Sendschreiben

den 1. Jenner 1735.


In andern Namen.


Geliebtes Vetter-Herz,
das ich so stark verehre,
Als ob es dessen Herz, der mich gezeuget, wäre:
Dich, sag ich ohne Scheu, verehr ich wie die Brust,
Die mich gesäugt, ernehrt. Dem Himmel ists bewust,
Daß ich kein falsches Wort, und keine Heuchel-Liebe
Auf gegenwärtgem Blat erwehn, und unterschiebe.
Vergieb mir, Werthester, und Hochgeliebter Freund,
Daß jetzt mein schlechter Brief vor deinem Aug erscheint,
Und dich, da du dein Aug zu Gott mit Andacht kehrest,
Und ihn vor seine Güt und Seegens-Hand verehrest,
Vielleicht zu hindern sucht. Doch fahr im Bethen fort,
Und bitte auch von Gott vor mich ein Seegens-Wort:
Ich weiß, er wird das Ja zu deinen Seufzern fügen;
Und so verhilfst du mir zum Wachsthum und Vergnügen.
[343]
Doch wenn ich meine Freud, Trieb, Pflicht und Schuldigkeit,
Und was dergleichen mehr, zu dieser frohen Zeit
In die Betrachtung zieh; so wirst du mich nicht hassen,
Wenn sich vor deinem Aug mein Blat will sehen lassen.
Ach! hätte ich das Glück dich in Person zu sehn;
So solte durch den Mund, Geliebter Freund! geschehn,
Was ich durch Zeilen thu. Die Sehnsucht meiner Seelen,
Nach deiner Gegenwart, pflegt mich recht sehr zu quälen.
Denn wer ein redlich Herz an einem Freunde kennt,
Wie dessen Innerstes von Lieb und Güte brennt:
Und hat doch nicht das Glück denselben selbst zu sprechen,
Dem möchte warlich oft das Herz vor Seufzen brechen.
Ich klag bey Tag und Nacht die weite Ferne an,
Die uns anietzo scheidt. Ach! hätte ich gethan,
Worzu du einsten mich, mein Vetter! angetrieben/
(O Merkmaal deiner Huld, und Vaters-gleichen Trieben!)
So wärst du jetzt mein Schutz, der mich nicht sinken läst,
Und ich begienge auch so manches Freuden-Fest.
Ach! jetzt erkenn ich recht, wie sehr ich mich betrogen,
Und wie ich nicht nach Pflicht dein treues Herz erwogen.
Die Jugend, und zugleich die nahe Mutter-Hand,
Und ihre Zärtlichkeit, die hat mich abgewandt,
Daß ich die Gütigkeit, mein Vetter! nicht empfangen.
Verzeih mir diesen Fehl, vergieb das Unterfangen,
Das meine Jugend that. Das Sprichwort trift wohl ein:
Wer wird wohl vor der Zeit der Jahre weislich seyn?
Die Furcht ist groß genug, die ich bisher geheget,
Als hätt ich dich vielleicht dadurch zum Zorn erreget:
Wer weiß/ ob ich nicht schon aus dem Gedächtniß bin,
Dieß schließ ich blos daher: (die Angst drückt meinen Sinn!)
Weil ich in Jahres-Frist dreymahl an dich geschrieben;
Und doch auf jeden Brief die Antwort ausen blieben.
Gewiß, Geliebter Freund! dein Zorn erweckt mir Schmerz.

Wodurch versöhn ich dich, hochtheures Vetter-Herz? Ach! wodurch kan ich doch nur deinen Wiederwillen,

Getreue Vetter-Brust! besänftigen und stillen?
Ich bringe dir ein Herz voll Wehmuth und voll Leid,
Darneben auch voll Lieb, voll Treu und Redlichkeit/
Sieh dieses gütig an, und laß mich dir versöhnen;
Laß mich mit vorger Huld und Vaters-Liebe krönen.
[344]
Denn ich erkenne wohl, daß ein getreuer Freund,
Ein Glück vom Himmel ist. Man denket zwar und meint,
Als wäre der, und der, so uns gar zärtlich grüsset,
Und dessen Gegenwart uns manche Stund versüsset
Ein Freund von ächter Art; doch wenn mans recht besieht!
So merkt man, wie sich da die Heucheley bemüht.
Beym Glück und Wohlergehn heists Bruder, Freund und Vetter,
Kommt aber nach der Zeit ein Sturm und trübes Wetter;
So ist die Freundschaft aus: Man bleibt von ferne stehn;
Ja! es will nicht einmahl die Noth ans Herze gehn.
Ein Freund und Bruder teuscht und hintergeht den andern;
So muß auch leider! jetzt die Treu ins Elend wandern.
Du aber Theurer Mann! und werthes Silber-Haar!
Du machst das Gegentheil bekannt und offenbar:
Dein Herz hat niemahls nicht die Falschheit angenommen.
Du redest wie du denckst, und ziehst nach Art der Frommen
Den Rock der Redlichkeit, das Kleid der Treue an:
Wie ich und jedermann dieß Wort bezeugen kan.
O Freund! den mir der Herr des Himmels zugefüget,
Und dessen Angedenk mich sonderbar vergnüget.
Ich hebe meine Hand und Lippen stets empor,
Und danke meinem Gott nach Schuldigkeit davor.
O! wär ich jetzt in Kiel, wie wolt ich mich ergötzen!
Und mich an deinen Arm, Geliebter Vetter! setzten;
Doch es kan nicht geschehn. Die grosse Geren-Stadt,
Die ist es, die mich jetzt in ihren Mauren hat.
Alda verehre ich die hohe Meditrine,
Und bin bemüht, wie ich ihr künftig würdig diene.
Vieleicht erfreut sie auch mit nächsten meinen Muth,
Und schenkt mir Mantel, Ring, den Kuß und Doctor-Hut.
Denn will ich so geschmückt mich ferner nicht verweilen,
Ich will zu dir, mein Freund! nach Holstein freudig eilen.
Daselbsten will ich dich, und deine werthe Hand,
Die sich recht väterlich und hold zu mir gewandt,
Mit ungemeiner Freud und schuldger Ehrfurcht küssen,
Und dich aus Zärtlichkeit in meine Arme schliessen.
Allein; je näher mir mein Fest der Ehren scheint,
Je näher ist der Tag, daran mein Auge weint:
[345]
Die Gelder suchen mir die Nächsten aufzuhalten,
Der eine sagt: Ich hab dein Gut nicht zuverwalten,
Der andre spricht: Sieh zu! der dritte redet dieß,
Drum ist mein Ehren-Tag mir auch noch ungewiß.
So geht es zu. Man sucht mein Ehren-Fest zu hemmen,
Wodurch die Thränen sich in meine Augen stemmen.
Doch wo gerath ich hin, wie komm ich von dem Zweck,
Der mich zum Schreiben treibt, fast unvermuthet weg?
Die Zeit, wie vor gesagt, erreget mich zum Schreiben,
Drum soll mich ferner nichts von meinen Vorsatz treiben.
Jetzt legst du Theurer Freund! durch Gottes Gnaden-Blick,
Und gütge Vaters Hand das alte Jahr zurück,
Und hebst ein neues an. Drum halt ich mich verbunden,
Zu dieser heilgen Zeit, zu diesen frohen Stunden,
Dasjenige zu thun, was meiner Pflicht gebührt,
Mein Vetter! der du mir viel Gutes zugeführt,
Und mir so grosse Huld und Gütigkeit bewiesen,
Davor wirst du von mir bis in die Gruft gepriesen.
Ich danke dir davor; der Himmel sey dein Lohn:
Er segne dich davor von seinen höchsten Thron;
Ich bitte weiter nichts, als daß in diesem Jahre,
Mir ferner deine Huld und Liebe wiederfahre.
Geliebtes Vetter Herz! laß meinen Wunsch den Lauf,
Schließ künftighin dein Herz mir zum Vergnügen auf.
Du wolst mich als ein Kind in deine Liebe fassen,
Und mir ein Vater-Herz zum Seegen überlassen.
Trag mich dem höchsten Gott in deiner Andacht vor;
So steigt, o theure Seel! mein Glück und Heil empor.
Denn Jacobs Hand und Wort kan Ephraim ergötzen,
Und ihn (wie Moses lehrt) zum Seegen feste setzen.
Nun aber mach ich auch mein Wünschen offenbar,
Und wünsch von Herzens-Grund dir zu dem Neuen Jahr:
Der Herr, der dich und mich zur Seeligkeit erschaffen;
Der Herr, der Regen giebt; der Herr der Schwerd und Waffen
Zerbricht und benedeyt; der Herr, der Bether hört,
Und der ein graues Haupt mit seinem Schutz beehrt;
Der krön im Neuen Jahr all deine Amtes-Werke;
Geb deinem Altar Kraft, Gesundheit, Muth und Stärke,
Und steure deinem Schmerz. Sein Schutz kehr bey dir ein,
Und laß dein Altar so wie deine Jugend seyn.
[346]
Er seegne dein Gebeth und deine Andachts-Flammen,
Und schlage seine Händ stets über dich zusammen:
So hast du, was dich kan an Leib und Seel erfreun.
Ich werde bis in Tod
Dein
treuer Vetter seyn.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Lob- Ehren- und Glückwünschende Gedichte. Sendschreiben. Sendschreiben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ABFD-4