Zwei Flaggen

Ein Schiff der Mosel auf dem Rhein!
Es kam zu Berg – die Pferde keuchten!
Am Vordermast mit hellem Schein
Sah ich die Flagge leuchten!
Lang wallend flog sie übers Boot –
Stattliche Farben, frisch und munter!
So wahr ich lebe: Blau, Weiß, Rot!
Und grad' am Flaggenstock herunter!
Anhielt ich staunend meinen Fuß;
Da drang vom Schiff zu meinem Ohre
Stolzlustig ein Franzosengruß:
»Ja doch, schau' her – die Trikolore!«
Ei, dacht ich zornig, seid nur still!
Wird doch noch deutsch bei euch gesprochen!
Lothringisch Volk von Thionville
Sollt' also nicht auf Frankreich pochen!
Somit den Wimpel ließ ich ziehn;
Bald schon verbargen ihn die Zweige.
Ich bin ihm auf dem Rhein nicht grün,
Des ist der liebe Gott mein Zeuge!
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Und wollt' er anders auf ihn wehn,
Als friedlich von beladnem Schiffe:
Ich würde mit ihm Treffen stehn,
Wenn zu den Schwertern Deutschland griffe!
Das Höchste bleiben Land und Herd!
Doch sonst – kein Wort von blindem Hasse!
Auch uns ist dieses Banner wert:
Es brach de Freiheit eine Gasse!
Noch ist es feucht von Juliblut –
Nennt eins, das edler und verwegner!
Drum: sind wir auch auf unsrer Hut,
Ist uns gerecht doch solch ein Gegner!
Und runzeln wir ihm auch die Braun,
Wir sagen doch: Ein wackrer Kämpfer! –
Denselben Tag im Abendgraun
Fuhr noch stromab ein Kölner Dämpfer.
Dem flog, vom Winde flott geschwellt,
Breit übern Bord der Aar von Preußen;
Daneben, schwarz im gelben Feld,
Der Doppeladler aller Reußen!
Derselbe schwarze, der zerfleischt
Den weißen jüngst als gute Beute;
Derselbe, der das Dach umkreischt
Wildfreier Bergbewohner heute;
Derselbe, der von seinem Pol
Rundspäht mit immer kühnerm Dräuen,
Und, als der Despotie Symbol,
Feind und verhaßt ist allen Freien!
Derselbe, der zu dieser Frist
Als Büttel haust auf unsern Grenzen;
Der gegendeutsch und undeutsch ist,
Und dem wir dennoch feig scherwenzen;
Der nur aus Schlauheit eng und fest
Den Adler diesseits sich verbündet
Und keck in jedem deutschen Nest
Ein Filial des eignen gründet!
Derselbe! – Drum auch dieses Tal
Durchstrich er heut und diese Reben!
Von einem deutschen Filial
Nahm er den Flug nach Holland eben!
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Drum auch mit freudigem Geklapp
Schwirrt' unser Adler ihm entgegen!
Drum sausten beide auch stromab,
Als ob – nach einem Ziel sie flögen!
Hinblickt' ich knirschend übern Strand: –
O Deutschland, du im Dienst der Steppe,
Du mit Sibirien Hand in Hand,
Du tragend des Kalmücken Schleppe!
Du vor dem Polenmörder Zar
In Unterwürfigkeit zerfließend!
Du seinen Sohn und seine Aar
Mit Böllerschuß am Rhein begrüßend!
Ei, wie das girrt und kokettiert!
Ei, wie das um sich wirft mit Küssen!
Glück auf den Weg! Wohin er führt,
Wir warten's ab – Weh, daß wir müssen!
Glück zu! Doch das sagt euch der Rhein:
Ob die Monarchen Freundschaft treiben –
Die Völker werden Feinde sein,
Die Völker werden Feinde bleiben!
Geduld'ger Strom! du trägst und wiegst
Des Franken Banner und des Slawen!
Daß du ein deutsches endlich trügst
In jeder Bucht, in jedem Hafen!
Ein einig deutsches, das – bereit,
Wenn alzu frech der Hahne krähte! –
Stolz und beherzt zu gleicher Zeit
Des Russenadlers Gunst verschmähte!

St. Goar, April 1844.

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TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Ein Glaubensbekenntnis. 2.. Zwei Flaggen. Zwei Flaggen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B2DF-C