[46] 9. Ode

Was meiner – – – Fall für bittern Schmerz gestift,

Entdecket dir allhier, mein Leser, diese Schrift.

Da dir, du hochbestürztes Haus,
Ein jeglicher sein Beyleid zeiget,
Weil dich ein jäher Sturm und Graus
Empfindlich rührt, erschrecklich beuget;
Und dir, eh als man es geglaubt,
Was Werthes nimmt, was Liebes raubt,
So sollt ich mich zu dir auch lenken;
Und bey so schmerzlichem Verlust,
Der mir und allen ist bewust,
Auf Trost und Zuspruch billig denken.
Doch, fordre solches nicht von mir!
Der harte Riß, der Dich betroffen,
Läßt Dich, ich schwer es heilig Dir,
Kein Trostlied, wie von andern hoffen.
Mein eigner Schmerz, der mich befällt,
Und Zung und Hand zurücke hält,
Macht, daß ich deinen gar vergessen.
Ich habe gnug mit mir zu thun;
Die Thränen lassen mich nicht ruhn,
So oft ich den Verlust ermesse.
[47]
Wie! will mich etwan nur ein Traum
Durch dieses Schreckenbild bethören?
Giebt man dergleichem Ruff wohl Raum,
Den wir auf unsern Strassen hören?
Es ist vom Schattenspiel ein Schein.
Wie könte dies wohl möglich seyn,
Daß die ein früher Fall gestrecket,
Die mir so viel Vergnüglichkeit
Im Umgang, den Sie mir geweyht,
Vor wenig Tagen noch endecket.
Ach leider ist es allzuwahr!
Hier täuscht kein Blendwerk unsre Sinnen,
Wir sehn mit offnem Augenpaar,
Was ich und du geliebt, entrinnen;
O Rahel stirbt, du kömmst um sie,
Wie ich, und keines weis nicht, wie,
Indem ein Schlag Sie niederschläget,
Eh sich der Herold eingestellt.
Der ihrer holden Wangen Feld
Ein tödlich Merkmal eingepräget.
Dies reisset Dir, bestürzter Greis,
Und mir zugleich ein Stück vom Herzen,
Wir klagen, wie der Himmel weis,
Einander unser Leid und Schmerzen,
Du seufzest über diesen Riß;
Es will bey solcher Kümmerniß
Kein Trost in deiner Brust erscheinen;
Ich sehe Dich mit Thränen an,
Vor welchen ich nichts sprechen kan;
Laß uns recht satt und müde weinen.
[48]
Entflohne Freundin, hörst Du nicht,
Was jedermann der Dich gekennet,
Von Dir und deiner Tugend spricht,
Die auch der Neid unschätzbar nennet?
Es klaget unsre ganze Stadt,
Daß sie durch Dich verlohren hat,
Was man so leicht nicht wieder findet;
Der herbe Gram ist allgemein;
Der, wie die Welt kann Zeuge seyn,
Auf Recht und Billigkeit sich gründet.
Dein Umgang war mehr beliebt,
Man wich nicht gern von deinen Schwellen.
Die Redlichkeit, die sich betrübt,
Wird stets dies wahre Urtheil fällen.
Die hat ihr ächtes Ebenbild,
In Leichentücher eingehüllt
Mit Dir ins Grab versenken lassen.
Es konnte ja Dein reiner Geist,
Der unsern Augen sich entreißt,
Nichts mehr als schnöde Falschheit hassen.
Kommt, die ihr dieses edle Weib,
In eure Reihen eingeschlossen,
Und bey vergönntem Zeitvertreib
Von Ihr viel Freundschaft habt genossen:
Sagt, hat man je in einem Fall
Verstellung, die doch überall
Das Bürgerrecht sich will erzwingen,
Ihr zu der Seiten stehen sehn?
Nein, sprecht ihr, dies ist nie geschehn.
Welch Lob kann wohl so trefflich klingen?
[49]
Jedoch, so sehr es Dich erhöht,
So tief dringt es in unsre Seelen;
Weil wir, ob es gleich nie vergeht,
Doch solche Freunde wenig zählen.
Mir ist, erweg ich mit Bedacht,
Was mir des strengen Schicksals Macht
Erblaßte Freundin, hingerissen,
Als sollt ich durch den harten Schlag,
Den ich kaum auszustehn vermag,
Auf einmal alle Freunde missen.
Halt ein, und schweig, verwirrter Kiel!
Was helfen dir die Klagelieder?
Ich finde, schrieb ich noch so viel,
Doch nicht, was ich verlohren, wieder.
Du, liebste Freundin, bist wohl werth,
Daß wir Dir einen Opferheerd
In unsrer Brust und Herzen weihen,
Worauf wir Dir zum treuen Dank
Vor Deine Tugend, lebenslang
Des Angedenkens Weyrauch streuen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Oden. 9. Ode. 9. Ode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B1AE-B