte Gerichtsschreiber, bei dem ich vor zwei Monden als Laufbursche eintrat, läßt mich schon all seine Akten kopieren. Nächste Woche will er mich mit in den Gerichtssaal nehmen, damit ich statt seiner das Protokoll führe. – O mein Vater, wenn es mir noch einmal gelänge, daß das Todesurteil, das Euch jetzt, da wir wieder hier in Perugia sind, furchtbarer denn je bedroht, von Eurem Haupte genommen würde! – Ob man Euch wieder auf den Thron erhebt, kann ich bei meiner weiblichen Unkenntnis der Politik nicht ermessen. Aber höher als einen Fürsten würde man Euch verehren! Müßt Ihr nicht auch etwas Göttliches haben, daß Ihr trotz Eurer Bedrängnis einen Menschen so mit Seligkeit erfüllen könnt, wie ich das empfinde! Welch einen Reichtum an Glück müßt Ihr erst auszuteilen haben, wenn Euch die Fesseln abgenommen sind. Dann reißen sich Tausende um Euch und Ihr habt keinen König mehr um die Last seiner Krone zu beneiden!

DER KÖNIG.

Rede nicht – weiter von mir. Ich muß in Verborgenheit abwarten, bis meine Stunde gekommen ist. – Aber du, mein Kind, fühlst du dich denn nicht todunglücklich [538] unter der Last deiner Arbeit? – Wird dein Herr nicht grob und verächtlich, wenn er gerade einen Menschen braucht, um seine schlimme Laune auszulassen?

ALMA
lustig.

Aber fühlt Ihr denn gar nicht, mein Vater, wie lebensfroh mir zumut ist?! Die Menschen, denen ich diene, wissen Erziehung und Bildung zu schätzen. Mit Empörung. Ihr hingegen atmet hier unter einer Menschenbrut, die Eure Seele, ohne es zu wissen und zu wollen, durch all ihre Lebensgewohnheiten peinigen muß. Ich sehe Euch über jede Erwiderung in die Zähne knirschen; ich sehe, wie Euch bei den Mahlzeiten der Ekel den Hals zuschnürt. Sich besinnend. O verzeiht meine Worte! Sie achten Eurer schmerzhaftesten Wunden nicht!

DER KÖNIG
sichtlich erheitert mit wachsender Munterkeit.

Nun denke dir, mein liebes Kind, infolge dieser außergewöhnlichen Ursachen werde ich von Meister Pandolfo als sein fleißigster Arbeiter geschätzt! In Baschi, wo ich das Vieh hütete, hatte ich mein Nachtlager unter einem entlegenen Vordach hinter den Ställen. Da hing ich denn jeden Morgen, auf dem Rücken liegend, meinen Träumen nach, bis die Sonne über mir im Zenit stand. Deshalb gab mir der Bauer den Laufpaß. Hier entgegen schlafe ich mit drei gemeinen Gesellen zusammen und bin deshalb der erste, der sich erhebt, und der letzte, der sich zur Ruhe legt. Für mich schläft es sich nun einmal in Gesellschaft von Menschen nicht so gut, wie unter Tieren. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ein so fleißiger Arbeiter in mir steckt! Die Arbeit dient mir geradezu als eine Art von Zuflucht! Begeistert. Und dann die herrlichen Farben der schweren Samte, der Glanz der Goldbrokate, alles das erfrischt mir die Seele derart, daß ich danach lechze, wie nach einem stärkenden Trank. – Stolz und selbstbewußt. Und dann hat Meister Pandolfos findiger Geist nämlich gleich in den ersten Tagen eine Begabung in mir entdeckt, von der ich selber aufs höchste überrascht war und von deren Betätigung ich mich, offen gesagt, leichten Herzens nicht wieder trennen würde. Er fand, daß ich mich besser als jeder seiner Gesellen und als er selbst dazu eigne, [539] nach freiem Auge die Stoffe für die Damenkleider so zuzuschneiden, wie sie die Gestalt am schönsten zur Geltung bringen. So zum Beispiel hätte ich dieses Wams, das du da trägst, jedenfalls in einer ganz anderen Weise geschnitten, als wie es der Sehr verächtlich. elende Stümper getan hat, dessen Schere eines so herrlichen Tuches gar nicht würdig war!

ALMA.

O schweigt, mein Vater! Wie könnt Ihr so erbarmungslosen Spott mit Eurem. unseligen Geschick treiben!

DER KÖNIG
verblüfft.

Schmeichle mir nicht so höhnisch, mein Kind. – Das Geschick treibt seinen Spott mit mir, nicht ich mit ihm!

ALMA
ihn besänftigend.
Geliebter Vater, Ihr bleibt König, was immer Euch in dieser Welt auch begegnen mag!
DER KÖNIG.

In deinem liebenden Herzen, ja! – Und dadurch verdrängt dein Vater aus deinem Herzen das Empfinden zum Manne, das in diesen Jahren bei dir erwachen müßte, um dich mit beseligender Gewalt deinem Lebensglück entgegenzuführen. – Um Rang und Reichtum hat dich deines Vaters selbstvergötternde Narrheit schon gebracht; nun bringt er sein Kind auch noch um die höchsten Rechte des Lebens, die die Geschöpfe der Wildnis mit der Menschheit teilen und ohne die auf Thronen so wenig wie in der Hütte das Dasein je als eine Gnade der Götter empfunden ward! – Welcher Wahnwitz verführte mich auch, meine Körperkraft an den Fluten des San Margherita-Baches zu versuchen, statt Mit der Schere das Schwert markierend. Umbrien mit Krieg zu überziehen, die Stadt an ihren vier Enden anzuzünden und meine Krone mit eigener Hand unter den glühenden Trümmern hervorzuholen! – – Aber das war nur die Fortsetzung aller vorangegangenen Torheit!

ALMA
ärgerlich.
Der Himmel erbarm sich meiner törichten Seele! Wie könnt ich es fertigbringen, Euch so zu kränken!
DER KÖNIG.

Im Unglück tun die Menschen, ohne es zu wissen und zu wollen, einander weh, so wahr, wie im Glück ein jeder, ohne es zu wissen und zu wollen, dem andern zur Freude lebt! Laß es den Gerichteten nicht entgelten. – [540] Du mußt gehn, mein Kind. Ich höre die Gesellen oben trampeln und schreien.

ALMA
ihn küssend.
Auf morgen früh! Ab.

Der König nimmt seine Arbeit wieder auf. Darauf kommen die drei Gesellen herein und setzen sich dicht neben ihn.
MICHELE.

Gigi, wenn du noch einmal vor dem Hahnenschrei aufstehst, dann schlage ich dir in der nächsten Nacht im Schlaf das Nasenbein entzwei. Dann such dir die Weiber, denen du deine Fratze künftig noch feilbietest!

DER KÖNIG
scharf abfertigend.

Dich möchte es wohl freuen, einen Schlafenden niederzuhauen. Aber nimm deine Knochen dabei in acht, sonst stehst du am nächsten Tag vielleicht überhaupt nicht auf!

NOÈ.

Prächtig herausbezahlt, Gigi! Erzähl uns doch gleich noch einige von deinen Kriegstaten, damit wir Angst vor dir bekommen!

DER KÖNIG.

Mir ist die Zeit nicht lang. Erzähl du von deinem Gänseraub beim Pfarrer in Bevagna, wenn deine Ohren nach Heldengeschichten dürsten!

BATTISTA.

Heiliger Schutzpatron, steh uns bei! Sonst bist du immer zahm und duckmäusig, Gigi, als hätten deine Nägel noch keine Laus zerdrückt, und heute möchtest du uns am liebsten alle drei zugleich auf die Nadel spießen!

DER KÖNIG
gelangweilt.

Laßt mich doch in Frieden! Mich quält ein hohler Zahn, deshalb kam ich so früh vom Schlafboden herunter.

NOÈ.

Sag doch die Wahrheit, Gigi! War nicht eben der Page wieder hier, der dir die glühenden Liebesbriefe von der Dame überbringt, für die du das gelbe Seidenkleid zugeschnitten hast?

DER KÖNIG.
Kümmre ich mich vielleicht um deine Liebesbriefe?!
MICHELE.

Du kümmerst dich noch um ganz andere Dinge! Stehst gleich nach Mitternacht auf, um dich im Speichellecken und Achseltragen zu üben! Läßt dir vom Meister die Gesellenarbeit geben und teilst uns die Lehrlingsarbeit zu! Du kommst uns wie die Pest ins Haus!

BATTISTA.
– Lehrbub, bring uns die Morgensuppe!

[541] Der König verläßt die Werkstatt.
NOÈ.

Da oben fehlt es ihm: mir tut er leid. Er muß bei einem Herrn von Stand so eine Art Stiefelputzer gewesen sein. Das hat ihm das Hirn im Kopf verschoben.

BATTISTA.

Kam dir je ein gewesener Landsknecht vor Augen, der sich von Schneidergesellen so erbärmlich hat schuriegeln lassen?

NOÈ.

Meine Mutter war Bauernmagd; ich sage das jedem, der mich fragt. Ich stelle mich nicht, als hätte ich den heiligen Vater beim Schlafengehen bedient!

MICHELE.

Ich will euch sagen, warum der Bube so stockstumm ist! Von uns hat sich jeder in der Welt herumgetrieben, und wir hatten oft genug nichts zu beißen. Tut der aber sein Maul einmal auf, dann kommen Flüche aus ihm heraus von einer Ruchlosigkeit, daß sich uns dreien der Magen umkehrt! Dann schämt sich die Erde, daß sie den Unhold hervorgebracht hat; dann schämt sich der Himmel, daß er ihn beschienen hat; dann schämt sich die Hölle, daß sie ihn noch nicht verschlungen hat! – Ihr werdet's erleben!


Der König kommt mit vier hölzernen Löffeln und einem Topf voll Suppe zurück, den er vor die Gesellen hinstellt.
MICHELE.
Her damit, Unhold! Du leckst unsere Löffel ab, wenn wir satt sind!
DER KÖNIG
weicht im Kampf mit sich selbst zurück, sucht zuerst seiner Gefühle Herr zu werden, dann sich gegen die Stirn schlagend.

O Fluch über den König, der mich hindert, mich von diesem Schurken prügeln zu lassen! O Fluch über den König, der mich hindert, diesen Schurken zu zerschmettern, da ich ihn besser begreife, als er mich begreift! O Fluch über den König, der mich hindert, ein Mensch zu sein, wie jeder andere! O dreimal Fluch über den König!


Die Gesellen sind entsetzt aufgesprungen.
MICHELE.
Habt Ihr's gehört? Er lästert den König! Er lästert den König!
BATTISTA UND NOÈ
zugleich.
Er hat den König gelästert!
[542]
MICHELE.
Packt ihn an! Haltet ihn fest! – Meister Pandolfo! – Meister Pandolfo! – Schlagt ihm die Zähne ein!
MEISTER PANDOLFO
hereinstürzend.
Immer fleißig, Burschen! Was prügelt ihr euch schon so früh in der Werkstatt? Seid ihr besessen?!
DIE GESELLEN
den König an den Armen haltend.
Den König hat er gelästert! Fluch auf den König hat er geschrien! Dreimal Fluch auf den König!
DER KÖNIG
der sich willenlos der Gewalt fügt.
Dreimal Fluch auf den König! – So falle denn des Königs Haupt unter dem Henkerbeil!
DIE GESELLEN.
Hört Ihr ihn, Meister Pandolfo!
DER KÖNIG
für sich.
Mein armes Kind!
MEISTER PANDOLFO.

Bindet ihm die Hände auf den Rücken. Fluch auf unseren lieben guten König Pietro! König Pietros Haupt soll unter dem Henkerbeil fallen! Holt Stricke her! Führt den Hund zum Gericht! Der Landstreicher verjagt mir die beste Kundschaft! Das Haupt König Pietros, der seine Rechnungen so pünktlich bezahlt, wie das überhaupt noch kein König getan hat!

Viertes Bild
Gerichtssaal.
Am Mitteltisch der Oberrichter, zwei Richter, der Aktuar und als Schreiber junge Prinzessin Alma, die das Protokoll vor sich hat. Rechts vom Mitteltisch das Katheder für den Prokurator des Königs, links dasjenige des Verteidigers. Rechts auf den Stufen hocken Meister Pandolfo und seine Gesellen als Zeugen. Zu den von Hellebardieren bewachten Ausgängen drängt sich das Volk herein.

DER OBERRICHTER.

Ich eröffne die Sitzung im Namen Seiner erhabenen Majestät des Königs.Sämtliche Anwesende erheben sich von ihren Sitzen. – Ich erteile vorerst dem Vertreter der Anklage, dem Herrn Silvio Andreotti, Doktor beider Rechte und Prokurator des Königs, auf sein Verlangen das Wort.

[543]
DER PROKURATOR DES KÖNIGS.

Unter der segensreichen Herrschaft unseres erhabenen und geliebten Königs Pietro Die Anwesenden erheben sich. ist es in unserer Stadt Perugia zur Gepflogenheit geworden, daß dem Bürger, um sein Vertrauen in die unerschütterliche Unbestechlichkeit unserer Rechtsprechung zu befestigen, gestattet wurde, sich während unserer Verhandlungen im Gerichtssaal aufzuhalten. Angesichts des heute zur Verhandlung gelangenden Verbrechens ersuche ich hingegen die Richter, sie möchten die hier versammelten Zuhörer, um sie vor einem allzu tiefen Einblick in die Verworfenheit der menschlichen Natur zu bewahren, von unserer Verhandlung ausschließen.

DER OBERRICHTER.
Dem wohlüberlegten Vorschlage des würdigen Herrn Prokurators soll entsprochen werden.

Die Zuhörerschaft wird durch Hellebardiere mit quergehaltener Waffe lautlos aus dem Saal gedrängt.
DER OBERRICHTER.

Unser erhabener König Pietro Die Anwesenden erheben sich. hat die weise und gnädige Bestimmung getroffen, daß einem jeden unbemittelten Angeklagten, gleichviel aus welchem Lande er immer sein mag, auf Kosten unserer Stadt ein rechtskundiger Verteidiger zur Seite zu geben sei. Der würdige Herr Corrado Ezzelino, Lehrer und Doktor beider Rechte, hat sich bereit erklärt, heute dieses Amtes zu walten. Nunmehr erteile ich unserem würdigen Herrn Gerichtsaktuar Matteo Nerli auf sein besonderes Verlangen das Wort.

DER GERICHTSAKTUAR.

Hochwürdige und weise Richter! Der Krampf, der infolge einer langjährigen nimmermüden Tätigkeit im Dienste des Gesetzes die Bewegungen meiner Rechten lahmt, läßt mich der Ehre nicht teilhaftig sein, eigenhändig das Protokoll unserer heutigen Verhandlung aufzusetzen. An meiner Seite sehet Ihr meinen Schreiberlehrling, einen mir liebgewordenen aufgeweckten Knaben, trotz seiner Jugend mit ganz außergewöhnlicher Liebe zur Rechtsgelehrsamkeit begabt, dem ich das Niederschreiben des Protokolls unter Führung und Beaufsichtigung seines Herrn anzuvertrauen bitte.

[544]
DER OBERRICHTER.

Euer Wunsch ist erfüllt, Meister Matteo. Die Zeugen Die Zeugen erheben sich von den Stufen. die zu der heutigen Sitzung geladen wurden, haben sich sämtlich in Person eingefunden. – Man führe den Angeklagten vor.


Der König wird von Hellebardieren links hereingeführt. Prinzessin Alma schrickt bei seinem Anblick etwas zusammen, tut sich aber Gewalt an und richtet ihr Schreibzeug her.
DER OBERRICHTER.

Du nennst dich Ludovicus und hast vordem in Baschi dem Hüten von Vieh obgelegen. Angeklagt bist du des Crimen laesae majestatis, wie es schon durch die unvergängliche Gesetzgebung unserer großen Vorfahren, der alten Römer, mit schweren Strafen bedroht worden ist! des Verbrechens der verletzten Majestät oder wie es mit andern Worten heißt, der Beleidigung der geheiligten Person des Königs. Bekennst du dich dieses Verbrechens für schuldig?

DER KÖNIG.
Ja.
DER GERICHTSAKTUAR
zu Alma.
»Ja« hat er gesagt. Aufschreiben, mein Junge! Genau aufschreiben!
DER OBERRICHTER.

Nach den übereinstimmenden Aussagen von vier einwandfreien Zeugen Die Zeugen erheben sich. waren deine Worte: »Dreimal Fluch auf den König! Es falle des Königs Haupt unter dem Henkerbeil!«

DER KÖNIG.
Das waren meine Worte.
DER GERICHTSAKTUAR
zu Alma.

»Das waren meine Worte!« Josef Maria, eine Tintensau! Junge, ist denn heute der Leibhaftige in dich gefahren?!

DER OBERRICHTER.
Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?
DER KÖNIG.
Nichts.
MICHELE
zu den andern Zeugen.
Nichts hat er vorzubringen! Habt ihr's gehört? Er hat nichts vorzubringen!
MEISTER PANDOLFO.

Aus elendiger Rachsucht gegen mich spie er seine gräßlichen Flüche aus! Mich, mein Geschäft und meine ganze Familie wollte er ins Verderben stürzen!

DER OBERRICHTER.
Ruhe auf der Zeugenbank! – Nun, was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?
[545]
DER KÖNIG.

Nichts. – Nach der Majestät Gottes steht wohl die Majestät des Königs am höchsten in dieser Welt. So wenig wie Gottes Majestät je unter den Flüchen der niedrigen Menschheit gelitten, so wenig leidet wohl auch die Majestät des Königs darunter. Könnte die Majestät Gottes dadurch verringert werden, daß die niedrige Menschheit erklärt: Wir glauben nicht mehr an dich? Könnte die königliche Majestät dadurch verringert werden, daß die niedrige Menschheit sagt: Wir gehorchen dir nicht mehr? Lachend. Wer wollte das auch nur für möglich halten! Gott ist in Niedrigkeit auf Erden gewandelt, und die niedrige Menschheit glaubte ihn zum Tode zu führen. Und so mag die niedrige Menschheit glauben, den König zu verjagen; er bleibt, wo er war. Ob sie ihm zurufen, es falle dein Haupt unter dem Henkerbeil, es tut ihm keinen Eintrag. Deshalb, mag auch nächst der Lästerung Gottes die Lästerung des Königs das fluchwürdigste Verbrechen sein – ein Verbrechen, dessen ich mich, wie ich offen bekannte, mit meinen Worten schuldig gemacht – mir scheint es für den König zu gleichgültig und zu geringfügig, als daß er es je zu rächen brauchte; mir scheint es zugleich zu furchtbar, als daß die niedrige Menschheit sich vermessen dürfte, es je zu sühnen. Hat doch die niedrige Mensch heit keine höhere Gewalt als über Leben und Tod, und kann sie doch nicht wissen, ob der Elende nicht den Tod, und sei er noch so qualvoll, als die Erlösung von tausend Qualen willkommen hieße! – Diese Gründe habe ich dafür zu nennen, daß für mein Verschulden von den Richtern, vor denen ich stehe, keinerlei Strafe über mich verhängt werden kann. Allgemeines Räuspern und Husten der Empörung. Jetzt laßt mich, webe und geehrte Richter, die Gründe nennen, die es euch zur heiligen Pflicht machen, mich unter Anwendung der äußersten Strenge menschlicher Gerechtigkeit zu verurteilen.

NOÈ
zu den andern Zeugen.
Ich habe es euch doch gleich gesagt: der Kerl ist vollkommen verrückt!
[546]
DER OBERRICHTER.
Ruhe auf der Zeugenbank! –Zum König. Sprich weiter!
DER KÖNIG.

Der Majestät des Königs konnten meine Worte, wie ich es der menschlichen Vernunft gemäß erwiesen, keinerlei Eintrag tun. Aber leider ist das Vertrauen in die Majestät des Königs nächst dem Vertrauen in die Allgüte einer Vorsehung das höchste und heiligste Besitztum der – niedri gen Menschheit. Was die Erdensöhne seit undenklichen Zeiten an ewigen Wahrheiten, gegen die sich keiner, sei er Gebieter oder Sklave, ungestraft versündigt, erfahren haben, das stellten sie unter Gottes heilige Obhut. Alles, was ihr und der Ihrigen Leib und Leben, was ihre Habe und das Gedeihen ihres Tagewerkes betrifft, das stellten sie in kindlichem Vertrauen in die Weisheit ihrer Vorfahren in ihres Königs Obhut. In ihrem Könige erkennt die – niedrige Menschheit das Abbild des eigenen Glückes, und wer dieses Abbild befleckt, der raubt ihr den Mut zur Arbeit und die Ruhe der Nacht. Dieser Untat bin ich in weit höherem Maße schuldig, als es menschliche Gerechtigkeit ermißt. Unmöglich kann die Strafe, die man über mich verhängt, der Schwere meines Verbrechens gleichkommen. Mag sie sich gegen mein Leben richten, mag sie ausfallen, wie immer sie will, ich werde sie als eine Gnade des Himmels aus eurer Hand, ihr Richter, entgegennehmen.

DER OBERRICHTER.

Die Gnade deines Herrn, unseres teuren und geliebten Königs, Die Anwesenden erheben sich. hat dir einen rechtskundigen Verteidiger zur Seite gegeben. – Der würdige Herr Corrado Ezzelino, Lehrer und Doktor beider Rechte, hat das Wort.

DER VERTEIDIGER
erhebt sich, er spricht dem Gerichtshof gegenüber de- und wehmütig, mit größter Unterwürfigkeit.

Meine hochwohlweisen, hochgerechten, würdigen, hochgeehrten Richter! Erlaubt mir vorerst ein Wort über unseren wackeren und verdienten Mitbürger, den Schneidermeister Cesare Pandolfo, zu reden. Während der folgenden beginnt Pandolfo heftig zu schluchzen und wird von seinen Gesellen durch Gebärden getröstet. Tiefgebeugt unter der Wirkung des unter seinem [547] Dache begangenen verabscheuenswürdigen Verbrechens sehen wir ihn heute auf der Zeugenbank sitzen. Wir alle kennen die Tüchtigkeit seiner Gesinnung; wir alle, wie wir hier versammelt sind, kennen Auf seinen Talar deutend. die Gediegenheit seiner Arbeit. Keinem unter uns wird es je einfallen, dessen glaube ich Meister Pandolfo in unser aller Namen versichern zu dürfen, ihn auch nur im entferntesten mit dem unter seinem Dache begangenen, verabscheuenswürdigen Verbrechen in Beziehung zu bringen! – Von jetzt an mit verächtlicher Gleichgültigkeit. Was nunmehr den Angeklagten betrifft, den zu verteidigen ich die traurige Pflicht habe, so ist er augenscheinlich ein ganz verkommenes Subjekt, viel würdiger unserer tiefsten Verachtung als eines nach den erhabenen Normen des hohen römischen Rechtes klüglich gefällten Urteils. Lasset, o Richter, an diesem Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft das Wort der Schrift sich bewahrheiten, in der es heißt: Du sollst deine Perlen nicht vor die Säue werfen! Da der Angeklagte in seiner beispiellosen, geistigen und sittlichen Verkommenheit die Ehre, die ihm durch ein auf der heiligen Waage der Gerechtigkeit abgewogenes Urteil zuteil würde, unmöglich ihrem volle Werte entsprechend zu schätzen wüßte, so ersuche ich euch, hochwohlweise und geehrte Richter, um der Hoheit unseres Berufes nicht zu nahezutreten, es bei einer In zärtlichem Ton. Prügelstrafe bewenden zu lassen. Sollte euch, hochwohlweise und geehrte Richter, eine Prügelstrafe nicht ausreichend erscheinen, so könnte die Prügel strafe vielleicht durch eine dreitägige Ausstellung am Schandpfahl auf dem Markte von Perugia ergänzt werden.

DER OBERRICHTER.

Ich erteile das Wort dem Prokurator des Königs, unserm würdigen Herrn Silvio Andreotti, Doktor beider Rechte.

DER PROKURATOR DES KÖNIGS
der sich während der ganzen Verhandlung stöhnend und gähnend in seinem Sessel gewälzt hat, erhebt sich und schimpft und zetert rein geschäftsmäßig, aber doch mit allen Gebärden sittlicher Empörung drauflos, indem er dabei dem Gerichtshof [548] seine tiefste Verachtung fühlen läßt.

Geehrte Richter! Der Angeklagte ist, wie die treffliche Verteidigungsrede des würdigen Herrn Corrado Ezzelino richtig festgestellt hat, ein verkommenes Subjekt, ein Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft, ein Individuum von beispielloser, sittlicher Verkommenheit, dem ich indessen eine gewisse geistige Verschmitztheit, um mich deutlicher auszudrücken, eine gewisse Bauernschlauheit nicht absprechen möchte. Auf diese Bauernschlauheit deuten seine eigenen Worte hin, die er hier gesprochen, sowie die Tatsache, daß er in der Absicht, unsere Urteilskraft von vornherein durch einen günstigen Eindruck zu bestechen, seine Tat gar nicht zu leugnen versucht hat. Wenn nun aber ein auf der tiefsten Stufe menschlicher Verkommenheit stehendes Individuum ein so himmelschreiendes Verbrechen begeht, dann ist dieses Individuum überhaupt nicht mehr als menschliches Wesen anzusehen, sondern als wildes Tier, und als solches, wie der Angeklagte, in der Absicht, unsere Urteilskraft zu bestechen, selber sehr treffend hervorhob, als der verderblichste Feind unserer so teuren menschlichen Gemeinschaft, die mich und euch, ihr Richter, zu ihrem Schütze berufen und hierhergestellt hat. Solch ein wildes Tier verdient aber durch seine Niedrigkeit sowie durch seine Gemeingefährlichkeit kein anderes Schicksal, als daß es durch den Tod vernichtet und seine Spur von dieser Erde vertilgt werde! Er flegelt sich gelangweilt in seinen Sessel zurück.

DER OBERRICHTER.
Angeklagter Ludovicus! Was hast du hierauf noch zu sagen?
DER KÖNIG.
Nichts.
DER OBERRICHTER.

Die Zeugen sind entlassen! – Das Gericht zieht sich zur Fällung des Urteils in das Beratungszimmer zurück.


Die Zeugen, der Richter und der Prokurator des Königs verlassen den Saal.
DER GERICHTSAKTUAR
die Hände über den Kopf zusammenschlagend, zu Alma, die in Tränen gebadet, über dem Protokoll sitzt.

Hilf mir, heilige Maria, Mutter Gottes, hat [549] mir der Bengel in seiner Albernheit mein ganzes Gerichtsprotokoll vollgeheult! Nicht ein Buchstabe mehr zu lesen! Die Blätter aufeinandergeklebt!

ALMA
schluchzend.
O mein Gott, er ist unschuldig! Ich weiß es, daß er unschuldig ist!
DER GERICHTSAKTUAR.

Was hat denn dich das zu kümmern, ob er schuldig ist oder unschuldig! Ist es dein Kopf oder ist es sein Kopf, den man ihm abschlägt!

DER KÖNIG
abgewandt, aber mit Nachdruck.

Meine Worte waren: Und so falle denn endlich des Königs Haupt auf dem Markte von Perugia unter dem Henkerbeil!

DER GERICHTSAKTUAR
zu Alma.
Da hörst du es, wie unschuldig er ist!!
ALMA
erhebt sich unwillkürlich, die Worte halblaut aber sehr rasch hervorstoßend.
Heiliger Gott im Himmel, der du Erbarmen hast mit allen Armen und Elenden, bewahre uns davor!
DER GERICHTSAKTUAR.

Nun siehst du, du bist ein wackerer Junge und hast das Herz auf dem rechten Fleck! Zu den Gerichtsverhandlungen werde ich dich freilich so bald nicht wieder mitnehmen. Du mußt zu Hause das ganze Protokoll nach deinem Gedächtnis noch einmal aufsetzen. Dabei lernst du mehr, als wenn du das ganze Corpus juris durchstudierst!

DER VERTEIDIGER
hat, nachdem die Richter den Saal verlassen, ein Paket mit belegten Butterbroten, eine Kürbisflasche und einen Becher aus seinem Talar gezogen.

Flasche und Becher hat er vor sich aufgepflanzt; darauf kommt er, mit Frühstücken beschäftigt, nach vorn. Nun, Gigi, war das nicht eine ciceronianische Verteidigungsrede, die ich da für dich gehalten habe? Aber was weißt du von Cicero! Du erlaubst mir schon, daß ich frühstücke! Ich hatte ursprünglich die Absicht, meiner Verteidigungsrede ein kleines Curriculum vitae einzuflechten, eine anschauliche Schilderung deines Viehhütens usw. Aber aufrichtig gesagt, Gigi, ich glaube, das hätte dir bei diesen Hinausdeutend, im Gegensatz zu seiner früheren Unterwürfigkeit im Ton aller tiefster Verachtung. Hornochsen da draußen auch nicht viel geholfen!

[550]
DER KÖNIG.
Ich sage Euch meinen Dank für Eure Bemühung, würdiger Doktor Ezzelino.

Die Richter ohne den Prokurator kommen aus dem Beratungszimmer zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein.
DER OBERRICHTER
rasch und geschäftsmäßig ein Schriftstück verlesend.

Der Angeklagte Ludovicus, bis anhin Schneiderlehrling in Perugia, vordem auf dem Dorfe Baschi mit dem Hüten von Vieh betraut, ist des Verbrechens der Beleidigung der geheiligten Person des Königs angeklagt und wurde dieses Verbrechens auf Grund übereinstimmender Zeugenaussagen sowie seines eigenen Geständnisses für schuldig befunden. Der Angeklagte wurde verurteilt, in Anbetracht seiner bisherigen Unbescholtenheit, sowie in Anbetracht seines freiwillig abgelegten Geständnisses zu zweijähriger Kerkerhaft ...


Alma stößt unwillkürlich einen verhaltenen Schrei aus.
DER GERICHTSAKTUAR
zu einer Ohrfeige ausholend.
Junge, willst du dein Maul halten, wenn der Richter spricht!
DER OBERRICHTER.

... des weiteren zu zehnjährigem Verlust aller bürgerlichen Rechte und Ehren, sowie Langsam und mit Nachdruck. zur Verweisung aus der Stadt Perugia für die ganze Dauer seines Lebens unter Verhängung der To desstrafe im Falle jemaliger Rück kehr.

DER GERICHTSAKTUAR
zu Alma.
Schreib auf, mein Junge! Schreib auf! Das ist das Allerwichtigste!
DER OBERRICHTER
rasch weiterlesend.

In Anbetracht der Tatsache, daß der Angeklagte nicht die geringste Spur von Reue über seine Tat an den Tag gelegt hat, wurde das Urteil dahin verschärft, daß er seine zweijährige Kerkerstrafe in allerstrengster Einzelhaft zu verbüßen hat. – Gegeben im Namen des Königs am dritten Tage des Monates August im Jahre des Heiles Eintausendvierhundertundneunundneunzig. – Zu den Wachen gewendet. Der Gefangene wird abgeführt! Sich erhebend, zu den Richtern mit verbindlicher Verbeugung. Damit erkläre ich die heutige Verhandlung für geschlossen. Gesegnete Mahlzeit!

2. Akt

Fünftes Bild
Gefängnis.

DER KÖNIG
sitzt vor sich hin pfeifend auf den Stufen und flicht an einem Weidenkorb.

– – – Ich verspüre Durst – – – Ist es wirklich schon wieder so spät am Tage. Er erhebt sich sehr vergnügt und blickt durch einen der Ausgänge forschend nach oben. – Wie hier die Zeit vergeht! – Weiß Gott! – Die Sonne beginnt schon über die Südmauer des Turmes zu gleiten! – Also den Wasserkrug! – Er holt einen irdenen Krug aus der Ecke und wendet sich in erwartender Stellung der Tür zu. – Er kommt schon! – – Hat mir, solange ich König war, je ein Trunk so gemundet wie dieser frische Trunk Wasser, den ich nun seit zwölf Monden täglich um diese Stunde erhalte? – Ich glaube, es ist ein unverdientes Glück für mich, daß ich nicht unter meiner eigenen Regierung ins Gefängnis gekommen bin.


Die Tür wird klirrend aufgerissen und draußen schreit eine rauhe Stimme: »Wasserkrug!« Der König setzt den Krug hastig vor die Tür und kehrt in die Zelle zurück. Die Tür fällt ins Schloß, wird aber
sofort wieder geöffnet, und der Gefängniswärter tritt ein.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.

Himmelkreuzsackerment, Gigi, was zerschmeißt du den Wasserkrug! Schweig, du Hund! Der Krug hat ein Loch! Gestern war er noch heil! Dir heiz ich ein, daß dein Blut von der Stirne trieft! Du hältst mich schon für deinen Bedienten, weil ich dir in letzter Zeit nicht mehr so auf die Finger sah! Jetzt sollst du's erleben, daß die Haare dir weiß werden! – Deine Arbeit zeig vor!


Der König holt den Weidenkorb.
[552]
DER GEFÄNGNISWÄRTER.

Das dein Tagewerk?! Du kriegst keinen Happen Brot, eh du das Fünffache lieferst! Ihm den Korb vor die Füße werfend. Da! – Und nun werde ich deine Zelle revidieren. Sieh dich vor! Du kommst mir nicht mehr lebendig aus diesem Loch! – Er geht, die Hände auf dem Rücken, von der Tür bis zum Fenster schrittweise der Wand entlang, indem er die Mauer vom Plafond bis zur Erde mustert und sich hin und wieder nach dem Gefangenen umdreht, der ihm verwundert mit den Blicken folgt. Was tut das Spinngewebe dort oben?! Vierte Disziplinarstrafe auf acht Tage! Sich umwendend. Du weißt doch die sieben Disziplinarstrafen noch auswendig? He, Gigi?

DER KÖNIG.
Ich weiß sie auswendig.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.
Erste Disziplinarstrafe?
DER KÖNIG
von jetzt an jede Antwort mit einem geringschätzigen Lächeln begleitend.
Entziehung von Vergünstigungen.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.

Ich werde dir deine Laute in Stücke schlagen, mit der du deine Arbeitszeit verplemperst! – Zweite Disziplinarstrafe?

DER KÖNIG.
Entziehung der Arbeit.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.

Dann sieh, womit du die Zeit verbringst! In acht Tagen tragen dich deine Beine nicht mehr! – Dritte Disziplinarstrafe?

DER KÖNIG.

Entziehung des weichen Nachtlagers. – Mein Lager ist ohnehin so hart, als wäre es mit Kieselsteinen gestopft!

DER GEFÄNGNISWÄRTER.
Schweig! – Der Kerl möchte wohl gern ins Heu schlafen gehen! – Vierte Disziplinarstrafe?
DER KÖNIG.
Schmälerung der Kost.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.
Wasser und Brot von heute auf acht Tage! – Hast du's gehört?! Fünfte Disziplinarstrafe?
DER KÖNIG.
Einsperren im Dunkeln.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.
Sechste Disziplinarstrafe?
DER KÖNIG.
Anschließen an die Kette.
DER GEFÄNGNISWÄRTER.

Das hast du nämlich so zu verstehen, daß du krumm geschlossen wirst, so daß dir nach der ersten Stunde schon alle Teufel, die du im Leibe hast, Lebewohl sagen! Siebente Disziplinarstrafe?

[553]
DER KÖNIG.
Körperliche Züchtigung.
DER GEFÄNGNISWÄRTER
am Fenster angelangt.

Du sollst hier dein Fell noch spüren! Du Tagedieb sollst mir diese Himmelsleiter hinauf- und hinunterklettern, bis du tot herunterfällst. Er geht vor dem König durch, verläßt die Zelle und schließt von außen zu.

DER KÖNIG
sieht ihm, den Kopf schüttelnd, in höchster Verwunderung nach, ohne daß seine gute Laune im geringsten gelitten hat.

Was war das? – Worin habe ich mich denn versehen? – – Diese Bestie glaube ich im Laufe eines Jahres zum Menschen erzogen zu haben? – Plötzlich, nach all der Mühe, fällt sie mir wieder ins Tierreich zurück? – Oder Sich betastend. habe ich geträumt? – Daß der Krug zerbrochen war, ist ganz unmöglich. – Diesen Morgen trank ich noch daraus. Er wird ihn jetzt draußen zerschlagen und mir dann die Scherben vorzeigen! – Ob er mich heute dursten läßt? – Soll er mich dursten lassen! So brauche ich doch wenigstens sein Gesicht nicht zu sehen. – Wenn er kommt, dann empfange ich ihn mit einem Blick, vor dem sein Auge sich in die Erde bohrt. Sich Haltung gebend. Hilf mir, königliche Majestät, daß der Geselle sich seine Niederträchtigkeit selbst ins Bewußtsein zurückruft! – –Horchend. Da ist er schon! – Ein Zweikampf ohne Waffen – Mensch gegen Mensch!


Die Tür öffnet sich rasselnd. Drauf tritt Prinzessin Alma, gekleidet wie im vorigen Bild, in beiden Händen einen Krug tragend, in die Zelle. Hinter ihr fällt die Tür krachend wieder ins Schloß.
DER KÖNIG
in maßlosem Freudenschreck.
Alma?! Mein Kind?! – O tierische Bosheit!
ALMA.
O Vater, ich kann Euch ja nicht umarmen! Ich bringe Euch diesen Krug mit Wein.
DER KÖNIG
nach Atem ringend, beide Hände auf der Brust.

O satanische Grausamkeit! – Nimmt ihr den Krug ab und setzt ihn beiseite. Wo kommst du her, mein Kind? – Zwölf Monde lechzte ich nach deinem Anblick! Du lebst noch; du bist gesund und wohl. Sprich, wie ergeht es dir unter den elenden Menschen?

[554]
ALMA.

Wir haben nur einen kurzen Augenblick! Endlich gelang es mir, den Wärter zu bestechen; und von nun an läßt er mich jede Woche einmal zu Euch kommen. Sagt mir rasch, wie ich Eure Leiden mildern kann!

DER KÖNIG
höhnisch.

Meine Leiden! – Ja! Welch ein Vater bin ich, daß ich mein Kind der Welt schutzlos überantworte! Das sind meine Leiden! – Sonst danke ich Gott jeden Tag, daß ich durch diese sechs Fuß dicken Mauern von der Menschheit getrennt und vor ihr in Sicherheit bin!

ALMA.

Ihr seht mir wohl an, mein Vater, daß die Menschen lieb zu mir sind. Ich stehe noch bei dem Gerichtsschreiber in Dienst. Sagt mir nur, was ich Euch bringen darf, um Eure Kräfte zu stärken. Welch furchtbare Qualen müßt Ihr hier erduldet haben!

DER KÖNIG
im Flüsterton, aber sehr lebhaft.

Nein, nein, mein Kind! Bring mir nichts Fremdes in diese Einsamkeit. Du weißt ja nicht, mit welcher Windeseile die Zeit hier verfliegt! Zu Anfang hatte ich siebenhundertunddreißig Striche in jene Mauer gekritzelt, um jeden Tag die Freude zu haben, einen auszulöschen. Wie bald mußte ich sie wochenweise, mondenweise tilgen. Und jetzt sehe ich nur noch mit Grauen, wie rasch ihrer weniger werden, bis der letzte dahin ist und ich wieder unter überhängenden Felsen Obdach suche und mich mit den Wölfen um ihre Jagdbeute reiße! – Aber laß dich meine Worte nicht betrüben! Du kannst ja nicht wissen, wie mich der Wärter auf dein Kommen vorbereitete!

ALMA.
Mit stummem Entsetzen denke ich, wie teuflisch er Euch martern wird!
DER KÖNIG
mit verächtlichem Lächeln.

Was du dir einbildest! Dazu müßte er kein schwacher Erdenwurm sein. Mit meiner Empfindungslosigkeit hält keine Grausamkeit gleichen Schritt. Weißt du, daß er, ohne die geringste Klage von mir gehört zu haben, hier schon helle Tränen geweint hat? Wer ist auch so entartet, daß er nicht dankbar wird, wenn sein besseres Selbst unverhofft Anerkennung findet! – Die Freude, dich, mein Kind, wiederzusehen, konnte er mir freilich nicht ungetrübt gönnen. Aber Im Ton tiefster Verachtung. das liegt an der feigen Angst, die sein Beruf ihm einflößt. Der arme [555] Mensch ist so eifersüchtig auf die lächerliche Scheingewalt, die er mit seinem Schlüsselbund ausübt, daß er durch die Gnade, die er mir heute erweist, schon völlig überflüssig zu werden fürchtete. Aber, hast du nicht Mangel gelitten, um die Gunst dieses Schurken zu erkaufen?

ALMA.
Redet nicht von mir, mein Vater! Die Zeit vergeht, und ich weiß nicht, wie ich Euch helfen kann!
DER KÖNIG
vollkommen ratlos, verlegen lächelnd.

Ich weiß es wahrhaftig auch nicht! – Wäre ich ein tüchtigerer Mensch, dann erschiene mir mein Schicksal vielleicht bedauernswürdig. Armselig, wie ich bin, zittre ich nur vor dem Augenblick, wo mich keine eisenbeschlagene Tür mehr schützt, wo kein Gitterfenster mehr hindert, daß man zu mir hereinsteigt, wo ich wieder unter Menschen stehe, mit denen ich keine Verständigung finde und von deren Treiben ich nun erst recht durch den Spruch des Gerichtes ausgeschlossen bin. – Wüßtest du, wie schmerzlos in dieser Einsamkeit die klaffenden Wunden der Seele vernarben! Die Richter glaubten meine Strafe zu verschärfen, indem sie mich zu Einzelhaft verurteilten. Wie inbrünstig habe ich ihnen schon dafür gedankt, daß ich hier nicht mit Menschen zusammenzuleben brauche!

ALMA
ärgerlich.
Heiliger Gott im Himmel! Dann mögt Ihr mich hier wohl auch nicht mehr bei Euch sehen!
DER KÖNIG
sich besinnend.

Ich belohne deine Opfer durch Unmut und Verdrossenheit Die Gedanken werden schwer und ungefügig, wenn der Mensch tagaus, tagein im Gespräch mit sich selbst verharrt. – Nur um das eine bitte ich dich: Wird mir die Freiheit zurückgegeben, dann überlaß mich meinem Geschick – nicht für immer – nur so lange, bis ich mich deiner Seelengroße würdig erwiesen.

ALMA.

O nimmermehr! Verlangt nicht, daß ich Euch je verlasse! Es kann uns in Zukunft doch unmöglich wieder so schlimm ergehen wie zuvor!

DER KÖNIG.
Dir nicht. Das glaube ich gern.
ALMA.

In dieser Dunkelheit hat sich Eurer armen Seele die Melancholie bemächtigt. Euer stolzes Herz ist nahe daran, stille zu stehen. In Euren Zügen ist nichts von der friedlichen Ruhe zu lesen, die Ihr zu fühlen vorgebt.

[556]
DER KÖNIG
düster.

Ich habe mein Gesicht seit Jahresfrist nicht gesehen; aber ich kann mir denken, wie häßlich es hier geworden ist. Wie muß mein Anblick deine Augen verletzen!

ALMA.
O redet nicht so, mein Vater!
DER KÖNIG
plötzlich wieder vergnügt.

Aber du kennst die Unverwüstlichkeit meiner Natur. Und nun trittst du, das einzige, was meinem Glück vorenthalten wurde, zu mir herein! Nur um dich, mein Kind, reich und herrlich zu belohnen, müßte ich noch einmal König sein.

ALMA.
Ich höre den Wärter. Sagt mir, wie ich Eure Qualen erleichtern kann!
DER KÖNIG
hell auflachend.

Aber was entbehre ich denn? Wie unbehaglich würde dieser Kerker, wenn die Genüsse des Lebens hier Zutritt hätten! Wie soll mich hier nach einem schönen Weibe verlangen, wo sich mein Erinnern die Schönheit nicht mehr vorzuzaubern vermag! Nach dem Ausgang deutend. Mein Lager dort ist tagsüber angeschlossen. Da mir kein anderer Ruheplatz bleibt, lege ich mich abends so ermattet nieder, als hätte ich einen Acker umgepflügt. Und morgens weckt mich die gellende Glocke aus einem so wunschlos heiteren Traum, wie ich ihn auch als Kind nie geträumt habe. Da die Tür geöffnet wird. Wenn du wiederkommst, mein Kind, sollst du nicht eine einzige Klage mehr von mir hören. Du sollst dich so froh bei mir fühlen, als wärst du draußen in deiner sonnigen Welt. – Leb wohl!

ALMA.
Lebt wohl, Vater! – Sie verläßt die Zelle. Die Tür fällt hinter ihr zu.
DER KÖNIG
ihr nachblickend.

Noch ein ganzes langes Jahr! – – Er wendet sich zur Mauer zurück. Ich werde doch wieder einmal genau die Striche nachzählen, wie viele ihrer noch zu tilgen sind!


[557]
Sechstes Bild
Nacht. Wildnis.
Der König, Prinzessin Alma und ein Kunstreiter treten auf.

DER KÖNIG
etwas ermüdet, spricht aber mit kräftiger, volltönender Stimme.
Haben wir noch weit zu gehen, Bruder, bis zu dem Platz, wo die Elendenkirchweih abgehalten wird?
DER KUNSTREITER
äußerst lebhaft, selbstgefällig, aufschneiderisch.

Bis Mitternacht sind wir längstens dort. Vorher beginnt die eigentliche Kirchweih gar nicht Ihr beide macht wohl zum erstenmal diese nächtliche Wallfahrt zum Hochgericht?

DER KÖNIG.

Wir sind erst seit wenigen Monden beim fahrenden Volk, haben aber trotzdem schon manchen Hexensabbat mitgetanzt.

DER KUNSTREITER.

Mir scheint, Bruder, man hat dir irgendwo das Marschieren abgewöhnt! Du bist doch sonst ein ganz strammer Geselle!

DER KÖNIG
läßt sich auf einen Felsblock nieder.

Mein Herz stößt wie ein gefangener Raubvogel gegen die Rippen. Der Weg geht bergan; das nimmt mir den Atem.

DER KUNSTREITER.

Wir haben reichlich Zeit. – Dein Bub, Bruder, ist dafür um so besser auf den Beinen. Jammerschade um das junge Blut! Bei mir könnte er noch was Einträglicheres lernen als Gassenlieder zur Laute singen. Das wird doch überall nur dem Betteln gleichgeschätzt. Gib ihn mir mit, Bruder, nur auf ein halbes Jahr! Bei mir hat er es jedenfalls nicht schlechter, als wenn er in deine Fußstapfen tritt; und ich mache dir einen Kunstreiter aus ihm, um den sich die Zirkusmeister die Hälse brechen!

DER KÖNIG.

Halte mich nicht für einen Esel, geliebter Bruder! Wie willst du meinem Buben das Kunstreiten beibringen, wo du selber auf Schusters Rappen reisest!

DER KUNSTREITER.

Du bist mißtrauisch, als hattest du Fässer voll Gold zu Hause liegen! Dabei weißt du allem Anschein nach nicht, wo und wann du zum letztenmal warm gegessen [558] hast! So bringt man's freilich zu nichts! Wir treffen in dieser Nacht auf der Elendenkirchweih mindestens ein halbes Dutzend Zirkusmeister. Sie alle kommen dorthin, um Künstler zu finden, die bei ihnen auftreten. Dann wirst du armer Teufel sehen, wie man sich um meine Person reißt und wie einer den andern mit dem Handgeld überbietet! Denen bin ich Gott sei Dank nicht so unbekannt, wie euch Bänkelsängern! Und stehe ich wieder bei einem im Dienst, dann habe ich Pferde genug, daß sich dein munterer Bub, wenn er Lust dazu hat, gleich am ersten Tage den Hals brechen kann!

DER KÖNIG.
Sag mir, Bruder, finden sich auf der Elendenkirchweih auch Theaterbesitzer ein?
DER KUNSTREITER.

Auch Theaterbesitzer, jawohl! Aus dem ganzen Land kommen die Theaterbesitzer zusammen. Wo wollten sie sonst ihre Tänzerinnen und Hansnarren hernehmen! – Freilich, Bruder, ob dich einer in Dienst nimmt, scheint mir sehr zweifelhaft. Du siehst mir nun wirklich gar nicht danach aus, als ob du Possen reißen könntest!

DER KÖNIG.
Es gibt aber auch eine erhabene Kunst, die man Tragödie nennt!
DER KUNSTREITER.

Tra-Tra-Tragödie, ja! Den Namen habe ich gehört! – Auf diese Kunst, lieber Bruder, verstehe ich mich ganz und gar nicht. Nur eines weiß ich von ihr, daß sie herzlich schlecht bezahlt wird. – Zu Alma. Nun, mein braver Knabe, trachtet dein Gaumen nicht nach besserem Futter? – Willst du die Kunstreiterei bei mir erlernen?

DER KÖNIG
sich erhebend.

Vorwärts, Bruder, daß wir die Elendenkirchweih nicht noch versäumen! Nur einmal im Jahre bietet das Glück uns die Hand.


Alle drei ab.

[559]
Siebentes Bild
Hochgericht.
Nacht. – Im Hinter gründe ragt der Galgen empor. Links vorn, am Fuß einer knorrigen Eiche, liegt ein Felsblock, der den Auftretenden als Podium dient. Um den Felsblock lagern die Zuschauer, Männer, Weiber und Kinder, in phantastischen Trachten.

CHORUS
von Tamburin begleitet.

Auf dem Dorf und in der Stadt
Schnarchen alle Menschen hinter dichtgeschloßnen Fenstern;

Und was Haus und Bett nicht hat,
Dreht sich unterm Hochgericht mit fröhlichen Gespenstern!

Aus der Sonne Glanz verbannt,
Finden leisen Schrittes wir des Glückes Spur im Dunkeln

Und sind Herrn im weiten Land,
Wenn vom hohen Himmel die Gestirne freundlich funkeln.
EIN THEATERBESITZER
mit Baßstimme redend zu einem Schauspieler.
Zeig mir, was du gelernt hast, mein werter junger Freund! Hie Rhodus hic salta! Was ist dein Fach?
DER SCHAUSPIELER.
Ich mache den Bajazzo, verehrter Meister.
DER THEATERBESITZER.

Dann mach den Bajazzo, junger Freund. Aber mach ihn gut! Difficile est, satiram non scribere! Mein Publikum ist nur das Allerbeste gewöhnt!

DER SCHAUSPIELER.
Ich werde sofort eine Probe meiner Kunst ablegen.
DER THEATERBESITZER.

Wenn du Gefallen vor meinen Augen findest, junger Freund, dann hast du hundert Soldi pro [560] Monat. Pacta exacta – boni amici! Geh, junger Freund, und leg deine Probe ab!


Der Schauspieler besteigt den Felsen. Er wird von der Menge mit Klatschen und Bravorufen begrüßt.
DER SCHAUSPIELER
bricht zuerst in Gelächter aus; dann spricht er die nachfolgenden Verse, jeden derselben mit einer anderen Art von Gekicher begleitend.
Graf Onofrio war ein Graf,
Dumm war er wie ein Schaf.
Er hatte sieben Töchter,
Die gerne verheiraten möcht er;
Es zeigte sich aber kein Freier –
Faule Eier! Faule Eier!
DIE ZUSCHAUER
haben den Vortrag mehrfach durch Zischen und Pfeifen unterbrochen.
Die letzten Worte werden von ihnen wiederholt. Faule Eier! Faule Eier!
DER THEATERBESITZER
der dem Felsen gegenüber auf einem Baumstumpf steht, den Lärm überbrüllend.
Nieder mit dem Kerl! Apage Gott der Herr hat ihn in seinem Zorn geschaffen! Alea est jacta!

Der Schauspieler verläßt den Felsen.
CHORUS.
Glaub nur nicht, o Menschenbrut,
Daß in eitel Träumen unser Dasein wir verläppern!
Weißt doch nicht, wie Liebe tut,
Wenn vom lichten Galgen die Gerippe dazu scheppern!

Der König, Prinzessin Alma und eine Kupplerin treten auf.
DIE KUPPLERIN.

Nun, Bänkelsänger, wieviel verlangst du von mir für deinen hübschen Buben? – Höre den lieblichen Klang der Goldstücke in meiner Tasche!

DER KÖNIG.

Soeben hat ihn mir hier schon ein Kunstreiter abkaufen wollen. Laßt mir doch nur meinen Buben in Frieden! Deshalb komme ich nicht hierher auf die Elendenkirchweih. Was kannst du denn überhaupt mit dem Buben wollen!

DIE KUPPLERIN.

Halt mich doch nicht für so dumm, Bänkelsänger, [561] daß ich dem Buben nicht ansehen sollte, daß er ein Mädel ist! Das süße Kind bekommt in mir eine Mutter, wie sie sie liebevoller nirgends in der weiten Welt findet. Zu Alma. Zier dich nicht so, mein hübsches Täubchen! Ich fresse dich nicht! Wenn man so ebenmäßig gewachsen ist wie du und ein rundes rosiges Gesicht mit so frischen Kirschenlippen und so dunklen Glutaugen hat, dann schläft man unter seidenen Decken statt auf freiem Feld. Die Laute zu schlagen brauchst du bei mir nicht. Nur lieb sein! Was kann sich das muntre junge Blut Schöneres wünschen! Du findest Minister und Barone bei mir; brauchst nur zu wählen. Hast du dich schon einmal von einem richtigen Baron küssen lassen? Das schmeckt besser als eines Landstreichers Bartstoppeln! – Schau her, Bänkelsänger! Hier sind zwei unbeschnittene Dukaten! Das Mädel gehört mir! Abgemacht!

DER KÖNIG
der die Kupplerin argwöhnisch im Auge behalten hat.

Häng dich an den Galgen mit deinem Geld. – Zu Alma. Das alberne Weib sieht dich in seiner Dummheit wirklich für ein verkleidetes Mädel an! Warum bist du es nicht! Wärst du jetzt ein Mädel, du hättest die beste Gelegenheit, dir den struppigen Bänkelsänger vom Hälse zu schaffen! Schlimmeres gibt es nun doch einmal nicht, als den Hut hinhalten und Pfennige auffangen! Hast du nicht vielleicht schon Pfennige aufgenommen, die uns die mitleidigen Pflegetöchter dieser würdigen Dame herabwarfen?! Dabei haben sie immer noch Aussicht, der erhabenen bürgerlichen Gesellschaft wieder als vollwertig aufgenötigt zu werden. Der Stern leuchtet über unseren Wegen nicht!

DIE KUPPLERIN
zu Alma.

Laß dir, mein Herzblatt, um Gottes willen von dem Strolch den Kopf nicht heiß machen! Du glaubst nicht, wie wonnig mein Haus ist! Den ganzen Tag verbringst du mit einer Schar der muntersten Gespielinnen. Wenn dich der Bänkelsänger mir nicht verkauft, dann laß ihn hinter uns herjammern. Fürchte dich nicht vor ihm! Du bist unter meiner Obhut so sicher, als wenn dich ein ganzes Kriegsheer begleitete!

ALMA
sich aus den Armen der Kupplerin frei machend.

Ich [562] werde mit ihm reden. Geht an ihr vorüber zum König, mit zitternder Stimme. Ihr wißt doch noch, mein Vater, weshalb wir auf die Elendenkirchweih kamen!

DER KÖNIG.

Ich weiß es, mein Kind. Er besteigt den Felsen. Von den Zuschauern wird er mit trockenem Husten empfangen. Darauf spricht er mit klarem Ton, aber innerlich bewegt.

Ich bin der Herrscher hier in diesem Land,

Von Gott ernannt, von niemand erkannt!

Und wenn ich's schriee, daß die Felsen dröhnen,

Daß ich in diesem Lande Herrscher bin,

Der Vögel Zwitschern würde mich verhöhnen!

Wozu gereicht mein königlicher Sinn?

Daß ausgehungert ich mit gierigen Zähnen

Aufschnappe, wie zur Winterszeit das Tier. –

Doch nicht, um meiner Leiden zu erwähnen,

Red ich, mein Volk, mit dir!

DIE ZUSCHAUER
brechen in ein schallendes Gelächter aus, klatschen stürmisch in die Hände und rufen begeistert.
Da capo! Da capo!
DER KÖNIG
angstvoll und beklommen.
Geehrte Zuhörer! Mein Fach auf der Bühne ist die große ernste Tragödie!
DIE ZUHÖRER
laut auflachend.
Bravo! Bravo!
DER KÖNIG
mit Anstrengung aller Seelenkraft.

Was ich euch soeben vortrug, ist mir das Teuerste, das Heiligste, was ich bis jetzt in den Tiefen meiner Seele verschlossen hielt!

DIE ZUSCHAUER
erheben einen neuen Beifallssturm, aus dem man deutlich die Worte heraushört.
Ein großartiger Komiker! – Ein unbezahlbarer Charakterkomiker!
DER THEATERBESITZER
auf dem Baumstumpf stehend.

Sprich deinen Monolog zu Ende, mein teurer junger Freund! Oder beherbergt dein armes Hirn nur diese paar Brocken? – Si tacuisses, philosophus mansisses!

DER KÖNIG.

Wohlan denn! Dann aber bitte ich euch inbrünstig, meine lieben Zuhörer, bringt meinen Worten die ernste Würdigung entgegen, die ihnen gebührt! Wie sollte es mir gelingen, eure Herzen zu rühren, wenn ihr den Klagen, die aus meinem Munde kommen, keinen Glauben schenkt!

[563]
DIE ZUSCHAUER
lachen und klatschen begeistert in die Hände.
Welch eine Stellung er dabei einnimmt! – Und sein drolliges Mienenspiel! – Weiter in deiner Posse!
DER THEATERBESITZER
zischend.

Kinder, Kinder! Nichts ist für den Mimen verderblicher als der Beifall! Zwingt ihr ihn, sich zu überbieten, dann ist der arme Schlucker nur noch auf niederträchtigen Schmieren zu verwenden! Odi profanum vulgus et arceo! Zum König. Sprich weiter, mein Sohn! Mir scheint, deine Parodien würden mein erlauchtes Publikum erheitern können!

DER KÖNIG
indem er mit allen Mitteln den Ernst seiner Rede hervorzuheben sucht.
Ich bin der Herrscher! – In die Knie mit euch!
Was soll das ungebärdig tolle Lachen! –
Durch meine Schuld zwar weiß in meinem Reich
Kein Mensch von mir. Es schlafen meine Wachen;
Mein tapfres Kriegsheer steht in fremdem Sold! –
Es fehlt die höchste irdische Macht, das Gold! –
Doch hat ein echter König je gelebt,
Um Talerstück an Talerstück zu reihen?
Dies Amt vertraut er gnädig dem Lakaien!
Der Heller, dran der Schmutz der Menge klebt,
Ward nicht geprägt, daß er die schneeigen Hände
Der Majestät von Gottes Gnaden schände!
DIE ZUSCHAUER
in wildes Gelächter ausbrechend.
Da capo! – Bravo! – Da capo!
DER THEATERBESITZER.
Dieser Mensch ist ein glänzender Satiriker! Ein zweiter Juvenal!
DER KÖNIG
wie oben.
Ich bin der Herrscher! – Wer das hier nicht glaubt,
Der trete vor! Er mag mich drauf erproben!
Sonst liebt ich's nicht, mein eignes Ich zu loben!
Doch hat die Welt mir diesen Stolz geraubt. –
Wer einen Degen führt, dem will ich weisen,
Wie er mit Anmut das gespitzte Eisen
Mild lächelnd senkt in seines Gegners Brust,
Auf daß der Zweikampf, statt mit Angst und Grauen,
Als muntrer Elfenreigen ist zu schauen,
Und jenem auch der Tod noch süße Lust! – –
Ich bin der Herrscher! – Aus der Berberherde
[564] Bringt mir das bissigste der Wüstenpferde!
Ich leg ihm Zügel nicht noch Sattel an;
Spürt es nur meine Fersen in den Weichen,
Wird's unter mir in span'scher Gangart keuchen
Und ist fortan dem Reiter untertan! –
Ich bin der Herrscher! – Laßt zum Fest euch laden!
Die Welt bleibt fern mit ihrer garst'gen Qual;
Die Abendsonne leuchtet uns zum Mahl,
Gesang ertönt aus luftigen Arkaden;
Der Gast dringt hoffnungsfroh ins düstre Grün,
Wo neben traulich plätschernden Kaskaden
Ihn Nymphen kosend zu sich niederziehn. –
Ich bin der König! Schafft ein Mädchen her!
Doch sei es wie der Morgenreif so keusch!
Ich weck ihr nicht der Unschuld Wehgekreisch;
Als Bettler komm ich, meine Taschen leer;
Sechs Schritt bleib ich ihr fern! vor Satansschlichen
Sei sie gewarnt – und eh ein Stern verblichen,
Erlag in ihr die Tugend schon dem Fleisch! –
Bringt mir die treusten aller treuen Frauen!
Sie zweifeln bang, ob Grauen, ob Vertrauen
Mehr Kuppler sind zu sündigem Genuß;
Und zweifelnd bieten sie sich mir zum Kuß! – –
Ich bin der König! – Wo war je so schmal
Ein Kind an Hand und Füßen in den Knöcheln:
Verächtlich seh ich euch, ihr Hörer, lächeln:
Die Füße tänzeln und die Hände fächeln;
Was oben sich im Schädel birgt, ist schal!
Sei's drum! Das schlankste Mädchen hier mag wagen,
In luft'gem Tanz den Sieg davonzutragen!
Nie zückte sie zu blut'gem Kampf den Stahl,
Und ihre Knöchel sind wie meine schmal ...

Da sich niemand meldet, zu Alma.

Reich mir eine Fackel, mein Kind!
DER THEATERBESITZER
zum König.

Ich nehme dich als Tanzmeister und als Charakterkomiker in Dienst und biete dir hundert Soldi pro Monat.

EIN ANDERER THEATERBESITZER
spricht in Fistelstimme.

Hundert Soldi, hihihi? Hundert Soldi will dir der Schaute geben? – Ich schmeiße dir hundertundfünfzig ins Gesicht, du [565] Schuft! Was sagst du, hihihi? – Willst du nun oder willst du nicht?!

DER KÖNIG
der den Felsen verlassen hat, zum ersten Theaterbesitzer.
Glaubt Ihr denn nicht, verehrter Meister, daß ich mich besser zum Tragöden als zum Komiker eigne?
DER ERSTE THEATERBESITZER.

Zum Tragöden fehlt dir jede Spur von Begabung; als Charakterkomiker hingegen kann es dir überhaupt nicht mehr schlecht ergehen in dieser Welt. Glaub mir, mein teurer Freund, ich kenne die Könige. Ich habe schon mit zwei Königen auf einmal zu Mittag gespeist! Dein Königsmonolog ist die Karikatur eines wirklichen Königs und muß als solche gewürdigt werden.

DER ZWEITE THEATERBESITZER.
Laß dich von dem Pferdehändler nicht anpfeffern, du Schuft! Was versteht der vom Komödienspiel!
DER KÖNIG
zum zweiten Theaterbesitzer.
Glaubt Ihr denn nicht, verehrter Meister, daß ich mich besser zum Tragöden als zum Komiker eigne?
DER ZWEITE THEATERBESITZER.

Ach, Unsinn! Von Tragödie hast du keinen Begriff! Ich habe meinen Beruf an den Universitäten von Rom und Bologna studiert. Wie ist es mit zweihundert Soldi, hihihi?

DER ERSTE THEATERBESITZER
dem König auf die Schulter klopfend.
Ich gebe dir dreihundert Soldi, mein teurer junger Freund!
DER ZWEITE THEATERBESITZER.
Ich gebe dir vierhundert Soldi, du dreckiger Schuft, hihihi!
DER ERSTE THEATERBESITZER
gibt ihm seinen Geldbeutel.
Hier hast du meine Börse! Steck sie ein und behalte sie als Andenken an mich!
DER KÖNIG
den Beutel einsteckend.
Würdet Ihr denn auch meinen Buben in Euren Dienst nehmen?
DER ERSTE THEATERBESITZER.
Deinen Buben? Was hat er gelernt?
ALMA.
Ich mache den Hanswurst, verehrter Meister.
DER ERSTE THEATERBESITZER.
Gleich laß ihn mich sehen, deinen Hanswurst!
ALMA
steigt auf den Felsen und spricht in frischem, munterem Ton.

[566] Seltsam sind des Glückes Launen,
Wie kein Hirn sie noch ersann,
Daß ich meist vor lauter Staunen
Lachen nicht noch weinen kann!

Aber freilich steht auf festen
Füßen selbst der Himmel kaum,
Drum schlägt auch der Mensch am besten
Täglich seinen Purzelbaum.

Wem die Beine noch geschmeidig,
Noch die Arme schmiegsam sind,
Den stimmt Unheil auch so freudig,
Daß er's innig liebgewinnt!
DER ERSTE THEATERBESITZER.

Dieses Hühnchen nehme ich als jugendlichen Hanswurst in Dienst. – Wir wandern diese Nacht noch per pedes apostolorum nach Siena, wo meine Gesellschaft Trauerspiele, Lustspiele und Tragikomödien zur Aufführung bringt. Von dort geht es nach Modena, nach Perugia ...

DER KÖNIG.

Eh wir nach Perugia kommen, müßt Ihr meinen Kontrakt lösen, da ich auf Lebenszeit aus der Stadt verwiesen bin.

DER ERSTE THEATERBESITZER.
Unter welchem Namen passierte dir das, mein junger Freund?
DER KÖNIG.
Ich heiße Ludovicus.
DER ERSTE THEATERBESITZER.

Ich nenne dich Epaminondas Alexandrion! Diesen Namen trug ein bewundernswürdiger Charakterkomiker, der vor kurzem mit meiner Frau durchgebrannt ist. Nomen est omen! Kommt, meine Kinder! –


Mit dem König und Alma ab.
CHORUS.
Sonne bald den Berg erklimmt,
Und bis übers Jahr in alle Winde zu verschlagen,
Die vom Schicksal wir bestimmt,
Unerreichte Truggebilde krampfhaft zu erjagen!

3. Akt

Achtes Bild
Marktplatz von Perugia.
Mitten auf dem Markte ist nach obenstehendem Plan eine einfache Bühne aufgeschlagen, von der eine Treppe zu den Zuschauerbänken hinabführt. Nach hinten ist die Bühne durch Vorhänge abgeschlossen. Eine kleine Stiege führt zu einem links neben der Bühne liegenden Winkel hinab, der als Ankleideraum dient. In diesem Verschlag kniet der König mit glattrasiertem Gesicht, einfach, aber sauber gekleidet, in Hemdärmeln vor einer Kiste, auf der ein kleiner Spiegel steht, und schminkt sich eine majestätische Königsmaske. Prinzessin Alma in sehr geschmackvollem, schneeweißem Bajazzokostüm, bestehend aus weißem Trikot, pelzbesetztem enganliegendem Wams und hohem Spitzhut, sitzt, eine weiße Pritsche in der Hand, auf der vordersten Ecke des Podiums.

DER KÖNIG
etwas nervös, spricht sehr rasch.
Hast du vielleicht irgend etwas gehört, mein Kind, wie es heute mit dem Verkauf steht?
ALMA.

Wie könnt Ihr darüber nur im Zweifel sein! Auf die Kunde hin, daß Ihr spielen werdet, waren gestern vor Sonnenuntergang schon alle Sitzplätze für die heutige Vorstellung verkauft. Freilich wußte auch schon ganz Perugia, daß Eure Kunst alles weit übertrifft, was man hier je von dem früheren Epaminondas Alexandrion gesehen hat.

DER KÖNIG.

Im Grunde der Seele war es mir bisher nicht schmerzlich, daß ich mit meinen Erfolgen den Namen eines anderen vergrößerte. Der falsche Name bewahrte mich vor einer allzu nahen beschämenden Berührung mit der Menschheit. In meinen verwegensten Träumen kann ich mir zwar nicht vorstellen, wie sich meine Person heute noch auf einem Herrschersitz ausnehmen würde. Vielleicht tauge ich aber trotzdem noch zu etwas Höherem [568] in der Welt, als Tag für Tag die Erinnerungen an entschwundene Pracht dem kindlichen Pöbel als Abbild wirklicher Herrschergröße aufzutischen.

ALMA.

Wie heiterer Laune wäret Ihr doch überall, wo wir bis jetzt Theater spielten! Mir schien, als fändet Ihr in unseren stürmischen Erfolgen sogar einen geringen Lohn für all das Schwere, das Ihr so lange Jahre erduldetet.

DER KÖNIG
ärgerlich.

Höre nicht weiter auf mich, mein Kind, sonst verlierst du deine Munterkeit und tanzest dem Publikum statt deines Bajazzos ein Grabgespenst vor!

ALMA.
Hier auf dem Markte von Perugia muß Euch freilich anders zumute sein!
EIN EDELKNABE
ein Stammbuch unter dem Arm tragend, kommt quer über den Platz, hinter dem Podium durch, in den Ankleideraum.

Mich sendet meine Herrin, die erlauchte Gemahlin des würdigen Doktors Silvio Andreotti, Prokurators Seiner Majestät des Königs. Meine hohe Herrin läßt den berühmten Künstler Epaminondas Alexandrion ersuchen, seinen Namenszug mit eigenhändiger Schrift in dieses Stammbuch einzutragen. Meine Herrin beauftragt mich, zu sagen, daß nur die Namenszüge der größten Männer in dem Stammbuch enthalten sind. Er reicht dem König das Stammbuch und bietet ihm ein Taschenschreibzeug dar.

DER KÖNIG
nimmt den Gänsekiel und schreibt, die Worte vor sich hin sprechend.

»Nur Einfalt ergründet die Weisheit«
Epaminondas Alexandrion der Zweite.

Das Stammbuch zurückgebend. Melde deiner hohen Herrin, der Gemahlin des Prokurators Seiner Majestät des Königs, den Ausdruck meiner Ehrerbietung.


Der Edelknabe ab.
DER KÖNIG
sich fertig machend.

Hier noch eine Falte, so! – Du, mein Kleinod, scheinst in unserm Beruf vorderhand wirklich dein Glück gefunden zu haben!

ALMA.

Ja, mein Vater! Tausendmal ja! Mein Herz ist voll Lebensfreude, seit ich mich täglich vor dichtbesetzten Bänken mit meinen Kunststücken sehen lassen darf!

DER KÖNIG
hastig, nervös.

Mit Staunen beobachte ich, wie wenig [569] unsere Umgebung über dich vermag, obschon du alle glauben läßt, sie seien dir ebenbürtig. Du bist das Lamm unter den Wölfen, die sich, weil keiner dich dem andern gönnt, geschworen haben, dich gegen jedermann zu verteidigen. Aber Wölfe bleiben Wölfe! Und will das Lamm nicht schließlich doch zerrissen werden, muß es sich früher oder später entschließen, selber zur Wölfin zu werden. – Aber höre nicht auf mich! Ich verstehe nicht, welcher Kobold mich gerade heute zwingt, das Unheil mit aller Gewalt über unsere Häupter heraufzubeschwören!

ALMA.

Haltet mich, geliebter Vater, eines so schreienden Undankes nicht für fähig, daß ich bei aller Freude, die mein Bajazzohandwerk mir bereitet, nicht oft mit Wonne an die fürstliche Pracht zurückdenke, in der ich meine Kinderjahre verleben durfte!

DER KÖNIG
sich erhebend, mit erzwungener Ruhe.
Jedenfalls bin ich auf das Allerschlimmste gefaßt!

Während dieser Worte werden von Theaterknechten im Zuschauerraum zwei goldene Sessel vor der ersten Sitzreihe aufgestellt. Zugleich stürzt der Theaterbesitzer von rückwärts in höchster Aufregung in den Ankleideraum.
DER THEATERBESITZER.

Alexandrion! Bruder! Laß dich in die Arme schließen! Ihn umarmend und küssend. Du Perle der dramatischen Kunst! Soll ich dich sprachlos machen vor Hochgefühl?! – Seine Majestät der König kommen in die Vorstellung! Seine Majestät der König von Umbrien mit Seiner königlichen Hoheit dem Erbprinzen Filipo! Hast du Worte?! Zwei goldene Sessel habe ich vor die erste Sitzreihe stellen lassen! Zu Alma. In dem Augenblick, wo sich die hohen Herrschaften darauf niederlassen, muß der Hanswurst mit tiefster Verbeugung die Bühne betreten! Also haltet euch bereit, Kinder! – Und du, Alexandrion, Apfel meines Auges, fördere heute einmal alles zutage, was die Abgründe deiner Seele an seltenen Kostbarkeiten bergen! Wie ich Gestus. diesen Handschuh umstülpe, so kehre dein Innerstes zu äußerst! Laß unsere königlichen Zuschauer [570] Dinge hören, wie sie seit den Zeiten des Plautus und des Terenz in keinem Theater mehr vernommen wurden.

DER KÖNIG
sein Wams anziehend.

Ich frage mich nur, ob ich vor den hohen Besuchern nicht vielleicht besser etwas anderes als meine Königsposse zur Aufführung bringe; vielleicht den alten Schneiderlehrbub oder Schweinehirts Morgentraum. Der alte Schneiderlehrbub böte unseren Gästen reichlichen Anlaß zum Lachen, und mehr erwarten sie sich nicht, während die Königsposse ihre Gefühle verletzen könnte.

DER THEATERBESITZER.

Haha, du fürchtest wieder wegen Majestätsbeleidigung eingelocht zu werden! Unsinn! Mach deine Königsposse! Gestalte sie kräftiger, als du sie je gespielt hast! Wenn uns die Majestäten beehren, dann wollen sie die Königsposse sehen! Was kann man uns anhaben! Ultra posse nemo tenetur! – Nun, was prophezeite ich dir, als ich dich auf der Elendenkirchweih aus dem Unrat des Landes auffischte?! Heute produzieren wir uns vor gekrönten Häuptern! Per aspera ad astra! – Ab.


Die Zuschauerbänke haben sich indessen mit einem eleganten Publikum gefüllt; hinter dem abgrenzenden Seil drängt sich die Menge Kopf an Kopf. – Der König hängt sich während der folgenden Worte einen schwarzen Königsbart um, setzt sich eine Perücke auf, drückt sich die goldene Krone aufs Haupt und schlägt einen schweren
Purpurmantel um die Schultern.
DER KÖNIG.

Auf diesem Platze sollte mein Haupt unter dem Beil des Henkers fallen, wenn ich jemals wagte, nach Perugia zurückzukehren, ohne der Krone mit heiligem Schwur entsagt zu haben! – Wie vielem habe ich statt dessen entsagt, um den heimatlichen Boden nun schon zum zweitenmal wieder zu betreten! Der Wollust befriedigter Rache! Der Mannespflicht, meinem Stamm sein Erbe zu erhalten! Dann allen Gütern der Erde, die mir das Glück in die Wiege geworfen hatte; und nun auch der nacktesten Menschenwürde, die den Sklaven sogar hindert, sich seinen Mitverdammten zur Belustigung preiszugeben!

ALMA.

Und Euch preisen tausend Stimmen als einen Künstler, [571] wie keiner noch zu seinem Volke sprach! Wie vieler Könige Namen sind vergessen!

DER KÖNIG.

Das gilt mir nichts! Der Lorbeer wird als Ausgeburt irdischer Erbärmlichkeit nur von einem Tagelöhner oder Stellenjäger mit Stolz getragen. Aber weißt du, welcher Stolz mir dieses Dasein ermöglichte? Hier kämpft nur eins von Millionen Wesen, zu unerforschlicher Prüfung berufen. Aber König Nicolo fand als König den Tod! Niemand zweifelt, daß er längst allen Demütigungen durch Menschenmacht entrückt ist! Niemand fordert noch, er solle auf die ihm von Gott verliehene Würde verzichten! Kein Schatten trübt seines Andenkens Majestät! Wenn ich noch unter Gottes Sonne atme, dann dank ich es dieser Täuschung. Und diesen letzten Besitz soll mir vor der Todesstunde, in der ich ihn vielleicht noch dir zum Vorteil veräußern kann, kein Sturm entreißen! – – Mein Zepter! Mein Reichsapfel! Er entnimmt beides der Kleiderkiste. Und nun – die – Kö – Königsposse! Von einem plötzlichen Herzkrampf befallen, ringt er mühsam nach Atem.

ALMA
ihm zu Hilfe eilend.
Jesus Maria, mein Vater! Durch Eure Schminke sehe ich, wie marmorblaß Ihr seid!
DER KÖNIG.
Ein Atemzug! – Es ist vorüber. – Das habe ich noch aus dem Kerker behalten ...

König Pietro und Prinz Filipo betreten den Zuschauerraum und nehmen auf den goldenen Sesseln Platz.
DER THEATERBESITZER
schreit von hinten in den Verschlag.
Auf die Bühne, Hanswurst!
DER KÖNIG
aufspringend.
Geh! Geh! Ich fühle mich vollkommen wohl.
ALMA
nimmt ihre Narrenpritsche zur Hand, springt auf die Bühne, verbeugt sich und spricht in leichtem, scherzendem Ton.
Ich komme, das Erscheinen euch zu melden
Von einem König, der in Wirklichkeit
Nie König war. –
Jetzt stell ich seinen Kammerdiener dar.

Schlauheit und Unterwürfigkeit eines Lakaien markierend.

Ich preis ihn einen Halbgott, einen Helden,
[572] Bewundre seinen Geist, sein schönes Kleid,
Laß Ämter mir von ihm und Orden geben
Und wünsche sehr, er möge lange leben.
Tut er das nicht, und kommt ein andrer dran,
Was Gottes Gnade mir ersparen wolle,
Je nun, auch jenem spiel ich untertan
Und mit verzückten Mienen meine Rolle,
Wie's eines Kammerdieners Wohlfahrt frommt;
Nun aber schweig ich, denn der König kommt.
DER KÖNIG
tritt auf.
Ich habe diese Nacht nicht gut geschlafen.
ALMA
sich mit gekreuzten Armen verbeugend.
Ihr solltet dafür
Euer Volk bestrafen!
DER KÖNIG.
Mein Volk? Und es bestrafen? –
Wo mein Sinn
Stets zagt, ob ich nicht selber strafbar bin?!
Was hab ich mehr als andre denn vollbracht,
Daß ich zur schwersten Menschenpflicht berufen?!
Hinweg mit dir von meines Thrones Stufen!
Der Schlummer floh mein Aug in dieser Nacht,
Weil ich, von des Gesetzes Wucht getrieben,
Ein Todesurteil spät noch unterschrieben!
Hinweg, du Wurm! Und wag es nimmermehr,
Dein Haupt in meines Zorns Bereich zu tragen!
ALMA
sich an das Publikum wendend, leichtfertig.
Du siehst, verehrtes Publikum, wie schwer
Es manchmal ist, sich redlich durchzuschlagen!
Mich zu verteidigen, find ich keine Worte,
Drum trag ich mit Ergebung mein Geschick.
Zerschmettert tret ich ab durch diese Pforte,
Doch als wer anders kehr ich bald zurück.

Sie ist die Stufen zum Zuschauerraum hinabgeschritten und lagert sich, gegen das Publikum gewendet, auf der Treppe.
DER KÖNIG
für sich.
Ein halbes Menschenalter ring ich nun,
Mein Aug zu schärfen, meinen Geist zu klären,
Um meines teuren Volkes Glück zu mehren!
[573]
ALMA
zum Publikum, spöttisch.
Statt dessen könnt er was Gescheitres tun!
Wer dankt es ihm! Die Menschen flüstern leise:
In seinem Hirn sei etwas nicht im Gleise.
Sein hehres Beispiel wird zum Kinderspott!
DER KÖNIG
mit erhobenen Händen.
Erleuchte mich mit deinem Licht, o Gott,
Daß ich von deiner Wahl mich nie entferne,
Daß Gut und Schlecht ich rasch erkennen lerne!
Wenn du mit deinem Abglanz mich beglückst,
Dann kann mich nicht der blinden Menge Lachen,
Auch Unzulänglichkeit nicht straucheln machen!
ALMA
aufspringend, siegesbewußt.
Ich aber kann's! –

Sie betritt die Bühne und nimmt Sprache und Gebärden einer Kurtisane an.

Wie du mich jetzt erblickst,
Bin ich ein Weib, begabt mit allen Schätzen,
Die königliche Sinne je entzückt!
Der Unschuld Myrte blieb noch ungepflückt,
Um dich in blühnder Frische zu ergötzen! –
Hinächzend unter deiner Krone Joch,
Vermählt der hehrsten Keuschheit, hast du noch
Der Wollust Zaubergarten nie betreten.
Sei Herrscher! Wage menschlich zu erröten!
Um nicht mit Tod und Teufel im Verein
Das Wunderwerk der Schöpfung zu entweihn,
Ziemt's auch dem Helden, ziemt es dem Propheten,
Aus tiefster Niedrigkeit zu Gott zu beten,
Beseligend selige Kreatur zu sein! –
Ruft dich der Herr einst heim zu seinen Frommen,
Mag auch kein Königsruhm von dir bestehn,
Dir bangt nicht, aus Ägyptenland zu kommen
Und hast die Pyramiden nicht gesehn?!
DER KÖNIG.
Und schwelg ich nun mit dir in üppiger Ruh,
Wer schützt mein Volk? Wer hört auf seine Klagen?
ALMA
übermütig.
Dies Amt bitt ich dann mir zu übertragen!
Seit frühster Kindheit trieb es mich dazu,
[574] Das störrige, ungebrochne Pferd zu reiten,
Zu rascherm Lauf die Wildheit auszubeuten.
So knirscht dein Volk und kennt kein höheres Streben,
Als Ehr und Gut zur Lust dir hinzugeben!
DER KÖNIG.
Scher dich aus meinem Haus, du freche Dirne,
Sonst laß ich deine schamentblößte Stirne
Brandmarken!
ALMA
zum Publikum, mit verlegenem Lächeln.
Wieder bin ich abgeblitzt!
Es wird ihm wohl mein Wuchs nicht recht behagen!

Die oberste Stufe der Treppe betretend.

Könnt ihr, verehrte Hörer, mir nicht sagen,
Wo dieses seltenen Herrschers Schwäche sitzt?
Es möcht ob seinen grimmigen Gebärden
Die Posse sonst noch zur Tragödie werden!
KÖNIG PIETRO
zu Alma.

Du mußt dich ihm als Minister oder als Kanzler entgegenstellen und ihm vorwerfen, daß gerade seine Weisheit es ist, die das Land ins Elend bringt. Hört er dann auf deine Worte, dann ist er wirklich ein Narr; hört er aber nicht darauf, dann nenne ihn dreist einen Tyrannen!

ALMA
sich verneigend.
Ich tu, wie Ihr befohlen. – Untertänig
Dank ich für klugen Rat, mein gnädiger König!

Sie tritt auf die Bühne zurück; zum König im Ton eines Ohrenbläsers und Hofschranzen.

Mit Schrecken seh ich Eurer Majestät
Hochweise Herrschaft in Gefahr! Die Menge
Quillt in den Schloßhof aus der Straßen Enge!
Mir, Eurem treuen Kanzler, ist es klar:
Nicht anders läßt sich mehr der Aufruhr dämpfen,
Als wenn der Herrscher kurzweg sich entschließt,
Statt daß er auf die drohende Horde schießt,
Mit ihr die Nachbarfürsten zu bekämpfen!
Das Volk will Taten, seines Glückes müde!
Zur Qual ward ihm der lange goldne Friede.
Blut will es trinken, tierisch, wie es ist!
So gönnt den Rausch ihm, unter Todesstöhnen
Verröchelnd Euch zum Sieger noch zu krönen!
[575] Der Himmel setzt Euch diese letzte Frist.
Zum Schwerte greift! Sonst noch in dieser Stunde
Erliegt Ihr selber Eurer Todeswunde!
KÖNIG PIETRO.

Vorzüglich gesprochen! – Zum Erbprinzen gewendet. Erinnerst du dich, mein Sohn, zu welch abenteuerlichen Unternehmungen mich Bernardo Ruccellai verleiten wollte, als ich den Bürgern verwehrte, den Karneval um eine Woche zu verlängern? Der hübsche Junge redet, als hätte er dabei gestanden!

PRINZ FILIPO.
Die Schauspieler sind außergewöhnlich gut. Laßt sie uns weiterhören, mein gnädiger Vater!
KÖNIG PIETRO.
Ich bin aufs höchste gespannt, welche Entgegnung mein wackerer Berufsgenos se da oben erteilt!
DER KÖNIG.
Mein Leben? – Nehmt's!! – Des Volkes Toben schreckt
Mich nicht! Eh sie durch meine Schuld verderben,
Mag lieber ich durch ihren Wahnwitz sterben!
Dann werden sie in künft'ger Zeit, befleckt
Mit meinem Blut, sich selbst ein rächend Grauen,
Anbetend des Verstandes Sonne schauen,
Und tausendfach hat sich mein Tod gelohnt! –
Dir aber, für des Kriegsplans tück'sche Fassung,
Erteile ich als Kanzler die Entlassung.
Sei froh, daß dich des Henkers Beil verschont!
KÖNIG PIETRO.

Königliche Worte, die ich gesprochen haben möchte! Wenn es nur so leicht wäre, immer gleich einen besseren Kanzler zu finden! Zu Alma. Es tut mir leid, mein junger Diplomat, daß dir meine Ratschläge so schlecht bekommen sind!

ALMA
zum Publikum gewendet.
Zum dritten Male hat mein Witz versagt! –
Doch eh ich euch, ihr Lieben, nunmehr zeige,
Wie ich den Helden spielend niederbeuge,
Daß unter meiner Pritsche Wucht er klagt
Und winselnd mir zu Füßen kommt gekrochen,
Bejammernswert, vom Seelenschmerz gebrochen,
Und bittet, daß ich ihn zu mir erhebe,
Den Staub in Tränen badend auf den Knien –
Eh ich dies Kunststück euch zum besten gebe,
Ersuch ich euch, die Börse vorzuziehn
[576] Und dem Hanswurst mit freundlich offnen Händen
Ein kleines Benefizium zu spenden!

Sie nimmt einen Teller zur Hand und steigt die Stufen hinab.

Die Pause währt, verehrtes Publikum,
Nicht lang! – Ein kleines Benefizium!

Sie drängt sich mit Umgehung der hohen Gäste in die Reihen der Zuschauer und sammelt ein. Indessen wandelt der König im Selbstgespräch auf der Bühne
auf und nieder.
DER KÖNIG.
Kampf folgt auf Kampf! Wenn meine Kraft versiegt,
Dann rast der Tod gleich einem Steppenbrande
Unüberwindlich durch die weiten Lande!

Zum Publikum.

Ein Obolus, ihr werten Herrn, genügt!
ALMA
zu einem Zuschauer, der sie um die Hüfte gefaßt und auf sein Knie gezogen hat.
O pfui, mein Herr, Ihr werdet ungebührlich!
Auch bin ich doch kein Mädchen! Bleibt mir fern!
DER ZUSCHAUER.
Noch sah ich keines Knaben Hand so zierlich!
DER KÖNIG
drohend sein Zepter schwingend, zum Publikum.
Ein Obolus genügt schon, meine Herrn!

Für sich.

O war's vorbei! – Entfremdet dem Genuß,
Erharr ich still, was mir des Schicksals Falten
An niegeahntem Schmerz noch vorenthalten!

Zu König Pietro und dem Kronprinzen.

Ihr lieben Herrn, nur einen Obolus!

König Pietro winkt Alma zu sich heran und legt ihr einen Kassenschein auf den Teller.
DER KÖNIG
sich zum Dank gegen das Publikum verneigend.
Was übertrifft des Künstlers Brust an Wonnen!
Das Unglück ist ihm reichster Freudenbronnen;
Aus wilden Klagen schöpft er selige Lust.
Wie aber lahmen selber ihm die Schwingen
Im Ungemach! – Und bei des Goldes Klingen
Ist er sich tiefsten Menschentums bewußt.

[577] Alma betritt wieder die Bühne und leert den Teller in des Königs Hand, der die Summe flüchtig abschätzt, sie in seinen Purpurmantel versenkt und darauf, zu seiner Tochter gewendet, fortfährt.

Schon wieder trittst du trügerische Gestalt
Vor meinen Blick! – Wer bist du? – Laß mich's wissen!
ALMA
von jetzt an die Verkörperung des bösen Gewissens.
Ich bin du selbst!
DER KÖNIG.
Ich selbst? – Der bin doch ich!
ALMA.
Wer recht hat von uns beiden, zeigt sich bald!
Durch eines Raubtiers Zähne liegt zerrissen
Vor dir ein Menschenleib. Die Schuld trifft dich!
DER KÖNIG.
Ich bracht ihn um! – Wie ward dir solche Kunde?
ALMA.
Siehst du die Scheiterhaufen in der Runde?!
DER KÖNIG.
Auch das ist dir bekannt??
ALMA.
Beseeltes Fleisch
In Teer und Werg gehüllt!
DER KÖNIG
in steigendem Entsetzen.
Sein Wehgekreisch
War mir Musik! – Ich Wütrich büßt es schwer!
ALMA.
Und wühlst noch heut auf blutigem Altare,
Für Krieg dich oder Frieden zu entscheiden,
Der Unschuld in lebend'gen Eingeweiden!
DER KÖNIG.
Wo nimmst du solche Schauerkunde her?
In Reue schwelgend rauft ich mir die Haare!
Des Herrschers Macht verführte mich!
ALMA.
Zum Scherz
Hältst nun umklammert du ein pochend Herz,
Des Augs Erlöschen gierig in dich ziehend!
DER KÖNIG.
Noch tat ich's nicht!
ALMA.
Du tust's!
DER KÖNIG.
Jedoch erspare
Mir Schlimmres!
[578]
ALMA.
Kinderleiber, hold und blühend,
Der zarten Glieder Zucken zu betrachten,
Wirst deiner Wollust du zum Opfer schlachten!
DER KÖNIG.
Nein! Nimmermehr!
ALMA.
Du fühlst schon, du gibst nach;
Denn ich bin stark in dir und du bist schwach!
Greif zu!
DER KÖNIG
sinkt in die Knie.
Erbarmen!
ALMA.
Hast denn jemals du
Im Streit mit mir den Sieg davongetragen?!
DER KÖNIG
sich Alma zu Füßen windend.
Sieh meine Stirn die stein'ge Erde schlagen
Vor Höllenqual!
ALMA.
Dann greif doch herzhaft zu!!
Die Qual Unschuldiger stillt dein eigenes Leiden!
DER KÖNIG
laut wehklagend.
Wohl bist du Tier der Stärkre von uns beiden;
Doch gönn mir eine kurze Frist, bevor
Ich neue Greul auf längst vergeßne türme!
Im Staub wind ich mich hier gleich dem Gewürme.
Mein beßres Selbst, das ich an dich verlor,
Beschwört dich, meine Ohnmacht nicht zu nützen!
Wohl langt, nach neuen Opfern ausgereckt,
Mein Arm – die Zunge, die schon Blut geleckt,
Fleht brünstig, sie vor meinem Grimm zu schützen!
KÖNIG PIETRO
erhebt sich erregt von seinem Platz.

Ihr treibt eure Erniedrigung etwas weit dort oben! Was denkt die törichte Menge, wenn sie des Herrschers Majestät so tief in den Staub gebeugt sieht!

ALMA
setzt dem König den Fuß auf den Nacken und erhebt triumphierend ihre Pritsche.
Der Torheit schauert Angst durch Mark und Bein,
Vor des Geschickes grellem Widerschein!

Zum König.

So will ich dich erlösen! – Doch erst schwöre,
Daß stets dein Herz dem Guten nur gehöre!
DER KÖNIG.
Ich schwör's!

[579] In Tränen aufblickend.

Das forderst du – Ich faß es kaum!
Wer bist du denn?
ALMA.
Dein Dämon! Bin dein Traum!
Erwach aus meinem Bann, zu höhrem Streben
Geläutert, dich vom Lager zu erheben!
DER KÖNIG
erhebt sich scheu und angsterfüllt vom Boden.
Und werd ich älter denn Methusalah,
Den grauenvollen Wahn vergeß ich nie!
Denn unterm Schleier der verschämten Nacht,
Da flammt die Fackel auf! Da lodert wild
Verzehrend Feuer durch die heißen Glieder!
Da feiern alle Laster Sieg! Da jubelt
Die geile Hölle! Das Verbrechen schwelgt
Im Überfluß! Und was der greise Wüstling,
Von Brunst gemartert, nicht ersann, das taumelt
Als längst befreundet vor die trunknen Sinne! –
O sei gepriesen, goldnes Tageslicht!
ALMA
zum Publikum, im Ton des Bajazzos.
Damit ist nun zu Ende mein Gedicht.
Verzeiht, wenn sein Gezeter euch betrübte!
Ich wollt euch nur das allgemein beliebte
Uralte Akrobatenkunststück zeigen,

Gestus.

Sich selber auf den Kopf zu steigen!
KÖNIG PIETRO
zum König.
Und das nennst du eine Posse, lieber Freund?! Du siehst, daß mir die Tränen in die Augen drangen!
DER KÖNIG
nachdem er die Krone abgenommen.
Wollen Eure Majestät glauben, daß das Stück überall als eine harmlose Posse aufgefaßt wurde.
KÖNIG PIETRO.

Das will ich dir nicht glauben! Sollten meine Untertanen so rohen Gemütes sein? Oder wie erklärst du mir das?

DER KÖNIG.
Darüber kann ich Eurer Majestät nicht Rede stehen. So ist das Leben.
KÖNIG PIETRO.

Wohlan denn, wenn das Leben so ist, dann soll mein Volk dich nicht eher wieder hören, als bis es dich auch versteht, denn sonst untergräbt dein Spiel nur die [580] Würde meines Amtes. Leg den Mantel ab und tritt vor mich!


Der König legt den Mantel, den Bart und die Perücke ab und steigt die Stufen hinab.
KÖNIG PIETRO.

Ich kann einem Menschen, der sein Dasein durch Einsammeln von Groschen fristete, kein Staatsamt übertragen. Aber nimmer soll meine Königswürde mich hindern, mir den Mann, dessen Geistesgaben ich unter Tränen bewunderte, zum allernächsten Begleiter zu wählen! Dicht neben dem Thron steht ein Posten leer, den ich bis heute unbesetzt ließ, weil ich der Torheit keinen Platz einräumen will, wo auch die größte Menge von Klugheit zu gering ist. Du aber sollst diesen Posten einnehmen. Rechtlos und machtlos sollst du sein gegenüber dem letzten Bürger meines Staates! Aber deine hohe Denkungsart soll zwischen mir und dem Volke stehen, zwischen mir und den Räten der Krone, sie soll sich ungestraft zwischen mich und mein Kind drängen dürfen. So wie dein Geist dort auf der Bühne aufrecht zwischen dem Herrscher und seinen düstren Begierden stand, so soll er in meinem Innern gebieten! Ich ernenne dich zu meinem Hofnarren. – Folge mir! Er wendet sich zum Gehen.

DER THEATERBESITZER
kommt aus dem Ankleideraum quer über die Bühne gestürzt, stolpert die Stufen hinab und wirft sich vor König Pietro in die Knie.

Moriturus te salutat! Eurer großmächtigsten Majestät allerunwürdigster Theaterbesitzer hat diesen erhabenen Charakterkomiker eigenhändig vom lichten Galgen geschnitten und wird durch Eurer großmächtigsten Majestät allergnädigste Wahl für dieses Leben vernichtet!

KÖNIG PIETRO.
Wir erteilen dir auf zwanzig Jahre das Privilegium, unbesteuert Vorstellungen geben zu dürfen.
DER KÖNIG.

Möge Eure Majestät erwägen, daß ich dieses unmündigen Kindes Vater bin und daß dem Vater Eure Gnade höher steht als dem Schauspieler, da er hoffen darf, sein Kind brauche nunmehr sein wahres Wesen nicht länger zu verleugnen.

KÖNIG PIETRO.

So ward mein Blick getäuscht! Zu Alma. Deine [581] verwegenen Aussprüche möchte ich aus eines Weibes Munde nicht noch einmal hören.Zum König. Laß dein Kind dir folgen!


Er verläßt mit dem Prinzen das Theater.
Neuntes Bild
Thronsaal.
Der König in höfischer Kleidung kauert dem Thron gegenüber auf den Stufen. Sein Amt als Hofnarr ist diskret durch eine entsprechende Kopfbedeckung angedeutet; in der schlaffen Hand hält er einen kurzen Narrenstab. Er sieht auffallend gealtert aus; sein blutleeres Gesicht ist tief gefurcht, und seine Augen erscheinen doppelt größer als früher.

DER KÖNIG.

Sonderbar ist doch dieses Leben! Während langer Jahre unter Entbehrungen jeder Art fühlte ich die Kräfte meines Körpers täglich wachsen. Jede Morgensonne fand mich munterer an Geist, fand meine Muskeln widerstandsfähiger. Kein Mißgeschick ließ mehr Zweifel an der Unverwüstlichkeit meiner Natur in mir aufkommen. Und seit ich hier in Sorglosigkeit und Wohlsein lebe, schrumpfe ich ein wie ein Apfel im Frühling. Schrittweise fühle ich das Leben sich von mir entfernen; und die Ärzte gestehen einander unter Achselzucken und mit langen Gesichtern, daß sie den Verfall nicht begreifen. – – Sollte ich einst in diesen Hallen geherrscht haben? Täglich seit meinem Hiersein wiederhole ich mir die Frage, und täglich erscheint sie mir widersinniger. Mir wird so schwer, daran zu glauben, als wollte mir jemand einreden, ich hätte schon einmal auf einem anderen Himmelskörper gelebt, König Pietro ist der würdigste Fürst, der je einen Thron innehatte, und ich bin in all seinen Staaten der letzte, der mit ihm tauschen möchte. Das ist allabendlich mein letztes Wort, ein Wort, das mich nicht von trockener Gefängnisluft träumen läßt, sondern von triefenden, sturmgebeugten, [582] klagend rauschenden Baumwipfeln, von endlosen düstren Heiden, von unberührtem Morgentau auf buschigem Gras und von dem wackligen Karren, der ein tollkühnes Landstreichervolk von Flecken zu Flecken schleppt und auf dessen schwanken Leitern aller Herzen mir entgegenschlugen, unschlüssig zwischen Bedauern und Ehrfurcht. – Ein eigentümlicher Krampf macht sich seit einigen Tagen in meinem linken Arm bemerkbar. Das ist nicht Gicht, das ist nicht Altersschwäche. Aber eh die hemmende Membran zerspringt, habe ich ein Werk noch zu vollenden. Laß mich's vollenden, o Schicksal, daß wir, einander dankbar, in Freundschaft scheiden! Mit all der Vorsicht, die mein Leben als einzigen Ertrag mir abgeworfen, habe ich es eingefädelt. Oder sollte ich wieder der Genarrte sein? Bedurften die stürmischen jungen Herzen meiner Hilfe gar nicht? Messe ich mir nur in eitler Selbstüberhebung das Verdienst bei, ihre Vereinigung zu fördern? Wer öffnet mir die Augen über mich?! Blind, wie ich kam, soll ich gehen?! – Ich gehe und – horche! Dann brauche ich mich doch später nicht erst auf die Antworten zu besinnen. – Ab.


König Pietro und Erbprinz Filipo treten auf.
KÖNIG PIETRO.

Ich ließ bei den Medici in Florenz anfragen, ob man geneigt ist, dir eine Tochter zur Frau zu geben. Eben erhalte ich die Nachricht, daß die Medici im Vertrauen auf die Festigkeit unserer Herrschaft eine solche Verbindung sehr willkommen heißen.

FILIPO.

Bevor Ihr das tatet, mein gnädiger Vater, habe ich Euch schon des allerbestimmtesten erklärt, daß ich niemand anders heiraten werde, als Donna Alma, die Tochter Alexandrions!

KÖNIG PIETRO
aufbrausend.
Die Tochter meines Hofnarren! Du gehörst in die Werkstatt zurück, aus der du gekommen bist.
FILIPO.
Dann laßt mich in die Werkstatt zurückkehren, mein gnädiger Vater!
KÖNIG PIETRO.

Mag dieses Mädchens Tugend auch über alle Zweifel erhaben sein, die allgemeine Wohlfahrt fordert, daß du eine Fürstentochter zum Weib nimmst. Wolltest du [583] um die Tochter eines Bürgers von Perugia freien, ich könnte darin, ohne unserer eigenen Herkunft ins Gesicht zu schlagen, gleichfalls keine deiner unwürdige Verbindung erblicken. Trotzdem wäre deine Wahl ein Verbrechen am Staatswohl, da sie Parteinahme und Gewalttätigkeiten unter den Bürgergeschlechtern zur Folge hätte. Wählst du deinem Volk aber eine Königin allerdunkelster Herkunft, dann zeigst du ihm im voraus, daß du die Pflichten des Fürsten mißachtest. Wer will berechnen, welche Erben dir aus einer solchen Verbindung erwachsen! Statt mit Vertrauen wird man deinem Regierungsantritt mit verbissener Scheu, mit Geringschätzung und Überhebung, mit Angst und Widerspenstigkeit entgegensehen. Brachte ich König Nicolo zu Fall und trieb ihn zum frühen Tode, auf daß schon mein Sohn wieder in der heillosen Verblendung beginnt, die ihn Thron und Leben kostete?! Deshalb gerade stellte ich mir Alexandrion zur Seite, weil er über diese ernstesten Fragen nachgedacht hat! Hinausrufend. Man rufe den Narren! – – Jetzt soll er mir zeigen, ob seine Weisheit auch gegenüber den Banden des Blutes standhält! Jetzt soll er mir zeigen, ob er selber nach seinen Aussprüchen handelt, wie ich es tue, oder ob er auch nur ein kurzatmiger Prahler ist!

DER KÖNIG
eintretend.
Was befiehlt mein teurer Gebieter?
KÖNIG PIETRO.

Deine Ratschläge in Stunden furchtbarster Gefahr haben mich dir zu Dank verpflichtet. Hätte ich mich in schweren Entscheidungen nicht willenlos von deiner abwartend besonnenen, heimtückischen Verschlagenheit leiten lassen, wir ständen heute vielleicht unter fremder Botmäßigkeit. Jetzt fordere ich aber ein Opfer, das du dem Staate und unserer Regierung als Vater deines Kindes schuldest. Ich räumte deinem Verstande rückhaltlos die Macht ein, zwischen mir und meinem Blute obzuwalten, ohne zu ahnen, wie bald ich ihn auffordern müßte, sich zwischen dich selbst und dein eigenes Kind zu stellen. Dieser Prinz fordert deine Tochter von mir zum Weibe!

DER KÖNIG.

Mein Kind steht so himmelhoch über mir; seine Sohlen berührten die Erde nie, ohne daß mir des Glückes [584] üppigste Saat aus den schmalen Fußstapfen emporblühte!

KÖNIG PIETRO.

Das will ich dir glauben, aber du wirst deiner Tochter befehlen, daß sie jede Bewerbung des Prinzen zurückweist!

FILIPO.
Das wird sich Donna Alma nimmermehr befehlen lassen!
KÖNIG PIETRO.
Schweig!
DER KÖNIG.
Ich habe in diesem Lande nichts zu befehlen.
KÖNIG PIETRO.
Wohl wahr! Aber du hast zu gehorchen!
DER KÖNIG.
Wohl wahr! Aber mein Kind hat mir nicht zu gehorchen!
KÖNIG PIETRO.

Genug des Witzes! Ich bedaure, deine Klugheit überschätzt zu haben. Du begreifst, daß bei deiner Weigerung eures Bleibens an meinem Hofe nicht länger ist. Es schmerzt mich, deine ruhige Überlegung an dieser Klippe scheitern zu sehen. Du bist ein schlechter Vater, AlexandrionDer König zuckt zusammen. daß du dich nicht scheust, dein Kind meiner Gunst zu berauben! Um mich gegen den Vorwurf des Undankes zu sichern, werde ich dir auch fürder dein Gehalt auszahlen lassen ...

DER KÖNIG.
Ich danke dir, Bruder; ich bedarf deiner Gnade nicht länger.
KÖNIG PIETRO.
Bist du von Sinnen!
DER KÖNIG.

Ich sehe klarer als du! Du kannst des wunderbaren gewaltigen Schicksals Erfüllung so wenig hindern wie ich.

König Pietro: Laß das Geschwätz! Ich frage dich zum letztenmal: Gehorchst du meinen Befehlen?! Sonst fürchte meinen Zorn!

DER KÖNIG.
Es übersteigt deine sowohl wie meine Macht!
KÖNIG PIETRO.

Wohlan denn! Mag mein Sohn, wenn ihn das Verlangen ankommt, euch nachlaufen! So verbanne ich denn dich und dein Kind von diesem Tag an auf Lebenszeit aus dem Lande Umbrien unter Verhängung der Todes strafe für den Fall jemaliger Rück kehr!


Der König bricht in anhaltendes munteres Gelächter aus.
[585]
FILIPO.
Heilige Jungfrau, was ist mit ihm!
KÖNIG PIETRO
betreten.
Das ist das Lachen eines Wahnwitzigen!
DER KÖNIG
lachend.
Ihr Lieben erlaubt schon, daß ich lache, da ich doch nun einmal dafür bezahlt bin, närrisch zu sein!
KÖNIG PIETRO.
Gib uns eine Erörterung, Alexandrion, was in deinem Innern vorgeht!
DER KÖNIG
sich hoch aufrichtend.

Weißt du, daß du mich hier in diesem Saale schon einmal unter Verhängung der Todesstrafe aus Umbrien verbanntest?!

KÖNIG PIETRO.
Ich kann mich unmöglich aller Urteile erinnern, die ich bestätigte!
DER KÖNIG.
Dein erstes Urteil sprachst du über König Nicolo, und der bin ich!
KÖNIG PIETRO
erschüttert.

Das ließ sich längst voraussehen, daß es solch ein Ende mit ihm neh men werde! Zum König. Willst du uns aus deinem früheren Beruf eine tragische Szene aufführen?

DER KÖNIG.
Ich, der ich hier stehe, bin König Nicolo!
KÖNIG PIETRO
in scheinbarem Zorn.

Ich habe mit Betrügern nichts zu schaffen! Hoffst du wirklich mit solchen Bubenstreichen etwas auszurichten?!

DER KÖNIG.
Ich bin König Nicolo! Ich bin König Nicolo!
KÖNIG PIETRO
zu Filipo.
Es ist um ihn geschehen! Sei Gott seiner Seele gnädig!
FILIPO.
Sein armes Kind! Barmherziger Himmel, wenn es davon Kunde erhält!
DER KÖNIG
in höchster Verwunderung.

Warum steht ihr denn nicht gebannt vor Staunen?? – Ihr glaubt mir wohl nicht?! – Ihr fordert wohl gar, daß ich euch noch beweise, was ich seit meinem Sturz nur durch übermenschliche Seelenkraft geheimhielt?!

FILIPO.
Wir glauben dir, Alexandrion! Laß dich von mir auf dein Zimmer führen. Wir glauben dir!
KÖNIG PIETRO.
Wollte sich dein armes Herz nur erst beruhigen!
DER KÖNIG
angstvoll.

Nein, nein! Ich beruhige mich nicht! Ihr traut meinen Worten nicht! Ihr zweifelt an meinem Verstand! – Allgewaltiger Gott, wo nehme ich Beweise her, die mir die Wahrheit bestätigen?! – Laßt meine Tochter rufen! – Es ist hohe Zeit; lange schaue ich das Licht nicht mehr! – Laßt meine Tochter rufen! – Ich bin [586] zu schwach, um sie selbst zu holen. – Laßt mein Kind rufen! Mein Kind!

FILIPO.

Ich beschwöre Euch, mein Vater, willfahrt seiner Bitte nicht! Das Mädchen vergeht vor Schmerz, wenn es ihn unvorbereitet in seiner Umnachtung sieht!

DER KÖNIG.

Mein Kind laßt rufen! Ich habe ihm nichts zu hinterlassen als seine fürstliche Herkunft; und nun soll es durch meine unermeßliche Torheit auch um dies letzte Gut betrogen sein! Wer schenkt dem Mädchen Glauben, wenn meine Augen gebrochen sind! Freilich, an einen König erinnert nichts mehr an mir! Und meine Bilder, meine Statuen sind zerstört! Und fände sich auch noch ein Bild, wer läßt Ähnlichkeit für einen Beweis meiner ungeheuerlichen Behauptung gelten! Ähnlichkeit, von der die Zeit keine Spur mehr übrigließ! Erleuchte mich, o Herr im Himmel, in dieser zehnfachen Todesangst!

KÖNIG PIETRO.
Hast du denn ganz vergessen, mein teurer Alexandrion, daß König Nicolo tot ist?!
DER KÖNIG.

Tot? Wie gütig du redest, weil du mich für wahnsinnig hältst! – Tot? – Wo liegt er begraben?! Ich kämpfte mit den empörten Fluten und rettete mich vor der Stadtmauer ans Land. Aber wer glaubt mir das! Ruft mein Kind her! Es wird mir Rat erteilen, wie es mir hundert- und tausendmal durch seine Klugheit geholfen hat!

FILIPO.
Ich eile, Euren Leibarzt zu holen, mein gnädiger Vater!
DER KÖNIG.
Mein Kind ruft her! Mein Kind!
PRINZESSIN ALMA
hereinstürzend.
Mein Vater! Allmächtiger Gott, ich höre Eure jammervolle Stimme das Haus erfüllen!
DER KÖNIG.
Bin ich König Nicolo oder nicht?!
ALMA.
Ihr seid König Nicolo, mein Vater! Ängstigt Euch nicht! Was kann man uns heute noch antun!
DER KÖNIG.

So bist auch du vom Wahnsinn befallen oder eine elende Betrügerin! Sie glauben uns nicht! Womit können wir es ihnen beweisen, damit ich mein Haupt auf den Block legen darf und dir damit ein Zeugnis deiner Geburt hinterlassen?! Schickt ins Gefängnis! Dort hat man die Narben an meinem Körper zu Protokoll genommen. Ich hatte des Königs Namen entweiht. Fluch [587] dem König! hatte ich gerufen. Dieser König war ich! – Aber wo lebt ein Mensch von gesunder Vernunft, der an solche Schicksale glaubt! Daß ich das während all der Jahre nicht bedachte! Wer führt denn Dokumente darüber mit sich, daß sein Haupt zweimal dem Henker verfallen ist! Und nun soll ich der Allmacht Spuren tiefer ergründet haben als je ein Mensch, um schließlich für wahnwitzig zu gelten? – Aber so ist das Leben! So ist das Leben!

KÖNIG PIETRO.

Der Anblick deines Schmerzes ist herzerschütternd, Alexandrion! Aber deine Behauptung ist lächerlich!

ALMA.
Er ist König Nicolo!!
FILIPO.
Bedenkt Eure Reden, Donna Alma!
ALMA.
Er ist König Nicolo!!
DER KÖNIG.

Forsche in deinem Hirn, mein kluges teures Kind, ob du nicht irgendein Mittel weißt, das ihnen die Wahrheit leuchtend wie Sonnenlicht vor Augen bringt!

ALMA.
Ich schaffe Euch Beweise die Menge, mein Vater, sobald das Urteil von Eurem Haupt genommen ist.
FILIPO.
War der Name von König Nicolos Tochter nicht Alma?
KÖNIG PIETRO.
Tausend Kinder werden auf fürstliche Namen getauft!
DER KÖNIG.

Hörst du's, mein Kind? Einen untrüglichen Beweis! Sonst beschließe ich meinen unseligen Kampf mit der Welt noch im Narrenturm und belade dich auf Lebenszeit mit dem gräßlichsten aller Flüche, mit dem Fluch der Lächerlichkeit!

ALMA.
Man führe uns zu den Ursulinerinnen!
FILIPO.
Wäre es möglich! Der König in seines Überwinders Dienst! – Redet, mein Vater! Sprecht ihn frei!
KÖNIG PIETRO.
Wer Ihr auch sein mögt, ich enthebe Euch jeder Strafe, die Euch bedroht.
DER KÖNIG.

Und nun die Beweise, mein Kind! Rasch die Beweise! Denn seien sie auch klar wie der Tag, wenn ich tot bin, helfen sie deiner Abkunft so wenig zur Anerkennung, wie es jetzt meine leeren Worte können!

ALMA.

Die Frau Oberin bei den Ursulinerinnen wird Zeugnis ablegen ... Entsetzt. Mein Vater! Jesus Maria, Eure Blicke! Wen sucht Ihr so hilflos! Um Gottes Barmherzigkeit, redet!

[588]
FILIPO
ist dem König zu Hilfe geeilt.
Geht, Donna Alma! Die Kraft droht seine Glieder zu verlassen.
DER KÖNIG
mit dem Tode ringend, während er von Alma und Filipo auf den Stufen des Thrones gebettet wird.

Beweise such ich! – Beweise: – Wer kann durch seinen Leichnam beweisen, daß er König war! – Es ist die letzte Frist! – Ich bin nicht wahnsinnig! – Eile dich, mein Kind! – Beweise! – – Zu spät! Zu spät! – – So ist das Leben!

ALMA
jammernd über ihn gebeugt.

Vater! Mein Vater! Hört Ihr mich nicht? Seht mir ins Auge, mein Vater! Wonach langt Eure Hand? Hier kniet Euer Kind neben Euch!

DER KÖNIG.
– Ich danke ab – aber nicht als König – sondern nur – als Mensch ... Er stirbt.
ALMA.

O weh, o weh! seine Augen! – Vater! Bewegt Eure Hand! O weh mir, gibt es keine Hilfe? O Jammer über mich, er hört meine Stimme nicht mehr! Seine Wangen fühllos! Wie erwärme ich sein Herz? Eure gewaltige Seele, mein Vater, wo ist sie, daß sie Euch rette! Laßt mich nicht allein! – O weh mir, weh mir, er hat mich verlassen!

KÖNIG PIETRO
für sich.
Ich stehe wie ein Geächteter hier!
FILIPO.
Bezähmt Euren Schmerz, Donna Alma!
KÖNIG PIETRO.

Ich will ihr nach meinen besten Kräften den Verlust zu ersetzen suchen, wenn sie gewillt ist, durch dich mein Kind zu werden.

FILIPO.
Das danke Euch Gott, mein Vater!
KÖNIG PIETRO.

Wir bestatten ihn, sei er wer er sei, in der Fürstengruft. Aber kein Mensch erfahre ein Wort von dem, was sich in dieser Stunde hier zwischen uns zugetragen hat. Die Geschichte soll von mir nicht melden, daß ich einen König zu meinem Hofnarren gemacht habe!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wedekind, Frank. Dramen. König Nicolo oder So ist das Leben. König Nicolo oder So ist das Leben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9599-A