[253] 8. Gedichte

Damons Klage über den Verlust und Abschied der Phillis.


Wie sieht es nun um uns, verweiste Brüder, aus?
Die Reihen sind getrennt; der Tanz und Hirtenschmaus
Ist leider uns und auch der Schäferinnen Orden
Nach unsrer Phillis Flucht ein Klagelied geworden.
Seit dem sie ihren Fuß aus unsrer Trift gesetzt,
Entflieht auch alles das, was sonst das Aug ergetzt.
So stark die Wiesen hier mit Blumen schwanger gehen;
So fett und häufig auch man hier den Klee sieht stehen;
So scheint doch alles todt. Der Blumen Kayserinn,
Der Augen schönste Lust, die Phillis ist dahin!
Die Lämmer gehen hier mit uns zugleich im Leide;
Wie hängen sie den Kopf? sie hungern auf der Weide
Vor lauter Schmerz und Gram. Warum? weil jedes sieht
Daß ihre Schäferinn den Feldern sich entzieht.
Kein Thal noch Wald kann uns nach solchem Raub erfreuen.
Ihr allerschönster Platz gleicht wilden Wüsteneyen.
Aurora weinet selbst. Seht ihr die Thränen nicht
Auf allen Blätern stehn? das sonst so heitre Licht
Des Titans scheinet Glanz und Ansehn zu verliehren,
Da Phillis sich nicht läßt auf unsern Auen spüren.
Unsäglicher Verlust! wer ruft nicht tausendfach?
Wer sieht der Schönen nicht vor Wehmuth sehnlich nach?
Ihr alle werdet es, ihr müßt es auch, bekennen,
Daß man nichts liebers hört als ihren Namen nennen.
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Der Schäferinnen Chor wird ohne Zwang gestehn,
Daß keine sich davon erkühnt ihr vorzugehn.
Wer war der Phillis gleich, doch keine zu verachten,
Wenn wir nach Hirtenart hier scherzten, tanzten lachten?
Stellt euch, ihr Freunde, nur den Abriß noch von ihr,
Und ihre Lieblichkeit in den Gedanken für.
Mir ist, als säh ich sie noch in den Reihen sitzen,
Und Huld und Ernst zugleich aus Stirn und Augen blitzen.
Ihr Geist war aufgeweckt, doch sittsam auch dabey.
Mag Himmel und Natur ein netter Conterfey
Von einer Schäferinn auf allen Auen zeigen,
So weit und breit man auch nur läßt sein Auge steigen?
Reizt euch nicht die Gestalt, und ihrer Glieder Pracht?
Wie schlank war nicht der Leib, wie schmal ihr Fuß gemacht?
Wer tanzte zierlicher, als Phillis in den Reihen?
Wer sang wohl lieblicher, die Hirten zu erfreuen,
Wodurch sie aller Ohr und Sinn zugleich bethört?
Ja selbst die Nachtigal hat ihr oft zugehört,
Und in dem Busch gelauscht, um bey so schönen Dichten
Sich nach der Phillis Schall und holden Ton zu richten.
Gefährten! könnt ihr wohl, da dieser Raub geschehn,
Vor Jammer, Leid, und Gram nach euren Heerden sehn?
Sie mögen irren, fliehn, und sich im Wald verschlagen,
O kommt! laßt uns dafür das Leid einander klagen.
Am aller meisten mir, mir, dem zu weh geschicht;
Dem Trost und Zuspruch fehlt. Wie Damon, wirst du nicht
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Vor Schaam und Schrecken roth? vergebt es mir, ihr Brüder!
Schmerz, Sehnsucht und Verlust, schlägt mich dermassen nieder,
Daß ich mich leider selbst vor Jammer und Verdruß,
Nach meiner Phillis Flucht, nunmehr verrathen muß.
Ich habe sie geliebt, und dies mehr als zu heftig;
Ihr Wesen war zu schön, ihr Augenstral zu kräftig.
Ists möglich? daß ihr nie die Glut an mir verspürt,
Indem ich ganz verwirrt die Heerden oft geführt?
Wie oftmals hab ich nicht, wenn ich bey ihr gesessen
Freund, Lämmer, Haus und Hof, ja gar mich selbst vergessen?
Bracht euch mein Aufzug, Putz, und meine Liverey
Dergleichen Argwohn nicht, ihr blinden Schäfer, bey?
Schloßt ihr nicht aus dem Gang, aus Stellung, Wort und Minen
Was ich verborgen hielt? wenn bin ich wohl erschienen
Daß nicht ein frischer Strauß, den ich mit Sorgfalt las
In ungezwungner Pracht, auf meinem Hute saß?
Es muste Strumpf und Schu stets knapp und glatt gebunden,
Die Tasche bunt gestickt, die Flasche schön und rein,
Die Wäsch auf meiner Haut schneeweis wie Phillis seyn.
Kein Schäferstock ist wohl in unserm ganzen Orden
So nett und rund gedreht, so reich bebändert worden.
Mein Hirtenkleid das ich um Hüft und Lenden schlug,
Und wie ihr selber wißt, doch alle Tage trug,
Beschämt an Reinlichkeit auch eure Festtagsröcke:
Wenn habt ihr einen Strich auch von dem kleinsten Flecke
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Auf selbigem gesehn? wie oft hab ich die Nacht
Wenn ihr in Ruhe schlieft, mit Tanzen zugebracht!
Die Misgunst gab mir selbst den Vorzug unter allen.
Und warum that ich dies? der Schönen zu gefallen.
Vergebner Putz und Müh! was hab ich denn erreicht?
Dies, daß die Schäferinn aus unsrer Flur entweicht.
Ach Phillis, meine Lust! nun aber mein Verlangen!
Wie oft bin ich die Trift nicht auf und abgegangen,
Nur was von dir zu sehn? auch deine blosse Spur
Vergnügte meine Brust. Erblickt ich Armer nur
Von deinem Schäferstock die weit entfernte Spitze,
So ward ich schon entzückt, entbrannt von Glut und Hitze.
Es war als böte mir der Schutzgott, unser Pan
Sein ungezähltes Heer und seinen Reichthum an.
Die Nacht, worauf doch sonst die andern Hirten hoffen,
Die hat zu meiner Qual mich stets zu früh betroffen.
Sie war mein gröster Feind. Die Hütte, wo ich lag,
Glich einer finstern Gruft. Ich seufzte, wär es Tag!
Wie hab ich oft vor dich den Schlaf mir unterbrochen
Und vielmals vor Verdruß und Ungeduld gesprochen:
Aurora säume nicht! weil Deck und Stroh zu hart,
Und weil es mir zu bang auf meinem Lager ward,
Ja, konnt ich gleich noch nicht Orions Glanz erblicken,
So ließ ich aus dem Stall doch schon die Heerde rücken.
Ich riß den Säugling selbst von seiner Mutter Brust,
Er trunke sich nicht satt, ich störte seine Lust:
Bloß um am ersten dich nach deiner Ruh zu fragen,
Und meinen Beystand dir zum Hüten anzutragen.
Hieß denn der Abend mich in meine Hütte gehn:
So sah ich dich im Geist an meiner Seite stehn;
Doch dieser Afterschein bethörte mich so nahe,
Daß Damon nicht einmal bey seiner Anzahl sahe
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Das was er heimgebracht. Zehlt ich im Hof die Schaar
Und das was in den Stall bereits gedrungen war,
So traf sie niemals ein: das fehlte was vom Haufen,
Da must ich armer Tropf mit Angst zurücke laufen.
Du warst mein Morgenstern und auch mein Abendrot,
Auch nur ein Blick von dir versüßte Trank und Brodt:
Doch hab ich manches mal mein liebes bißchen Essen
Aus Kümmerniß versäumt, und über dir vergessen.
Schnitt ich den Bissen ab bey so verwirrten Sinn:
So reicht ich unbewust ihn meinem Hector hin,
In Meynung, daß ich ihn in meinen Mund gestecket,
Und daß er mir so süß als Phillis Kuß geschmecket.
Mein Haberrohr, das nichts als Phillis Namen rief,
Wenn meine Schäferinn auf grünen Matten schlief,
Worauf die Müdigkeit das Helfenbein der Glieder
Bey schwülen Stunden warf, hat dir viel tausend Lieder
Statt Opfers dargebracht. Was spielt ich, Schöne, dir,
Doch in Entfernung nur, und in der Stille für?
Was dir mein feiger Mund sich nicht erkühnt zu sagen,
Daß muste dir mein Rohr verliebt und sehnlich klagen?
Warum? dies wurde nicht dabey so roth, als ich.
Sein freyer Ton und Schall hieß: Damon liebet dich.
Kein Schäfer, sollten mich auch alle drum beneiden,
Weis einen Namen leicht so künstlich einzuschneiden,
Als ich den Deinigen verschlungen angebracht,
Worüber ich auch oft manch Messer stumpf gemacht.
Hier durfte weder Ficht noch Erl verschonet bleiben,
Die Liebe hieß mich ihn auf Birk und Linde schreiben;
Kein Eichenbaum blieb frey, kein Tannenbaum beschützt,
In Buch und Weiden ward er hier und dar geschnitzt;
Ich schnitte selbigen so tief in Schaal und Rinden,
Daß ich dabey das Bast von Fingern konnte winden.
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Doch ist er nie so tief gekerbt und eingeprägt,
Als Damons treue Brust ihn noch beständig trägt.
Der hatte Hand und Herz dir unbewust verpfändet,
Und nie von seinem Hauch und Odem mehr verschwendet,
Als wenn er nur mit dir in den Gedanken sprach.
So Berg als Hügel zeugt, das Echo rief es nach
Durch Klang und Wiederschall. Nur dir blieb es verborgen,
Daß Damon dich geliebt vom Abend bis am Morgen,
Mit Sehnsucht dich genannt, zu seiner Lust erkiest,
Und keine Schäferinn, so reizend sie auch ist,
Dir vorgezogen hat. Du konntest dieses spühren,
So oft man bey dem Spiel dich sah die Reihen führen,
Wobey dein Schäfer zwar ein Auge voller Lust,
Jedoch zur Pein geholt. Es durft aus meiner Brust
Kein Seufzer, den die Furcht mich Armen hieß verschweigen,
Bey deiner Gegenwart in freye Lüfte steigen.
Mit meinen Augen selbst gieng ich ein Bündniß ein,
Aus Furcht, sie möchten einst bey dir Verrähter seyn.
Ich sahe dich wohl an, doch mit bescheidnem Blicke;
Denn Nachsinn und Vernunft hielt Flamm und Blick zurücke.
Ich bothe dir die Hand wenn mich die Ordnung traf,
Doch tanzt ich ganz verwirrt, und gieng als wie im Schlaf.
Bald kehrt ich dreymal um, bald schien ich selbst zu wanken,
Bald fieng ich wieder an; doch alles in Gedanken.
Ach, Phillis, liessen es die Sterne doch geschehn,
Daß ich dein Augenlicht noch einmal solte sehn,
Womit, da du nunmehr aus unserm Chor gegangen,
Ein weit entferntes Land und fremde Triften prangen,
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Mein Seufzen ist gerecht, und doch auch scheltens werth,
Ich habe nichts als dich, und doch zu viel begehrt.
Ich sah es im voraus, daß wer dich, Schöne küßte,
Der allerschönste Hirt und Schäfer heissen müste.
Und dennoch fiel mein Aug, o Phillis, nur auf dich,
So bald ich dich nur sah, ach, so vergaß ich mich.
Vergib den stolzen Trieb, wofern man dir wird sagen,
Daß Damon dich geliebt, und was für herbe Klagen
Dein Abschied ihm erregt. Die Liebe höret ihn,
Drum fluche nicht, wenn er dich sieht mit Thränen fliehn.
Der müste wohl ein Gott, ein Stein, ein Felsen heissen,
Den deiner Schönheit Stral, nicht sollte niederreissen.
Dich liebt die halbe Welt. Beglückter Seladon!
Dir ist der Himmel hold, du trägst den Preis davon.
Nicht zürne, wenn das Rohr der Schäfer kläglich spielet,
Und jeder Hirt auf dich mit schelen Augen zielet:
Der Raub und ihr Verlust ist wahrlich gar zu groß!
Die schönste Schäferinn sitzt dir zwar in dem Schooß
Und bleibt dein Eigenthum, doch kannst du nicht verwehren,
Daß wir, obgleich entfernt, noch unsre Phillis ehren.
Entflohne! hörst du nicht? dein Damon ruft allhier
Den Pan zum Zeugen an: Er ruft, er schweret dir:
Es soll die Seuche mir die Lämmer alle strecken;
Das Sterben dringe sich zu Ziegen und zu Böcken;
Kein Euter trage Milch; der Zauberinnen Wuth
Behexe selbiges; das Melkfaß sey voll Blut;
Es mag kein einzig Thier im Jahre trächtig werden;
Der Miswachs zeige sich auf jedem Kloß der Erden;
Die Scheune bleibe leer, der Keller ohne Most;
Der Maden hungrig Heer durchwüle Speis und Kost;
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Geschmeiß und Raupe soll mir Ast und Zweig entblättern;
Der Zeus mag meinen Hund, den Hector, gleich zerschmettern,
Der bey des Wolfes Grimm, und bey der Füchse List
Der Schaafe bester Schutz, mein treuster Beystand ist;
Ich will, wenn jeder kann die krausen Schaafe scheeren,
Die meinen nackend sehn, die fette Schur entbehren;
Es zeige meine Trift stets lauter Sand und Stein;
Die Wiesen müssen faul vom Sumpf und Moder seyn;
Kein frisches Morgennaß befalle meine Matten;
Kein Baum, kein kühler Busch beschütze mich durch Schatten,
Wenn mich die Sonne sticht; der frischen Bienen Heer
Verlasse Zell und Fach, und zinse mir nichts mehr;
Der Marder würge mir auf einmal meine Tauben,
Und mag in einer Nacht mir das Geflügel rauben;
Es mache Flamm und Glut, hör was der Schäfer spricht!
Mein Hirtenhaus zu Staub; wofern dich Damon nicht
So lange noch der Puls in seinen Adern schläget
In den Gedanken liebt, in Herz und Sinnen heget.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 8. Gedichte. 8. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B371-1