[54] Das dritte Lied

Daß Weißheit der beste Schatz sey

Auff ebenselbige Melodey.

1.
Wohl dem! der in den Schrancken bleibet/
und nicht nach großem Reichthum strebt/
Wohl dem/ der so die Zeit vertreibet
und stets in stoltzer stille lebt;
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
2.
Wer stets nach großen Gütern trachtet
und ist auff Reichthum nur erpicht/
Ist wilden Thieren gleich geachtet/
Die ihre Stunde wissen nicht.
Ein ander suche Geld und Guth
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
3.
Wie große Thürne nicht bestehen/
Die ohne Grund seyn auffgeführt;
So muß auch das zu Grunde gehen/
Wobey man keine Weißheit spürt.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
[55] 4.
Wie keine Frucht nicht wird erkiesen
Die nicht ein wenig schmaghafft ist/
So wird auch keiner je gepriesen/
Bey dem man weise-seyn vermisst.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
5.
Gleich wie die Rose ziert den Garten/
So ziert ein weiser Mann das Hauß/
Mann hatt was gutes zu gewarten/
Weil alles glücklich geht hinaus.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
6.
Wer seine Sachen weißlich führet
und redet alles mit Bedacht/
Ist wie ein schöner Quell gezieret/
So täglich quillt in voller Pracht.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
7.
Wie bey den Quellen schöpfft ein Müder/
sich labet/ letzet und lustiert;
So suchet weisen Rath ein jeder
Bey dem/ der weise Reden führt.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
[56] 8.
Die Herrschafft muß bald untergehen/
Wo keine weise Räthe seyn/
Kein Anschlag kan und mag bestehen/
Wann ungelehrter Mund wäscht drein.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
9.
Wenn einer wil zum Himmel führen/
und fängt es nicht recht weißlich an/
Macht eher das Verderben spüren
und fehlt der güldnen Himmels-Bahn.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
10.
Wer wil mag immer toll sich kräncken/
Nach Reichthum trachten für und für/
Ich wil an dieses nicht gedencken/
Ein höhers such ich mit Begier.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
11.
Ein fromm Gemüth pflegt mehr zu ringen
Nach stiller und gewündschter Ruh/
Als nach viel Sorgen/ die es zwingen
und bringen nach der Höllen zu.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.
[57] 12.
Nun weicht von mir Ihr schnöden Sachen/
Die ihr uns Angst und Sorgen bringt/
Ich muß der eiteln Welt nur lachen/
Die willig nach dem Tode ringt.
Ein ander suche Geld und Guth/
Nach Weißheit steht mein Hertz und Muth.

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TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Gedichte. Gedichte. Frühlingslust. Erstes Dutzend. Das dritte Lied. Das dritte Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AECC-9