70. Unterirdische in Kuhstorf.

1.

Wenn man von Kuhstorf nach Redefin geht, so kommt man, wenn man Kuhstorf eben verlassen hat, an einer mit Tannen bewachsenen kleinen Erhöhung vorbei, welcher Ort den Namen Bohnenberg führt. Vor langen langen Jahren sieht ein Pfänder aus Kuhstorf eines Nachts aus diesem Berg die Unterirdischen kommen, welche zu einer Hochzeit in Kuhstorf wollen. Der Pfänder hört, daß die Unterirdischen in einemfort rufen ›Mi ok ein'n, mi ok ein'n Haut.‹ Als der Pfänder ihnen zuletzt diese Worte nachruft, erhält er von den Unterirdischen zur Antwort ›Hir is süs kein Haut, as [49] Großvaders Kaffhaut‹; worauf der Pfänder antwortete ›Vör mi ok sacht gaud genaug.‹ Kaum hat er diesen Hut aufgesetzt, da sieht er, daß sich die Unterirdischen in das Hochzeitshaus begeben, und daß sich zwischen je zwei Hochzeitsgäste immer ein Unterirdischer setzt und mitspeist. Die Hochzeitsgäste jedoch sehen und merken nichts davon, daß die Tischgesellschaft sich um so und so viel vermehrt hat; solches sieht nur der Pfänder in seinem ›Kaffhaut.‹

›Dat 's 'n Haut, as Großvaders Kaffhaut‹ ist sprichwörtlich geworden, und noch heut zu Tage bezeichnet man in Kuhstorf mit dieser Redensart einen schon aus der Mode gekommenen Hut.

2.

Der Schulzenfrau in Kuhstorf wollte es trotz der sorgfältigsten Pflege nicht gelingen, Kälber groß zu ziehen. Eines Tages kommt eine von den Unterirdischen und ladet die Schulzenfrau zur Kindtaufe ein, bei welcher Gelegenheit sie zugleich derselben den wohlgemeinten Rath mittheilt, den Kälberstall doch zu verlegen; denn unter demselben hätten sie, die Unterirdischen, ihre Wohnung, und weil die Kälber stets ihre Betten beschmutzt hätten, so hätten sie sich genöthigt gesehen, das frühe Hinsterben der Kälber zu bewirken. Die Schulzenfrau geht darauf zur Kindtaufe, und als sie sich wieder nach Hause begeben will, befiehlt die Wöchnerin, ihr ein Geschenk zu machen. In den Augen der Schulzenfrau besteht dieses nur in einigen todten Feuerkohlen; als sie jedoch, zu Hause angekommen, ihre Schürze öffnet, hat sie statt der Feuerkohlen lauter harte blanke Thaler im Schoße. Der Kälberstall wird verlegt und fortan gedeihen im Schulzenhause die besten Kälber.


Vgl. WS. 319, 330; Temme 220.

3.

Zwei Schwestern graben einmal im Garten und finden bei ihrer Arbeit eine Quadux (Kröte). Die eine von den Schwestern hat schon ihre Dunggabel emporgehoben, um das Thier zu durchstechen, als die andere ihr räth, es nicht zu thun. Nach einiger Zeit bekommt die Quadux ein kleines Kind, und die beiden Schwestern werden zur Taufe des Neugebornen eingeladen. Als die Schwestern bei der Wöchnerin ankommen, nöthigt diese sie, Platz zu nehmen. Da gewahrt diejenige Schwester, welche die Quadux hatte durchstechen wollen, daß über ihrem Haupte ein Schwert an einem Seidenfaden hängt und jeden Augenblick droht, auf sie niederzufallen. Als, hierüber entsetzt, die Schwester den gefährlichen Platz verlassen will, sagt ihr die [50] Wöchnerin, sie könne ohne Furcht sitzen bleiben, herunterfallen würde das Schwert nicht; aber so wie das Schwert am Seidenfaden hänge und jeden Augenblick drohe, sie zu durchstechen, so hätte auch ihr Leben am Seidenfaden gehangen, als sie sie mit der Dunggabel hätte durchstechen wollen.


Von einem Seminaristen in Neukloster. Die Quaduxe sind eine Verkleidungsform der Unterirdischen.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 70. Unterirdische in Kuhstorf. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-D480-6