Andächtige Todes-Gedanken

Hohel. Sal. 2. Cap. v.10. 11. 12


Stehe auf meine Freundin, meine Schöne, und komme her. Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin. Die Blumen sind herfür kommen.


[136] Serenata.

Jesus:

Steh auf! steh auf!
Von dem, was irdisch heist.
Ermuntre deinen Geist!
Und fleuch herauf.
Ich geb dir Kraft und Stärke mit;
So folge, liebste Sulamith,
Steh auf! steh auf!
Seele:

Was hör' ich jetzt vor eine sanfte Stimme?
Ruft winkt mir nicht mein Seelen-Freund?
Ja! ja!
Ich höre dich, und bin bereits schon da.
Du hasts ja stets getreu mit mir gemeint.
Du hast, kaum da ich auf das Jammerthal gekommen,
Dich meiner herzlich angenommen.
Da ich so manchen Tag
In meinem Blute lag,
Hast du mich Erde, Staub und Aschen
Von meinem Blut, durch dein Blut abgewaschen.
Du hast, wenn mich die Welt betrübt,
Gestärkt, getröst und hold geliebt.
So hab ich dich hinwieder lieb gewonnen,
Und mit Gehorsam allezeit,
Durch Kreuz und Leid,
Durch böß und gut, nach Thabor und nach Golgatha,
Wohin du mich gerufen hast,
Mit meiner aufgelegten Last,
Nach deinen Willen und Verlangen
Getreulich, still, gelassen, geduldig nachgegangen.
Drum wolt, und kunt ich nicht der Welt,
Die doch nur Wermuth in sich hält,
Nicht folgen, oder dienen.
[137] Jesus:

Wer mir will zu Ehren leben,
Muß sich ganz der Welt begeben,
Und beharrlich auf mich sehn.
Die mich hören,
Die mich ehren,
Und die Eitelkeit verschmähn,
Und sich ganz der Welt begeben,
Dort mit mir in Ehren leben.
Seele:

Ich habe wohl gesehen und empfunden,
Daß diese Welt, denselben, der sie liebt,
Nur überzuckert Gift und Dornen-volle Rosen giebt.
Ich merkte ihren falschen Schooß;
Drum riß ich mich beyzeiten von ihr loß:
Und habe mich an den, der schmerzlich vor mich litt,
Der Blut vor mich geweint,
Ich meine dich mein Freund!
Als eine treue Sulamith,
Beständiglich gehalten.
So hat die Welt mich auch nicht überwunden.
Drum folg ich dir auch jetzt nicht träge und gemach,
Nein! sondern durch die Kraft des Geistes munter nach.
Mein Freund ruft mir: Steh meine Freundin auf!
Hier bin ich Freund! wohin geht nun der Lauf?
Jesus:

Komm mit mir!
Seele:

Freund! wohin?
Jesus:

Zur Grabes-Thür.
Sulamith mein Ebenbild!
Wenn ich frage:
Ob du wilt?
[138]
Ey so sage:
Sieh! wie freudig folg ich dir,
Liebster Freund, zur Grabes-Thür!
Seele:

Herr, der du alle Dinge weißt,
Mein armer Geist
Hat sehnlich, herzlich, und gar oft
Auf diesen angenehmen Ruf gehofft.
Wie wird mir doch die Zeit zu Gruft zu lange!
Die Sünde macht mir angst und bange.
Ich weiß nicht, was ich thu.
Mein Wille steht bey dem, was ich nicht will,
Oft mit Gehorsam still.
Und was ich flieh und hasse,
Das ists, was ich vollziehe und umfasse.
Die böse Lust, die ich ererbt;
Die mich verderbt,
Die macht, daß ich mich öfters dem ergebe,
Dem ich doch nach dem Geiste widerstrebe.
Ich armer Mensch! ich arme Creatur!
Sünde, du verfluchtes Ubel!
Was bezwinget dich?
Jesus:

ie Biebel,
Und mein rosinfarbnes Blut.
Dieses sind die rechten Waffen,
Die dir Sieg und Ruhm verschaffen.
Seele:

Freund! Was giebt mir Kraft und Muth?
Jesus:

Wort und Blut.
[139] Seele:

Damit hab ich bereits beherzt gekämpft,
Und auch beglückt der Sünde Macht gedämpft;
Allein,
Ich muß ja stets mit ihr zu Felde seyn.
Die Welt stürmt gleichfals auf mich zu;
Mein Fleisch und Blut läßt mir auch keine Ruh;
Die Feinde suchen mich zur lincken und zur rechten Scharf anzufechten.
Die drey berühmte Erden-Götzen,
Darauf die Welt
Mit ihrer Liebe und Vertrauen fällt,
Gedenken mich auch zu verführen.
Da muß ich unter Angst und Kriegen
Mit Trähnen schreyn: Herr hilf mir siegen!
Ich seufze: wär ich dieser Bande loß!
O! läg ich in des Patriarchen Schooß!
Ich rufe ängstiglich:
Mein liebster Freund! komm! und erlöse mich!
Von Anfechtung und allen Sünden-Ubel.
Komm! komm! mich von den Bösen
Durch einen selgen Abschied zu erlösen
Laß mich sterben! nim mich hin!
Ich bin meines Lebens müde.
Hier ist streiten dort ist Friede.
Mein Verlangen ist das Leben,
Aufzugeben:
Denn der Tod bringt mir Gewinn
Laß mich sterben nimm mich hin!
Jesus:

Ich komme ja, Geliebte, dein Begehren
Und bitte zu gewehren.
Komm! meine Freundin aus dem Weltgetümmel,
Zu mir im Himmel.
Komm zu mir in mein Haus,
Die Zeit des Elends ist nun aus
[140]
Ich will dich nun von Sünden,
Und dieses Lebens Noth entbinden.
Die widrige, die rauhe Zeit,
Dein Kreuz und deine Angst, und deine Bitterkeit,
Dein Jammer und Beschwerden,
Soll nun ein Ende werden.
Sey frölich! dein Verlangen
Wird nun erfüllt.
Der Regen ist dahin; der Winter ist vergangen.
Nach dem Donner, Blitz und Regen
Geht die helle Sonne auf.
Nach den Dornen-vollen Wegen
Folgen angenehme drauf.
Nach dem Donner, Blitz und Regen
Geht die Freuden-Sonne auf.
Seele:

Gott Lob! Gott Lob!
Daß ich nunmehr der Erde,
Und aller meiner Last und Quaal entbunden werde.
Kreuz, Elend, Angst, Betrübniß, Schmerz und Noth,
War täglich mein Besuch, mein Früh- und Abend-Brod.
Wie oft hab ich am Kreutzes-Pfal geschwitzt!
Wie öfters haben mich die Dornen aufgeritzt!
Den Thränen-Guß aus meinem Augen-Paar
Nahm ich fast täglich wahr.
Wie öfters must ich fragen:
Wenn kömmst du Freund, und wendest meine Plagen?
Wenn ists genug?
Freund! hätt ich deine Gnade nicht gemerkt;
Hätt mich dein Engel nicht gestärkt;
Hättst du mich nicht in Angst und Mattigkeit erfrischt,
Und mir den Schweiß vom Angesicht gewischt;
So wäre ich in meiner Noth vergangen.
Jetzt aber läßt du mich die Liebe grösser spühren,
Denn du wilst mich aus diesem Jammerthal,
In deinen Freuden-Saal
Zu meiner Himmels-Hochzeit führen.
[141]
Victoria! ich werde sterben,
Und Canaan ererben.
Triumph! Triumph!
Ich hab das beste Looß getroffen.
Nun stehet mir der Himmel offen.
Mein Kampf und meine Trähnen-Nacht
Ist nun zu meinem Glück vollbracht.
Nun werden meiner Feinde Waffen stumpf
Triumph! Triumph!
Jesus:

Nun solst du Freuden-Psalmen,
Und Halleluja singen.
Nun werden deine Palmen
Und Freuden-Rosen grünen.
Der Frühling deiner Lust ist nun erschienen.
Komm Freundin! tritt in meinen Garten ein
Wo keine Würmer nicht und keine Dornen seyn.
Hier will ich dir vor dein betrübtes Leben,
Mein Reich und meine Schätze geben.
Allhier belohn ich dein gedultigs Leiden,
Mit ewig süssen Freuden.
Geh Freundin in dein kühles Grab zur Ruh,
Ich schließ dir selbst die Thür zu diesen zu.
Die Engel geb ich dir geliebte Sulamith
Zu Wächtern mit.
So gehe dann hinein.
Dein Freund singt dich mit diesem Liede ein.
Freundin! schlaf hier sanft und sicher,
Meine Schweiß- und Leichen-Tücher
Geb ich dir zum Kleide mit.
Hier bewahr ich deine Glieder,
Und erwecke dich auch wieder,
Weil ich dir mein Reich beschieden.
Unterdessen schlaf mit Frieden
Meine liebste Salamith.
[142]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Geistliche Gedichte. Andächtige Todes-Gedanken. Andächtige Todes-Gedanken. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ABEB-E