Eine Anekdote aus dem Olymp

am 1ten Januar, im Jahre 1784


Das dreimal Drei der Musenschar,
die heilge Vier der schönen Horen,
die Grazien im goldnen Haar,
und Bacchus und Apoll, mit Amorn und mit Floren,
frühstückten sämtlich bei Auroren
am ersten Tag im Januar.
Merkur, der nicht erwartet war,
kam aus des Luftmeers dünnen Wogen
à la Montgolfier geflogen,
und, »Friede«, sprach er, »sei mit Euch!
Euch Göttervolk im Himmelreich,
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zu nichts als ewger Lust erzogen,
sind freilich alle Tage gleich.
Allein, dort unten auf der Erden
ist heut der erste Januar;
der pflegt daselbst gar sonderbar
von Groß und Klein chommiert zu werden,
denn heute gilt's fürs ganze Jahr.
Die Leute die was zu geben haben
beschenken einander mit kleinen Gaben;
doch, wer nicht schwer am Seckel trägt,
und lieber ihn sich füllen ließe,
schleicht tiefgebückt heran und legt
in Demut – Wünsche vor die Füße.
Ihr, denen's an Gaben nicht gebricht,
Wohlan, ihr lieblichen Göttinnen,
erinnert euch die schöne Pflicht
der Dankbarkeit und Liebe nicht,
auf Gaben für eine Fürstin zu sinnen
die, eure Freundschaft zu gewinnen,
euch stets die schönsten Kränze flicht?
die Erste eurer Priesterinnen!«
Die Damen in Aurorens Saal,
indem sie ihren Nektar schlürfen
beschäftigt, denk ich, mit Entwürfen
von Putz zum nächsten Götter-Bal,
entschuldigen sich allzumal.
»Was könnt Olympia bedürfen?
Hat Mutter Natur von Kindheit an
nicht alles schon für Sie getan?
ihr Bestes nicht an Ihr verspendet?
Hat nicht Ihr eigner Genius
die Arbeit der Natur vollendet?
Und macht was mancher Mann auf us
wohl unbegriffen lassen muß
nicht täglich noch Ihr Fleiß sich eigen?
Jedoch, zu allem Überfluß,
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und bloß den guten Willen zu zeigen,
da, lieber Herr Merkurius,
pack er, was wir von unsern Dingen
in aller Eil zusammenbringen,
hübsch sauber auf, dann flieg er frisch
und leg's der Fürstin auf den Tisch.
Nur sei er honett, Herr Seelenzwinger,
und mach er keine krumme Finger!«
Jetzt ging's, mit einer Schwärmerei
die man von ihnen nur vor zwei
Minuten nicht vermutet hätte,
an ein Begaben in die Wette.
Die Pieriden, als ihrer Neun,
wollen, wie billig, die ersten sein.
Man mußte nach ihrem Gewimmel denken
sie hätten gewaltig viel zu schenken.
Doch, da sie ihren ganzen Kram
durchsucht, bestunden sie mit Scham.
Sie selber hatten schon vor Jahren
der Fürstin in die sie vergeistert waren
mit allem was der Musensitz
hervorbringt an Geschmack und Witz,
(ohn auf die Zukunft was zu sparen)
mit jedem Talent und jedem Trieb
der es entwickelt, so reich versehen,
daß nun den guten alten Feen
nichts mehr zu geben übrig blieb.
Apoll, auf den sie um Beistand sahn,
nahm ihrer sich aus Mitleid an.
»Ich selber wüßte, bei meinem Leben!«
sprach er, »Olympien nichts zu geben
das Sie nicht besser hätt – Allein,
betreffend die Herrn und Fräulein fein,
die Ihr als Commensalen dienen,
(doch nichts für ungut!) bei manchen von ihnen
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mag dies der Fall nicht immer sein.
Drum dächt ich wir schickten insgemein
zur Notdurft der Dipnosophisten,
die unsre Fürstin in Ihrer Pfalz
bei Tafel zu amusieren gelüsten,
Ihr einen Zentner – Attisch Salz.«
»Der Einfall hat sich traun! gewaschen«,
fällt Bacchus, der Freudengeber, ein:
»ich selber lege dreihundert Flaschen
dazu, von meinem besten Wein;
die Herren werden im Einfall-Haschen
dabei nur desto prompter sein.
Was auch die Kammerherren sagen,
der Wein gibt Witz und stärkt den Magen.«
Jetzt traf die Grazien die Reih:
Die fanden, ohne sich lang im Busen
zu krabbeln, daß der Fall der Musen
just auch ihr eigner casus sei.
»Was wir nicht selbst an Sie verschwendet,
das«, sagten sie, »hat Sie uns, so fein
daß man Ihr's gern verzeiht, entwendet:
Wir könnten leicht genötigt sein
am Ende gar heut oder morgen,
anstatt zu geben, bei Ihr zu borgen.«
»Auf diesen Fall«, fällt Amor ein,
»ist euch kein bessrer Rat zu geben
als Tag und Nacht Sie zu umschweben,
und, ohne zu merkliches Bestreben,
die Pfade von Ihrem schönen Leben
mit euern Rosen, als sproßten sie eben
von selbst hervor, zu überstreun.«
Die Rede gefiel den Dirnen wohl,
und man beschloß, ein Körbchen voll
sogleich Merkuren mit zugeben.
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»Noch eins«, sprach Phöbus, »fällt mir bei;
sag Ihren Leib- und Mund-Poeten,
wir hätten uns die Kuppelei
von Musen und Busen (als gar zu neu)
für ein und allemal verbeten.«
»Ich«, sprach jetzt Flora, »habe mir,
Olympien meine Dienstbegier
zu zeigen, Ihren Hain erwählt,
wo freilich dies und das noch fehlt.
Maßregeln hab ich schon genommen,
laßt mir nur erst den Frühling kommen!«
Die Hören stimmten im Chorus ein
und alle Göttinnen und Götter
gelobten Ihr, nebst schönem Wetter
und ewgem kühlen Sonnenschein,
zu dichten, zu würken und zu wachen
um Ihren auserwählten Hain
zu einem Paradies zu machen.
»Was mich betrifft, so hab ich zwar«,
sprach jetzt der Liebesgott, »fürwahr,
mich wenig Ihrer Gunst zu rühmen.
Denn ich verschoß an Ihrem Stolz
vergebens manchen schönen Bolz.
Dagegen ist mein Bruder Hymen
für große unverdiente Huld
um desto mehr in Ihrer Schuld.
Doch, brotzen würde mir übel ziemen.
Gern halt ich Ihren Schlägen still,
und, wenn Sie meines Diensts nicht will,
so ist mir's doch schon viel Genuß
daß Sie Sich lieben lassen muß.
(Das kann der Herr ins Ohr Ihr sagen.)«
Mit allem was man ihm aufgetragen
bepackt, war Herr Merkurius
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in seinen Aërostatischen Wagen
zu steigen eben im Begriff:
als, keuchend, mit einem großen Ranzen
voll teutscher Zitronen und Pomeranzen,
Pomona in den Weg ihm lief.
»Ein einzig Wort, Herr Vetter«, rief
die gute Frau: »bring er, ich bitt,
der Fürstin diese Früchte mit;
Sie sind von meiner eignen Zucht,
sind gut (halb Teutschland hat's versucht)
und gehn, so helf mir Sankt Walpurg!
von London bis nach Petersburg:
sind, ohne Ruhmred, extrafein,
gesund und wohlfeil oben drein;
zwölf Körbchen (trotz dem leidigen Schweitzer!)
vier Gulden nur und dreißig Kreuzer!«
Merkur nimmt ihr die Körbchen ab,
und sinkt zum Erdenball hinab.
Und hier ist auch mein Märchen gar,
Im übrigen, Prost das neue Jahr!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Gedichte. Gedichte. Gedichte an Olympia. Eine Anekdote aus dem Olymp. Eine Anekdote aus dem Olymp. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A6BA-6