13. Gedichte

Der betrogene Coridon.


In was für Einbildung und wunderlichem Wahn
Steckt doch nicht oftermals ein blinder Curtisan;
Der, weil der Liebesgott ihn körnet und ihm heuchelt,
Sich mehr als allzustark mit Gegenliebe schmeichelt?
Ob gleich die so er liebt, ihn nur mit Worten speist,
Und seinem Umgang sich so oft sie kann, entreißt,
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So wird ihn jener doch gar leicht beschwatzen können:
Als säh er dieser Herz gleich einem Schorstein brennen.
Er leget jedes Wort, das doch die Unschuld spricht,
Und alles, was nur bloß aus Höflichkeit geschicht,
Zu seinem Vortheil aus; und rühmet sich der Ehre,
Als wenn er Hahn allein im Liebeskorbe wäre,
Den seine Göttin doch, die sich nicht leicht verstellt,
So fest als Herz und Sinn vor ihn verschlossen hält.
So gehts dem Coridon, den Selimene hetzet,
Weil er sich einen Wurm in seinen Kopf gesetzet.
Er bildet sich gewiß und recht unfehlbar ein
Als müst ihm selbige gar sehr gewogen seyn.
Ihr Herze, träumet er, sey ihm vor andern allen
Aus grosser Zärtlichkeit im Lieben zugefallen.
Held! der du Garn und Netz so schlau den Herzen schlingst
Und, eh man es gemeynt, der Chloris Geist bezwingst,
Lehr uns doch deine Kunst die Schönen zu bemeistern,
Denn diese Zauberey stammt sicherlich von Geistern,
Und nicht von Menschen her; ihr Witz reicht hier nicht zu.
Wer kann so meisterlich und so geschwind, als du,
Die Nymphen, welche doch die stärksten Waffen tragen,
Und vor die Freyheit stehn, in Band und Ketten schlagen?
Wird deiner Chloris Gunst, die ihr doch niemals feil
Bey klugen Freyern war, so schleunig dir zu theil?
O Thore! glaub es nicht; man weis es alles besser,
Du baust, wie mich bedünkt, nur deine Hoffnungsschlösser,
Aus Luft und leren Wind. Betrogner Coridon
Du trägst der Schönen Gunst, nicht wie du glaubst davon.
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Denn weil dies schlaue Kind, das dich vollkommen kennet,
Und einer andern gern solch Leckerbißchen gönnet,
Bey deinem widrigen und albern Liebesspiel
Dich mit der Margaris in Umgang bringen will;
So suchet sie sonst nichts, als den verliebten Affen
Den sie an dir gehabt, sich von dem Hals zu schaffen.
Doch, nein, ich irre wohl, denn jeder macht den Schluß,
Daß Selimene dich vortrefflich lieben muß.
Sie will dich doch nicht leer von sich zurücke senden;
Die andern haben nichts, du trägst den Korb in Händen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. 13. Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B2AE-3