Das letzte Opfer

Adele ruhte im Grabe, auf dem schon die weißen Rosen blühten, die Luise vor ihrem Abschied aus dem Pfarrhause noch darauf gepflanzt. Der Pfarrer hatte seinen ältesten Knaben in eine Kostschule gegeben und führte das Hauswesen, das Luise in gute Ordnung gebracht, mit einer braven Magd.‹

Und Luise saß wieder am Nähtischchen in dem Oberstübchen des Bruders; den kleinen Otto, der noch vieler Pflege bedurfte, hatte sie mit sich genommen, er belebte das stille Jungfernstübchen und spielte zu ihren Füßen.

Luise hatte nicht nur gegeben im Pfarrhause zu Hochbronn, sie hatte auch gelernt und an Adelens Kranken- und Sterbebette vieles gewonnen. Die höhere Bildung der jungen Frau, die, als sie von den Schlacken der Selbstsucht gereinigt war, sich wirklich als edler Schatz ihres Innern kundgegeben, hatte den Kreis ihrer eigenen Gefühle und Gedanken erweitert; der ungetrübte Friede, mit dem sie frisch und heiter durch die kleinen Wechselfälle, die unvermeidlichen Störungen des Alltagslebens ging, entsprang mehr noch als zuvor aus einer tieferen Quelle als natürlichem guten Mut: aus einem Herzen, das himmelwärts gestellt war.

Da kam Gustav Adolf, der nun bereits an mensa war und den kleinen Otto gnädig protegierte, auch einmal wieder mit einem Brief in der Tante Stube. Ein Brief vom Pfarrer Lehner an die Pflegerin seines Kindes war nichts Neues mehr, Luise war lange wieder mit der Aufschrift vertraut, – und doch stürzte siedieser Brief in eine Bewegung, wie sie ihr stilles Herz seit Jahren nicht mehr gekannt, so daß Gustav Adolf diesmal die Botschaft ins Wohnzimmer hinunterbrachte: »Die Tante ist ganz betrübt und weint und geht immer in der Stube herum.«

Der Inhalt des Briefes hätte sie nicht mehr überraschen dürfen. Er enthielt die innige herzliche Bitte Lehners, zu allem, was sie ihm und den Seinigen gegeben, noch die höchste Gabe, sich selbst, zu fügen, seinen Kindern eine treue Mutter, [143] seinen einsamen Tagen eine Gefährtin, seinem verwaisten Hause die segnende Hausfrau zu werden.

Luise hätte diese Bitte voraussehen können; ihre Geschwister, der ganze Kreis ihrer Bekannten hatten längst als ganz natürlich erwartet, daß sie des Pfarrers Gattin werde. Er bot ihr eine Heimat, wie sie sich einst gedacht, er war ihre erste und einzige Liebe: und doch – nur ein Frauenherz vielleicht wird glauben und begreifen, daß Luise bei dieser Bitte den schwersten Kampf ihres Lebens mit ihrem weiblichen Stolze zu durchkämpfen hatte. Willig, gerne, ohne Zögern war sie zu ihm geeilt in der bescheidenen Eigenschaft einer Gehilfin des Hauses, einer Pflegerin seiner Frau; sie hatte ihm beigestanden wie eine Schwester, gedient wie eine Magd. Aber sein Weib zu werden, die Hand, die er verschmäht, nun doch in die seine zu legen, nachdem ihre Gefühle für ihn lange schon zur ruhigen, fast mitleidigen Schwesterliebe geworden waren, so daß sie mit einem Herzen, lauter bis zum tiefinnersten Grunde, am Sterbebette seines Weibes hatte stehen können, – dagegen sträubte sich ihr innerstes weibliches Gefühl, und mehr als einmal ergriff sie die Feder, um ihm schwesterlichen Dank für seine Werbung zu sagen und sie abzulehnen.

Aber sie dachte an seine einsame Zukunft, an die verwaisten Kinder, die ihr die Mutter so oft auf die Seele gebunden; sie bedachte, ob es nicht Gottes Finger sei, der ihr hier ihren Wirkungskreis angewiesen, und ob ihr darauf eine andre Antwort zieme als: Siehe, ich bin des Herrn Magd.

So hat sie Ja gesagt und einen stillen Eingang gehalten in das Pfarrhaus, dessen Schwelle sie das erste Mal schon als hilfreicher Engel betreten, und sie ist dem Gatten ein gutes, treues Weib geworden, die ihm Liebes getan und kein Leides sein Leben lang. Ihre fleißige Hand brachte den Segen ins Haus, und Adelens Kinder, die ihre einzigen blieben, wuchsen und gediehen wie Ölzweige.

Ob sie das alte Gefühl ihrer Jugend, das Glück und das volle Vertrauen ihres jungen Herzens wiedergefunden, – ich weiß es nicht, und ich glaube es kaum. Aber ihr Mann wurde [144] gepriesen als ein glücklicher und gesegneter Mann, und er hat in ihr seinen guten Engel erkannt bis zu seinem letzten Hauch.

Ihre Kinder sind mit einer Liebe und Achtung an ihr gehangen, wie sie nur eine Mutter als köstlichste Gottesgabe erbitten kann. Luise ruht nun lange im Grabe neben Adele und ihrem Gatten, und Adelens Söhne sind Männer geworden; aber das Auge der Männer wird feucht, und ihre Hände falten sich wie zum Gebet, wenn sie der zweiten Mutter gedenken und ihrer Treue.

Fußnoten

1 Fiaker und Hunde.

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TextGrid Repository (2012). Wildermuth, Ottilie. Erzählungen. Aus dem Frauenleben. Die Verschmähte. Das letzte Opfer. Das letzte Opfer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A768-7