63. Auf seines Bruders Friedrich Christians zweyte Ehe

1728.


Die alte Burg zu Wien umgab ein grauer Hayn,
Zwölf 1 Eichen schlossen ihn vor vielen hundert Jahren;
Jüngst gingen etliche vor grossem Alter ein,
Die von dem jungen Busch schon überdekket waren.
Der Stamm von Zinzendorf, 2 aus welchem Ehrenhold, 3
Der hochberühmte Herr, so manchen Ast getrieben,
So dem Erz-Herzogthum belebtes Laub gezollt,
Der wurde, bis auf Zween, vom Alter aufgerieben.
Der eine 4 stämmte sich an des Monarchen Haus,
Und überwuchs daselbst die allerhöchsten Eichen,
Von dannen ging sein Trieb in zweyen Sprossen aus,
Die bis ins Mähren-Land 5 und bis in 6 Ungarn reichen.
Der Andre 7 suchete bey denen Franken Raum,
Und auf der Ober-Birg bestreut' er seinen Boden:
Er war zu seiner Zeit ein Schatten-reicher Baum,
Die Reiser dekten drey 8 der ältesten Pagoden.
Zween Aeste 9 rageten ins Sächsische Gebiet,
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Und dieser Erde Herr 10 ergrif sie bey den Spitzen,
Um an demselben Ort, wo seine Raute blüht,
Ihr schwebendes Gewicht mit Macht zu unterstützen.
Der Erste bäumte sich bis an der Wolken Bau,
Er machte seinem Plan ein prächtiges Gesichte,
Sein Schatten traf ein Theil der Ens beströmten Au: 11
Doch, diesen Ast zerbrach sein eigenes Gewichte.
Der Andre neigete sich seinem Boden zu.
Sein wohlbelebtes Holz gewann viel neue Sprossen,
Und barg sich unverhofft 12 ins Häynes stille Ruh,
Nachdem sich über ihm ein Kleeblat zugeschlossen.
Der Blätter-reiche Zweig ward bald darauf versetzt,
Das alte Grafen-Haus von Ortenburg zu zieren:
Allein, er hatte da die Augen kaum ergötzt,
So mußte man ihn schon aus dem Gesicht verlieren.
Zwey Reiser waren noch die ausgeschlagne Bluht,
Des mit dem Seculo verdorrten Asts in Sachsen,
Auf deren Triebe nun der Eiche Schiksal ruht,
Dieselbigen sind auch zu Aesten aufgewachsen.
Ast Friedrich 13 breitet sich in Meissen mächtig aus,
Er treibet liebliche und wohlbelaubte Reiser;
Er baut diß in der Welt berühmte Herren-Haus,
Und überschattet noch viel andre hohe Häuser. 14
Ich baue seiner Pracht diß erstere Gerüst,
Und wol mit meiner Hand von dieser Art das letzte;
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Ich bau es diesen Tag, daran du Bräutgam bist,
Und weil ich deiner Lieb' auch gern ein Denkmaal setzte.
Der Wahlspruch unsers Stamms von Graf Alberto 15 her,
Ist der: Ich weiche nicht, nicht einem, auch nicht allen.
Ich zeih es der Natur: das Weichen wird uns schwer;
Vor einem aber ist mein Muth dahin gefallen.
Der Jesus, der einmal an einem Holze hing,
Mit dem das Alterthum so schnöden Spott getrieben,
Zu dem nicht lange drauf der Erd-Kreis überging,
Des Zeichen Königen am Halse hängen blieben;
Der hat von Kindheit auf nach meiner Brust gezielt
Sein unbezwungner Zug hat sich davon bemeistert:
Mein Herz hat Seine Kraft gar dringende gefühlt,
Als sie die Kraft und Trieb der Eigen-Ehr entgeistert.
Ich war ein Zinzendorf, die sind nicht Lebens-wehrt,
Wenn sie ihr Leben nicht zu rechten Sachen brauchen:
Drum hat die Sorge mich beynahe ganz verzehrt,
Zu früh, und ohne Nutz der Erden, auszurauchen.

Matth. 5.

Nun hieß ich gar ein Christ, verdoppeltes Gesetz!
Die Christen dürfen nicht verbrennen ohne Leuchten;
Der Glaube, der nichts thut, ist ein verdammt Geschwätz,
Und muß Vernünftigen sehr unvernünftig deuchten.
Drum nahm ich diesen Schluß fast von der Wiegen an:
Mit Jesu, den man itzt den Ehren-König nennet,
Zuförderst aus dem Buch der Ehren ausgethan,
Darnach vor aller Welt für Seinen Knecht bekennet!
Ich wende mich zu dir: Du hochgeborne Braut!
Vor deren Herrlichkeit wir itzt die Segel streichen:
Es müsse dir an Ruhm, mit Fruchtbarkeit bethaut,
Im Vor und Nach-Gesicht der Zeiten keine gleichen!
Was ich und mein Gemahl dir wünschend zugedacht,
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Das kröne deinen Lauf und wohl bestandne Tugend.
Und wie du deinem Herrn vom Höchsten zugebracht,
So weyht demselben auch Euch selber und die Jugend.
Geht; bringt dem Helden-Blut den alten Wahlspruch bey:
Doch nehmt den einen aus, der mir das Herz genommen,
Der lasse dermaleinst, wenn diese Welt vorbey
Die Zweige mit dem Stamm ins neue Erdreich kommen!

Fußnoten

1 Es sind zwölf uralte Graf- und Herren-Häuser in Oesterreich, welchen man ihres gleichen Alters wegen, den Namen der zwölf Apostel beygeleget.

2 Einer von den Zwölfen.

3 Der erste bekante Dynasta des Zinzendorfischen Hauses, nach welchem zwey und zwanzig Dynastä in absteigender Linie gezehlet worden.

4 Albertus, Kaisers Leopoldi Premier Ministre.

5 Graf Ludwig von Zinzendorf, Kaiserlicher wirklicher Geheimder Rath, General und Commendant auf dem Spielberge in Mähren.

6 Graf Ferdinand, bis daher gewesener General zu Erlau in Ungarn.

7 Maximilianus Erasmus, Graf und Herr von Zinzendorf und Pottendorf.

8 Alt-Ortenburg, Castell und Polheim.

9 Otto Christian, Königl. Geh. Rath und General-Feld-Zeugmeister, der ohne Erben verstorben, und Georg Ludwig, wirklicher Geheimder Rath, der 1700. gar jung, mit Zurüklassung einer Comtesse und zweyer Söhne verstorben.

10 Churfürst Johann Georg der Dritte.

11 Er bekam den Gräflich Zinzendorfischen Lehen-Hof, dahin verschiedene Fürsten, Grafen und Herren gehören.

12 Graf Georgius Ludwig starb sechs Wochen nach der Geburt des Autoris, und hinterließ nebst ihm Graf Friedrich Christianen, und Gräfin Susannam Louysen, die einige Jahre darauf als Gemahlin des regierenden Grafen zu Ortenburg und Crichingen verstorben ist.

13 Der Herr Bräutigam.

14 Seit 1719, da er seines Herrn Vaters Bruder in dem Seniorat gefolget.

15 Einer aus unsren Stamm-Vatern.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 63. Auf seines Bruders Friedrich Christians zweyte Ehe. 63. Auf seines Bruders Friedrich Christians zweyte Ehe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BC7C-0