2196.

Zum 12. May 1745.


Mel. Wie schön leuchtet der etc.


1.

Was gehet heut im Sünder-Chor der Lammes-wunden-maden vor? das selge angedenken, daß heute ein und zwanzig jahr die Erstlinge der Zeugen-schaar ihr herze liessen lenken, ihr land und stand zu verlaßen, und die strassen durchzuwandeln, künftig für das Lamm zu handeln.

2.

Fünf brüder gingen frölich aus, und legten grund zu einem haus, da tausende schon weiden; sie rükten nahe an das herz, das nach vervielfältigtem schmerz den letzten stich must' leiden. O da steht ja ein solch völklein, zeugen-wölklein, das nur thönet vom Lamm, das die welt versöhnet.

3.

In ieglicher religion erblikt man das phönomenon 1, und kan nichts als erstaunen: die leute werden freylich irr, und raisonnir'n sich ins gewirr beym schall der blut-posaunen; daran kehrt man sich doch wenig, läßt den König davor sorgen, bleibt im stein-ritz wohl geborgen.

4.

Das Creuz-wort und die sel'ge zucht macht, daß man diese kirche sucht, ihr eingeleibt zu werden: ihr glanz erstrekt sich weit und breit, zu vieler sünder seligkeit, auf der gesalbten erden. Die flamm vom Lamm gehet zünden, wo sich finden solche seelen, die zur gnaden-wahl zu zehlen.

5.

Ihr sitz wird ihnen nicht verwehrt, was die gespalt'ne seite ehrt das darf darinnen sitzen; sie kommen nur als täubelein, da öffnet sich der wunden-schrein, mit allen Lammes-ritzen, der blitz vom schlitz macht der meister aller geister ihre sinnen vor dem wunden-Gott zerrinnen.

6.

Das Chor der heil'gen Cherubim, die grosse menge Seraphim, und der vollendten sünder, die harmonir'n doch gar zu schön in dieser kirche blut-gethön, wo man die gnaden-kinder sieht ruhn, sie thun nichts als singen von den [2075] ringen, eßig-schwamme bunds-glied, fürchlein, seiten-schramme.

7.

Da ist der ganze himmel auf, zu preisen unsern blut'gen kauf, der an dem holz geschahe; als man um unsre sünden-last in todes-angst und herzens-brast den Gott der Götter sahe, der sich willig für die sünder, als erfinder ihrer gnade, hin begab auf creuzes- pfade.

8.

Die Pleura funkelt gar zu schön, ein armer sünder kan sie sehn: Du wonnesame wunde! man kan dich doch nicht gnug erhöhn, dörft ich in dich nach hause gehn, ich ginge noch die stunde. O ich freu mich! daß ich made krig die gnade zu geniessen, die mein Schöpfer must' erbüssen.

9.

Und daß die Pleura von dem Christ auch, meines wissens, meine ist, das danke ich dem Kirchlein. Ich wüst' nichts von der dornen-cron, vom bunds-glied an dem Gottes-Sohn, von nägeln und von fürchlein. O volk der wolk! das gethöne deiner söhne riß mich nieder, und die kraft der wunden-lieder.

10.

Denn seh ich mir die wunden an, dies Mütterlein so mahlen kan, so ist mein herz zerflossen; ich mag sonst nichts als blut und blut, der armen sünder höchstes gut, und werde mit begossen Wunden, wunden, creuz und wunden, blut und wunden, Lamm und wunden Gott sey dank! ihr seyd gefunden.

Fußnoten

1 Eine erscheinung des reichs Gottes.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 1. Zugabe. 2196. [Was gehet heut im Sünder-Chor]. 2196. [Was gehet heut im Sünder-Chor]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B5DF-C