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Mel. 50.


1. Ihr schwestern aus Zion, verbundene seelen, ach! saget mir einmal wie unser freund heist? doch besser: Er mag es uns selber erzehlen, so, wie er sich öfters der seele beweist. Last uns dadurch dringen, das [73] herz ihm zu bringen, daß seine lebendige strömlein drauf fliessen, und wir alle kräftige nahmen geniessen.

2. Ist jemand ein würmlein, das schwächste der kinder, ein säugling der weisheit gar wenig geübt, der kenne doch nur den gesellen der sünder: er liebet die, so ihn am meisten betrübt: er hält sich zu ihnen, und läst sich bedienen, an ihren geringen verachteten tischen, da sie sich bey ihm ihre thränen abwischen.

3. Ja, rotten sich alle die machten zusammen, und fressen des Israels häufgen bald auf, und wollen die würmlein aus Jacob verdammen; so kommts ihm zu ohren, er merket darauf, weiß diese zu retten, zerreist jener ketten, bezeigt sich, als löwe, großmächtig von stärke, zerbricht ihre bogen, zerstört ihre werke.

4. Kraft ist mein geliebter: wie kan es ihm fehlen? er brauchet die wenigste mühe darzu: denn ruft er, so kan sich ihm gar nichts verheelen: befiehlt er, so steht es zugegen im nu: ja, wenn er nur wolte, im augenblik solte die erde von seinem bewegen zergehen, so daß von derselben kein spürchen zu sehen.

5. Denn heist er nicht auch ein verzehrendes feuer, (da nicht bey zu wohnen) die ewige glut? Ja freylich, uns aber ists selig und theuer: wir fassen dadurch einen tapferen muth: Er wird auch verzehren und gänzlich verheeren, was in uns zu finden, das ausser ihm lebet, sich wieder sein heiliges wollen erhebet.

6. Das bilde vom göttlichen herrlichen wesen, der abglanz des Vaters wird er auch genannt: das ew'ge wort welches von anfang gewesen, und je und je gegen uns liebreich gebrannt: der von sich selbst sagte, als Moses ihn fragte: Ich werde seyn, der ich beständig seyn werde. So weiche der himmel! so weiche die erde!

7. Das A und O ist er, der anfang und ende. Er heisset derselbe, ders immer wird seyn. Ist dieses nicht tröstlich vor alle elende? die mögen im glauben nur dringen hinein: sie können ihn fassen: er darf sie nicht hassen: denn er, der sich ihren erbarmer genennet, der ists auch, der keine veränderung kennet.

8. Mein Freund ist der [74] richter des fleisches, das lebet: es wird vor ihm alles einst aufgedekt seyn: Wort! drüber das herze der thoren erbebet, mir kömmet nichts fürchterlichs über dir ein: da, welcher hier richtet mit blut sich verpflichtet, mein ewiglich treuer gefreundte zu bleiben: wie solte sein richterspruch mich von ihm treiben?

9. Gott nennte ihn Jesus, uns selig zu machen: was liegt schon im nahmen vor kräftiger trost? Er thats auch, und riß uns aus satanas rachen, da er vor uns schmekte die tödtliche kost. Das halten wir feste: es bleibet das beste: denn hat er uns selig und ewig gemachet: so sterben wir drüber, daß unser mund lachet.

10. Mein Freund ist der Christus, mit salb-öhl vom Herren weit über gesellen und glieder bethaut: sie werden sich wegen des vorzugs nicht sperren, als alle aus seinem kraft-leibe erbaut: was auf ihn gegossen ist nieder geflossen: das öhle des lebens, das jedermann heilet, wird gerne vom haupte zum gliedern vertheilet.

11. Er hat sich im wallen bekräftigen müssen, daß seine das ewige priesterthum sey, kraft dessen er blutig ins heilge gerissen: so gieng auch der vorhang im mittel entzwey: das blut war sein eigen: nun dient es zum zeugen in Gottes gerichte von unsrer versöhnung, vom himmlischen erbe, und endlicher krönung.

12. Denn welchen er segnet, der bleibet gesegnet: das segnen gehöret zum priesterthum mit. Darum thats Melchisedech, der Abram begegnet, der wegen des streites entkräftung erlitt: er trägt das geräthe, und bleibt im gebete: auch wird er prophete und lehrer genennet: wohl deme, des herze von lehr-begier brennet.

13. So ists, er ist auch unser bruder geworden: wie wird so geringe der grösseste der, daß er sich begiebet in sterblichen orden. Was einer so gerne thut, wird ihm nicht schwer. Ihr schwestern bedenket doch, was er uns schenket, vor welchem sich bücken die himmlischen heere, den nennen wir bruder: welch ewige ehre!

14. Er ist unser bräutgam: das geht über alles. Wer sind wir, die er sich zur braut hat erwählt? wir sind ja so [75] schändlich von wegen des falles; und dennoch so hat er sich mit uns vermählt. O ewiges wunder! wie wird uns ietzunder? indem wir zusammen vom bräutigam sprechen: will keiner das herze von liebes-macht brechen?

15. Last uns ihn umfassen, und last uns ihn führen, den Bräutgam, den Bruder: wo aber denn hin? da, wo kein geräusche, wo stille zu spüren, wo einsam, wo öde, wo keiner kommt hin: damit er uns küsse, daß niemand was wisse: das wird wohl die kammer des herzens bedeuten, da soll sich sein gnaden-glanz über uns breiten.

16. Will ich mich in denen geschöpfen besehen, ob etwas dem freunde zu ähnlichen sey; wird alles und jegliches hinterwerts stehen: er bleibet erkohren, das sage ich frey: wie unter den bäumen, die keine frucht keimen, der apfel-baum pranget mit fruchtbarer schöne; so glänzet mein Bräutigam über die söhne.

17. Der freund hat sich selbst einen nahmen gegeben, der alle die kleinen und schwachen ergezt: er nennt sich die Henne, will über uns schweben, wie über die küchlein die henne sich sezt: ruft, wenn sich von neuen die küchlein zerstreuen, daß sie sich doch samlen und wärme ziehn sollen: wer solte nun denken, daß manche nicht wollen?

18. Das licht der welt ist er: wo das nicht zu finden, da kan nichts als blindheit und dunkelheit seyn: es ist auch geschäftig zu suchen die blinden: sie lassen nur keine verblendung mehr ein. Aus welcherley triebe thut dieses die liebe? ists nicht, daß seyn herze von menschen-sucht brennet? drum wird er auch billig die liebe genennet.

19. So kan man sein würcklich auf erden geniessen: doch sind auch der süssesten nahmen noch mehr: er mag sie euch sagen, die ihr sie wolt wissen: er wird euch vergnügen nach eurem begehr: doch höret noch eines, und warlich nichts kleines: kommt, last uns zur heymath ins himmlische sehen, wie er sich wird zeigen, und mit uns begehen.

20. Da ist er die Sonne, da wird er uns scheinen, als Leuchte zu Salem, die nimmer erlischt: auf diesen tag freuet euch alle die Seinen: hier werden die thränen euch [76] abe gewischt: ihr lebt in der Sonne, dem Tempel, der wonne: da werden wir hausen, da werden wir wohnen, im sieges-geschmeide, auf fürstlichen thronen.

21. Nun, liebe gespielen, was saget das herze? ists von der gluth geistlicher liebe recht warm? Ihr, die ihr erkranket von liebenden schmerze, kommt, leget euch mit mir ins Bräutigams arm: schlagt helle zusammen, ihr sehnenden flammen: singt, klinget jungfräuliche schaaren dem Freunde: die liebliche liebe gewinne die feinde.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Erdmuthe Dorothea von. Gedichte. Geistliche Lieder. 74. Ihr schwestern aus Zion, verbundene seelen. 74. Ihr schwestern aus Zion, verbundene seelen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B437-E