[88] [91]Der Menge Qual

Arme Leute

Bei düstern Heidekiefern
Stehn spärlich magre Ähren,
Sie saugen an dürrem Sande,
Verzweifelnd, sich zu nähren.
Da kauert ein lehmig Häuschen
Mit Düngerhaufen und Karren.
Kläglich meckert die Ziege,
Und struppige Hühnchen scharren.
Aus der Türe humpelt ein krummer
Kleinbauer, emporzuspähen
Zur bleiern schleichenden Wolke,
Zu hungrig krächzenden Krähen.
Nur karge Mitleidszähren
Vermag die Wolke zu schenken;
Dann schleicht sie trübe weiter,
Ohne Kraft, zu tränken.
Selber arm und traurig,
Folg ich der weinenden Wolke
Und denk an arme Leute
Und leide mit meinem Volke.

[91] Die Sonnenblume

Auf sandiger Heide am Kiefernforst
Kauert ein Häuschen gedrückt,
An Fenster, Dach und Lehmgewand
Verwahrlost und zerstückt.
Des bretternen Stalles Türe klafft;
Verloren sind Schafe und Ziegen.
Im Dünger ein letztes Hühnchen scharrt,
Mürrisch brummen die Fliegen.
Und in der Stube da quarrt das Kind,
Das Weib, das zornige, schilt,
Des Häuslers Stimme vom Trunke rauh
Lästert dazwischen wild ....
Am Fenster die schlanke Sonnenblume
Erbebt in heimlichem Leid.
Aus Schutt und Unkraut strebt sie scheu
Und starrt in die Ferne weit.
Dort hinter vergilbtem Kartoffelkraut
Und blondem Stoppelhaar
Erglänzt der Himmel wie mattes Gold,
Wie Feiergesang so klar.
[92]
Dort loht aus überirdischem Licht
Eine andere Blume: die Abendsonne.
Sie neigt sich zu Grab. Wer die heilige liebt,
Sauge noch einmal einzige Wonne!
Und die Sonnenblume, am Glutenball
Hängt schwärmerisch starr ihr Angesicht,
Ihr gelbumkränztes Träumergesicht,
Selig ertrunken im Purpurlicht.
So steht sie, bei Nesseln an wüster Mauer,
Wie bebende Arme die Blätter gebreitet ...
Versunken die Sonne ... Hinterdrein gleitet
Ein Schmachten hinunter mit Todesschauer.

[93] Entzauberung

Dort drüben liegt sie/ riesenbreit erstreckt
Und vielgezackt zum Wolkengrau gereckt:
Die steinern fahle Stadt/ von hunderttausend
Tagwerken murrend und erbrausend.
Ein Dunst umhüllt die Dächer, rußig, bleiern:
Der Schlote Ausgeburt/ die noch nicht feiern.
Und doch schon murmeln von der Vesperstunde
Die düstern Türme mit dem Glockenmunde.
Wie dort der Häuserwall, der Vorstadt-Rumpf,
Aus fünfgezeilten Fenstern stumpf
Herüberstarrt zum braunen Ackergrund,
Wo, schmutzigrot die Mauern,
Zwei qualmende Fabriken kauern.
Horch, die Maschine heult das Vesperzeichen.
Da rinnt aus dem Fabrikentor
Ein langer Zug von Arbeitsvolk
Den Ackerweg dahin, zur Stadt.
Und sieh, die Häuserstirnen rötet matt
Der Abendwolken Widerschein.
Auf einmal quillt der Feuerball herein
Aus einem Wolkenriß und überflutet
Die Landschaft, daß sie golden glutet.
[94]
O Zaubertat! Die Stadt mit ihrem Dunst
Liegt nun verklärt, von Purpurduft umflossen:
Ein Hügel, drum in ungestümer Brunst,
Aus grauem Dorn, blutrote Rosen sprossen.
Und sieh nur, wie die Scheibenzeilen strahlen,
Mit rotem Blitz das Sonnenfeuer malen!
Wie alle Häuser, alle Fensteraugen,
Mit heißem Durst die Purpurquelle saugen
Und saugend immer lichter sich verklären/
Als ob sie fluchbeladne Schlösser wären,
Die für ein karges Weilchen von der bösen
Verwünschung sich erlösen.
Und sie betrachtend voller Staunen,
Hör ich die Häuser gramvoll raunen:
»Verwunschene Schlösser, verfluchte Mauern,
Ach wohl, das sind wir! Müssen ja trauern
In düstrer Öde jahraus jahrein,
Hilfloses Grauen im lahmen Gebein.
Durch Kerkerräume Gespenster poltern,
Viel arme Menschenseelen zu foltern,
Mit teuflischen Zangen, mit Dürsten und Fasten,
Mit knechtischen Ketten, unmenschlichen Lasten.
[95]
Auf faulem Stroh die Armut kauert,
Verzehrt von Fieber und frostdurchschauert;
Das Auge irrt,
Es ringen die Hände.
Doch fledermausig
Die Sorge schwirrt
Um unsere grausig
Verdammten Wände ...
Fluch und kein Ende!
Nur manchmal naht die Gnadenstunde,
Wo die purpurne Sonne mit küssendem Munde
Die Stirn uns rührt und an jenen gemahnt,
Den unsere Seele erschauernd ahnt:
Den Strahlenbräutigam wundervoll,
Den starken Helden, der kommen soll,
Aus gespenstischer Not, aus Nacht und Ketten
Auf ewig uns zum Lichte zu retten.«
So klagten die Verfluchten. Und der Scheiben Rot
Ward düster und erstarb in matten Funken.
In Stumpfheit lag die Stadt zurückgesunken:
Ein Schlackenhaufen,
Schwarz/ und kalt/ und tot.

[96] Die kommende Sonne

Es brennt in meinem Hirn
Ein Traum mit gärender Glut,
Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn
Der Erde fieberndes Feuerblut.
Ich träume die kommende Sonne.
Und wie des Meeres Flut empor
Zum lockenden Monde schwillt,
Wallt meine Seele schmachtend
Dem angebeteten Traumgebild
Entgegen, der kommenden Sonne.
In stummer Nacht, dem weichen Arm
Der trägen Ruh entwunden,
Wälz ich mich mit heißem Sehnen,
Fülle mit Grübeln zögernde Stunden;
Ich harre der kommenden Sonne.
Vom Lager fahr ich wild empor,
Wissende Bücher aufzuschlagen.
Ihr starren Züge, laßt mich lesen:
Wann wird umnachteten Völkern tagen
Die selig machende Sonne?
[97]
Es treibt mich auf die Gassen hinaus;
Da atmen die Gassen Moderluft;
Ein steinerner Sarg jedwedes Haus,
Die Stadt eine riesige Gruft.
Erbarme dich, kommende Sonne!
Und schaudernd durch das Tor der Gruft
Flücht ich hinaus auf offenes Feld
Und spähe, ob die finstre Luft
Nicht endlich Morgengrau erhellt.
Ich ahne die kommende Sonne.
Und sieh, des Lichtes Halme schießen
Empor vom fernen, dunkeln Lande,
Wie hinter schwarzem Schildesrande
Blutige Speere sprießen.
Das sind die Speere der Sonne!
Da weicht der Drache der Verwesung
Von seinem Nest, der Völkergruft;
Er faltet die zackigen Flügel
Und kriecht entsetzt in seine Schluft.
Preis dir, siegende Sonne!
Nun taucht aus rosenbesätem Gewölk
Empor der rollende Feuerball.
[98]
Da zittert die Erde, da bersten
Die Riesensärge mit Donnerschall.
Preis dir, erlösende Sonne!
Die toten Völker stehen auf
Und baden im goldig strömenden Licht;
Die Leiber blühen schön und stark,
Und geistig strahlt das Angesicht.
Preis dir, erweckende Sonne!
Die Erde schimmert wie eine Braut
Im Schmuck der Blumen und Seen;
Hinter üppig grünenden Hainen
Marmorhäuser erstehen.
Preis dir, verklärende Sonne!
Und aus den Toren der Marmorstadt
Wallt des Volkes festliche Schar,
Bringt Fahnen, selige Lieder,
Trunkene Blicke zum Opfer dar
Der entzückenden Göttin Sonne.
So brennt in meinem Hirn
Der Traum mit gärender Glut,
Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn
Der Erde fieberndes Feuerblut.
Ich träume die kommende Sonne.

[99] Die Wolkenstadt

Über rußbestaubten Dächerwogen,
Straßendunst und dumpfem Werkgetose,
Über all dem bang beladnen Volke
Schwebt die Wolke
Blendend weiß/ wie eine Riesenwasserrose
Über schwarzem Moderkolke.
Und hernieder blickt die Reine
In den düstern Hof, wo zwischen Mauern,
Ungeliebt vom Sonnenscheine,
Ein gebeugtes Weib die Jugend muß vertrauern
Bei der Nadel fieberhaftem Rasseln.
Blasses Weib, erhebe dein Gesicht
Zu der Wolke hehrem Licht!
Und ihr Werkelmänner arbeitsheiß,
Laßt das Hämmern, laßt des Schwungrads Treiben!
Tretet an die trüben Werkstattscheiben,
Trocknet von der Stirn den Schweiß,
Andachtsvoll den Blick erhoben
Zu der weißen Wolke droben!
Alle, die durch graue Gassen
Grübelnd hasten und einander hassen
Um ein karges, hartes Brot/
[100]
Die um armen Leibes Not
In das Morgen schaun mit Bangen/
Die gebrochen und verlassen
Hüsteln mit gehöhlten Wangen/
Die den Tod verzweifelnd suchen,
Oder hinter Eisenstangen
Schmachtend fluchen/
All die Fensteraugen jener langen
Häuserzeilen sollen aufwärts schauen
Zur verklärten Wolke.
Ruhevoll im wasserblauen
Himmel schwimmt das selige Eiland,
Blendend weiß
Wie ein Alpenberg mit keuschem Eis;
In den Tälern Hyazinthenfelder,
An den Hängen Apfelblütenwälder;
Alabasterne Paläste
Schimmern durch die rosa Äste;
Und auf sanften Taubenschwingen
Schwebt ein Klang wie Kindersingen.
Doch wo weilen sie, die auf den Himmelsthronen
Frei wie Götter wohnen?
Dort an weißer Hügel Rändern
Stehen sie in wallenden Gewändern
[101]
Engeln gleich. Und sieh, die Einen
Hüllen ihr Gesicht und weinen,
Andre schauen starr und trauernd
Oft zusammenschauernd,
Wie entsetzt, hernieder
Auf der Weltstadt wüste Riesenglieder,
Die in Staub und Sünde angstvoll keucht.
Und in liebendem Erbarmen
Möchten sie die Stadt umarmen:
»Arme trübe Schwester, hebe
Deinen Blick zu uns und schwebe
Sehnsuchtsvoll empor/
Wie ein frisch erblühter Silberfalter
Sonnetrunken aufwärts fliegt,
Während grau und leer sein alter
Puppenschrein im Staube liegt.«

[102] Straße

An düster ragenden Häuserwällen
Durch flammenbesäte steinerne Schlucht
Branden die rasselnden Wagen, die Menschen/
Wie Wellen in klippiger Meeresbucht.
Der rote Vollmond taucht empor.
Die Menge wühlt und drängt und stößt;
Jedweden kümmert nur seine Not/
Wie auf dem Deck des lecken Schiffes,
Das in den Tod zu sinken droht.
Der rote Mond schaut düster drein.
Auf glattem Bürgersteige kauert/
Gleichwie am Felsenriff das Wrack/
Ein Mann mit vorgesunknem Kopfe,
Zur Seite einen Lumpensack.
Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Die Leute auf dem Bürgersteige
Treiben vorbei und blicken kalt;
Die Straßenbahn beglotzt im Rollen
Mit grünem Auge die Gestalt.
Der rote Mond schaut düster drein.
[103]
Dort drüben lockt die blutige Flamme
Dem Schnapswirt manchen Gast ins Haus;
Und öffnet sich die Schänke dunstig,
Dringt Schelten und Gejohl heraus.
Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Des Handelshauses Fensterreihe
Ist noch vom Gaslicht grell erhellt;
Papier und Pult und blasse Schreiber;
Der Chef durchzählt des Tages Geld.
Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Nun heult vom Hofe die Maschine
Zur Vesper; da entläßt das Tor
Viel arbeitsmatte Blusenmänner;
Nur der Fabrikschlot stößt empor
Zum roten Monde schwarzen Rauch.
Ein würdiger Bürger kommt geschritten,
Den Lump am Steige trifft sein Blick;
Entrüstet mit dem Kopfe schüttelnd
Geht er zu Bier und Politik/
Und zornrot glüht der volle Mond.

[104] Aufruhr der Lüfte

An meinem Lager hält die Nacht
Schweigend ihre Leichenwacht.
Nur draußen über Häuserdächer streift
Ein ruheloser Luftgeist/
Wie Trauergewandung
Über Sargesdeckel schleift.
Unter den Dächern
Modert es zahllos/
Wie unter herbstlichen Bäumen
Gestorbenes Laub ...
Die Völker sind tot!
Wohl sickert warmes Blut
Durch ihre Adern,
Wohl heben sie im Morgengrau
Augenlider und Häupter;
Doch mürrisch wie Gefangne.
Und mürrisch strömt es durch die Straße
Zu kerkerhaften Mauern,
Wo Menschenleiber sich wandeln
Zu Räderwerk und Balken,
Zu stumpfen Riesenmaschinen,
Die stampfen, schaffen und stampfen,
[105]
Bis draußen der sonnige Tag
Wehmütigen Blicks zur Neige geht.
Und wieder auf die Straße strömt es,
Auftun sich die dumpfigen Häusersärge,
Die Völker strecken sich nieder
Und liegen tot.
Nur heimlich in den Häupten
Keimen Träume/
Wie krankhaft bleiche Keime
An Wurzelknollen, die im Keller lagern,
Sehnlich tasten
Nach lauem Sonnenbade.
An meinem Lager hält die Nacht
Finster ihre Leichenwacht.
Doch draußen ob den Dächern
Geht ein Seufzen;
Zum Stöhnen wird es,
Zu murrender Klage.
Zornig stößt ein Wind das Haus,
Ein andrer Wind heult auf;
Bedrohlich brausend
Stürmt es heran,
Tobende Aufruhrrotten.
[106]
Türe schlottert, Fenster rasselt,
Luke klappt, Dachsparren knarren,
Losgelöste Ziegel scharren
Übers Dach und krachen auf das Pflaster.
Aus schnarchendem Schlaf, aus trägen Federn
Schrickt der Bürger empor.
O horch,
Wie's im Kamine schaurig heult
Und durch den Türspalt zischt:
»Herbei, und schlüpft in die Kammer!
Blaset den Narren, blaset!«
Und wie am Kirchturm droben
Die Wetterfahne ängstlich kreischt/
Bis ein wuchtiger Windstoß
Von verbogener Stange
Die Rostige abbricht;
Sie schollert übers Kirchendach
Und prasselt auf das Pflaster
Vor Pfarrers Fenster.
Der Straßenwächter fährt zusammen,
Entweicht zur nahen Haustür
Und schmiegt sich fröstelnd in die Nische.
Drüben an der Anschlagsäule
[107]
Zerren spöttische Geister
Am Papierbefehle
Der hohen Obrigkeit
Und wirbeln den Fetzen mit Straßenspreu.
Hinter der Mauer im Hofe
Hebt der einsame Baum
Zu den Lüften flehende Arme
Und stöhnt und wimmert:
»Nehmt mich mit!
Reißt mich aus!
Fort aus steinerner Wüste,
Aus dumpfigen Kerkermauern
Hinaus ins himmlische Freie
Zu sonnefrohen Geschwistern!«

[108] Gefangen

Nachtodem braust mit Regen und Schlossen
Und haucht herein durch die Kerkersprossen.
Drin lehnt ein heißes Haupt an der Mauer;
Das kostet die Kühle mit süßem Schauer.
Es lauscht dem wilden Rütteln und Dröhnen
Des Sturmes, dem langgezogenen Stöhnen.
Es lauscht, wie der Regen vom Dache rinselt,
Wie die Traufe im Hofe schluchzt und winselt.
Es lauscht, wie ferne die Föhren sausen,
Und am Seegestade die Wellen erbrausen.
Nun horch/ da nahen hurtige Schläge
Von Rosses Hufen auf nächtlichem Wege.
Vorüber stürmt galoppendes Reiten,
Hinaus in geheimnishüllende Weiten ...
So lauscht ein heißes Haupt an der Mauer
Und kostet die Kühle mit süßem Schauer.
Nachtodem braust mit Regen und Schlossen
Und haucht herein durch die Kerkersprossen.

[109] Vorstadtlerche

Stumm lag die Straße, unter schwarzem Laken.
Verschlafen blinzten die Laternenflammen;
Die öden Pflastersteine schraken
Vor meinem Schritt zusammen.
Doch mir im Haupte brandete das Blut,
Und üppig blitzten die Gedanken/
Des Hochgespräches kühne Brut,
Bei dessen wild erhabener Glut
Ich mit den Freunden saß, in feierlicher Nacht ...
Und staunend schaut ich die Gedankenpracht
Und fühlte staunend meines Herzens Weihe;
Und meine Seele wuchs zu hehren Sternen
Wie Rauchschwall wirbelnd sich gen Himmel breitet.
Und wie ich schlafen sah die dunkle Häuserreihe,
Bedünkt ich mich ein Heiland,
Der liebewach sein schlummernd Volk durchschreitet.
Doch als ich öffnete des Hauses Tor,
Da gähnte schwarz das Haus wie eine Gruft.
Und als die finstern Treppen ich empor
Getastet bis zum Stockwerk unterm Dach,
Da hauchte mir das enge Schlafgemach
Entgegen drückend schwüle Luft.
Beklommen streckt ich mich zu Bett
Und suchte Schlaf. Doch heiß war meine Stirn,
Und rastlos grübelte das müde Hirn.
[110]
Dann aus der dunkeln Ecke kam geschlichen
Die Angst und kroch mit ekler Gier empor
Und drückte meine Brust und würgte mich;
Und meine Glieder waren totenstarr.
Und eine Stimme raunte mir ins Ohr:
»Ohnmächtiger Narr!
Der du ein Held,
Ein Heiland dich bedünkt,
Da liegst du nun gefällt,
Von meiner Faust gefaßt/
Wie all dein kummerbleiches Volk,
Das hingestürzt von Tageslast
Rings unter dumpfen Dächern modert ...«
Und wie es zischelnd höhnte,
Und wie, bedrückt vom Alb,
Ich röchelte und stöhnte,
Da brach mein Herz,
Da sank' mit hohlem Dröhnen
Mein Sarg in schwarze Erde ...
Der Deckel preßte meine dumpfe Stirn,
Und die Gedanken wurden starr im Hirn.
Was zwitschert heimlich in der Ferne
So süß und morgenfrisch?
Was spür ich wie ein Liebchen schleichen
[111]
Vom Fenster durch das lauschig stille Zimmer?
Bist du es, Frühlicht? Ja, du bist es, Liebchen!
Schon grüßen mich mit geisterhaftem Schimmer
Der Tisch, das Polster und die Uhr ... Ihr bleichen,
Aus Nacht erstandnen Freunde! Ja, es tagt!
Wie wonnig meine nachtgequälten Augen
Des Lichtes zarte Rieselquelle saugen!
Und wie in lichtgetränkten Wolkenräumen
Die Lerche trunken taumelt!
O laß mich lauschen, laß mich träumen,
Zärtlicher Vogel ...
Die bange Nacht
Verschlief dein Köpfchen, flügelgeborgen,
In dunkler Ackerfurche der Vorstadt.
Doch als mit hauchendem Kusse der Morgen
Dein Flaumkleid rührte, bist du erwacht
Und sehnsuchtsvoll auf schlafgestärkten Flügeln
Emporgeschwirrt zu frischen Lüften/
Wo zwischen grauen Wolkenhügeln
Aus rotbesäumten Schlüften
Des Tages Goldflut bricht.
Und auf zum jungen Licht
Mit nie versiegender Liebeslust
Jubelt die schwärmende Sängerbrust:
»Wie bist du süß! Wie bist du süß!«
[112]
O Lerchenlied, du Labequell!
Laß Trillerperlen funkelhell
Auf dürre Seelenauen
Mir niedertauen!
Du Flatterpunkt im Blauen
Bist stärker als mein Flügelschwung,
Der rückwärts sank in Nacht und Grauen.
Vom glutverklärten Fenster lauscht
Mein trostverschmachtet Ohr
Erquickt zu dir empor.
Nun trage durch das Morgentor
Den Hingegebnen, hilflos Matten
Von bangen Straßenschatten
Empor, empor/
Du lieber kleiner Heiland/
Zu seligem Ruhe-Eiland.

[113] Der Mohnkopf

Im herben Wind am Dornenzaun
Bei toten, raschelnden Ranken,
Verödet muß dies Greisenhaupt
Die trüben Tage durchwanken/
Und aschendürr und aschenfahl,
Von Gram gebeugt, hinab
Zur wüsten Erde starren:
Du meiner Hoffnung Grab!
Ach wohl, im Sommer, als flammend heiß
Im Blauen die Sonne stand,
Da war von üppigen Träumen
Mein jugendlich Haupt entbrannt.
Ich loderte glutig und dünkte mich selbst
Solch herrlicher Flammenbronnen
Und wollt im Herbste Garten und Flur
Besäen mit roten Sonnen.
Doch als er kam, der Herbst/ da ward
Ich zage wie welkend Laub.
Und als ich neigte mein Haupt zur Saat,
Da war manch Körnlein taub.
[114]
Und etliches fiel auf dürr Gestein;
Der Vogel hat es gepickt.
Und etliches wird, wenn es keimt, zertreten
Oder von Dornen erstickt.
Und etliches hat der barsche Sturm
Geschleudert, weiß nicht wohin;
Auch den vermessenen Jugendtraum
Gezaust mir aus dem Sinn.
Nun steh ich hier am Dornenzaun
Bei toten, raschelnden Ranken
Und muß mit ödem Greisenhaupt
Die trüben Tage durchwanken ...
O Jugend, du fliegst kühn und rasch,
So wie die Schwalbe schnellt.
Doch gleich der Schnecke träge schleicht
In Ewigkeit die Welt.

[115] Ich will

Hoch stand ich auf dem Dach/ und sah
Seltsamste Morgenglut:
Rings wogte über die Häuser hin
Ein Meer von Brand und Blut.
Wild brüllte die schwarzrot qualmende Schlacht;
Mit zornigem Knattern schossen
Behelmte Feinde zu uns empor.
Doch es trotzten fest die Genossen,
Wie Felsen im schlagenden Hagelsturm.
Verheerende Bomben schwangen sie
Und manchmal durch das Schlachtgetos
Die Marseillaise fangen sie.
Ihr wollustgirrendes Mordlied pfiff
Eine Kugel an meinem Ohr;
Da bäumte sich meine Seele jäh
Gleich wütiger Schlange empor.
Den Sprengball zückte die krallende Faust
Nach den feindlich stürmenden Massen
Und schmiß des Todes reißende Saat
Hinunter mit jauchzendem Hassen.
Und dumpf ...
...Ein Rollen, ein Peitschengeklatsch
Und Getrappel/ goldflirrender Schein;
Und sieh, die Morgensonne strahlt
Zum offenen Fenster herein.
[116]
Im Bette lieg ich/ es war ein Traum!
Nicht Kugeln, die Schwalben girren
Und schießen um mein ländliches Dach.
Und droben im Mattblau schwirren
Lichtfrohe Lerchen. Durch tauige Flur
Trabt munter das Pferd mit dem Wagen;
Drauf sitzt der junge Bauer und schmaucht
Sein Pfeifchen mit Behagen
Und fährt so sicher hinein in die Welt ...
Ich aber, ich seufze und schwanke
Und bin auf bangem Lager hier
Ein zweifelnder Gedanke.
Noch hält der Zorn, der glühende Traum
Mein Herz in banger Stockung,
Und schon umschmeichelt mich so süß
Des Lebens liebliche Lockung.
Da schwindelt mir; Verwirrung, Scham,
Sie überfluten heiß mich;
O ich vermessner, armer Tor!
Was bin ich? Und was weiß ich?
Ich bin nur ein Halm im wogenden Feld
Und wähnte, ich sei das Feld;
Und ich wanke, schwanke in Lieb und Haß,
Und mir däucht, ich bewege die Welt.
O ich Irrtum und schwächlicher Widerspruch!
[117]
Und doch! Was hier erwacht
So grimm und kühn, ist Irrtum nicht,
Ist Zwietracht nicht, ist Macht.
Ich bin die einige Macht, bin Lieb
Und Haß mit einem Male,
So einig wie Kastanienfrucht und ihre Stachelschale.
Und die hassende Liebe, der liebende Haß,
So in mir gärt und schafft,
Das ist der Menschheit Lebensdrang,
Ist die weltbewegende Kraft.
Ich will! Und dieser Kraftstrom wird
Durch alle Zeiten wallen,
Wird Arme breiten sehnsuchtsvoll
Und Fäuste drohend ballen.
Ich will! Und wenn mein trotziger Mund
Auch längst im Tode schwieg,
Ich will! Und ewig ist mein Kampf,
Und ewig ist mein Sieg!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Wille, Bruno. Der Menge Qual. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A964-E