[84] Im Kiefernforste

»Ein Fremdling trat in meine Wohnung.

Ich reichte ihm die Hand;

Er setzte sich an meinen Herd und hielt

Die Stirne in den Händen

Und frug: ›Hast du der Ochsen viel?‹

Und seine Füße waren voll von Staub. –

Ich habe nicht gefragt: Von welchem Dorf bist du?

Er hatte seinen Sack zu mir dahingesetzt,

Und dieser Sack enthielt blos einen Stein.«

(Der Rhapsode der Dimbovitza.)

»Es zehrt
An aller Mark der Sünde fressend Feuer;
Ein jeder ist verschuldet jeder That,
Und jeder trägt auf seiner Seele ungeheuer,
Was jeder je an Schuld und Frevel that.
Ihr stoßt den Einen tief hinab in Nacht,
Den Andern hebet ihr empor zum Licht, –
Lehrt ihr die Blinden, was sie sehend macht?
Und trocknet ihr der Weinenden Gesicht?«
Julius Hart.

1. Versammlung

Wie ruhevoll ist eure Versammlung
Braunhalsige Kiefern mit dunkelbuschigem Haar!
Ihr schweiget, weil euch wohl ist
In träumerischem Frieden.
[85]
Erquickend kraftvoll duften eure Nadeln,
Dazu der violette Thymian,
Die struppigen Wachholderbüsche,
Die knabengleich bei Hochgewachsenen stehen.
Es ist so still, ich höre meinen Atem;
Ein kleiner Vogel nur schlüpft ziepend im Geäst,
Auf zarter Birke zirpt die Grille leise,
Und wenn der Wind sich sanft erhebt,
Durchwallt ein hauchend Sausen die Versammlung,
Und alle Kiefernhäupter nicken,
In würdevoller Eintracht sinnend. –
Ich weiß mir einen andern Wald;
Der wogt im mächtigen Saal; die Wipfel
Sind finstre Proletarierköpfe.
Die Leuchter an der Decke flammen trübe,
Von rauchig schwülem Dunste halb erstickt.
Nun schrillt die Glocke, stumm wird das Gebrause, –
Wie wenn ein Wald vor dem Gewitter schweigt!
Der Führer steht erhöht; wie schwarze Wolken
Ballt er Gedanken heiligen Zorns zusammen;
Und Spannung hält gefesselt die Gesichter,
Und Blitz auf Blitz durchzuckt die Männerherzen, –
Bis gleich dem Hagel wilder Beifall prasselt,
Und Rufen tönt und donnergleiches Grollen ...
O Sonne hinter den Kiefern,
Rotglühende Abendsonne!
Wie schwimmst du mit Entzücken
Im angestralten Himmelsteiche!
[86]
Du bist entzückt, weil du so schön
Den Himmel und das Land bestralst.
In tiefen, trunkenen Zügen
Und leise schwellend, saugst du
Den goldigroten Atem ein
Und hauchst ihn liebend
In langen Strahlen durch der Kiefern Gassen.
Da duften, überstäubt von Glanz, inbrünstig
Strohblume, Haidekraut und Thymian;
Voll Ehrfurcht steht der struppige Wachholder,
Die hochgewachsenen Kiefernstämme gleißen
Wie glühende Stangen, ihre Häupter starren
Andächtiglich mit staunendem Sausen
Hinein in des hehren Weltenfeuers
Blendend großen Tropfen...
O Sonne, brich mit deiner Glut
Auch in den andern Wald,
Wirf deine Strahlen in Gesicht und Augen
Verhärmter Menschen,
Entzückend und erlösend!
Bald, o Sonne, bald!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wille, Bruno. Gedichte. Einsiedler und Genosse. Der Genosse. Im Kiefernforste. 1. Versammlung. 1. Versammlung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A9E3-1