Aufgegebenes Thema: Ob die Music zu lieben, oder zu hassen sey?

[522] Ode.


Tobt, raßt und lästert immerhin,
Ihr Feinde sanft und süsser Thöne!
Was wird euch aber zum Gewinn?
Spott, Schimpf, Verachtung und Gehöhne.
Ihr, die ihr die Music veracht,
Sagt, wer hat euch so toll gemacht?
Ich sage toll, und das mit Rechte!
Was hat euch die Vernunft verrückt?
Was hat die Klugheit unterdrückt?
Wie? werdet ihr der Thorheit Knechte?
Ists möglich, daß sich die Vernunft
Kan also sehr verblenden lassen,
Daß man die so beliebte Zunft,
Will schimpfen, tadeln, fluchen, hassen?
Verwegner Schwarm! Vergifte Brut!
Das Schicksaal müsse euer Blut
Niemahls belustgen und vergnügen!
Es sing und leyre eurem Ohr,
Nur bittre Klage-Lieder vor,
Und laß euch stets in Grillen liegen!
So hoch als Rom durch Macht und Sieg,
Kunst, Freyheit, Weißheit, Ehr und Sitten
Vor andern Völkern aufwärts stieg,
Und ihre Palmen abgestritten;
So schlecht wird dieß von ihr gedacht,
Daß sie die angenehme Macht
Der reitzenden Music verhöhnet.
Wenn dort ein Scyth sich nicht nach ihr,
O Thorheit! sondern mit Begier,
Nach seines Pferdes Wyhern sehnet.
[523]
Ach Archimedes lebet noch:
Wie aber? Bloß zu seiner Schande,
Weil er sich lieber zu dem Koch,
Als nach Apollens Söhnen wande.
Philippus zürnte, da sein Sohn
Den lieblich, zart und sanften Thon
Der Sayten prieß, und selber spielte.
Aemilian uns Scipio,
Und Cato dachten gleich also,
Weil jeder sie vor schändlich hielte.
Tobt immerhin! und labet euch
An Schimpf, Verachtung und Verspotten,
Seyd immerhin an Thorheit reich;
Ihr wißt sie doch nicht auszurotten.
Es lebt und steigt doch die Music,
So lang als Herschaft, Volk und Krieg
Noch auf der Erden ist und bleibet.
Und wenn schon alles bricht und fällt;
So prangt sie doch in jener Welt,
Wo sie ihr Wesen ewig treibet.
Ihr Uhrsprung kame mit der Zeit;
Der Himmel hat sie selbst gebohren.
Drum hat der Herr von Ewigkeit,
Sie auch zu seinen Dienst erkohren.
Der Mensch auf diesem Welt-Gebäu
Bezeugt, daß dieß wahrhaftig sey,
Und singt von ihren Wunder-Gaben.
Sie herrschet über Seel und Geist,
Und wo sie ihre Anmuth, weißt,
Da muß sie auch Verehrer haben.
[524]
Wie angenehm hat doch der Schall
Von Mirjams Pauken-Spiel geklungen?
Wie lieblich hat nicht dazumahl
Das Frauenzimmer drein gesungen?
Das heilge Buch spricht warlich viel
Von Davids und von Assaphs Spiel,
Wie hoch sie die Music verehret.
Sie sahen ihre Schönheit ein,
Drum kunt es auch nicht anders seyn,
Ihr Wachsthum ward durch sie vermehret.
Weil jeder ihr Vergnügen sucht,
Und unsre Brust ihr Reitzen fühlet;
So nimmt der Sattan seine Flucht,
Wenn David auf der Harfe spielet.
Er hört, er merkt kaum ihren Thon,
So zittert er, so graut ihm schon,
Er muß aus Saulens Seele gehen
So mächtig ist sie! seht! so muß,
Der Höllen Fürst sich zum Verdruß
Von ihr bald überwunden sehen.
Des Orpheus schöner Leyer-Klang
Kunt auch der Höllen Götter zwingen,
Sein Spiel, sein Thon und sein Gesang
Kunt seine Liebste wiederbringen.
Was hat den Argus auf der Wacht
Zum Schlaf, und um die Augen bracht?
Mercur war mächtig durchzudringen.
Legt man nicht den Sirenen bey,
Daß ihr Gesang so reitzend sey,
Auch selbst die Helden zu bezwingen.
[525]
Erici Hofstat kan von ihr,
Und ihrer Kraft und Wundern sagen.
Arion hat der Harfen Zier
Nicht wenig Ländern vorgetragen,
Die Herzen stahl er durch sein Spiel,
Das den Delphinen selbst gefiel,
Die aus den wilden Wellen stiegen.
Amphion rührt die Cythar an,
So wird ihm alles unterthan;
Er weiß die Hertzen zu besiegen.
Vollkommne Kunst! mir fehlt die Kraft
Dein herrlich Wesen zu entdecken.
Was muß vor eine Eigenschaft,
Macht, Geist und Schönheit in dir stecken!
Du biethst den Zorn und Kummer Trutz,
Und nimst die Traurigen in Schutz;
Du bist der Sinnen Lust zu heisen.
Du bist der Engel Zeitvertreib;
Du kanst der Menschen Seel und Leib,
Mit himmlischem Vergnügen speisen.
Ihr Vögel schweigt, wenn sich im Wald
Ein Virtuos im Spielen zeiget!
Sein Strich, sein Schlag beweißt gar bald
Wie seine Kunst euch übersteiget.
Ihr Zorngen komt! und höret zu!
So legt sich euer Grimm zur Ruh.
Komt! Hier verliehrt sich das Betrüben.
Hier wird der Boßheit Wuth gehemt;
Das Herz von Freude überschwemt:
Wie? ist nicht die Music zu lieben?
[526]
Fragt nicht wo Virtuosen seyn
Die also reitzend spielen können?
An Börnern stellt sich einer ein.
Der Ruf will Ihn dieß Zeugniß gönnen.
Der Phöbus selbsten spielt durch Ihn:
Kaum will Er an den Sayten ziehn,
So schweigen Flüsse, Bach und Quellen.
Es regt sich nichts, die Luft ist still,
Kein Vogel in den Wolken will
Sich seiner Kunst entgegen stellen.
Wenn Börner spielt und musicirt,
So kan er alle Herzen rühren,
Kein Schlaf wird in der Nacht verspührt,
Man horcht an Fenstern und an Thüren.
Durch Deine Kunst stellt man an Dir
Sich einen andern Orpheus für.
Dieß muß mir jeder Beyfall geben.
Zum Schluße merck den Wunsch genau:
Es müsse Börners holde Frau 1
Und die Music auf ewig leben!

Fußnoten

1 Diese Worte zielen auf des Hr. B. Viol di Gammba, welche er seine Frau zu nennen pflegt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Ob die Music zu lieben, oder zu hassen sey. Ob die Music zu lieben, oder zu hassen sey. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AC51-D