[359] Das drei und zwantzigste Lied
Auf Anakreontische ahrt

gemacht/ und gesetzet durch Mal(achias) Siebenhaaren.

[360] 1.
Die Sonn' ist untergangen/
die wangen seind verhangen
mit kohl-pech-schwartzen tüchern;
Ich sitze bei den büchern/
und schwitze/ da mich frühret/
bin stille/ da mich rühret
der innerliche schmertze/
der schmertze/ der mein hertze/
mein schwaches hertze kwehlet/
ja der mich fast entseelet.
2.
Tahlmunde/ sol ich fragen?
was fragen? nach den tagen?
was tagen? die mier geben
mein sterben und mein leben.
was leben? selbst die jene/
mein Laabsaal/ meine Schöne/
was Schöne? meine Träue/
auf die ich mich erfreue/
mit der ich mich kan letzen/
was letzen? stets ergetzen.
3.
Es sol mier noch gelükkken/
so ferne mier den rükken
der Himmel selbst wird halten/
und mein gelük verwalten/
daß ich mag kühnlich sagen;
was sol ich lange fragen?
was sol ich lange klagen?
was sol ich schmertzen tragen!
mein will' ist nuhn erfüllet/
mein wundsch ist nuhn gestillet.

[361] Lisanders Klage nach dem Frantzösischen

1.
Unlängsten hört' ich schmertzlich flöhen
ein götlichs mänsch bei dieser fluht;
Der träuste buhler mus vergehen/
wo ihm sein Lieb nicht hülfe tuht.
2.
O süßer strohm/ geh hin und zeuge/
geh/ zeug' es seiner Liebsten an:
daß er sich schon zum grabe neuge/
und ohne sie nicht leben kan.
3.
Dis eis ist kalt/ doch mus es schwinden
für seiner heissen liebes-gluht:
wer aber kan ihr hertz entzünden/
das kälter ist als eis und fluht?
4.
Kan er sie nicht durch Liebe zwingen/
daß sie vernähme seine pein/
so würd er doch ihr hertz ümringen/
und für die Lieb ihr seufzen sein.
[362] 5.
Mich deucht/ ich seh sie schohn geschlagen/
wie sie Lisanders tod beweint/
ich höre sie für schmertzen klagen/
wie sie betrauret ihren freund.
6.
Kein buhler ist jemahls gewesen
so foller ehr' und so beglükt:
Lisanders nahmen würd man lesen
in seiner Liebsten Hertz getrükt.
7.
Er liegt im hertzen seiner Lieben/
o welch ein ädles grab ist das!
sein nahme steht darbei geschrieben.
es rührt ihn nuhn kein neid noch has.
8.
Weil er ihm dan nuhn lässt genügen/
und ruht in ihres hertzens schrein/
so wil er/ daß man bei sol fügen
auf einen ewgen grabe-stein:
9.
Lisander lebt' und ist gestorben
für seine liebste Silvie/
doch hat er ihr nicht gnug erworben/
das ihrer würdigkeit gleich steh.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Das drei und zwantzigste Lied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE11-D