[268] 11. Gedichte

Der sich allzuviel Zutrauende Lisander.


Wie kömmt es immer doch, daß mancher kühner Geist,
Der nur gar schlechten Witz in seinen Thaten weist,
Auf seine Weisheit doch so viel Vertrauen setzet,
Und das vor Kinderspiel, vor Federleichte schätzet,
Was doch ein andrer sonst vor schwer und mühsam hält,
Der seiner Einsicht nach es sich erst vorgestellt;
Der seine Kräfte prüft, und weislich überleget
Wie hoch er fliegen kann; was seine Schulter träget?
Ein Mensch, der in der That nur schwachen Zwergen gleicht,
Und seiner Meynung nach doch keinem Riesen weicht,
Wird alles, ob er sich gleich muß im Ausgang schämen,
Aus frecher Zuversicht auf seine Hörner nehmen.
Er sieht, weil ihn gar leicht der Hochmuth blenden kann,
Den grösten Balken oft vor einen Strohhalm an;
Und will, so sehr man auch die Thorheit muß belachen,
Den allergrösten Berg zum Maulwurfshaufen machen.
Schaut nur Lisandern an; was der sich untersteht?
Mit was für tollem Wahn der Träumer schwanger geht?
Das gelbe Schnäbelchen fliegt kaum aus seinem Neste;
Und dennoch meynt der Wurm, und glaubet himmelfeste:
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Er brauchte ferner hin gar wenig Müh und Kunst,
Zeit, Vorsicht und Geduld, des Frauenzimmers Gunst,
Wonach so mancher oft vergebens wär gegangen,
So gleich an sich zu ziehn, im Umgang zu erlangen.
Er denkt, ein jedes Haus müst ihm gleich offen stehn
Auch wohl unangesagt und frey hinein zu gehn;
Der Vorspruch helf ihm nichts, kein Leitstern sey hier nöthig
Die Thür ihm aufzuthun, woran sein Fuß nur stieß,
Weil seine Gegenwart was angenehmes wies;
Und sich ein jegliches in den geschlossnen Reihen,
So bald er da erscheint, unmenschlich müste freuen.
Beglückter Mensch; du must, es giebts der Augenschein,
Ein andrer Doctor Faust und grosser Zaubrer seyn!
Du kannst ja wie der Blitz, das Frauenvolk bestricken,
Und durch den ersten Blick die ganze Zunft entzücken!
Wie müssen andre nicht, die deines gleichen sind,
Da schon dein halbes Wort, was Weiblich ist, gewinnt,
Und du die Herzen trifst, auch sonder langes Zielen,
Auf dich mit Eifersucht und starren Augen schielen?
Doch sag im rechten Ernst, Lisander, sag es mir,
Stellt etwan dir ein Traum ein solches Blendwerk für?
Betrügt dich auch dein Wahn, auf den du bist gerathen?
Du schmeichelst dir zu viel und riechest nicht den Braten.
O Prahler! schweige doch; wenn ist es wohl geschehn,
Daß man im Umgang dich mit Frauenvolk gesehn?
Nenn uns doch eine nur, die dir im Schoosse sitzet,
Und sich, o Held, aus dir ein Götterkalb geschnitzet.
So viel hier Häuser sind, so kennt dich keines nicht,
Dein Nam ist unbekannt; wer ist, der von dir spricht?
Du müstest als ein Geist das Frauenvolk bethören,
Weil keine noch von dir einmal hat reden hören.
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Und dennoch rühmst du dich, du unverschämter Gast!
Des Fleisches, da du nie die Brüh gekostet hast,
Und thust, als wärst du hier dem Frauenzimmerorden,
Sein fünftes Element und täglich Brodt geworden.
Ja komm nur Prahlhans, komm, sie warten schon auf dich,
Und sehnen in der That nach dir sich ängstiglich.
Der Platz ist ausgemacht; hör nur ihr Anerbieten,
Du sollst, was willst du mehr? die Küchenthüre hüten.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 11. Gedichte. 11. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B1F4-B