[109] [125]Georg Weerth
Blödsinn deutscher Zeitungen

Die Reform. Organ der demokratischen Partei in Berlin

Die Reform.
Organ der demokratischen Partei in Berlin
(A. Ruge, Redakteur)

Seit gestern abend studiere ich an einem Artikel der »Reform«, des »Organs der demokratischen Partei« in Berlin. Dieser Artikel ist überschrieben: »Die Königliche Botschaft und ihre Folgen.«

Hätte ich seit gestern Steine geklopft, hätte ich den Dreschflegel geführt, hätte ich mich mit einem englischen Porterbrauer geboxt, ich glaube, ich wäre nicht so todmüde als nach dem Studium dieses Artikels.

Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Türke? Nein, er hätte es nicht gewagt, er hätte hundert Stockprügel bekommen. Ein Chinese? Nein, man hätte ihn an den nächsten Porzellanturm gehängt. Ein Russe? Nein, man hätte ihn nach Sibirien geschickt. Ein deutscher Gelehrter? Das wäre möglich!

Ein deutscher Gelehrter wagt alles. Er fürchtet weder den Stock noch den Strick, noch eine Reise nach Sibirien. Er scheut nicht einmal die Blamage vor seiner eigenen Partei. Bei einem deutschen Gelehrten ist alles möglich. Sei mir willkommen, o deutscher Gelehrter!

»Es ist von Interesse, die Ereignisse darauf anzusehn, welche Folgen sie in sich tragen.« Mit dieser aus Holz geschnitzten Phrase beginnt der Artikel der »Reform«. Gewöhnliche Menschen würden sagen: Es ist von Interesse, [125] den Geisterseher zu spielen, den Wahrsager oder den Kartenschläger. »Es gehört dazu nichts weiter, als daß man die Ereignisse selbst durchschaut.« Allerdings! Leider sind die Ereignisse aber nicht so leicht zu durchschauen als die deutschen Gelehrten. Die »Reform« gibt dies auch zu, indem sie fortfährt: »In unserm Falle freilich ist dies nicht leicht, wenigstens heute noch nicht.« Gibt es etwas Naiveres als dies »heute noch nicht«? Die »Reform« stellt sich hierdurch auf den Standpunkt einer Hebamme, die das Ereignis der Schwangerschaft zwar in gewisser Weise durchschaut, die aber heute noch nicht sagen kann, ob morgen ein Knabe oder ein Mädchen zum Vorschein kommen wird. Der Kartenschläger ist eine Hebamme geworden. »Heute noch nicht!« sagt die »Reform«, denn: »Es ist zweifelhaft, ob Brandenburgs Ernennung provisorisch oder definitiv, Ernst oder Scherz ist.« Da haben wir's. Das Durchschauen des Ereignisses Brandenburg verursacht unserer Freundin so ungemeines Kopfzerbrechen. Aber nur weiter, Teuerste! Es wird schon gelingen. »Wollen wir also mit völliger Sicherheit das Verhängnis wissen, welches in der Königlichen Botschaft liegt, so müssen wir dieses Entweder-Oder sich erst entscheiden lassen.« Hier macht die »Reform« eine Pause.

Nach allen Fratzen und Schnörkeln ist unsere Freundin, die Hebamme, mit dem überraschenden Resultate niedergekommen, daß man erst den Spaß oder den Ernst der Schwangerschaft abwarten muß, ehe man darüber urteilen kann, ob das Ereignis wirklich mit einem Kinde oder nur mit einer Windblase zu Stuhle kommen wird. Treffliche Kartenschläger! Weise Hebamme! Erst sieht die »Reform« das Ereignis an, um uns weiszumachen, [126] daß sie es durchschauen würde. Dann bemerkt sie aber plötzlich, daß dies doch nicht so leicht ist, und schließlich verzichtet sie ganz darauf und zieht es vor, hübsch abzuwarten. Ich weiß etwas, sagt Peter Simpel. Ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts.

Der mehr oder minder gelehrte Peter Simpel der »Reform« geht jetzt näher auf den Ernst und den Scherz des Ereignisses ein. Wir müssen gestehen, daß der Scherz uns dabei ausgeht; wir werden sehr ernst. Simpels Stilübungen wirken auf uns wie ein Topf Fliedertee. Wir trocknen den Schweiß von der Stirn. Im Schweiße unseres Angesichts studieren wir Simpels Folgerungen und Schlüsse. Es ist uns, als ob wir in finsterer Nacht durch ein frisch geackertes Feld stolperten, jeden Augenblick meinen wir zu fallen und den Hals zu brechen. Der Artikel der »Reform« ist ein wahrer Dornenpfad für jeden tugendhaften Leser.

»Ist die Ernennung eines parlamentarisch völlig unbekannten Soldaten definitiv und wirklicher Ernst, nun, so ist die Nationalversammlung auf die vollkommenste Machtlosigkeit zurückgeführt.«

Kann sich ein Tertianer besser ausdrücken? »Definitiv und wirklicher Ernst«, »nun, so ist«, »vollkommenste Machtlosigkeit«. Simpel hat drei Redeperlen gefischt, die ihresgleichen suchen.

Wir geben uns Mühe, den hohen Sinn der hohen Worte zu verstehen. Der »kühne Griff« des Königs ist die Ohnmacht der Nationalversammlung, scheint die »Reform« zu sagen; wir bekommen Mut, weiterzulesen: »Ihre, nämlich die einstimmige Verwahrung der Nationalversammlung gegen ein ernstlich gemeintes Ministerium Brandenburg hätte dieses nicht verhindert zu regieren, [127] und der Absolutismus wäre am 3. November 1848 auf die friedlichste Weise von der Welt wieder zurückgekehrt.« Kaum dem ersten Dilemma entronnen, geraten wir in neue Verlegenheit. Meint die »Reform«, daß die Nationalversammlung nur dann etwas vermöchte, wenn ihr der König scherzend gegenüberträte? Die Nationalversammlung mag sich bei Herrn Simpel für diese Artigkeit bedanken.

Aber die »Reform« sieht bereits ein, daß sie einen Bock geschossen hat. Der Grobheit folgt die Entschuldigung auf dem Fuße nach.

»Es wird wohl niemand so blind sein«, ruft sie mit Pathos aus, »um diese Idylle der Knechtschaft, dieses Verzichten des Volkes auf sein ganzes Recht ohne Gewalt für möglich zu halten.«

Das Mögliche wäre also doch wieder unmöglich? Der definitive und wirkliche Ernst wäre also doch wieder nur definitiver und wirklicher Spaß? Wir staunen über die Redekunststücke der »Reform«. Peter Simpel, der noch eben der festen Meinung war, seine eigne Nase abbeißen zu können, er sieht schließlich doch wieder ein, daß es schief darum steht, er gibt den Gedanken auf, er versöhnt sich wieder mit seiner Nase, und wir versöhnen uns wieder mit Peter Simpel; Peter ist ein charmanter Mann. Doch lesen wir weiter.

»Ein ernstliches und definitives Ministerium Brandenburg wäre nichts Geringeres als der Bruch der Krone mit der Nationalversammlung.« Nichts ist verständlicher, nichts ist deutlicher. Aber die »Reform« erschrickt darüber, daß sie so deutlich gewesen ist, und ehe wir's uns versehen, fährt sie fort: »Ist also (mon dieu!) der Bruch vorhanden? (Heiliger Simpel!) Ist der Krieg erklärt?

[128] (Heiliger Peter Simpel!) Nein! er ist dennoch (trotz des also) nicht erklärt. »Wir halten inne, die Geduld reißt uns, nein, das ist zu stark, das geht über die Bäume! Zuerst sagte Simpel: Ich weiß etwas, ich weiß beinah etwas, nein, ich weiß doch nichts! Dann fuhr er fort: Der definitive und wirkliche Ernst ist möglich, er ist beinah möglich, nein, er ist doch nicht möglich! Und jetzt vollendet er und meint: Der Bruch ist da, er ist beinah da, nein, er ist doch nicht da!

Aber die »Reform« ist noch lange nicht fertig. Die »Reform« ist unerschöpflich. »Nein, der Krieg ist dennoch nicht erklärt«, sagt die »Reform«, »oder alle Zeichen müßten trügen. Schon darum glauben wir es nicht, weil es niemand glaubt!« Alle »Weisheit des Kartenschlägers, der Hebamme und Peter Simpels schwinden vor der Jedermanns-Meinung. Der große Mann, der die Ereignisse durchschaut, er ist von der letzten Stufe seines Thrones hinabgepurzelt und in den Kot der allgemeinen Meinung gefallen, wo er mit den Gläubigen glaubt und mit den Zweifelnden zweifelt, mit einem Worte, Peter ist endlich an seinem Platze – leider an einem sehr untergeordneten.

Die »Reform« schließt jetzt die 34 Zeilen lange Passage, in der wir nicht mehr als 17 Stilfehler, Simpeleien und Widersprüche entdeckten, mit der glorreichen Phrase; »So (!) wäre also (!!) das Ministerium Brandenburg nur eine Ephemere; es wäre nicht ernstlich damit gemeint. In diesem Falle muß ein Ministerium aus der Versammlung hervorgehen, und wir hören, daß an ein Ministerium Kirchmann-Rodbertus gedacht wird.«

Nach der »Reform« verhält sich also der König der Nationalversammlung gegenüber rein scherzhaft. Der[129] König hat vollkommenes Recht hiezu. Größeres Recht haben wir aber noch, uns der »Reform« gegenüber scherzhaft zu verhalten, und wir gestehen daher der »Reform«, daß es wirklich sehr scherzhaft mit seinen Lesern umgehen heißt, wenn man sie erst mit den mystischsten »Durchschauungen« ködert, um sie hinterher mit den konfusesten Trivialitäten im Stich zu lassen.

Die »Reform« ergeht sich nun noch in nicht weniger unglücklichen Wendungen als bisher über die möglichen Chancen eines möglichen Ministeriums Kirchmann-Rodbertus. Wir verschonen unsre Leser und uns selbst mit diesen Tiraden, wir können aber nicht der Versuchung widerstehen, wenigstens noch das anzuführen, was die »Reform« mit Hintenansetzung des genannten Ministeriums als ihr Heilmittel anzuempfehlen wagt. »Dessau müßte man sich zum Muster nehmen!« ruft die »Reform« aus. »In dieser (!) Form (! – in dieser Form Dessau) ist eine Versöhnung des Alten und des Neuen, die man eine ehrliche nennen kann. (Ehrlicher Simpel!) Nehmt sie an, wählt ein Ministerium der äußersten (Peter Simpel als äußerster Ministerpräsident!), das heißt der konsequenten Demokratie: und ihr habt eine glorreiche Genesung von dem innern Fieber und von der äußern Ohnmacht. Ihr gründet das neue Deutschland, und honny soit, qui mal y pense! Doch wir verirren uns. – –«

Allerdings! Peter Simpel den Hosenband-Orden für diese Verirrung!

Lang lebe die »Reform«, das »Organ der demokratischen Partei« in Berlin, und lang lebe Peter Simpel, ihr Ereignis durchschauender Denker! Welch eine Partei [130] und welch ein Denker! Es gibt nur eine »Reform«, und Peter Simpel ist ihr Prophet.


Er ist heruntergesimpelt
Und weiß doch selber nicht wie.

Das »Neue Preußische Sonntagsblatt« der Kreuzritterin

Das »Neue Preußische Sonntagsblatt«
der Kreuzritterin

Die »Neue Preußische Zeitung«, ein Blatt, welches wir besonders lieben, dem wir unsere ganze Aufmerksamkeit schenken, läßt seit dem 17. d. Mts. eine wöchentliche Zugabe auf Löschpapier erscheinen. Unsere Leser werden begreifen, daß diese löschpapierene Zugabe nicht anders heißen kann als: »Neues Preußisches Sonntagsblatt«. – Den Titel dieses Sonntagsblattes schmückt ein etwas heruntergekommener, gerupfter Adler, der sich mit einer Schlange amüsiert. Die Schlange scheint ein sehr anständiges Tier zu sein. – – Augenblicklich liegt sie zwar zuunterst, aber wir bitten unsere Leser, die Hand aufs Herz zu legen und uns zu gestehen, ob der arme Adler nicht trotz alledem in einer ganz verzweifelten Position ist? Ein einziger derber Schlag mit dem Schwanze – und der Vogel ist tot. Armer Adler! Scheußliche Schlange!

Die erste Nummer des »Sonntagsblattes« hat uns mehr Vergnügen gemacht, als der Herr Verfasser vielleicht denkt. So etwas liest man nicht alle Tage. Und wenn alle Politiker der Welt ihre Köpfe zusammensteckten, sie brächten noch keine erste Nummer des »Neuen Preußischen Sonntagsblattes« zustande. Ja wahrhaftig, das [131] »Sonntagsblatt« der Kreuzritterin ist die Odyssee des Ministeriums Manteuffel.

Wir bitten unsere Leser um Andacht, um sehr viel Andacht, denn wir werden den ersten Artikel des »Sonntagsblattes« wörtlich folgen lassen:

»Lieben Landsleute!« ruft das »Sonntagsblatt« aus. »Wir leben in einer seltsamen Zeit heuer, und es ist notwendig, daß auch ihr, die ihr euch sonst um die große Welt eben nicht bekümmert, daß auch ihr jetzt immer wißt, was im Lande passiert, was die Glocke geschlagen hat. Darum will ich euch alle Woche einen Bogen schicken, auf dem schwarz auf weiß, kurz und erbaulich zu lesen sein soll: was unser König macht, was die Preußen treiben, wie's in Berlin steht und im übrigen Deutschland. Ferner soll darauf stehen, wie sich der Kaiser von Rußland befindet und die englische Königin und der Spanier und der Großtürke und so weiter die ganze Geschichte, wie sie die ganze Woche hindurch, vom Sonntage bis zum Sonnabend, passiert ist. (Gesegnete Mahlzeit!)

Wenn euch das recht ist, so wollen wir den Bogen ›Neues Preußisches Sonntagsblatt‹ nennen, weil's für gute Preußen geschrieben ist, d.h. für Preußen, die fest zu ihrem Könige und Herrn halten, und weil ihr's immer sonntags zu lesen bekommen sollt. Nun denn, ihr lieben Landsleute, da habt ihr den ersten Bogen, das erste ›Preußische Sonntagsblatt‹! Gefällt euch die Sache, so bleiben wir weiter zusammen und werden, denke ich, recht gute Freunde werden. Gott segne den König, unsern Herrn! Und nun: Vorwärts, marsch, mit Gott für König und Vaterland! (Vive la bagatelle!) [132] Im lieben Vaterlande sind in der letzten Zeit gar wichtige Dinge passiert. Ihr wißt's wohl, daß der König der Nationalversammlung, die in Berlin unnütz das Geld des Landes verzehrte und die Gesetze nicht zustande brachte, befahl, nach Brandenburg zu gehen, daß etwa 200 der Abgeordneten dem Könige nicht gehorchen wollten und verlangten, der König solle seine jetzigen Minister Knall und Fall absetzen und die Nationalversammlung in Berlin lassen, sonst wollten sie machen, daß keine Steuern bezahlt würden im ganzen Lande. Aber so schießen keine Preußen nicht! (Keine Böcke nicht!) Der König schickte den alten Wrangel nach Berlin mit den Garden, ließ die Bürgerwehr entwaffnen, den Saal der Nationalversammlung zuschließen, und somit hatte die Geschichte ein Ende. Zwar waren die ungehorsamen Abgeordneten sehr böse darüber, kamen in einigen Wirtshäusern zusammen und ließen einen Zettel drucken, auf dem sie erklärten: das Land solle keine Steuern mehr bezahlen! Aber kein braver Preuße kehrte sich an den Zettel als nur in Breslau in Schlesien, und an noch ein paar Orten machten die Juden und andere Feinde des Königs Spektakel, über den die Soldaten bald Herr wurden. Nun feierte der König seine silberne Hochzeit mit der Königin und empfing aus allen Teilen des Reiches so viele Gaben der Liebe, daß er wohl merken konnte, daß die Preußen die Alten geblieben (mit Kron und Schweif und alledem), trotz aller Bemühungen der Republikaner. Am 27. November kam denn die Nationalversammlung nach Brandenburg, und nach und nach fanden sich auch die meisten der ungehorsamen Abgeordneten ein, die 3 Taler Tagelohn schmeckten doch gar zu gut! (Bitter!) Als aber diese Menschen sich auch in [133] Brandenburg dem Könige feindselig zeigten und ihre alten Stänkereien anfingen, da riß endlich auch dem gütigen Herrscher die Geduld. Er sagte: Ich habe meinen Preußen viele Freiheiten versprochen, ihr wollt die Gesetze darüber nicht machen, marsch, geht nach Hause, mein gutes Volk soll nicht länger warten! Darauf wurde am 5. Dezember die ganze Nationalversammlung nach Hause geschickt, und der König gab uns eine, Charte nennt man das, das heißt: ein großes Gesetz, in welchem alle die vielen Freiheiten festgestellt werden, die das preußische Volk künftig haben soll. Wir müssen dem Könige sehr dankbar sein für diese Charte, denn er gibt uns darin viel mehr Freiheiten, als uns eigentlich gut sind. (Vollkommen einverstanden.)

Zweierlei aber macht mich traurig bei diesem großen Geschenk. Erstlich, daß die Juden und Demokraten doch noch nicht zufrieden sind, sondern immer noch mehr haben wollen. Zweitens aber, daß diese schlechten Kerle überall die Freiheiten mißbrauchen werden. Denkt euch mal, jetzt kann jeder drucken lassen, was er will. Preßfreiheit nennt man das. Nun paßt mal auf, was die Revolutionsmacher jetzt für schändliche Lügen in die Welt schicken werden, nehmt euch in acht, daß ihr nicht angelogen werdet an allen Ecken und Enden! Seht, ich bin traurig, daß unser König so gut gewesen ist. (Man weine!) Die Ränkemacher im Lande werden's ihm mit Undank lohnen. Wir aber, wir wollen nun erst recht zu unserm Herrn halten mit Gut und mit Blut, in Not und in Tod. Sonst ist's im ganzen jetzt ruhig und still im lieben Preußenlande und absonderlich in Berlin, wo der alte tapfere Wrangel mächtig auf Ordnung hält und zum Rechten sieht, was ihm alle vernünftige Leute [134] herzlich Dank wissen. (Schwerter geschliffen. Kugel im Lauf.)

In Österreich, wo die Juden und Wiener Studenten im Oktober eine abscheuliche Revolution gemacht haben, ist jetzt auch wieder Ordnung. (Gott sei Dank!) Der tapfre Feldmarschall, Fürst Windischgrätz (Wendische Krätze), hat Wien mit Sturm erobert, die Rebellen beim Kopf genommen und einige zum wohlverdienten Exempel totschießen lassen. Das hat gezogen! Seitdem mucksen die Herren Demokraten nicht mehr, denn Kurasche haben sie alle miteinander nicht. Der gute Kaiser Ferdinand aber, der alles getan hatte, was das Volk verlangte, doch mit so schnödem Undank belohnt wurde, der hat in voriger Woche seine Krone niedergelegt, und der junge Erzherzog Franz Joseph, seines Bruders Sohn, ist Kaiser geworden an seiner Statt. Die österreichische Nationalversammlung ist auch nicht mehr in Wien, sondern in dem Städtchen Kremsier, was eine Stadt ist ungefähr so wie unser Brandenburg. Fürst Windischgrätz (Wendische Krätze) aber ist mit seinen Soldaten gegen die Ungarn gezogen, um die zur Räson zu bringen, denn die haben mit den Wiener Rebellen unter einer Decke gesteckt und falsches Spiel gespielt. Jetzt werden sie bald verspielt haben.

In Deutschland ist's jetzt auch wieder besser; seit die Republikaner gesehen haben, daß Preußen und Österreich Ernst machen, sind sie überall mäuschenstille geworden. In Frankfurt, wo der deutsche Reichstag ist, sehen sie endlich ein, daß es ohne den König von Preußen nicht geht, daß ihre ganze Sache nichts ist ohne Preußen. Wenn wo Spektakel ist, gleich schreien sie nach preußischen Soldaten; wenn kein Geld mehr da ist, gleich [135] rennen sie nach Berlin und holen sich eine Tasche voll preußischer Taler, und nun wollen sie unsern König zum deutschen Kaiser machen. Immerhin, ich kann's ihnen nicht verdenken, wir aber bleiben gute Preußen und behalten unsern König, wenn er auch nebenbei deutscher Kaiser oder König ist. (Es lebe der König!)

In Sachsen ist eine Stadt, heißt Leipzig; dort haben die Feinde des Königs das Bild eines gewissen Robert Blum, der auch Demokrat war und in Wien als Anführer der Empörer erschossen wurde, in eine Kirche getragen, haben es an die Kanzel gehängt, und der Pastor hat müssen eine Predigt halten. Dann haben sie das schöne Lied vom Doktor Luther: ›Ein feste Burg ist unser Gott‹, gesungen. Wie gefällt euch das, Landsleute? Ist's nicht eine Sünde und Schande, solche Geschichten in einer Kirche zu treiben? Ich glaube, der selige Doktor Luther drehte sich im Grabe herum, wenn er's hörte.

In Bayern, wo das bayrische Bier gebraut wird, ist jüngst Kindtaufe beim König gewesen; da hat unser alter tapferer Prinz Wilhelm, der Onkel unseres Königs, der Vater von der bayrischen Königin ist, Gevatter gestanden und ist recht lustig gewesen. Aber auf die Freude des wackern Prinzen ist bitteres Leid gefolgt, denn als er heimkehrte vom Kindtaufsschmause, ist sein jüngster Sohn, der Prinz Waldemar, in Münster todsterbenskrank gewesen (armer Waldemar!); doch ist glücklicherweise die Gefahr jetzt vorüber. Dieser junge Prinz Waldemar ist derselbe, der vor zwei Jahren so tapfer mit den Engländern gegen die wilden Völker in Ostindien gefochten hat. (Weit davon ist gut vorm Schuß.) Beim Könige von Württemberg und beim Herrn Großherzoge von Baden und beim Herrn Herzoge von Nassau sieht's traurig aus [136] alleweile; das Geld ist dort ganz alle geworden, und die Einkünfte des ganzen Landes sind heidi! (Ach, das Geld ist nur Chimäre.) Dort haben nämlich seit dem März die sogenannten Volksfreunde und Freiheitsmänner regiert, und weil sie das Ding nicht verstanden haben, ist's Geldchen alle geworden, und die Leute dort müssen nun neue Steuern bezahlen. Das kommt dabei raus, wenn diese Volksmänner regieren. Na, bei uns in Preußen ist's noch gnädig abgegangen! Gott weiß aber, was draus geworden wäre, wenn Herr Hansemann (Hansemann-Pinto) länger Minister über die Finanzen, d.h. über die Staatseinkünfte, geblieben wäre. Die württembergischen, badischen und nassauischen Hansemänner haben sehr toll gewirtschaftet.

Nun kommen wir zur ausländischen Politik. Da sind zuerst die Franzosen, die jetzt schwarz werden möchten vor Ärger, daß sie sich haben eine Republik aufhängen lassen, bei der sie fast verhungern. Sie sind eben dabei, sich einen Präsidenten zu wählen, und viele wollen einen gewissen Louis Bonaparte haben, einen Neffen von dem Napoleon Bonaparte, den ihr alle kennt. Nämlich die Leute denken, der Bonaparte wird mit der schlechten, hungerleidrigen Republik bald Kehraus tanzen, und dann sind wir sie doch los.

Die armen Teufel von Franzosen bereuen es bitterlich, daß sie Republik gemacht haben, aber wer nicht hören will, muß fühlen! sagt mein Gevatter. Wenn übrigens der kleine Bonaparte Präsident wird, so kann's sein, daß wir Krieg bekommen, entweder gleich oder aufs Frühjahr. Na, unsere Linie fürchtet sich nicht, und unsere Landwehr erst recht nicht. (Bange machen gilt nicht.) Sonst kann ich euch von Frankreich nichts weiter erzählen; [137] wißt ihr, in so einer Republik, da geht alles drunter und drüber, holter polter, so daß kein ehrlicher Preuße draus klug werden kann. (Armer ehrlicher Preuße!)

Bei den Spaniern und Portugiesen ist alles in schönster Konfusion; die stehen da und wundern sich halbtot, daß die sonst so verständigen Preußen und Deutschen jetzt soviel Krakeel gemacht haben; sie können das gar nicht spitz kriegen und rauchen Zigarren dazu. (Rauchen! O Märzerrungenschaft!)

Vor den Engländern aber, ihr lieben Landsleute, da wollen wir ein bißchen den Hut abnehmen, denn die sind das ganze Jahr ruhig und verständig gewesen, haben ihre Königin, die nun eine ganze Stube voll kleine Kinderchens hat, hochleben lassen, haben viel Geld verdient und gesagt: Bei den andern Völkern muß es heuer rappeln, daß sie so dummes Zeug machen! Weiß Gott, so unrecht haben sie nicht! (Goddam!)

Der Däne und der alte Schwede, die so dicke Freundschaft den Sommer hatten, haben sich jetzt etwas verzürnt, doch werden sie sich wohl wieder vertragen. Der Däne erinnert sich mit sehr wehmütigen Empfindungen an den alten Wrangel und die preußischen Soldaten. Ich denke immer, er wird so bald keine Lust wieder verspüren, mit uns anzubinden.

Von Rußland weiß ich das Mal gar nichts, als daß die Cholera dort noch immer ist. (Und der Kaiser.)

Dem Großtürken sind neulich drei Kinder an einem Tage geboren; ihr wißt, der alte Junge (24 Jahre alt) hat so ein sechzig Stück Weiber. Mein Nachbar sagt, er hätte nur eine Frau und die machte ihm schon den Kopf gehörig warm, er wollte um alles in der Welt nicht Sultan sein und sechzig Weiber haben.

[138] In Ägyptenland ist der grimmige Ibrahim Pascha, der vor zwanzig Jahren die armen Griechen so peinigte, gestorben. Statt seiner soll nun sein Bruder das ägyptische Land erben. Wer hat was dagegen? Ich nicht – wer noch?

Von Ägypten springen wir in die Schweiz, wo die Schweizerkäse herkommen und die himmelhohen Berge sind. In dieser Schweiz ist ein kleines Ländchen, heißt Neuenburg und auf französisch Neuchâtel, das gehört unserm Könige. Im März dieses Jahres nun, wo alles drunter und drüber ging, sind die Republikaner dort Herr geworden, und unser König hat seinen treuen Leuten dort noch nicht zu Hilfe kommen können, weil's weit hin ist und er auch sonst beschäftigt war. Die schlechten Kerle, die dort jetzt das Land beherrschen, haben nun verboten zu rufen: ›Es lebe der König!‹ – aber daran kehren sich die treuen Seelen nicht; sie rufen zwar nicht: ›Es lebe der König!‹, weil sie sonst eingesteckt würden, aber sie schreien: ›Es lebe Onkel Friedrich und Tante Elisabeth!‹ Damit meinen sie unsern lieben König und die liebe Königin. Na, es ist noch nicht aller Tage Abend, wartet nur, ihr Herren Republikaner, wir werden euch schon zur guten Stunde ein paar tapfere märkische Regimenter auf den Hals schicken oder etwas pommersche Landwehr, und die soll euch mit dem Kolben lausen. Merkt euch das! (Gemorken!)

Italien habe ich mir das Mal bis zuletzt aufgespart, weil da der leibhaftige Teufel ist. In Oberitalien zwar ist Ruhe, weil da der alte Marschall Radetzky mit 60000 Österreichern lagert und gar keinen Spaß versteht; auch in Unteritalien ist's still, weil der König Ferdinand, Fernando heißt er auf italienisch, wieder Herr geworden ist; aber in Mittelitalien, in Rom, sieht es erbärmlich [139] aus. Dort haben die Rebellen den Grafen Rossi, den Minister des Papstes, scheußlich ermordet. Ein Barbier durchstach ihm die Kehle mit einem Brotmesser, als er eben in die Nationalversammlung gehen wollte. Dann haben sie den Papst, der ihr Landesherr ist, in seinem Schlosse angegriffen und hätten ihn auch totgemacht, wenn ihm die treuen Schweizersoldaten nicht beigestanden hätten. Infolge dieser Geschichte ist der Papst von Rom verreist, was ich ihm gar nicht verdenken kann, und nun wissen die Römer nicht, was sie anfangen sollen. Republik können sie nicht machen, weil keiner mitmachen will, und von allen Seiten rücken fremde Truppen gegen sie an. Von oben kommen die Herren Österreicher, von unten die Neapolitaner, zu Wasser erscheinen die Franzosen, die, spaßhaft genug, dem Papst gegen die Republikaner beistehen, und der Engländer hat auch ein paar Kriegsschiffe geschickt, deren Kanonen ein ernstes Wort mitreden sollen bei der Geschichte. Die Römer, die sehr lange Beine haben, bei denen aber das Herz in den Hosen sitzt, wissen sich gar nicht mehr zu helfen und werden ihre dummen Streiche teuer bezahlen müssen. So geht's mit dem Revolutionmachen.

Bei den übrigen Nationen, bei dem fetten Holländer, bei dem Belgier, der immer in einem blauen Fuhrmannskittel läuft, und bei dem rotmützigen Griechen ist diese Zeit her nichts besonders passiert, und das ist immer besser als ein Unglück.

Auf Wiedersehen über acht Tage, lieben Landsleute!«


Einen Schnaps für diesen Artikel! Einen Schnaps! Einen Schnaps! Echten Brandeburger Kümmel!

[140]

Die »Neue Preußische Zeitung«

In Berlin erscheint bekanntlich ein Blättchen unter dem Titel »Neue Preußische Zeitung«, auch »Kreuzzeitung« und von einigen demokratischen Biedermännern, die dergleichen loyale Narrenspossen ernsthaft nehmen, sogar »Galgenzeitung« genannt – eine Benennung, die sich aus Versehen ein- oder zweimal sogar in die »Neue Rheinische Zeitung« geschlichen hat und wofür wir um Entschuldigung bitten.

Es gab eine Zeit, wo dies Blättchen durch eine gewisse burschikose Keckheit in der Behauptung von kontre-revolutionärem Blödsinn zu einem ganz angenehmen Verdauungspülverchen für gutmütige Bewunderer Nantescher Geistestiefe sich aufschwang und Denkern von der Tragweite eines Glaßbrenner eine gefährliche Konkurrenz machen konnte. Seine Witze waren wenigstens an Geschmack, Feinheit und treffender Wirkung nicht weniger würzig als die Sr. Majestät Friedrich Wilhelms IV. Allerhöchstselbst.

Man sah dem ganzen Blättchen auf den ersten Blick an, von wem es redigiert wurde. Das ganze Bureau war aus Exemplaren jener Berliner Pflanze zusammengesetzt, die man Bummler nennt und die sich zum Pariser Flâneur verhält wie die große Mina Wauer zur kleinen Déjazet. Referendarien, die am dritten Examen scheiterten, verunglückte Sekondelieutenants, unbrauchbare Postschreiber und andre ehrenwerte Staatsbürger ähnlichen Schlages, Leute, die in weniger unruhigen Zeiten ihr Leben damit verbrachten, aus einem Bierlokal sich in das andre hinüberzulangweilen, den Kellnerinnen in die Backen zu kneifen, auf Putzmacherinnen oder pommersche[141] Dienstmädchen Jagd zu machen, ins Theater zu gehen und aus Grundsatz nie eine Zeitung zu lesen – solche interessante Charaktere blickten aus jeder Zeile des Blättchens als Verfasser hervor. Die Hauptsache war nicht die Politik, sondern die Übertragung der Bummelei in die Tagesliteratur. Für die ernsthafte Politik hatte man denn nebenbei irgendein schreibseliges verkanntes Genie von altem Beamten oder Offizier, dessen Artikel undurchgesehen in die Setzerei wanderten – und die Zeitung bummelte sich so gleichsam von selbst jeden Tag zusammen.

Das Blättchen war für Berlin etwas Neues und erregte daher ein gewisses Aufsehen. Man wußte freilich nicht, daß das Original des »neuen preußischen« Unternehmens ein viel witzigeres und amüsanteres Blättchen war, das im gottlosen Welschland, in dem verworfenen Babel Paris gedruckt wurde: »Le Corsaire«.

Der »Corsaire« war das Organ der jungen flanierenden Aristokraten- und Bankierssöhne sowie ihrer Loretten. Die Politik war – vor der Revolution – Nebensache. Die reaktionäre, bald legitimistische, bald philippistische Färbung des Blattes war bloß daraus zu erkennen, daß meist nur die Leute der Gegenpartei mit Skandal und mehr oder weniger schlechten Witzen verfolgt wurden. Die Redakteure des Blättchens waren meist Elsässer und Lothringer Juden, unter denen auch die industrielle Notabilität Abraham (fälschlich Alexander) Weill figuriert. Diese liebenswürdige Couleur literarischer Industrieritter konnte natürlich von ihren 860 Abonnenten nicht leben. Sie lebte meist von der Munifizenz der jungen reichen Flâneurs, denen sie für ein gutes Diner als Hofnarren und im Notfall auch sonst noch dienten.

[142] Zwischen einem dieser Literaten und einem Portier soll sich vor nicht gar zu langer Zeit ein gewaltiger Konkurrenzstreit erhoben haben, als ein flotter junger Börsenwolf seine Lorette wegen herannahender Bejahrung in Ruhestand versetzte und ihr ein kleines Modistengeschäft nebst einem Ehemann zusagte. Eine andere Lebensquelle dieser Herren bestand darin, irgendeinen Schauspieldirektor, Deputierten, Beamten, Bankier – und diesmal ohne Unterschied der Partei – so lange mit erlogenem oder nicht erlogenem Skandal zu verfolgen, bis er sich durch einige Tausend-Frank-Banknoten das Schweigen des »Corsaire« erkaufte. Die Redaktionsarbeit dieser edlen Gesellschaft war pures Kinderspiel. Um ihr tägliches Blättchen fertigzubekommen, brauchten sie bloß zur ersten Lorette ihrer Bekanntschaft oder ins Café Cardinal zu gehen. Dort hörten sie, was in den heitern Zirkeln des interessanten Stadtviertels Notre-Dame de Lorette sich zugetragen hatte. Hier hat ein Deputierter des Zentrums dem andern seine Maitresse abgejagt, dort ein glatzköpfiger Börsenwolf, à l'âge, où l'on n'a plus d'amour, mais où l'on a plus de caprice, seine Aspasia in den Armen eines beau blond entdeckt, dort hat eine übermütige Lorette einen nach verschiedenen Seiten hin pikanten Einfall gehabt, und was dergleichen anmutige und kitzlige Geschichten mehr sind. Diese ganze Chronique scandaleuse, rasch mit Bleistift aufgeschrieben, in erträglich glattes, halb anständiges Französisch gekleidet, füllte täglich zwei Drittel des »Corsaire«, und solange das Blättchen sich in dieser Spezialität bewegte, hatte es zwar nur 860 Abonnenten (wovon 3/4 im Lorettenquartier), aber desto mehr Leser.

Man sieht, ein Organ wie der »Corsaire« setzt einen [143] höheren, mehr babylonischen Zivilisationsgrad voraus, als ihn »die Residenz« Berlin liefern kann, und jedenfalls war es nicht weniger honett, aber weit amüsanter, den »Corsaire« zu redigieren als die »Neue Preußische Zeitung«, obwohl die betreffenden Literaten in beiden Fällen meist nur das Zusehen hatten. Aber da kam die Februarrevolution. Die »Protektoren« des Quartier Notre-Dame de Lorette flogen nach allen Richtungen auseinander, nach England, nach Belgien, in die Provinzen. Die Loretten sanken entsetzlich im Preise. Königinnen von Mabille und vom Château Rouge, die früher einen Liebhaber von 20.000–30.000 Franken Renten in sechs Monaten zu ruinieren gewohnt waren, sanken herab zur Soupe à l'ognon und suchten, wen sie verschlängen. Ein ganzes Stück Paris, das Paris des »Corsaire«, war mit einem Schlage vernichtet und verschwunden. Wie der Arbeiter die Tuilerien, so hatte die Grisette den Boulevard des Italiens erobert.

Da war Heulen und Zähneklappen in den Bureaus des »Corsaire«, und einstimmig beschloß die Redaktion, sich mit Todesverachtung der Kontrerevolution in die Arme zu werfen. Der lasterhafte »Corsaire« tat Buße. Die verlockenden Boudoirszenen verschwanden. Die Historiographen der galanten Abenteuer der Jeunessc dorée begeisterten sich plötzlich für Moral, Tugend und Familienglück und richteten die ganze Entrüstung, deren ihr sittliches Gefühl fähig war, gegen die verderblichen Lehren der Sozialisten von der Ehe. Sie, die bisher durch allerlei oft ganz hübsch angelegte Spekulatiönchen den Champagner zu ihrem Dessert verdienen mußten, erhoben plötzlich ihre Stimmen für die Heiligkeit des Eigentums gegenüber den sozialistischen »Räubern«. Allerdings, [144] die Schilderungen Fouriers aus dem ehelichen Leben sind noch viel ergötzlicher als die pikantesten Loretten-Anekdoten des »Corsaire«, und mit den von demselben Fourier enthüllten alltäglichen Prellereien im Handel und Wandel können weder die im »Corsaire« geschilderten Börsencoups noch die von seinen Redakteuren selbst ausgeübten Geniestreiche konkurrieren.

Mit einem Wort: der »Corsaire« wurde honett, und das war sein Untergang. Er mag jetzt mehr Abonnenten haben, aber er hat weniger Leser. Das tut aber alles nichts; seine Redakteure, früher manchmal arme Schlucker, gehen jetzt feiner gekleidet, haben mehr Fonds, trinken mehr Champagner, und wo sie frühereine junge Lorette hatten, haben sie jetzt zehn bejahrte Bourgeoisfrauen.

Ob auch bei der Redaktion der »Neuen Preußischen Zeitung« soviel herauskommt, ist ziemlich fraglich.

Die »Neue Preußische Zeitung« nun ist die Berliner Abspiegelung des Pariser »Corsaire«. In ihrer ersten Epoche, als der Bummler noch vorherrschte, war sie von Anfang bis zu Ende Skandalchronik, und man sah ihr an, wie sehr der »Ernst der Ereignisse« und die vorgebundene Maske der sittlichen Entrüstung diesen im Grunde ihres Herzens äußerst gutmütigen Leuten zuwider war. Ihr Haß gegen die Revolution kam eigentlich bloß daher, weil die Revolution sie in das der Bummelei gestört und auf das ennuyante Gebiet der Politik geschleudert hatte. Ihre Hingebung für das Haus Hohenzollern beschränkte sich auf die Gewöhnung an die interessierten Loyalitäts- und Kontrerevolutionsphrasen, die die ganze Unterhaltung ausmachten in den Geheimratstees [145] und in den Hungerfestins uckermärkischer Don Ranudo de Colibrados', in die sie sich hineingebummelt hatten. Natürlich –wer sollte nicht ein guter Preuße werden, wenn er wöchentlich mehrere Abende in Gesellschaften zubringt, wo zwanzig bis dreißig der edelsten Sprossen preußischer Ritterschaft sich an einer kleinen Schüssel Heringssalat und einer Flasche schlechten Moselweins laben!

Aber die hohen Protektoren des Blättchens scheinen allmählich mit dieser liederlichen Manier, gegen die Revolution loszuziehen, unzufrieden geworden zu sein. Der Ernst der Ereignisse, der die Geldbeutel der Herren Rittergutsbesitzer und die Existenz des Throns mehr und mehr bedrohte, machte sich täglich fühlbarer. Die Chefs der uckermärkischen Grandezza sind Familienväter und verstanden als solche auch nicht viel Spaß. Kurz, das Blättchen erfuhr selbst eine Revolution.

Die berlinische frivolkokettierende Renommage, die Anflüge verbummelter Flegelei verschwanden allmählich aus dem Gros der Zeitung und zogen sich ein für allemal ins Feuilleton zurück. Das Corpus des Blättchens wurde gewiegten, zuverlässigen christlich-germanischen Männern überantwortet, einem V.A. Huber (Ex-Janus), einem Stahl usw., namentlich aber einem oder mehreren Konsistorialräten der evangelischen preußischen Ex-Landeskirche.

Diese Konsistorialräte haben sich mit einem wahrhaft gottseligen Eifer ans Werk gesetzt. Die würdigen Männer trugen schon lange so manches auf dem Herzen, was sie in dieser schweren Trübsal, wo die Proletarier und andere Kinder der Finsternis ihr Wesen trieben, in sich verschließen mußten. Sie waren stille und klein geworden, [146] und es schien fast, als sei Zion zerstöret und die Burg des Allerhöchsten von der Erde verschwunden. Da aber kam der Erzengel Michael im goldenen Helm und frisierten Schnurrbart, der Löwe Wrangel, und befreite die gedrückten Ex-Landeskirchner. Jetzt, als die Kinder der Finsternis in ihre Höhlen zurückverjagt, die »Gnade Gottes« aus der Bedrängnis gerettet und der teure Mann Gottes, Ladenberg, Kultusminister und Papst der evangelischen Landeskirche geworden war, jetzt traten die großen Prediger des Wortes aus ihren Schlupfwinkeln wieder hervor und predigten, daß den Gottlosen die Ohren gellten.

Noch mehr. Wo ist der Kandidat der Theologie, der nicht bei der Lektüre des Alten Testaments die alten Propheten beneidet hat, wenn sie kühn vor die Könige in Juda hintraten und ihnen im Namen des Allerhöchsten ihre Sünden vorhielten! Welch ein Abstand von dem gedrückten, pauvren, seit acht Jahren verlobten und noch immer nicht angestellten Kandidaten der pauvren preußischen Landeskirche bis zu dem stolzen Propheten Jesaja, der einen König Hiskia mit dem Untergange bedroht, wenn er sich nicht bessert! Welch ein Unterschied zwischen dem Predigtamtskandidaten, der kaum bei seinen Jungen in der Kinderlehre Respekt hat, und dem Propheten, der über die himmlischen Heerscharen kommandieren kann!

Die preußischen Theologen hatten immer das Unglück, unter so gottesfürchtigen Landesvätern zu stehen, daß sie nie Gelegenheit fanden, ihnen als bußepredigende Propheten mit dem Strafgericht des göttlichen Zorns zu drohen und dadurch ihren Mut als Repräsentanten des Himmels gegenüber den Gewaltigen der Erde zu beweisen.

[147] Jetzt aber, als den Berliner Konsistorialräten die leitenden Artikel der »Neuen Preußischen Zeitung« überwiesen wurden, jetzt bot sich ihnen die langersehnte Gelegenheit, an dem Könige je nach Belieben zum Jesaja, Ezechiel oder Habakuk zu werden. Hatte Friedrich Wilhelm nicht am 19. März die Truppen zurückziehen lassen? Hatte er nicht die gottlose schwarz-rot-goldene Kokarde aufgesteckt? Hatte er nicht die Amalekiter Camphausen und Hansemann zu Ministern gemacht? Und war nicht die ihm zuteil gewordene Demütigung nur ein kleiner Teil der gerechten Strafe des Himmels für solche Sünden eines Königs, der einen Augenblick getan, das dem Herrn übel gefiel? Und endlich, konnte man der irdischen Majestät von Sanssouci einen größeren Gefallen tun, als indem man sie vom christlich-germanisch-preußischen Standpunkt aus als zu lau und zu unentschieden herabkanzelte?

Gesagt, getan. Das ganze Handwerkszeug der »Evangelischen Kirchenzeitung« wurde ins Lokal des neuen preußischen Blättchens hinübertransportiert, und die Bußpredigt begann.

Während so im oberen Stockwerk der »Neuen Preußischen Zeitung« die kanzelberedsamkeitliche Heulerei würdiger Pastoren ihr »tut Buße und bekehret euch, kreuziget euer Fleisch samt seinen Lüsten und Begierden« usw. mit ernster Prophetenstimme ruft, dient das Unterstübchen, »Berliner Zuschauer« genannt, nach wie vor zum gemütlichsten Rendezvous der allerordinärsten Berliner Bummelei. Oben der erschreckende Ernst und der Feuereifer polternder Glaubenshelden, unten ein entfernter Versuch zum Humor, wenig Witz und viel Behagen und eine Reihe selbstzufriedener Reflektionen, [148] die sich alle um den einen Mittelpunkt drehen: »es gibt nur ein Berlin«; oben sittliche Entrüstung und Tugendpredigt, unten Berliner Chronique scandaleuse, Anläufe zu galanten Lieutenantsabenteuern, fleischliche Gelüste und stille Liederlichkeit: oben eine Kirche, unten eine Weißbierkneipe – das ist die »Neue Preußische Zeitung« in ihrer jetzigen Phase.

Daß die Bierkneipe unter dem Druck der Kirche gelitten hat und die Unterhaltung täglich fader wird, versteht sich von selbst.

Die Zusammenstellung der beiden Teile des neuen preußischen Blättchens macht übrigens einen ergötzlichen Effekt. In einigen der letzten Nummern z.B. enthält das Oberstübchen folgenden kanzelrednerischen Blödsinn:

»Der König von Preußen

steht im März 1849 zum zweiten Male auf einem Höhepunkte der ihm in der Mitte des Jahrhunderts angewiesenen Laufbahn. Die fallierende Revolution, schon bis ans Kinn unter Wasser, streckt von Frankfurt aus flehend die Hand nach ihm aus, in welcher sie, keck und verzagend zugleich, eine Krone von Goldpapier voll Blut und Kot ihm hinhält. Und Deutschland, erbebend von dem Sturze der versinkenden Revolution, erwartet sein Schicksal aus dem Munde des Königs. Rechts öffnet sich der Weg der Treue, der Ehre, der Macht, der Weg des Königs von Gottes Gnaden – links der Weg der Lüge, der Schande, der Ohnmacht, der Weg der revolutionären Usurpation. Die Frage ›rechts oder links‹ ergeht durchdringend durch alle Gaukelspiele des Konstitutionalismus und des Radikalismus geraden Weges an des Königs Gewissen.

[149] Im März 1848 stand der König zuerst auf einem solchen Höhepunkte, an einem solchen Scheidewege. Damals galt es seinen Thron, sein Land, Deutschland schützen, behaupten, retten, oder – aufgeben der Revolution gegenüber. Auch damals harrte Deutschland, zitternd vor der siegenden Revolution, der Entscheidung aus dem Munde des Königs.

Preußen, fest und stark in sich, Preußen, mächtig in Deutschland, Preußen und Deutschland, fest, stark und mächtig in der Christenheit – das war 1848, das ist 1849 das Ziel, zu dem der Weg rechts hinführt.

Wir brauchen nicht auszusprechen, welcher Weg im März 1848 eingeschlagen worden ist.

Nicht der Menschen Verdienst, Gottes Gnade, von der die Könige sind, Gottes, der seine ewigen Ordnungen ehrt, der die wankenden Throne hält und die zagenden Könige stärkt, der die gefallenen wieder aufrichtet, Gottes Gnade ist es, die den König noch einmal – vielleicht zum letzten Male – auf einen solchen Höhepunkt, an einen solchen Scheideweg stellt.

Möge der 18. März 1849 ein Tag der Buße – aber auch ein Tag rechtschaffender Früchte der Buße sein!«


Welch ein riesenhafter, gottbegeisterter Mut gehört nicht dazu für einen Konsistorialrat, dem Könige solche biblischen Sottisen zu sagen! Wahrhaftig, ein stilles, wärmendes Gefühl, etwa wie beim Genusse eines guten Seidels bayrischen Biers, muß die Eingeweide eines Landesvaters behaglich durchziehen, wenn er solche Bußpredigten liest und an »Sein herrliches Kriegsheer« denkt!

Am 18. März vorigen Jahres, wo waren da die hochwohlehrwürdigen [150] Konsistorialräte, Superintendenten und Bischöfe der königl. preußischen Landeskirche? Damals verkrochen sie sich in die hintersten Hintergemächer ihrer Wohnungen, während draußen die Kanonen donnerten und die besoffenen Pommern in den Häusern Weiber und Kinder massakrierten. Und erst als ihre geängstigten Ehehälften und Kinder das Schießen gar nicht mehr vertragen konnten, erst da krochen die Couragiertesten unter ihnen aus ihren Höhlen hervor und stiegen unter dem Schutz ihrer Talare und Beffchen über die Barrikaden – etwa um den wankenden König in seinem Vertrauen auf die Gnade Gottes zu stärken, um ihn an seine Pflicht zu mahnen, ein strenges Gericht über die Rebellen zu halten? Bewahre! Sie zogen aufs Schloß, um die Einstellung des Blutvergießens und den Rückzug der Truppen zu erwirken!

Dieselben Herren Konsistorialräte haben jetzt bereits wieder soviel Courage gewonnen, daß sie es wagen, der irdischen Majestät die Erhörung ihrer eigenen Bitte zum Verbrechen zu machen. Die »neuen preußischen« Jesajasse beschränken ihre Heldentaten darauf, dem neuen preußischen Hiskia Vorwürfe zu machen, die ihm lieber sind als die größten Schmeicheleien.

Zwei Tage später ist der Jahrestag des Berliner Aufstandes selbst. Der »Neue Preußische Kalender« enthält hier folgendes Evangelium für Sonntag, den 18. März (Lätare):

Neues Preußisches Evangelium. Kapitel 65, Vers 1: »Der achtzehnte März, dies Datum ist allein ein leitender Artikel, voll Inhalts, wie ihn nur der Finger Gottes schreiben kann. V. 2: Vor ihm sollen sich bücken alle Höhen, und alle Zungen, auch die der Fürsten, bekennen, [151] daß er allein der Herr ist. V. 3: Er hat geschmolzen, und es waren viel Schlacken, er hat gewaschen, und es war viel Schmutz. Wer wird uns läutern und reinigen? V. 4: Unsere ›Wäscher‹ vom verflossenen Jahr haben uns nur mehr beschmutzt, unsere Schmiede haben nur das Feuer angefacht, und es war niemand da, welcher den Hammer zu schwingen verstand. Vers 5: Umstürzen und niederreißen, das ist die Baukunst des jetzigen Geschlechts; teils mit Bewußtsein, teils in dunkelem Gefühl, sucht man den Eckstein, V. 6: um ihn zu zertrümmern; denn ihm allein, nicht dem Gebäude, ist der Untergang geschworen. V. 7: Sie wollen wiederbauen auf einem andern Grunde, die armen Toren, und wissen nicht, daß nur der Eckstein bleibt und alles andere schwindet. V. 8: Was man bisher gebaut, ist Menschenwerk; den Eckstein aber, den hat Gott gelegt und nicht die Fata Morgana der Radikalen, Vers 9: nein, das Gebäude, was schon Moses schaute, wird aus den Trümmern aufgerichtet werden.«

Man bewundre den Zusammenhang und die kühne Gedankenfolge dieser »neuen preußischen« Weissagungen auf das feudale christlich-germanische Himmelreich, das für diese braven Prediger wieder nahe herbeigekommen ist. Die Inspiration von oben, die göttliche Trunkenheit der Prophetin blitzt aus jedem Wort, namentlich aber aus jedem Übergang hervor. Selbst der Prophet Ezechiel verstand es nicht so gut, Subjekt und Prädikat malerisch durcheinander zu werfen, wie diese neuesten Männer Gottes.

Diese strengen Kirchenväter übrigens, die der irdischen Majestät den Beruf geben, vermittelst »Meines herrlichen Kriegsheeres« die wühlerische Sünde in jeder [152] Gestalt mit Stumpf und Stiel auszurotten, haben zuweilen selbst Momente der Barmherzigkeit und des wehmütigen Mitgefühls für die armen verlornen Kinder der Finsternis, die Demokraten. In Nr. 62 entdeckt ein würdiger Seelsorger, daß die »Hallesche Demokratische Zeitung« der Kontrerevolution allen dauernden Erfolg abspricht, weil die Grundlage aller reaktionären Macht, der religiöse Glaube, seine Wurzel im Volk verloren habe. Hocherfreut nimmt er sogleich zu Protokoll, daß der »Glaube«, selbst nach Aussage der Demokraten, die Wurzel aller guten preußischen Gesinnung, alles Gehorsams gegen die Obrigkeit ist, und schließt aus diesem ehrlichen Eingeständnis der »Halleschen Demokratischen Zeitung«, daß sie es wenigstens ehrlich meint und daher wohl noch zur Buße zu bringen sei.

Ob der Herr Pastor mit seiner Hoffnung auf Bekehrung der »Halleschen Demokratischen Zeitung« Aussicht auf Erfolg hat, können wir nicht wissen, da wir das Blättchen nicht kennen.

Bewundern aber müssen wir die Naivität des wohlehrwürdigen Herrn, der die Äußerung irgendeines demokratischen Lokalblatts als das Programm der demokratischen Partei sofort aufgreift und mit beiden Händen festhält. Wir für unsern Teil versichern wenigstens dem Herrn Pastor, daß es uns höchst gleichgültig ist, ob das Volk »den Glauben« hat und was für einen »Glauben« es hat. Man muß wirklich Gottes Wort vom Lande oder sonst ein Stück Theologe sein, um sich nach den letzten Erfahrungen noch einzubilden, das Volk, die revolutionären Proletarier und Bauern würden ihre irdische Existenz ihren himmlischen Hoffnungen opfern und ihren hungrigen Magen mit Brotkarten abspeisen, die erst in [153] irgendeiner andern Welt zahlbar sind. Unsere Proletarier und Bauern verlangen handgreiflichere, materiellere Kost als Bibelsprüche und preußische Litaneien, um so mehr als sie sehen, daß die Herren Konsistorialräte sich für ihre Bemühungen recht artig zahlen lassen und bis zum vierzigsten Jahre regelmäßig ein ganz hübsches Bäuchlein anlegen.

Genug. Der Herr Pastor glaubt nun einmal, die »Hallesche Demokratische Zeitung«, die bereits den Glauben an den Glauben hat, sei noch zu bekehren. Einem so wohlmeinenden Blatt gegenüber wäre tertullianische Strenge höchst unchristlich. Wo das Herz noch nicht ganz verhärtet ist, muß man mit eindringlicher, liebevoller Ermahnung anpochen. Und so geschieht's:

»Bei Lesung des ganzen Artikels hat uns – warum sollten wir es nicht gestehen? – ein schmerzliches Gefühl des Mitleids gegen die bis zum Wahnsinn betörten und verzauberten Menschen ergriffen, nicht als fürchteten wir, daß dadurch viele verführt werden könnten, wiewohl ein Tropfen zum andern kommt und schon die allmählige Gewöhnung an solche Stimmen der freien Presse sittlich schadet – sondern daß die Rädelsführer doch gewiß selbst so verführt sind, das tut schmerzlich weh. Aber wir gehen jetzt an diesem Gefühle vorüber, weil es sich nicht unterdrücken läßt, wir halten uns an die Demonstration selbst.«

Welche Milde und Sanftmut, welche apostolische Wärme in diesen tiefgefühlten Worten! Gewiß, die »Hallesche Demokratische Zeitung« wird dieser Vermahnung nicht widerstehen, sie wird ablassen von den Pfaden des Teufels, auf die sie sich verirrte, sie wird zu Bruder Leo und Gerlach in die Betstunde gehn!

[154] Ob übrigens das Volk »den Glauben« habe, schließt unser Pastor, sei ziemlich gleichgültig. Seine letzte Hoffnung sei vielmehr der Glaube selbst, der Glaube allein, welcher alles vermag, und wo er abhanden gekommen ist, auch wiederkommen kann, welcher auch die Rädelsführer selbst ereilen, auch den Verfasser jenes Artikels (in der »Hall. Dem. Ztg.«) überwinden kann. Und welcher Christ wollte seinen Feinden nicht diese Wohltat für Zeit und Ewigkeit wünschen ... »Möchte sich doch auch an den Demokraten oder an ihrer einem die selige Macht dieses allerheiligsten Glaubens bald bewähren!«

Edelmütigster aller Landprediger! Wir sind weit entfernt, Ihre wohlwollenden und menschenfreundlichen Absichten zu verkennen. Wir wissen im Gegenteil sehr gut, daß es in der sogenannten demokratischen Partei Leute genug gibt, die selbst nichts weiter sind als in ihrer Karriere gestörte Landprediger. Solche Leute sitzen sogar in der Berliner Kammer bis auf die äußerste Linke. Sie würden nicht nur sich ein großes Verdienst erwerben, sondern auch uns einen nicht zu ermessenden Gefallen tun, wenn Sie diese armen Verirrten,


» ... des Völkerfrühlings
Kolossale Maienkäfer,
Von Berserkerwut ergriffen«,

auf den rechten Glaubensweg zurückführen wollten. Wir sind überzeugt, daß die fraglichen Individuen, deren innerste Herzensrichtung in Gefühlsweiche und Rührungsfähigkeit gewiß mit Ihrer eignen durchaus harmoniert, mit einigen Bemühungen für den wahren Glauben und den Gehorsam gegen die Obrigkeit wiederzugewinnen [155] wären. Lassen Sie sich durch nichts abschrecken, würdigster Mann! Der spätere Abrechnungsprozeß der revolutionären Partei mit ihren Feinden würde sich dadurch jedenfalls um ein Bedeutendes vereinfachen.

Das ist die »Neue Preuß. Zeitung« in ihrem ersten Stock. Man sieht, die Herren Konsistorialräte sind unverfälschte Kirchenväter: streng und unerbittlich gegen die Großen, gegen die Könige, liebevoll und barmherzig gegen die Geringen, die Verführten, die noch nicht ganz Verhärteten.

Während nun im oberen Stockwerk solcherlei feierliche Bußpredigt und ernste Vermahnung ihr Wesen treibt und die reumütige Zerknirschung einer geknickten Heulerseele erstes Erfordernis zur Mitarbeiterschaft ist, geht es unten, im Rez-de-chaussée, ganz gemütlich und fidel her. Hier ist eine Art Portierloge errichtet, in welcher die eigentlichen Stifter des Blatts, die verbummelten Referendarien, Supernumerarien und Lieutenants, ihr Standquartier aufgeschlagen haben, Weißbier trinken, Zigarren rauchen und etwa folgende Konversation vorführen (siehe Nr. 60, 65 der »N. Pr. Ztg.«, Feuilleton):

»Bummler I. Neulich ging der Bürgerkaplan mit einem ganz hübschen Frauenzimmer Unter den Linden spazieren.

Bummler II. Er sagt, es sei seine Cousine.

Bummler III. Cousine? Na, ich möchte den Stammbaum sehen.

Bummler I (gähnt). Der Bürgerkaplan denkt auch: es gibt nur ein Berlin!

Bummler II. Er sagt, die Dame heiße Fräulein Schröder.

Bummler I. Apropos, der dicke X. liebäugelt von der [156] Tribüne, wenn er spricht, immer mit einigen Damen auf der Galerie.

Bummler III. Ja, ich höre aber, seine Eroberungen sollen sehr antediluvianisch sein.

Bummler II. Das sieht ihm ähnlich. Gestern hatte er übrigens ein Rendezvous am Halleschen Tor.

Bummler I. So? Das müssen wir in den ›Zuschauer‹ setzen.

Bummler III (nach einer Pause). Gestern haben sich die Gardeulanen mit dem Zivil geprügelt.

Bummler IV (tritt ein). Guten Morgen, Bummler.

Bummler I. Was gibt's Neues?

Bummler IV. X. amüsierte sich gestern in der ›Esmeralda‹ in Begleitung seiner Schwester Freundin.

Bummler I. Sonst nichts?

Bummler IV. Doch. Elsner hat sein Stammlokal im Café de la Liberté aufgeschlagen und macht dort einer Hebe bedeutend den Hof; Hr. Elsner scheint eine Passion für schöne Kellnerinnen zu haben.

Bummler I. Weiter?

Bummler IV. Eben ist mir der Bürgerkaplan begegnet mit aufgeschlagenem Paletotkragen.

Bummler II. Aha, gewiß damit sein Rival der Garde du Corps ihn nicht erkennt.

Bummler III. Was ist das für eine Geschichte?

Bummler II. Ich weiß nicht genau, ich muß erst weiter hören.

Setzer (kommt). Herr Vorbummler, es fehlen noch zwei Spältchen Manuskript.

Bummler IV. Wart. Hier ist noch was. Die Gardeschützen bekommen statt der Helme Filzhüte wie die Konstableroffiziere.

[157] Bummler III. Dumme Geschichte. Darüber werden die Demokraten schlechte Witze reißen und sagen: es fehlt die Pointe, die Spitze.

Bummler I. Ist das alles?

Bummler IV. Hier ist noch eine Notiz:

Vor zwei Jahren besorgte ein gewisser Literat Karl Grün in Paris bei dem bekannten Prozeß des Grafen Hatzfeldt mit seiner Frau gegen sehr anständiges Honorar die Interessen des Grafen in Paris und in der französischen Presse. Wie sich nachher auswies, hatte Herr Grün zu gleicher Zeit von der Gegenpartei der Gräfin Bezahlung genommen für gewisse Mitteilungen. Wie nennt man wohl dergleichen?

Bummler III. Mit dem Grün bin ich noch nicht im klaren. Von dem Individuum muß es noch ganz andre, viel schönere Geschichten geben. Wenn ich nur erst dahinter käme.

Bummler I. Ach laß den Mann laufen. Er sieht mir geradeso aus, als ob er von Natur eigentlich zu uns gehöre. – Ist das alles? Eh bien, dann wollen wir den Klatsch aufschreiben, und du, Bummler III, kannst einen Brief aus Leipzig fabrizieren nebst einer großen Verschwörung und daß d'Esters Blondine seit seiner Abreise sehr traurig ist. Macht, daß ihr fertig werdet, wir wollen zu Wassmann gehn und ein Seidel trinken.«

Derart ist die anmutige Konversation, die im Unterstübchen der »Neuen Preußischen Zeitung« verhandelt wird, während oben die Konsistorialräte sich mit Bußpredigten heiser schreien. Die liebenswürdigen Leute da drunten kümmern sich nicht im mindesten um die Konsistorialräte, und die Konsistorialräte werden durch den Stadtklatsch der Bummler nicht im mindesten geniert.

[158] Man findet es befremdlich, daß die Konsistorialräte und die Bummler so harmlos und friedfertig in demselben Blättchen sich vertragen? Aber sie gehören notwendig zusammen. Wenn der Konsistorialrat ein gutes Ministerialdiner zu sich genommen hat, ist ihm die Bummelei des »Berliner Zuschauers« sozusagen Bedürfnis, und wenn der Bummler nach verbummelten Nächten spät am Tage mit der Sehnsucht nach einem einmarinierten Hering erwacht – die einzige Tageszeit, an der er Sinn für die »ernste Politik« hat –, so tut ihm ein solcher Konsistorialartikel genau dieselben Dienste.

Das ist der Zusammenhang zwischen dem Gros und dem Feuilleton der »Neuen Preußischen Zeitung«. Auch sie wird durch den Ernst der Ereignisse täglich mehr dazu gedrängt, ein honettes Blatt zu werden und sich dadurch zu ruinieren. Der »Zuschauer«, die letzte Zuflucht ihres Restes von Humor, wird täglich platter und fader. Bald wird auch er eingehn und den rührend-loyalen poetischen Ergüssen bleichsüchtiger Konsistorialratstöchter und pommerscher Edelfräulein weichen, stille blonde Jünglinge, die »den Glauben« haben und die Schwindsucht, werden sich des Feuilletons bemächtigen, und die Bummler werden an die Luft gesetzt mit Gott für König und Vaterland.

[159]

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TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Skizzen, Feuilletons, Reportagen. Blödsinn deutscher Zeitungen. Blödsinn deutscher Zeitungen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-96A1-E