7. Gedichte

Der äusserliche Schein betrügt.


Ja, guter Bavius, schwatz du nur immer zu!
Du bildest ganz gewiß dir ein, als hättest du
So manche schöne Kunst und Wissenschaft gefressen,
Und hast die beste doch darunter gar vergessen.
O Thore, schmeichle dir vor Stolz nicht allzuviel.
Dein ganzes Wissen ist ein leeres Schattenspiel
Und ein gelehrtes Nichts, wofern du nicht daneben
Die Welt recht kennen lernst, und die so drinnen leben.
Die, sprichst du, kenn ich wohl. Freund, sage solches nicht,
Du bist in dieser Kunst noch gar nicht abgericht;
Und hältst noch gar zu viel auf äusserliche Sachen,
Die meistens unserm Aug ein falsches Blendwerk machen.
Der äußre Schein bethört, und setzt uns einen Wahn
Der falsch ist in den Kopf; schau nur ein Ruder an,
Womit des Sclaven Faust die Wellen muß zertheilen,
Um desto schleuniger dem Hafen zu zu eilen,
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Dies scheint, betracht es selbst im Wasser krumm zu seyn,
Und ist doch wirklich gleich. So pflegt auch oft der Schein
Derjenigen, worauf wir unser Auge wenden,
Uns täglich hier und dar im Umgang zu verblenden.
Das Gaukelspiel verführt, die meisten stellen dir
Ihr Antlitz nur verkappt, mit falschen Herzen für;
Die Larven, welche sie gar künstlich zubereiten,
Verdecken Fehler, Trug und List auf allen Seiten.
Die Tugenden, womit man äusserlich nur prangt,
Wodurch der schwächste Geist oft Ruf und Lob erlangt,
Doch bey dem Pöbel nur, der nichts von Einsicht heget,
Sind nur mit Flittergold und falschem Glanz beleget.
Ists nicht an dem, daß du, und andre mehr vielleicht,
Bey denen Stärk und Kraft nicht weit im Schliessen reicht,
Lysandern wirklich laßt vor grundgelehrt paßiren
Dieweil er überall das Wort allein will führen?
Was für ein Lermen hat er vielmals nicht gemacht,
So oft was im Gespräch wird auf die Bahn gebracht?
Er streitet, tobt und kämpft, vertheidigt tolle Lehren,
Als ließ sich Trismegist, der alles wüste, hören.
Und dennoch, glaub es mir, ist es nur eitel Wind,
Weil Sachen, Grund und Schluß gar nicht zu finden sind;
Du hörst ein leer Gewäsch und nichtig Hirngespinste.
Der Federfechter macht dir eitel blaue Dünste
Durch Pralereyen vor. Die Wische so die Welt
Von seinem elenden und frechen Kiel erhält,
Sind eitel Schmatterwerck, das er zusammen träget.
Denn da sein Schedel selbst nichts kluges in sich heget,
So schmeichelt er aus Angst sich bey den Todten an,
Bestiehlt sie hier und dar, so sehr er immer kann,
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Und sucht, damit er auch kann bey Gelehrten stutzen,
Mit fremden Federn sich, wie jener Specht, zu putzen.
Sieh, wie der Schein verführt, traut man ihm allzu sehr
Und giebt nicht der Vernunft zu rechter Zeit Gehör.
Du siehst Clotilden dort nach jener Strasse wandern:
Die hat, gieb acht auf sie, gewiß vor allen andern
Wohl der Verstellungskunst am längsten nachgedacht.
Schau, wie sie oftermals bey vollen Thränen lacht.
Sie thut, seit dem ihr Mann in jene Welt gerücket,
Als stellt ein jeder Stein, den sie vor sich erblicket,
Den Leichenstein ihr vor, der sein Gebeine deckt,
Es scheint, als hätte sie der Gram schon halb gestreckt.
Wie traurig und bestürzt weis sie sich zu geberden?
Der Männer Blick will ihr nunmehr zum Ekel werden.
Der Minen Traurigkeit, weil sie so kläglich weint,
Beschwatzet dich gewiß, als wär es recht gemeynt;
Hier zeigt ein Abriß sich von jener Turteltaube,
Die von dem Harm betäubt, nach ihres Gatten Raube,
Die öden Büsche sucht, aus Jammer Tag und Nacht
Ein ganz erbärmliches Geheul im Walde macht,
Und eher nicht davon gewohnt ist abzulassen,
Als bis man sie zugleich, wie jenen, sieht erblassen.
Gläubst du, mein Bavius, sie thue dies im Ernst?
O daß du doch nicht bald die Falschheit kennen lernst!
Nichts weniger, als dies; die Stirne läßt uns lesen,
Daß der so traurigen Clotilde ganzes Wesen,
Nur eitel Blendwerk sey. Sie läßt die Todten ruhn,
Und hat mit Lebenden am liebsten wohl zu thun;
Wer weis, wer in geheim ihr Stund und Zeit verkürzet?
Was für ein Tröster ihr die süsse Speise würzet,
Die sie in Einsamkeit mit Sehnsucht und Verdruß,
Steht dieser ihr nicht bey, sonst stets geniessen muß.
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So kann der äussere Schein, an dem die meisten kleben,
Der schlechten Sache Glanz und schönes Aufsehn geben.
Wer schreyt nicht Celien, mit ihrem grossen Staat,
Der freylich Macht genug uns zu bezaubern hat,
Vor stark begütert aus? wohin sie nur mag kommen,
Da wird man alsobald mit Ehrfurcht eingenommen.
Die Herrlichkeit, so man an ihrer Tracht erblickt,
Macht, daß sich jedermann vor sie aufs tiefste bückt.
Der Pöbel, den ihr Schmuk muß in Verwundrung setzen,
Will sie weit reicher noch, als dort den Crösus, schätzen.
Allein du blindes Volk, du irrest allzusehr,
Und meinst, daß alles Gold, was etwan glänzet, wär;
Befrage jene nur, mit deren theuren Waaren
Sie sich hat ausstafirt; sodann wirst du erfahren,
Was sie für Summen noch zu zahlen schuldig ist;
Und wie du durch den Schein so stark betrogen bist.
Die Stolze hat oft mehr den Lenden angeleget,
Als ihres Mannes Ammt in einem Jahre träget,
Und zieht das ganze Gut, weil sie von Zinsen sprach,
Des blinden Gläubigers auf ihrer Schleppe nach.
Wie? weist du nun mein Freund, den Schein vom Seyn zu trennen?
Und denkst du noch die Welt vollkommen zu erkennen?
Schau, wie man sich vergeht, wenn man dem Ansehn traut,
Und seine Meynung bloß aufs äusserliche baut:
Drum muß man, will man sich vom falschen Wahn entfernen,
Der Menschen innern Werth zuforderst kennen lernen

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 7. Gedichte. 7. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B1F8-3