53. Tarquinius und Lucretia

So wie Tarquinius die Brunst in Nohtzucht endt,
So büsst Lucretia die Rach' im Eigenmord;
Beyd' haben ihren Wunsch: Man schaut an einem Ort
Tarquinius verjagt, Lucretia geschändt.
Es ist des einen Fall des andern Frevels Frucht;
Doch spricht ein Weib dem Mann in Lastern Trotz und Hohn:
Der bringt durch Nohtzwang nur ein Weib um ihre Zucht; 1
Die bringt durch Eigenmord den König um die Krohn'.

Fußnoten

1 Der bringt durch Nohtzwang nur ein Weib um ihre Zucht etc. Ein Mann von grossem Ansehn und nicht minder Geschigligkeit gab mir einst zu verstehen; ihn bedüncke dass dieser Sinnschluss auf einen zweiffelhafften Gedancken, dessen Warheit und Falschheit noch nicht recht entschieden, gegründet sey; und folgends denselben Fehler habe, der in folgendem Schluss einer Uberschrifft des Martialis auf Cicerons und Pompejus des grossen Todt angemercket worden.

Antoni tamen est pejor quam causa Photini:

Hic facinus Domino praestitit, ille sibi.

Dass nemlich Antonius eine schändlichere That begangen, in dem er den Cicero seiner eignen Rache; als Photinus, welcher den Pompejus seines Herrn des Königs Ptolomeus Sicherheit aufgeopffert hätte. Denn, wie es wieder des Poeten Entscheidung, unstreitig sey: Dass diejenige die vor sich selbst sündigen, dazu durch Eigenliebe und andere gewaltsame Regungen, welche die Grösse der Ubelthat vermindern, verführet werden; da hergegen die andre, die sich als Werckzeuge von andern gebrauchen liessen, in einer Ubelthat mehr Bossheit zeigten, indem sie dieselbe, so zu sagen, im kalten Blut begingen: also würden auch meinem Schluss zuwider, die meiste mit ihm von dieser Meinung sein: Dass es eine mindere Ubelthat sey, einen lasterhafften König von demThron zu helffen; als ein Tugendhafftes Weib zugleich um ihre Ehre und ihr Leben zu bringen. Das war der Einwurff, und dieses meine Antwort. Dass nemlich keine Vergleichung zwischen meinem Schluss, und des Martialis seinem zu machen wäre; sintemahl dieses seiner der gesunden Vernunfft zuwider schiene; meiner aber zum höchsten nur von einigen eifrigen Gemeinschaftern in Streit gezogen werden könne. Dass die Enthronung eines Fürsten ein gantzes Reich, die Entehrung eines Weibes aber insgemein nur ein einiges Hauss in Verwirrung setzen könne. Und dass endlich, um der Sache näher zu kommen, Tarquinius nur eine eintzige Frevelthat begangen, indem er die Lucretia geschändet; diese aber nicht allein gewaltsame Hände an sich selbst geleget, sondern auch zuvor die Ihrige zur Empörung und Absetzung ihres rechtmässigen Königes angestrenget, und hiedurch das gantze Römische Volck in einen unsichren Stand, und eine langwürige Unruhe gesetzet habe.

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TextGrid Repository (2012). Wernicke, Christian. Gedichte. Überschrifften in zehn Büchern. Der Uberschriffte sechstes Buch. 53. Tarquinius und Lucretia. 53. Tarquinius und Lucretia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9DAF-5