Ebenfals auf diesen Todes-Fall

In andern Namen

Ode.

Was ist wohl unsre Lebens-Zeit?
Was Kunst und Reichthum, Pracht und Schöne?
Was Ehre und Geschicklichkeit?
Ein Nebel, Rauch und Dunst und flüchtigs Lust-Gethöne.
Wie lauft nicht unser Leben fort!
Ach wie verschwinden nicht die Jahre!
Ein neuer Tag, ein Schritt zur Bahre;
Ein jeder Augenblick ruft uns zum finstern Ort.
Das Leben ist nur zu betrachten,
Als ob wir Pilgrim seyn, und hier nur übernachten.
Verliehrt sich unser Augen-Licht
Zur Frühlings-Zeit in bunten Wiesen,
So wird der Geist ganz aufgericht,
Und kan die schönste Lust empfinden und geniessen.
[194]
Allein kaum blickt sein Glanz hervor,
So pfeift ein Sturm-Wind durch die Fluren,
Und raubet uns die Anmuths-Spuren,
Und schwächt und unterbricht der Blumen Flor.
So müssen denn die süssen Nelken,
Und auch der Rosen Zier vor Abend noch verwelken.
Dieß stellt uns unser Leben für,
Und zeigt sein schnell und flüchtig Wesen.
Heut blüht ein Mensch in schönster Zier,
Und morgen ist er krank, und kan oft nicht genesen.
Ein Sturm-Wind, eine Trübsals-Fluth,
Sucht unsern Leibes-Bau zu fällen,
Und unsre Glieder zu zerschellen,
Und nimmt uns Geist und Kraft, ja Leben, Muth und Blut.
So fallen schön und muntre Glieder,
Durch Schmerz und Pein verzehrt, durch Tod und Sterben nieder.
Die Welt glaubt zwar gemeiniglich,
Ein Haupt, das Schnee und Silber zieret,
Erwarte nur des Todes Stich,
Und werde bloß von ihm ins finstre Haus geführet;
Man meint, daß der so jung und schön
Und frisch und roth und munter wäre,
Nicht leicht die Todes-Stimme höre,
Es wär vor ihm zu früh aus dieser Welt zu gehn,
Nur Väter, und verlebte Seelen,
Verwechselten die Welt mit jener dunkeln Hölen.
Doch nein! der Herr denkt nicht wie wir,
Er heiset auch die Jugend sterben.
Die schönsten Zweige müssen hier
In ihrer Jahre May und bestem Flor verderben.
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Und wenn ihr Glück am schönsten blüht,
Und ihres Namens Fackel brennet,
Und man sie groß und glücklich nennet,
So kömmt des Todes Hand, die sie von dañen zieht.
Er hört auf kein beängstigt Klagen,
Sieht keine Thränen an, und achtet auf kein Zagen.
Wie wird mir? Ach ich werde bleich!
Mich überfällt hierbey ein Grauen.
Mein Theurer Freund muß auch das Reich
Der Todten allzu früh in schönster Jugend bauen.
Mein liebster Schwager hat die Welt,
Gemahl und Eltern schon verlassen.
Hier fällt mirs schwer mein Herz zu fassen!
Ach! wer ist, der mich tröst und mich zufrieden stellt?
Nach kurz-beglückten Liebes-Banden,
Liegst du erblaßt und kalt, und bist nicht mehr vorhanden.
Was ist zu thun? Dein Leichenstein
Kan keinen Trost den Herzen geben.
Dein Tugend-Wandel kan allein,
So, wie dein sanfter Tod das Herze noch beleben.
Du warst ein Cavalier, der Gott
Und Tugend hoch und groß geschätzet,
Und Fürsten-Treue nie verletzet.
Du sahest auch zugleich auf deines Nächsten Noth.
Du hast ein edles Herz besessen,
Drum wird man deiner nicht in dieser Zeit vergessen.
Dein Angedenk, Entschlaffner Freund!
Wird nicht aus meiner Seele kommen,
Es werde denn vom Lebens-Feind
Mein Geist hinauf gerückt, und aus der Welt genommen.
[196]
Indeß verschlaff in deiner Gruft
Und deiner Glieder kühlen Kammer,
Den mit der Welt verknüpften Jammer.
Schlaff ruhig, sanft und süß, bis dich der Engel ruft.
Dann wirst du nach dem Auferstehen
Auch Gottes Herrlichkeit verklärt auf ewig sehen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Leichen-Gedichte. Ebenfals auf diesen Todes-Fall. Ebenfals auf diesen Todes-Fall. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ACA8-B