84. Auf seines Sohns, Christian Friedrichs, Entschlafen

1729.


O Bräutigam der zwey verbundnen Herzen,
Die Dir das Pfand der Eh itzt eingereicht!
O Du, durch Angst und Schmach und Todes-Schmerzen,
Bewährter Freund! Dein Liebes-Rath ist leicht,
Du forderst nichts, was man nicht hat,
Und gibst Dich immer selbst ans eingebüßten Statt.
Elf Monden sind bereits dahin gefahren;
Wir lebeten und unser Kind noch nicht:
Doch stunden wir schon seit geraumen Jahren,
Für vieles Heil in Deiner Schuld und Pflicht:
Wir kauften Waitzen-Körner ein,
Um etwas Dir zu Dienst auf Hoffnung auszustreun.
Was gibt man doch dem Könige der Herzen,
Das Ihm so viel Gewinn als Mühe macht?
Es findet sich bey denen hellsten Kerzen
Doch eine hie und da beschmitzte Pracht:
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Wo ist ein Lämmlein ohne Fehl?
Es wäre dann, daß sichs die Liebe selbst erwehl.
Das sahest Du, Du immer offnes Auge,
Du dachtest wol, die Kinder meynens gut;
Zum Zeichen, daß ihr Herze vor mir tauge,
Weil mir mein Volk mit Wollen alles thut,
So will ich mir ein Schaf ersehn,
Ein zartes Kind! nehmts hin, gebts her, so ists geschehn.
O wenn Dich nur die Seelen recht verstünden,
Sie gäben sich nicht halb so viele Müh,
Mit mancherley Bedenken und Ergründen;
Sie merkten nur, wohin die Liebe zieh,
Und dächten dann, wie jener Knecht:
Der Herr machts wie Er will, so ists dem Knechte recht.
Mein Freund! Du gabst auch dißmal, eh Du nahmest,
Wohl dir, mein Kind, das Du zur Ruhe bringst.
Gesegnet sey der Sabbath, da du kamest;
Gesegnet sey der Sabbath, da du gingst:
Dein Kampf war kurz, die Macht war klein,
Und dennoch ist der Sieg um Jesu willen dein.
Du! der diß Kind ein Schmerzens-Sohn gewesen,
Was sag ich dir, o Schwester, liebes Weib!
Du warst ja kaum des Seligen genesen,
So wütete der Schmerz in Brust und Leib:
Allein der Geist voll Helden-Muth,
Fragt: wie ers machen soll? und fragt nicht: wie es thut?
Wenn dieses Kind kein Schaf gewesen wäre,
Du mühetest dich noch, du ruhtest nicht.
Allein, der Herr besahe die Altäre,
Darauf man Ihm die Opfer zugericht't:
Bey unserm merkt Er Seinen Zwek,
Drum fiel das Feur herab und fraß das Lämmlein weg.
Komm Schwester! komm, wir wollen niederfallen.
Wir fragen nicht erst lang: Wie heisset Er?
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Ihm soll in uns ein Hallelujah schallen.
Er ist der Herr, Er kommt zum Sabbath her.
Drum machen wir die Augen zu,
Und Israel zeucht mit dahin zu seiner Ruh.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. 84. Auf seines Sohns, Christian Friedrichs, Entschlafen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B4E6-2