48. Ueber das Grab der Groß-Frau Mutter 1

1726.


Solls seyn, Hochwürdigs Haupt! so neig' auf Jesus Winken
Ihm deine von der Last erdrükte Scheitel zu:
Entweiche müder Geist zur stolzen Seelen-Ruh,
Und laß den Cörper auch in seine Ruhe sinken!
Zwar trinkt den neuen Wein ins Vaters Reiche nicht,
Wer nicht den bittern Kelch vorher noch angesetzet;
Doch, wenn der Myrrhen-Trank dir kaum die Lippen netzet,
So sieht ein jeder leicht, warum das dir geschicht.
Es hatte dir die Welt zum öftern Trank und Speise
Mit Staub der Kümmernis, und Thränen-Salz vermischt.
Die Arbeit ließ nicht nach, wenn man dir aufgetischt,
Und deine Ruhe-Zeit verging auf gleiche Weise.
So wußte dann dein Freund, als itzt die Stunde kam,
Mit aufgebotner Macht die Krone zu erkämpfen,
Sowol der Feinde Wut, als deinen Streit zu dämpfen,
Indem er aus dem Sturm dich bald bey Seite nahm.
Sonst macht ein kühner Held bey vortheilhafter Lage
Den Zugeordneten die größte Sorgen-Noth:
Denn sie vermuthen schon, daß er Trotz Blut und Tod,
Den eingedrungnen Feind zurükzutreiben wage.
Ein Bau, den Sturm und Schlag noch eins so stark gemacht,
So, daß er nun davon nicht leicht zu zittern pfleget,
[140]
In welchem sich der Geist noch immer lebhaft reget,
Will recht getroffen seyn, eh seine Veste kracht.
Drum höret man das Blut in allen Adern kochen,
Weil Tod und Leben noch aus allen Kräften ringt,
Bis der gefangne Geist sich aus den Banden schwingt,
Nachdem er durch das Herz, und Mark und Bein gebrochen.
Und da der Seelen-Feind den Erden-Kreis durchreist,
Um schon in dieser Zeit die Seelen zu verschlingen,
Vermeynt man, wenn sie itzt aus ihrer Hütte dringen,
Daß der Erboste nicht noch allen Ernst beweist?
Dein Geist war nicht gewohnt bestürzt herum zu schweiffen,
Dein unerschrokner Muth ertrotzte manchen Sieg:
Alsdann vermuthet man gar einen schweren Krieg,
Wenn zwey Gewaltige nach einer Sache greiffen.
Nein, spricht der Ewige, hier soll das nicht geschehn,
Weil diese Jüngerin mir immer treu geblieben,
Und ihre meiste Zeit in meinem Dienst vertrieben,
So soll sie auch dafür mit Ruhe schlafen gehn.
Sie hat sich ofte gnug um Kron und Lohn gestritten,
Wenn ihr das Meer der Angst bis an den Gürtel ging:
Ob manche Centner-Last auf ihrer Schulter hing;
So ist ihr Fuß doch nicht aus meiner Bahn geglitten.
Auf einen tapfern Kampf folgt jedesmal Triumph,
Der eine Feind gewinnt, der andre muß erliegen:
Kämpft einer unter mir, der wird unfehlbar siegen,
Und macht der Widerpart so Schwerdt als Pfeile stumpf.
[141]
Noch eins, die selge Frau erquikte manchen Schwachen,
Und labete sein Herz, wenn seine Seele matt:
Wer meiner Dürftigen sich angenommen hat,
Dem will ich, spricht der Herr, ein sanftes Bette machen.
Drum geht die Theureste, die so viel Angst betraf,
So munter aus und ein, und läßt sich niemand leiten:
Und letztlich kan sie kaum ihr Sieges-Bett beschreiten,
So legt sie sich zugleich in den erwünschten Schlaf.
Der heldenhafte Sinn begehrte nicht zu ruhen,
Worinnen ihm der Leib so lang zu statten kam,
Bis man das Meister-Stük aus dem Gehäuse nahm,
(Denn einen müden Fuß pflegt einer auszuschuhen.)
Komm angenehmes Volk von jener Helden-Wacht,
(Die bey der Nacht-Gefahr um Salomonis Bette
Zum Schutze seiner Braut umhergezogne Kette,)
Nim deine Schwester an, begleite sie zur Pracht!
Ihr Seelen um den Stuhl, mit Palmen in den Händen,
Wißt: Daß der neue Gast aus grosser Trübsal kömt,
Und daß der Feinde Drang sein Saiten-Spiel gehemmt;
Drum helft des Lammes Lied ihm seliglich vollenden.
Ihr Alten nehmet nun die theure Jüngerin,
Den Preis des Alterthums in diesem Jammerthale,
Und bringt sie mit Gepräng zum Königlichen Saale,
Auf den erhabnen Thron, vor euern Alten hin.
Mein König! hast Du nicht vom Creutz zum Stuhl der Ehren
Als Beyspiel Deiner Schaar Dich selbst zuerst erhöht:
Weil diese Tochter nun vom Creutze heimwerts geht,
So wird der Vater auch ihr Deinen Stuhl nicht wehren.
[142]
Ihr Geister! die ihr noch in laimern Hütten wohnt,
Und habt die sel'ge Frau, als Aelteste, gekennet,
Wie? daß nicht euer Herz von heilgem Eifer brennet,
Zu thun, wie sie gethan, zu bleiben wo sie thront?
Ihr, dieser Edelsten geehrteste Verwandte,
Laßt euch ihr Glaubens-Licht nicht aus den Augen gehn,
Ihr mögt ihr nahe seyn, ihr mögt von ihr entstehn,
Gleicht dem entwichenen so hellen Diamante.
Euch Armen dieser Welt schallt in die Jammer-Kluft:
Ihr hättet euern Schatz auf einmal eingebüsset.
Kein Wunder (wenn euch Gott das Leiden nicht versüsset,)
Es stürzete der Gram euch mit ihr in die Gruft.
Euch ruft ihr Wandel zu, ihr sogenannte Christen,
Die ihr so Gott- als Pflicht- und Ehr-vergessen seyd,
Daß ihr mit lauter Stimm Herr, Herr und Vater schreyt,
Und dient doch heidnischen, ja thierischen Gelüsten:
Wie ist es immermehr mit euerm Thun bewandt,
Wollt ihr nicht Christen seyn, was laßt ihr euch so nennen:
Wie mögt ihr euch so gern von euerm Meister trennen,
Da ich bald achtzig Jahr mich wohl bey ihm befand.
Du aber sel'ger Geist, gedenke deiner Lieben,
Und mahle sie dem Herrn in Sein verwundtes Herz:
Das sey die Linderung für den erbellten Schmerz:
Daß sie mit dir zugleich in Seine Hand geschrieben.
Schlaf wohl, du Helden-Stirn, gelobet sey der Herr,
Der dich (den edeln Rest der auserwehlten Frauen,
Die sich in Einsamkeit dem Seelen-Mann vertrauen,)
Bis hieher aufgespart zum Dienst der Wanderer!

[143] Aria nach der Parentation

Die Christen gehn von Ort zu Ort,
Gerade durch den Jammer,
Und kommen in den Friedens-Port,
Und ruhn in ihrer Kammer.
GOTT hält der Seelen Lauf
Durch Sein Umarmen auf;
Das Waitzen-Korn wird in sein Beet,
Auf Hoffnung reicher Frucht, gesät.
Wie seyd ihr doch so wohl gereist,
Gelobt seyn eure Schritte,
Du allbereit befreyter Geist!
Du noch verschloßne Hütte!
Den rührt der Bräutigam
Mit sanfter Liebes-Flamm;
Die dekt in ungestörter Ruh
Der Liebe stiller Schatten zu.
Wir freun uns in Gelassenheit
Der grossen Offenbarung.
Indessen bleibt dein Pilger-Kleid
In heiliger Verwahrung.
Wie ist dein Glük so groß!
Sey froh im Gnaden-Schooß!
Die Liebe führ uns gleiche Bahn,
So tief hinab, so hoch hinan!

Fußnoten

1 Im Merz.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 48. Ueber das Grab der Groß-Frau Mutter. 48. Ueber das Grab der Groß-Frau Mutter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B576-7