24. An seine Gemahlin an ihrem 22sten Jahrs-Tage 1

1722.


Gesegnete des HERRN! gedenk an unsern Bund,
Und komm, den Lebens-Gott ganz kindlich anzubeten,
Versenke dich ganz tief in Seinen Liebes-Grund,
Der ehmals auch für dich so Höll als Tod zertreten.
Er hat an Leib und Geist dich seliglich geführt;
Er hat dich vor der Bahn der Lästerer behütet;
Dein annoch zartes Herz hat Er mit Ernst gerührt;
Noch eh in deiner Brust was feindliches gewütet.
Du fühltest, Wertheste! von deiner Jugend auf
Ein Treiben zu der Welt; ein Licht von falschem Scheine,
Erhellete die Bahn von deinem ersten Lauf,
Und deines Willens Trieb war eben nicht so reine.
Insonderheit bewarb sich eitele Vernunft,
Die mit der schönsten Art sich heilig weiß zu brennen,
Um deine ganze Gunst, und lokte in die Zunft
Derjenigen, die sich die weisen Christen nennen;
Die Zunft, die überall den besten Preis erjagt,
Die Eitelkeit verschmäht, davon kein Ruhm zu hoffen.
Der Hauffe, welcher viel von Jesu Liebe sagt,
Und der den rechten Punct des Glaubens nie getroffen:
Die Zunft, davon ich selbst beynah ein Mitglied war,
Die Einfalt Jesu wol für eine Tummheit hielte,
Und ihr gesegnet Creutz für furchtbare Gefahr,
Dem Tanzen fluchete, und ohne Vortheil spielte:
Die Schaar, die ohne Scheu der armen Christen lacht,
Und ihres Helden Fahn zu einer Irr-Standarte,
Den Ruhm der Niedrigkeit zu eignem Geiste macht,
Und lästert, daß man nur auf Wunder-Züge warte;
Die aber alles das so reiflich überlegt,
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Daß man gar oftermal ihr Bitteres für süsse,
Ihr Spotten freundlich hält, und was sie böses hegt,
Und was uns stürzen will, sich nimmer träumen liesse:
Die ist es, die dich bald, Geliebte! angelokt,
Und dir das Christenthum der Kraft verleiden wollen;
So, daß du in dem Ernst bald hie, bald da gestokt,
Anstatt, daß sich dein Fleiß und Eifer mehren sollen.
Das weiß ich, liebstes Kind! aus dem, was deine Treu
Mir als dem Nähesten in Liebe selbst vertrauet.
Allein, wie preise ich den guten Gott dabey,
Daß Er bey alle dem dich gnädig angeschauet.
In solchem Stande bin ich von der guten Hand
Des lieben Vaters selbst hieher geleitet worden;
Da knüpfte Gott zuerst das innerliche Band,
Da ward der Heiraths-Schluß gefaßt im Wächter-Orden.
Doch wurde die Geduld und die Gelassenheit
Nach jedes Nothdurft erst absonderlich probiret;
Und nach verflossener geraumer Warte-Zeit,
Der wunderbare Rath der Weisheit ausgeführet.
So können ewiglich sich ihres Herren freun,
Die Er gewürdigt hat gerecht in Ihm zu machen;
Wenn andre Menschen sich vor Seinen Wegen scheun,
So windet sie ihr Freund aus den verwirrt'sten Sachen.
Sein Segen breitet sich auf Kindes-Kinder aus,
Ins weit entfernt'ste Glied verdoppelt sich die Gnade,
Und endlich bringt Er die in ein beständigs Haus,
Die hier nicht wohneten. Denn Welt war ihnen Schade.

Phil. 3.

Wohlan, die Zeit ist kurz, die Gnade sey mit dir!
Ich wolte dir wol sonst mein Herz genauer sagen;
Allein dis sey genug: Gehülfin! tragen wir
Sein Joch; so werden wir auch Seine Palmen tragen.

Fußnoten

1 Am 7ten November.


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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. 24. An seine Gemahlin an ihrem 22sten Jahrs-Tage. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B4F1-8