[95] 32. Auf der Frau D. Petersen Eingang in die Freude 1

1724.


So gehest du dahin, vor unsers Königs Thron,
Des lieben Gottes-Lamms, um welches Löwen-Herzen
Gemächlichkeit und Ruhm, Natur und Kunst verscherzen:
Das macht, sie sehen Ihn in Lieb und Glauben schon.
1 Petr. 1, 8.
Du siehst Ihn nun, o Weib, nach selger Pilgrimschaft,
Wie ehemals am Creutz, zur rechten Hand der Kraft.
O Freundin, gönne uns, dir gläubig nachzusehn:
Dir, deren Treue mich und andre mehr beschämet,
Die wir uns ebenfalls zum Creutze hin bequemet,
Und aber immer noch an einem Stekken gehn.
Ach, möcht er uns die Hand, der Herr das Ohr durchbohren!
Jes. 36, 6. c. 50, 5.
So ginge einst die Lust zu fremder Kraft verloren.
2 Mos. 21, 6.
Nicht ehe siegete der Kämpfer Israel,
Als bis ihm Gottes Kraft die Hüfte ausgerenket,
1 Mos. 32.
Wo sich die ganze Macht des Leibes hingesenket:
Nicht ehe reissen wir mit Christo durch die Höll;
Es sey dann unsre Kunst und Stärke ganz geschwächt,
Wir elend und verdammt, und Gott allein gerecht.
Diß hatte, theure Frau, dein Gott dir eingeprägt,
Diß, was du deinem Mann, noch eh' er dich erlanget,
Da, als er mit sich selbst gleich einem Gott gepranget,
Mit Weisheit und mit Ernst gar nah' ans Herz gelegt:
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Man könne oftermals bey guten Seelen-Gaben,
Sich selbst, als einen Gott, allein vor Augen haben. 2
O Frau! hie mahltest du die meiste Geistlichkeit,
Nicht weniger den Stand der sogenanten Läyen,
Die ihre Tugenden nur selber benedeyen,
Erhöhn sich immerdar, und fliegen vor der Zeit;
Nur Gottes Gnade macht, daß nicht diß Zeugnis schon
Die Eigen-Liebe nimt, und setzt es auf den Thron.
Gelobet sey der Herr, der seinem armen Knecht
Und andren Seelen mehr die eigne Schwäche zeiget,
Und unsern stolzen Sinn zur Geistes-Armuth neiget.
Er ist der Heilige; wir aber ungerecht:
Drum soll auch aller Preis von dieser sel'gen Seele
In Christi Herzen ruhn, bis Er ihn selbst erzehle.
Dich aber preise ich, du hoher Jehova!
Matth. 11, 25.
Nach vorgeschriebner Art des Sohns, des Auserkornen,
Für die besondre Wahl von dieser Wohlgebornen.
Es sind ja ausser dem sehr wenig Edle da;
Und hier ward Adelschaft, und Wissen und Verstand
Ans rauhe Creutz erhöht: Gelobt sey Deine Hand!
Allein, es fällt mir was von dir, mein Leser, ein:
Du sprichst, zum wenigsten hast du bey dir erwogen,
Ich sey der Secte auch ohnfehlbar nachgezogen.
Geduld! hier kanst du bald zurecht gewiesen seyn:
Von ihren Meynungen, die sonderlich gewesen,
Hab ich bis diesen Tag noch keinen Satz gelesen.
Was aber bauet ihr ein Denkmaal bey uns auf?
Ihr eingekehrter Mensch in sanft- und stillem Geiste,
1 Petr. 3, 4.
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Damit sie unverrükt die Jesus-Liebe preiste:
Ihr vor der ganzen Welt untadelhafter Lauf,
Ihr helles Glaubens-Licht, ihr Zeugnis von der Spur
1 Cor. 12, 10.
Und von dem ganzen Lauf der neuen Creatur.
Es ist Bedenkens werth, was dort der Heiland spricht:
Ich hätte, Kinder, euch noch mancherley zu sagen;
Joh. 16, 12.
Allein, ihr könnets itzt nicht allerdings ertragen.
Drum sucht man billig nur das nöth'ge Glaubens-Licht:
Man darf dem Menschen blos den Weg zu Christo zeigen;
Was Gott sonst offenbart, das kan man nur verschweigen.
Ich höre aber wohl, das hat sie nicht gethan,
Die edle Jüngerin, die nun bey Jesu thronet;
Sie hat es kund gemacht, was ihr im Sinn gewohnet,
Und hat nicht einmal recht im Grunde; (saget man.)
Dem sey dann, wie ihm sey, mein Leser, ich und du,
Verstehns wol beyde nicht: Und sie ist in der Ruh.
Allein, sie stunde doch in dem und jenem Wahn?
Und ich begehre sie auf keine Art zu retten,
Noch über Künftigem, mein Freund, mit dir zu wetten;
Ich seye, oder nicht, der Meynung zugethan:
Das aber wünsch ich dir von Grunde meiner Seelen:
Den schmalen Lebens-Pfad, den sie vollführt, zu wehlen.
Was soll der Meynungs-Kram? was nützt der Schulen-Zank?
Wer Christum Jesum kennt, als eine Lebens-Quelle,
Setzt keinen fremden Born an diese hohe Stelle,
Und lechzt, und sehnt sich nur nach diesem Lebens-Trank:
Den dürstet ewig nicht, der wird ins Leben gehn,
Er mag die Creutz und Quer im Meynungs-Spiegel sehn.
1 Cor. 13, 12.
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Das ist des Glaubens Wort: Herr Jesu, ich bin nichts;
Du bist mir aber ja, mein Freund, zu Allem worden,
Verbirgst der Gottheit Pracht in einen Knechtes-Orden:
Zu leuchten meiner Nacht; verzeihst Du dich des Lichts.
Ich werd auch, wenn Du mich zu etwas ausersehen,
Doch als ein armes Nichts zu Deinen Füssen flehen.
Joh. 12, 3.
Ist das des Glaubens Ernst, so ist der Freund bewegt,
Der Friede hergestellt, der Bund ist aufgerichtet,
Der Seelen ist der Herr als Bräutigam verpflichtet,
Die sich vor Seinem Aug' in Staub darnieder legt:
Durch Demuth bleibet sie zur Königin erhöht;
Hat sie der Vasthi Sinn, so wird sie mit verschmäht.
Wohl dem, der seinen Kopf vom Denken frey behält:
Was dorten oder da für ein Geheimnis stekke?
Damit es ihn nicht bald zur eignen Ehr erwekke,
Darüber unser Geist so bald, so tief verfällt:
Wen aber Gottes Rath ersieht zu etwas Grossen,
Dem wird der nöthge Pfahl bald mit hineingestossen.
2 Cor. 12, 7.
Wenn sonst auf Meynungen die Lehren Christi stehn,
Zumal vom Künftigen, das Gott sich vorbehalten,
Damit nach freyer Wahl zu schalten und zu walten,
(Pflegt also einem zu – dem andern aufzugehn,)
Sind unter Tausenden kaum zehne Zweifelsfrey,
Darunter jeglicher im Glauben einig sey.
Wohlan, ihr Gläubige, laßt uns, von heute an,
Den eiteln Meynungs-Streit ganz auf die Seite legen!
Nur müsse Christus sich in unsren Herzen regen;
Wer Den nicht drinne hat, der ist kein Christen-Mann.
Sonst aber lasset uns nicht eins das andre richten,
Noch mit Verwegenheit die Glaubens-Sachen schlichten.
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Denn Eins, nur Eins ist Noth: das ist das beste Theil,
Luc. 10, 42.
Und kan den ganzen Teig der Creatur versüssen;
Diß Eine aber lernt man nur zu Jesu Füssen,
Der Lehrer ist der Freund: die Schul und Kunst ist Heil;
Die Lehre Bileams bleibt nur ein Schellen-Hall,
4 Mos. 23. und 24.
Denn Wissen, ohne Lieb ist tönendes Metall.
1 Cor. 13, 1.
O Seelen! strekket euch nach Jesu Christo aus,
Sonst achtet alles Werk und Wissen nur für Schaden,
Phil. 3, 8.
Was wollen wir uns viel mit Ueberfluß beladen?
Die Einfalt baut dem Herrn ein gar bequemes Haus.
Es gibt wol hier und da geheime Wunder-Stege;
Doch liegt die Seligkeit auf einem offnen Wege,
Des Merkmaal je und je auf tiefen Wassern stund.
Herr! öffne Dich doch stets den hungerigen Seelen,
Die, (ihrer Herkunft nach,) sich ausser Dir nur quälen!
Entdekst Du Einer auch geheimer Weisheit Grund;
So zeige ihr doch bald, daß dieses Bey-Gericht
Nur Seelen-Zukker sey; die rechte Speise nicht.
Wohlan, du selger Geist! den ewigs Man erquikt,
Du hast mich durch die Schrift vom Kampf der Erstgebornen
Genehret und gelabt: Sey von dem Auserkornen,
Dem süssen Gottes-Lamm, auch dafür angeblikt!
HERR! laß uns, wenn wir einst mit offnen Augen sehen,
Uns mit der Seligen zu Deiner Rechten drehen.

Fußnoten

1 Gedrukt zu Dresden.

2 Der Doctor Petersen fragte die damalige Fräulein von Merlau in Frankfurt am Mayn: Was sie wider ihn einzuwenden hätte? Nichts, sagte sie, als daß er noch den Gott Petersen anbete.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 32. Auf der Frau D. Petersen Eingang in die Freude. 32. Auf der Frau D. Petersen Eingang in die Freude. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B8E6-4