247. Die Schwestern auf dem Woldegker Kirchhof.

Der Kirchhof zu Woldegk war ehemals von einer schönen Pappel-Allee durchschnitten, zu deren beiden Seiten sich die Gräber der Dahingeschiedenen befanden. Unmittelbar an der Allee lagen auch die Gräber zweier jung gestorbenen Schwestern. Dieselben konnten, aus einem unbekannten Grunde, im Grabe keine Ruhe finden und wandelten häufig Abends Arm in Arm, mit ihren weißen Sterbegewändern angethan, in der Allee. Eines schönen Abends ging ein [194] Dienstmädchen mit einem Eimer Bier dieses Weges. Wie sie in der Mitte der Pappel-Allee angelangt war, standen plötzlich die beiden Gestalten der Schwestern vor ihr. Erschreckt hierüber, und auch wohl etwas muthwillig dabei, warf das Dienstmädchen schnell ihren gefüllten Eimer den unheimlichen Erscheinungen vor die Füße und entfloh dann eiligst. Kaum war jedoch das Mädchen zu Hause angelangt, als es an ihrer Kammer klopfte, und als sie zur Thüre hinausschaute, standen die beiden spukenden Schwestern vor ihr und sprachen also ›Begib dich Morgen Abend zu dieser Stunde wieder auf den Kirchhof und reinige dann unsere Kleider, die du so leichtsinnig beschmutzt!‹ Erschreckt schlug das arme Mädchen die Thüre wieder zu und lief in ihrer Herzensangst, sobald der Morgen graute, zum Prediger und Küster. Diese riethen ihr, der Stimme, die sie gerufen, zu folgen und versprachen, sie zu begleiten. Am andern Abend begeben sich nun der Prediger und Küster mit dem Mädchen auf den Kirchhof, wo sie denn auch die Schwestern in ihren weißen Todtenkleidern antrafen. Nachdem das Mädchen ihnen die beschmutzten Gewänder gereinigt hatte, stiegen sie wieder in ihre Gräber. Das arme Dienstmädchen aber starb, nachdem es noch zuvor die Segnungen der Kirche empfangen, drei Tage darauf und wurde neben den beiden Schwestern begraben. Seit jener Zeit hat Niemand das spukende Schwesterpaar wieder gesehen.


Niederh. 4, 54f.


Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 247. Die Schwestern auf dem Woldegker Kirchhof. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-F779-B