Das sieben und zwantzigste Lied

d.i. des Mahrholds Reise-gesang/ von der Frantzösischen reise/ seiner göttlichen Rosemund zu ehren und gefallen verfasset.


gesätzt durch Mal(achias) Siebenhaaren.

1.
Als Mahrhold sich einmahl am blanken Seenen-strande/
(so weit von Rosemund) in einsamkeit befande:
da sang er bei sich selbst ein solches langes lied/
das er ihr zugesagt/ indem er von ihr schied.
2.
Zeit daß ich von euch bin/ ihr liebsten Amstelinnen/
ihr Töchter bei der Mas'/ ihr andern halb-göttinnen/
und ihr auch bei der Lech; so sag' ich ohne scheu/
daß eure Rosemund noch kräftig in mier sei.
[373] 3.
Bin ich entnüchtert nicht/ so bin ich doch enthertzet;
weil eure Rosemund mit meinem hertzen schertzet
nach ihres hertzens lust. Die helft ist gar gewis/
ja wo nicht gantz/ bei Ihr. O welch ein ris ist dis!
[374] 4.
O süße Zauberung! Sie ist mier zwar entlegen
ihr mund ist weit von mier; doch kan er mich bewegen/
durch lauter bilder-werk/ und gibt mier solches ein/
daß ich mit willen mus ihr leib-geschworner sein.
5.
Fünf sinnen hatt' ich fohr; itzt seind sie mier gemindert/
ihr mund entzüht den schmak: mein rüchen wird gehindert:
ihr aug' entäuget mich: ihr singen macht mich taub:
mein fühlen nimt sie weg. o welch ein süßer raub.
6.
Kein ässen schmäkket mier/ kein balsam mich erkwikket;
kein garten lacht mich an: kein seiten-spiel entzükket
und macht mein ohr betäubt: Entfündung spür' ich nicht.
Hand/ mund/ nas' aug' und ohr seind ihrer lust verpflicht.
7.
Ich denke noch daran/ wie bei dem letzten küssen
auf ihrer seufzer macht mein ächzen folgen müssen.
Die Amstel weis es wohl/ als welche stille stund/
da ich den abschied nahm von meiner Rosemund.
8.
Die Mase weis es auch/ wie ungern ich gezogen
und mich entfernt von ihr/ vertraut des meeres wogen/
als welches rund üm mich die blauen wellen schlug/
und mich nach Frankreich zu (so ferne!) von Ihr trug.
[375] 9.
Es weis es Rotertam/ da ich acht folle wochen
die reise wohl erwog/ eh wier seind aufgebrochen.
Es weis es auch der Briel/ wie ich sechs tage lang
im meeres-munde lag (so lange!) sterbe-krank.
10.
Der leib ging zwar zur See/ doch blieb das hertz zurükke:
die kühne magd von Dort lös't ihr geschütz und stükke/
und gab uns einen wink. Wier lieffen see-werts ein/
doch kont' ich nirgends nicht als bei der Amstel sein.
11.
Die schiffe lieffen fort die wette mit den winden/
wie ein verliebter schwahn/ wan er nicht bald kan finden
Die schwähnin/ die er sucht; der nord pfiff segel ein/
so/ daß es mich gedaucht der Liebsten klage sein.
12.
Der Himmel wust'es wohl. Der nord-ost bließ gantz sachte/
üm daß er mich alda noch mehr verziehen machte.
Zwee tage gingen hin/ eh ich von Seeland kahm/
und meine reise fort/ nach dier/ o Flandern/ nahm.
13.
Tühn-kirchen sah' ich stehn. drauf kehrt ich ihm den rükken/
kahm auf Bulonge zu/ wo Kales sich ließ blikken/
der Frantzen grentze-stat: wo gegen über lag
der Kant von Engeland. Dis war der dritte tag.
[376] 14.
Der abend kahm heran! die See stund still' und eben;
es hatten unser schif fünf braune fisch' ümgeben/
die spielten auf der fluht; das solt' ein zeichen sein
des drauf erfolgten sturms. Der muht wahr zimlich klein.
15.
Man sah das nacht-licht auch gantz feuer-roht auf-gehen/
die sterne gantz betrübt in stiller stille stehen.
O! dacht' ich/ Rosemund/ dein raht wahr alzu guht:
fohr deinen schohs hab' ich den schohs der wilden fluht.
16.
Ihr wind' erbarmt euch doch! und kan ich euch nicht stillen/
den man Neptuhn benahmt; so schohnt üm ihrent willen/
daß ich nicht in der see aufgebe meinen geist/
und sie in eigner fluht der trähnen folge leist.
17.
Ihr Himmel/ kan ich dan nicht eure gunst erwärben;
ist euch so wohl gedient mit unsrer beider stärben?
laßt fahren euren grim/ züht euren einflus ein/
daß Rosemund und ich euch können dankbar sein.
18.
So tief erseuftzt' ich stets. Der Nord zog aus dem grunde
den starken hauch/ und bließ mit ausgehohltem munde
das schwache wasser-haus bald himmel-hoch entbohr/
bald auf den abgrund hin/ daß ich mich gantz verlohr.
[377] 19.
So ging die nacht fohrbei/ an die ich wil gedenken/
so lange sonn' und mahn an ihrem bogen henken.
Es war nuhn hoher tag: wier sahen Tiepen stehn/
und ließen unser schif von dar zur Seene gehn.
20.
Als nuhn der fünfte tag uns guhte zeitung brachte/
daß alles stille sei: die winde bließen sachte;
so lieffen wier gantz froh zum Gnaden-hafen ein/
nach Hohn-flör immer zu bei klahrem sonnenschein.
21.
Wier ließen uns alda ans frohe land ansätzen/
das halb-erstorbne hertz mit äpfel-must zu letzen/
der dieser Völker trank. Der Nordman sätzt uns führ/
ein frisches kirschen-obst mit seinem Malvasier.
22.
Was frohe lust war da! Das dorf war schöhn gezieret
mit gassen durch und durch von laub-werk aufgeführet:
die bäume sahe man in gleicher ordnung stehn/
und üm den gantzen platz viel schöne gänge gehn.
23.
Wier kamen auf das feld das gantz voll weitzen stunde/
mit gängen auch versähn; da gleich in einem grunde
ein höltzern ritter kahm/ sein liebes Lieb ümfing/
und mit demselben fort ins grühne Grühne ging.
[378] 24.
Was dacht' ich armer wohl! wie wahr mier da zu hertzen!
ach! ach! o noch einmahl ach! möchte das nicht schmertzen/
wan ich mit troknem mund' und nassen augen hier
ein solches sehen mus; ach! wo ist meine Zier?
25.
O ädle Rosemund/ o schönste von den Schönen/
von der Libinne selbst ihr schöhn-sein mus entlehnen.
Wo? (ich bö-böbre schohn/ die glieder zittern mier/
der kalte schweis bricht aus) wo bistdu meine Zier?
26.
Wo bis-wo bistdu Du/ ach! o du Auserwehlte/
die mich in gegenwart ehmahls gantz neu beseelte/
und nuhn entseelen kan. Weil ich dich sehe nicht/
so nachtets üm und üm/ o Du mein Sonnen-licht.
27.
Diß seuftzt' ich bei mier selbst; dis wahr mein heimlichs klagen
bis in die dömmerung/ ja das mich muste nagen
bis Föbus wieder traht auf seine güldne bahn.
Wier ließen unser schif und reiseten fohran.
28.
Dis war der sechste tag. Drauf seind wier angeländet
des abends zu Ruahn/ so manche schiffe sendet
nach dier/ o Mase/ zu. Zwee tage blieb ich da/
bis ich den elften auch Paries in Frankreich sah.
[379] 29.
Das ädele Paries/ ja das noch ädler were
und stöltzer als es ist/ wans würdig wer' der ehre/
Dich/ o du Mänsch-göttin/ zu sehn in deiner zier/
das grüßt' ich zwar erfreut/ doch auch betrübt/ von Dier.
30.
Hier leb' ich noch zur zeit inzwischen leid und freude;
in leiden/ weil ich Dich mit wider-willen meide;
in freude/ weil ich säh/ daß Dier sich keine gleicht/
wie schöhn sie auch mag sein/ und fast mein ziel erreicht.
31.
Nuhn schlüß ich meinen mund/ der deinen ruhm zu singen
so färtig ist gemacht/ dem alles mus gelingen/
wan Du ihm winkest nuhr/ und der auf dein gebot
itzt spricht/ itzt wieder schweigt. nuhn leb' in deinem Got!

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TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Gedichte. Gedichte. Jugend-Flammen. Das sieben und zwantzigste Lied. Das sieben und zwantzigste Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE83-D