2282. Am Knaben-Fest

den 27. April 1747.


1.

Wenn doch alle Knaben dächten: Seitenhöhlgen! du bist mein; und ihr herz und leib nein brächten, so verschlieffen sie die pein, die die arme kindheit, (wenn noch in der blindheit milchfleisch wird zu menschenfleisch,) macht unkeusch durch ein neu natur-geräusch.

[2175] 2.

Oder ists nicht zu verschlaffen, und sie werbens eben inn', weil sie den moment nicht traffen, da man noch entsinkt dem sinn, o so kan man ihnen noch mit etwas dienen, das, wie ihr luft-vöglein wißt, besser ist, als wenn man sich nur vergißt.

3.

Denket an den selgen Knaben, den sie anno Christi zwölf so allein gelassen haben, als wär er ein gassenwelf; da war keine vorsicht, auch kein knaben-chor nicht, und doch war das Knäbelein Jesulein so fromm, wie ein engelein.

4.

Frömmigkeit ist keine tugend bey der alt-erfahrnen welt, aber wenn sich muntre jugend still und eingezogen hält, machts doch überlegung; denn die wildere gung legt sich niemals ohne rath oder that einer hinreichenden gnad.

5.

Drum hat die welt-kluge tugend das principium gefaßt, daß man billig erst die jugend sich evaporiren laß, und das, gläub ich selber, ist probat für kälber, es erhält sie in der spur der natur, und erspart die pferde-cur.

6.

Sollt ein knabe aus den ställen dieser welt per accidens sich zu unserm volk gesellen, (wie sie eben sind die gäns,) und sein wesen treiben, und alleine bleiben, solchen ließ man billig stehn, oder gehn, muß ihn doch sein Schöpfer sehn.

7.

Wenn ihn der zu uns bestimmet, und es kommt die gnaden-zeit, da die wunden-glut entglimmet, so ist mir für keinen leid, man muß nur verhüten: bieten, wiederbieten, wer nicht von der sünde frey, sey so treu, und sags ohne heucheley.

8.

Denn so bald die selge gnade einen knaben lieb gewinnt, und nimmt ihn mit auf die pfade, wo die selgen knaben sind, da ists eine freude, eine augen-weide, wie die grossen kinderlein, sünderlein, heilge Geistes-mündel seyn.

9.

Dieser Mahler ohne gleichen mahlet ihnen gleich ein bild mit dem Menschen-Sohnes zeichen in die wolke eingehüllt, dran unganze knaben Mosis dekke haben, die der wunden-strahl (verdekt,) doch erschrekt, und aus ihren lüsten wekt.

10.

Aber denen lieben herzen von der bunds-chor-knabenschaft, deren herz an Jesu [2176] schmerzen und an seinem Leichlein haft, zeigt die erste wunde in der bundes-stunde, wie die hütte Jesu Leich' werde gleich, der sinn Christi sinn erreich'.

11.

Warum blutet unser Kindlein? ist die sichel schon parat, mäht sie ihn schon wie die mündlein auf den bergen Gilead? nein, mit ihm solls warten auf Calvari garten: Jesus, der Israelit, weiht sein glied zum vollgültgen bundes-schnitt.

12.

Diese war die letzte grosse männleins-gliedes-paßion für die knäblein auf dem schoose fordert diesen schmerzens-lohn, daß das alte schand-lied vom männlichen stand-glied beym liturgischen genuß seiner buß ewiglich verstummen muß.

13.

Daß dis glied die schande bleibe für die hurer dieser welt, aber wer am Marter-Leibe seinen todes-leib erbellt, durchs verdienst der wunden die erlösung funden, und vons Leichnams-kraft berührt, und curirt, den triumph der wunden ziert.

14.

Von derselben selgen stunde trägt man dieses glied für Ihn, und die kindlein die zum bunde der amts-gliederschaft gediehn, knaben-chors-verwandten sind Repræsentanten, und wie so ein wiederschein von dem klein unschuldgen Jesulein.

15.

Darum steht im Anhang hinden: Mir ist, als sollt ich Ihn sehn, der den Knaben ohne sünden unter heilgen Geistes wehn an der vorhaut tödtet: Knäbelein! erröthet sündig dahin schielerlich, ja den stich sünder-schamroth fühlerlich. 1

16.

Darum dankt dem bundes-gliede, was bey wochen-kindern gar etwas von dem unterschiede gnaden-innig wird gewahr. 2 Ihr in knaben-jahren, ihr sollt selbst erfahren, daß euch Jesu bunds-glieds-bann um und an jungfräulich bewahren kan.

17.

Seitenhöhlgen, Seitenhöhlgen! wie verwünsch ich sie hinein alle diese liebe seelgen, alle diese hüttelein. Ach mein Seitenhöhlgen!

[2177] blut' auf diese seelgen, und du noch unzugespund erste wund! spar du ihren leib gesund.

Fußnoten

1 N. 1990, 3.

2 Eine selige und reale reflexion bey der unvermeidlichen connexion beyderley geschlechts in familien, siehe auch N. 1990, 5.6.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 3. Zugabe. 2282. Am Knaben-Fest. 2282. Am Knaben-Fest. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BB32-B