William Shakespeare
Troilus und Cressida

[6] Personen

Priamus, König von Troja

Hektor,

Troilus,

Paris,

Deiphobus,

Helenus, seine Söhne

Äneas,

Antenor, trojanische Heerführer

Kalchas, ein Priester

Pandarus, Oheim der Cressida

Margarelon

Agamemnon, Oberanführer der Griechen

Menelaus, sein Bruder

Achilles,

Ajax,

Ulysses,

Nestor,

Diomedes,

Patroklus, griechische Heerführer

Thersites

Alexander, Diener der Cressida

Edelknaben

Helena, Gemahlin des Menelaus

Andromache, Gemahlin des Hektor

Kassandra, Tochter des Priamus

Cressida, Tochter des Kalchas

Trojanische und griechische Krieger und Gefolge


Die Szene ist in Troja und im griechischen Lager vor dieser Stadt

[6]

Prologus

Die Szen' ist Troja. Von den Inseln Gräcias

Sandten zornmüt'ge Fürsten, heißen Bluts,

Zum Hafen von Athen die Ruderschiffe,

Beladen mit den Dienern und der Rüstung

Des grausen Krieges. Neunundsechzig Führer,

Prangend im Fürstenhut, sind abgesegelt

Von Attika gen Phrygia; ihr Gelübde,

Troja zu schleifen, wo im Schirm der Mauern

Frau Helena, geraubt dem Menelaus,

Beim üpp'gen Paris schläft: – das ist der Krieg.

Sie ziehn nach Tenedos,

Und dort entlasten die tiefkiel'gen Schiffe

Sich ihrer tapfern Fracht; auf Iliums Ebnen

Schart sich der frischen, noch vollzähl'gen Griechen

Feldlager: – Priamus' sechstor'ge Stadt

(Dardania, Thymbria, Ilias, Chetas, Troas

Und Antenoridas), mit mächt'gen Krampen

Und wohlausfüllend schwer gewicht'gen Riegeln,

Weckt Trojas Söhnen Kampflust. –


Erwartung nun, die muntern Geister schürend

Auf dieser Seit' und jener, Troer, Griechen,

Setzt alles auf das Spiel: und hieher komm' ich

Als Prologus, im Harnisch; nicht vertrauend

Dem Werk des Dichters, noch der Spieler Kunst,

Nur angetan, dem Kriegsgedichte ziemend,

Meld' ich euch, edle Hörer, wie das Spiel,

Des Kampfs Beginn und Erstlinge verschweigend,

Anfängt im Mittelpunkt; von dort enteilt,

Und nur, wo sich die Szene bietet, weilt.

So haltet Lob und Tadel nicht zurück;

Bald gut, bald schlimm, es ist nur Kriegesglück.

[7]

Erster Aufzug

Erste Szene
Troja.

Troilus und Pandarus treten auf.

TROILUS.
Ruft meinen Knappen her, mich zu entwaffnen;
Was soll ich vor den Mauern Trojas fechten,
Dem hier im Innern tobt so wilder Kampf?
Wem von den Troern noch ein Herz gehört,
Der zieh' ins Feld; ach, Troilus hat keins! –
PANDARUS.
Stets noch das alte Lied?
TROILUS.
Der Griech' ist stark, und bei der Kraft gewandt,
Keck bei Gewandtheit, und bei Keckheit tapfer:
Doch ich bin schwächer als des Weibes Tränen,
Zahmer als Schlaf, betörter als die Einfalt,
Zaghafter als die Jungfrau in der Nacht,
Und ungewandt, wie unbelehrte Kindheit.
PANDARUS.

Nun, ich habe dir's genug gesagt; ich, meines Teils, werde mich nicht mehr drein mischen und mengen. Der, der aus dem Weizen einen Kuchen haben will, muß das Mahlen abwarten. –

TROILUS.
Hab' ich nicht gewartet?
PANDARUS.
Ja, auf das Mahlen; aber Ihr müßt das Beuteln abwarten.
TROILUS.
Hab' ich nicht gewartet?
PANDARUS.
Ja, auf das Beuteln; aber Ihr müßt das Säuern abwarten.
TROILUS.
Auch darauf hab' ich gewartet.
PANDARUS.

Ja, aufs Säuern; aber nun kommt noch in dem Wort hernach das Kneten, das Formen des Kuchens, das Heizen des Ofens und das Backen; ja, Ihr müßt auch noch [8] das Kaltwerden abwarten, oder Ihr lauft Gefahr, Euch die Lippen zu verbrennen.

TROILUS.
Die Langmut selbst, wie sehr sie Göttin ist,
Weicht vor dem Dulden mehr als ich zurück.
Ich sitz' an Priams Königstisch; und kommt
Die holde Cressida mir in den Sinn,
Verräter du! – Sie kommt? Wann wär' sie fort?
PANDARUS.
Gewiß, sie war gestern abend reizender, als ich sie oder irgendein Mädchen je gesehn.
TROILUS.
Oh, laß dir noch erzählen: Wie mein Herz,
Als sprengt's ein Seufzer, mir zerbrechen wollte, –

Daß mich mein Vater nicht erriet, noch Hektor,
Verbarg ich, wie die Sonn' im Sturme leuchtet,
In eines Lächelns Falte diesen Seufzer:
Doch gleicht, in Schein der Lust verhüllt, Bedrängnis
Dem Scherz, der bald zum Gram wird durchs Verhängnis.
PANDARUS.

Ja, wär' ihr Haar nicht etwas dunkler als das der Helena, – doch, was tut das? – so wäre gar kein Unterschied zwischen den beiden Frauen. Doch was mich betrifft, so ist sie meine Nichte; ich möchte sie nicht, wie man zu sagen pflegt, herausstreichen; aber ich wollte, es hätte sie jemand gestern reden hören wie ich. Ich will dem Verstand deiner Schwester Kassandra nicht zu nahe treten; aber ...

TROILUS.
O Pandarus! Ich sag' dir, Pandarus, –

Wenn ich dir sage, dort ertrank mein Hoffen,
Erwidre nicht, wie viele Klafter tief
Es untersank. Ich sag', ich bin verzückt
Aus Lieb' in Cressida; du nennst sie schön,
Senkst in die offne Wunde meines Herzens
Den Blick, das Haar, die Wange, Gang und Stimme;
Handelst in deiner Red', .... o liebe Hand,
Mit der verglichen alles Weiß wie Tinte
Sich selbst das Urteil schreibt; ihr sanft Berühren
Macht rauh des Schwanes Flaum, die feinste Fühlung
Hart wie des Pflügers Faust; – dies sagst du mir,
Und wahrhaft ganz, wenn ich dir schwör', ich liebe:
Doch mit dem Wort legst du in jede Wunde,
[9]
Mit der mich Liebe traf, statt Öls und Balsams
Den Dolch, der sie geschlagen.
PANDARUS.
Ich sage nur, was wahr.
TROILUS.
Nicht einmal so viel! –
PANDARUS.

Meiner Treu', ich mische mich nicht mehr hinein. Mag sie sein, wie sie ist! Ist sie schön, um so besser für sie; ist sie's nicht, so wird sie schon wissen, wie sie sich helfen kann.

TROILUS.
Lieber Pandarus! – Was ist, Pandarus? –
PANDARUS.

Müh' und Not hatt' ich von meinen Wegen; verkannt von ihr und verkannt von Euch; immer hin und her gelaufen, und schlechten Dank für meine Mühe.

TROILUS.
Was, bist du böse, Pandarus? Auf mich? –
PANDARUS.

Weil sie mit mir verwandt ist, darum ist sie nicht so schön als Helena; wäre sie nicht mit mir verwandt, da wäre sie Freitags eben so schön als Helena Sonntags. Doch was kümmert's mich? Mir soll's einerlei sein, und wenn sie schwarz wie eine Mohrin aussähe; es ist mir alles gleich.

TROILUS.
Sage ich denn, sie sei nicht schön? –
PANDARUS.

Es kümmert mich nicht, ob Ihr's sagt, oder nicht. Sie ist eine Törin, daß sie ihrem Vater nicht nachfolgt; sie muß zu den Griechen, und das werde ich ihr sagen, sobald ich sie sehe. Ich, meines Teils, will mich nicht mehr drein mischen noch mengen. –

TROILUS.
Pandarus –
PANDARUS.
Ich nicht.
TROILUS.
Bester Pandarus –
PANDARUS.
Bitt' Euch, laßt mich in Frieden. Ich lasse alles, wie ich's gefunden, und damit gut. Pandarus ab.

Es wird zum Kampf geblasen.
TROILUS.
Still, rauhe Töne! Still, unholder Klang! –

Narr'n beiderseits! Schön sein muß Helena,
Wenn ihr sie täglich schminkt mit eurem Blut.
Der Anlaß kann mich nicht zum Kampf begeistern,
Zu dürftig für mein Schwert ist dieser Preis! –

Und Pandarus, – wie quält ihr mich, ihr Götter!
Zugänglich nur wird Cressida durch ihn;
[10]
Den Kind'schen werb' ich nie zum Werben an,
Und sie bleibt spröd' verschlossen jeder Bitte.
Sag mir, Apoll,' um deiner Daphne Liebe,
Was Cressida, was Pandar ist, was ich?
Ihr Bett ist Indien! Dort als Perle ruht sie;
Was zwischen ihrem Thron und unserm Ilium,
Nenn' ich empörtes, flutbewegtes Meer,
Mich selbst den Kaufherrn, und den Schiffer Pandar
Mein Boot, mein Schiffgeleit: mein zweifelnd Hoffen.

Trompeten. Äneas tritt auf.
ÄNEAS.
Wie nun, Prinz Troilus? Weshalb nicht im Feld?
TROILUS.
Weil ich nicht dort. Die Weiberantwort paßt,
Denn weibisch ist es, draußen nicht zu sein. –

Was gibt's, Äneas, Neues heut im Feld?
ÄNEAS.
Daß Paris heimgekommen und verwundet.
TROILUS.
Durch wen, Äneas?
ÄNEAS.
Menelaus tat's.
TROILUS.
Zum Lachen! Nahm ihn jener so aufs Korn?
Paris geschrammt von Menelaus' Horn?
ÄNEAS.
Horch! Lust'ge Jagd dort außen, hell und scharf!
TROILUS.
Weit schöner hier, wenn »dürft' ich« hieß: »ich darf«
Doch hin zur Jagd des Felds! Willst du hinunter?
ÄNEAS.
In aller Eil'.
TROILUS.
So gehn wir rasch und munter!

Sie gehn ab.
Zweite Szene
Ebendaselbst.

Es treten auf Cressida und Alexander, ihr Diener.

CRESSIDA.
Wer ging vorbei?
ALEXANDER.
Die Königin Hekuba
Und Helena.
CRESSIDA.
Wohin?
ALEXANDER.
Zum Turm nach Osten,
Des Höh' die ganze Gegend überschaut,
[11]
Die Schlacht zu sehen. Hektor, des Geduld
Sonst unerschütterlich, ward heut bewegt:
Er schalt Andromache und schlug den Wappner;
Und gleich, als gölt' im Kriege gute Wirtschaft,
War er in Waffen vor dem Morgenlicht
Und zog ins Feld hinaus, wo jede Blume
Wie ein Prophet beweint, was sie voraussieht
In Hektors Zorn.
CRESSIDA.
Was reizte seine Wut?
ALEXANDER.
So wird erzählt: im Heer der Griechen kämpfte
Ein Fürst aus Troerblut, des Hektors Neffe,
Ajax mit Namen.
CRESSIDA.
Wohl; was sagt man weiter?
ALEXANDER.
Er ist, so heißt's, ein ganz besondrer Mann
Und steht allein.
CRESSIDA.
Das tun alle Männer, wenn sie nicht betrunken oder krank sind oder keine Beine haben.
ALEXANDER.

Dieser Mann, mein Fräulein, hat sich die Eigentümlichkeit von allerlei Tieren zugeeignet: er ist so kühn wie der Löwe, so täppisch wie der Bär, so langsam wie der Elefant: ein Mann, in dem die Natur so viele Launen gehäuft hat, daß seine Tüchtigkeit in Torheit untergeht, seine Torheit durch Verständigkeit gewürzt ist. Niemand besitzt eine Tugend, von der er nicht einen Anflug bekommen hätte, noch irgend jemand eine Unart, von der ihm nicht etwas anklebte; er ist melancholisch ohne Ursach' und lustig wider den Strich; er hat die Gelenkigkeit zu jedem Dinge, aber jedes Ding ist an ihm so ungelenk, daß er wie ein gichtischer Briareus hundert Hände und keine zum Gebrauch hat, oder wie ein stockblinder Argus lauter Augen und keine Sehkraft.

CRESSIDA.
Wie kann aber dieser Mann, dermich lächeln macht, den Hektor in Zorn bringen?
ALEXANDER.

Man erzählt, er sei gestern mit Hektor in der Schlacht handgemein geworden und habe ihn niedergeschlagen, und der Verdruß darüber und die Schmach habe den Hektor seitdem nicht essen noch schlafen lassen.


Pandarus kommt.
[12] CRESSIDA.
Wer kommt? –
ALEXANDER.
Fräulein, Euer Oheim Pandarus.
CRESSIDA.
Hektor ist ein tapfrer Degen.
ALEXANDER.
Wie nur irgend einer in der Welt, Fräulein!
PANDARUS.
Was sagt Ihr? Was sagt Ihr? –
CRESSIDA.
Guten Morgen, Oheim Pandarus!
PANDARUS.

Guten Morgen, Muhme Cressida! Wovon sprecht Ihr? Guten Morgen, Alexander! – Wie geht's dir, Nichte? Wann warst du in Ilium?

CRESSIDA.
Heute morgen, Oheim.
PANDARUS.

Wovon spracht Ihr, als ich kam? War Hektor schon gewaffnet und ins Feld gezogen, als du nach Ilium kamst? Helena war wohl noch nicht aufgestanden, nicht wahr? –

CRESSIDA.
Hektor war schon fort, aber Helena noch nicht aufgestanden.
PANDARUS.
Ja, ja, Hektor war recht früh auf den Beinen.
CRESSIDA.
Davon sprachen wir eben; und daß er aufgebracht sei.
PANDARUS.
War er aufgebracht?
CRESSIDA.
Das sagt mir dieser da.
PANDARUS.

Freilich war er aufgebracht; ich weiß auch, warum; heut wird er's ihnen beibringen, das kann ich ihnen sagen, und Troilus wird ihm so ziemlich gleichkommen; sie mögen sich nur vor Troilus in acht nehmen: das mögen sie mir glauben!

CRESSIDA.
Wie! Ist der auch aufgebracht? –
PANDARUS.
Was, Troilus? Troilus ist der Beßre von beiden.
CRESSIDA.
O Jupiter! Da ist gar kein Vergleich!
PANDARUS.
Wie, nicht zwischen Troilus und Hektor? Erkennst du nicht einen Mann, wenn du ihn siehst?
CRESSIDA.
Nun ja, wenn ich ihn sonst schon sah und kannte.
PANDARUS.
Ganz recht; ich spreche, Troilus ist Troilus.
CRESSIDA.
Da sprecht Ihr wie ich, denn ich weiß gewiß, er ist nicht Hektor.
PANDARUS.
Nein, und Hektor ist auch nicht Troilus in gewissem Betracht.
[13] CRESSIDA.
So tun wir keinem Unrecht: er ist er selbst.
PANDARUS.
Er selbst? Ach, du armer Troilus! Ich wollte, er wäre –
CRESSIDA.
Er ist es ja.
PANDARUS.
Mit dem Beding ginge ich barfuß nach Indien!
CRESSIDA.
Hektor ist er nicht!
PANDARUS.

Er selbst? Nein, er ist nicht er selbst; – ja, ich wollte, er wäre er selbst. Nun, die Götter leben noch; die Zeit schafft's ihm oder entrafft's ihm; ja, Troilus, ich wollte, sie hätte mein Herz im Leibe! Nein, Hektor ist kein beßrer Mann als Troilus.

CRESSIDA.
Verzeiht! –
PANDARUS.
Er ist älter. –
CRESSIDA.
Ich bitte um Entschuldigung!
PANDARUS.

Der andre ist noch nicht so alt; Ihr sollt ganz anders sprechen, wenn der andre erst so alt sein wird. Hektor kann lange warten, ehe er seinen Verstand bekommt!

CRESSIDA.
Den braucht er auch nicht, wenn er seinen eignen hat.
PANDARUS.
Noch seine Eigenschaften –
CRESSIDA.
Tut nichts!
PANDARUS.
Noch seine Schönheit!
CRESSIDA.
Sie würde ihn nicht kleiden, seine eigne ist besser.
PANDARUS.

Du hast kein Urteil, Nichte! Helena selbst beteuerte neulich, daß Troilus, wenn von brauner Farbe die Rede sei – denn braun ist er allerdings – und doch nicht so recht eigentlich braun –

CRESSIDA.
Nein; sondern braun.
PANDARUS.
Die Wahrheit zu sagen, braun und nicht braun.
CRESSIDA.
Die Wahrheit zu sagen, wahr und nicht wahr.
PANDARUS.
Sie stellte sein Kolorit über das des Paris.
CRESSIDA.
Nun, Paris hat Farbe genug.
PANDARUS.
Das hat er auch.
CRESSIDA.

So hätte Troilus denn zu viel Farbe; wenn sie sein Kolorit über das des andern stellt, ist er höher an Farbe; wenn nun Paris rot genug ist und Troilus hochrot, so ist das ein zu feuriges Lob für ein gutes Kolorit. Eben so gern hätte [14] Helenas goldne Zunge den Troilus wegen einer Kupfernase rühmen können.

PANDARUS.
Ich schwöre dir, ich glaube, Helena liebt ihn mehr als den Paris.
CRESSIDA.
Dann ist sie eine sehr verliebte Griechin.
PANDARUS.

Nein, ganz gewiß, das tut sie. Neulich stellte sie sich zu ihm in das Bogenfenster, und du weißt, er hat nur drei oder vier Haare am Kinn –

CRESSIDA.
O gewiß, eines Bierzapfers Rechenkunst würde hinreichen, diese Einheiten in eine Summe zu ziehn.
PANDARUS.

Nun, er ist noch sehr jung, und doch sind seine Nerven so stählern, daß er dir bis auf zwei, drei Pfund eben so viel aufheben wird als sein Bruder Hektor.

CRESSIDA.
Was! Ein so junger Mann, und schon solche Stehlergaben? –
PANDARUS.

Um dir zu beweisen, daß Helena in ihn verliebt ist – denke nur, sie kam und legte dir ihre weiße Hand an sein gespaltnes Kinn –

CRESSIDA.
Juno sei uns gnädig! Wer hat's ihm gespalten?
PANDARUS.

Erinnerst du dich denn nicht seines Grübchens? Mir scheint, sein Lächeln steht ihm besser als irgend jemand in ganz Phrygien.

CRESSIDA.
O ja, er lächelt recht brav.
PANDARUS.
Nicht wahr?
CRESSIDA.
Freilich, wie eine Regenwolke im Herbst.
PANDARUS.
O still doch! Ich wollte dir ja beweisen, daß Helena in Troilus verliebt sei!
CRESSIDA.
Troilus wird Euch diesen Beweis nicht verweisen. Wenn Ihr ihn führen könnt.
PANDARUS.
Troilus? Nun, der fragt nicht mehr nach ihr, als ich nach einem hohlen Ei frage.
CRESSIDA.

Wenn Ihr die hohlen Eier so gern habt als die hohlen Köpfe, seid Ihr wohl schal genug, die Schalen ohne Eier zu essen.

PANDARUS.

Wahrhaftig, ich muß noch immer lachen, wenn ich dran denke, wie sie ihm am Kinn kitzelte. Das ist doch gewiß, sie hat eine wundervoll weiße Hand; das muß man bekennen.

[15] CRESSIDA.
Ohne Folter.
PANDARUS.
Und da fällt es ihr ein, ein weißes Haar auf seinem Kinn zu entdecken.
CRESSIDA.
Das arme Kinn! Ist doch manche Warze reicher!
PANDARUS.
Aber das gab ein Gelächter! Königin Hekuba lachte, daß ihr die Augen übergingen –
CRESSIDA.
Von Mühlsteinen.
PANDARUS.
Und Kassandra lachte! –
CRZSSIDA.
Aber es war unter dem Topf ihrer Augen wohl ein mäßigeres Feuer: liefen ihre Augen auch über?
PANDARUS.
Und Hektor lachte! –
CRESSIDA.
Und wem galt all dies Lachen?
PANDARUS.
Ei, dem weißen Haar, das Helena an Troilus' Kinn erspäht.
CRESSIDA.
Wär' es ein grünes gewesen, so hätt' ich auch gelacht.
PANDARUS.
Sie lachten nicht so sehr über das Haar, als über seine hübsche Antwort.
CRESSIDA.
Wie war seine Antwort?
PANDARUS.
Sie hatte gesagt: »Hier sind nur einundfunfzig Haare an Euerm Kinn, und eins davon ist weiß.«
CRESSIDA.
Das war ihre Frage?
PANDARUS.

Jawohl, das bedarf keiner Frage. »Einundfunfzig Haare«, sagte er, »und ein weißes: das weiße Haar ist mein Vater, und die übrigen sind seine Söhne.« »O Jupiter«, sagte sie, »welches von diesen Haaren ist Paris, mein Gemahl?« »Das gespaltene«, sagte er: »reißt es aus und gebt's ihm!« Und nun entstand solch ein Gelächter, und Helena ward so rot, und Paris so böse, und die übrigen lachten so sehr, daß es ins Weite ging.

CRESSIDA.
Da mag es auch bleiben, denn es ist nicht weit her.
PANDARUS.
Nun, Nichte, ich sagte dir gestern etwas: das nimm dir zu Herzen.
CRESSIDA.
Das tu' ich auch.
PANDARUS.
Ich schwöre dir, es ist wahr, er weint dir, wie einer, der im April geboren ist.

Man hört zum Rückzug blasen.
[16] CRESSIDA.
Und ich will in diesen Tränen so lustig aufwachsen, wie eine Nessel im Mai.
PANDARUS.

Horch! Sie kommen aus dem Felde zu Haus; sollen wir hier hinauftreten und sie nach Ilium ziehn sehn? Tu' es, liebste Nichte; tu' es, liebste Nichte Cressida!

CRESSIDA.
Wie es Euch gefällt.
PANDARUS.

Hier, hier ist ein allerliebster Platz, hier können wir's recht schmuck mit ansehn. Ich will sie dir alle bei Namen nennen, wie sie vorbeiziehn; merke nur vor allen auf Troilus.


Äneas geht über die Bühne.
CRESSIDA.
Sprecht nicht so laut.
PANDARUS.

Das ist Äneas; ist das nicht ein hübscher Mann? Es ist eine rechte Blume unter den Troern, das kann ich dir sagen. Aber merke nur auf Troilus: gleich wird er kommen.

CRESSIDA.
Wer ist das?

Antenor geht vorüber.
PANDARUS.

Das ist Antenor, der ist recht kurz angebunden, das kann ich dir sagen, und ist ein guter Soldat; einer von den besten Köpfen in ganz Troja, und ein artiger Mann in seiner ganzen Person. – Wann kommt doch Troilus? Gleich sollst du Troilus sehn. Gib acht, wie er nicken wird, wenn er mich sieht.

CRESSIDA.
Nickt er immer ein, wenn er Euch sieht? –

Hektor geht vorüber.
PANDARUS.

Das ist Hektor, der da! Der da! Siehst du, der! Das ist ein Kavalier! Gott sei mit dir, Hektor; das ist ein wackrer Mann, Nichte. O du edler Hektor! Sieh, wie er um sich blickt! Das ist eine Haltung! Ist's nicht ein stattlicher Mann?

CRESSIDA.
Ein recht stattlicher Mann.
PANDARUS.

Nicht wahr? Es ist eine rechte Herzenslust, ihn zu sehn. Sieh nur, wie viel Beulen auf seinem Helm sind! Sieh nur hin, siehst du's? Sieh nur hin! Mit dem ist nicht zu spaßen; der versteht's; mit dem soll's einmal einer aufnehmen! Das nenn' ich Hiebe! –

[17] CRESSIDA.
Sind die von Schwertern?

Paris geht vorüber.
PANDARUS.

Von Schwertern? Von was sie wollen, das kümmert ihn nicht. Wenn auch der Teufel mit ihm anbände, das ist ihm alles gleich. Ja, beim Element, es ist eine wahre Lust; ach, dort kommt Paris, dort kommt Paris; siehst du dort, Nichte? Ist das nicht auch ein hübscher Mann? Nicht? – Ei, das ist ja allerliebst – wer sagte doch, er wäre heut verwundet? Er ist nicht verwundet. Nun, das wird für Helena eine rechte Freude sein. Oh, wenn ich doch nur den Troilus sähe! Gleich wirst du Troilus zu sehn bekommen.

CRESSIDA.
Wer ist das?
Helenus geht vorüber.
PANDARUS.

Das ist Helenus. Ich begreife gar nicht, wo Troilus bleibt, – das ist Helenus:- er wird wohl gar nicht zu Felde gezogen sein, – das ist Helenus.

CRESSIDA.
Kann Helenus fechten, Onkel?
PANDARUS.

Helenus? Nein; – ja, er ficht so ziemlich erträglich. – Ich begreife nicht, wo Troilus bleibt – Horch! Hörst du nicht, wie die Soldaten rufen: Troilus? – Helenus ist ein Priester.

CRESSIDA.
Was für ein Duckmäuser kommt denn da heran?

Troilus geht vorüber.
PANDARUS.

Wo, dort? Das ist Deiphobus: – nein, Troilus ist's. Ach, welche ein Mann! Nichte! Hem! O du wackrer Troilus! Du Fürst der Ritterschaft!

CRESSIDA.
Still doch, ums Himmels willen, still!
PANDARUS.

Gib acht auf ihn; faß ihn recht ins Auge – o du wackrer Troilus! Sieh ihn dir recht an, Nichte; siehst du, wie blutig sein Schwert ist, und sein Helm noch mehr zerhauen als der des Hektor. Und wie er um sich blickt, wie er einhergeht! – O wunderschöner Jüngling; und noch nicht dreiundzwanzig! Geh mit Gott, Troilus, geh mit Gott; hätte ich eine Grazie zur Schwester, oder eine Göttin zur Tochter, er sollte die Wahl haben. O wunderschöner Held! – Paris? – Paris [18] ist ein Quark gegen ihn, und ich wette, Helena tauschte gern, und gäbe noch Geld in den Kauf.


Mehrere Soldaten ziehn vorüber.
CRESSIDA.
Dort kommen noch mehr.
PANDARUS.

Esel! Narren! Spreu und Kleie! Spreu und Kleie! Suppe nach der Mahlzeit! In Troilus' Anblick könnt' ich leben und sterben. Sieh nicht weiter hin, sieh nicht weiter hin: die Adler sind vorüber; Krähen und Dohlen, Krähen und Dohlen! Lieber wär' ich solch ein Held wie Troilus, als Agamemnon mit ganz Griechenland!

CRESSIDA.
Die Griechen haben ihren Achilles; der übertrifft den Troilus.
PANDARUS.
Achilles? Ein Lastträger, ein Karrenschieber, ein rechtes Kamel.
CRESSIDA.
Nun, nun! –
PANDARUS.

Nun, nun? Hast du denn kein Urteil? Hast du denn keine Augen? Verstehst du, was ein Mann ist? Sind denn nicht Geburt, Schönheit, gute Bildung, Beredsamkeit, Mannhaftigkeit, Verstand, Artigkeit, Tapferkeit, Jugend, Freigebigkeit, und was dem gleicht, die Spezereien und das Salz, die einen Mann würzen?

CRESSIDA.

O ja; ein Mengelmus von einem Manne, und so in der Pastete gehackt und gebacken gibt's ein Mus von lauter Mängeln.

PANDARUS.
Was sind das nun wieder für Reden! Man weiß nie, auf welcher Lauer du liegst.
CRESSIDA.

Auf meinem Rücken, um meinen Leib frei zu haben; auf meinem Witz, um meine Launen zu verteidigen; auf meiner Verschwiegenheit, um meinen guten Ruf zu sichern; meiner Maske vertrau' ich, um meine Schönheit zu bewahren; dann endlich Euch, um das alles zu schützen: und auf allen diesen Lauerplätzen lieg' ich und habe wohl tausend Wachen.

PANDARUS.
Nenne mir eine deiner Wachen!
CRESSIDA.

Das ist eben meine Hauptwache, die gegen Euch gerichtet ist. Denn wenn ich erst nicht mehr behüten kann, was niemand finden sollte, so kann ich Euch wenigstens [19] bewachen, daß Ihr nicht erfahrt, wie ich zu Schaden kam; es müßte denn so zunehmen, daß sich's nicht mehr verstecken ließe; und dann wär's ohnehin mit dem Wachen vorbei.

PANDARUS.
Ihr seid mir die Rechte!

Der Page des Troilus kommt.
PAGE.
Herr, mein Gebieter wünscht Euch gleich zu sprechen.
PANDARUS.
Wo?
PAGE.
In Euerm Hause, Herr; dort legt er seine Rüstung ab.
PANDARUS.
Lieber Kleiner, sag ihm, ich komme gleich.

Der Page geht.

Ich fürchte, er ist verwundet. Lebe wohl, liebe Nichte, lebe wohl!
CRESSIDA.
Lebt wohl, Oheim!
PANDARUS.
Ich bin gleich wieder bei Euch, Nichte.
CRESSIDA.
Und bringt mir ...
PANDARUS.
Nun ja! Ein Liebespfand von Troilus.Geht ab.
CRESSIDA.
Bei diesem Liebespfand, du bist ein Kuppler! –

Wort, Gab' und Trän' und heil'gen Schwurs Beteuern
Läßt er nicht ab für jenen zu erneuern;
Zwar mehr in Troilus hab' ich gewahrt,
Als was mir Pandars Spiegel offenbart:
Doch weigr' ich. Frau'n sind Engel stets, geworben;
Ahnung ist Lust, doch im Genuß erstorben.
Nichts weiß ein liebend Mädchen, bis sie weiß,
Allein das Unerreichte steh' im Preis;
Daß nie, erhört, das Glück so groß im Minnen,
Als wenn Begier noch fleht, um zu gewinnen;
Drum folg' ich diesem Spruch der Liebessitte:
Gewähren wird Befehl, Versagen Bitte, –

Und mag mein Herz auch treue Lieb' empfinden,
Nie soll ein Blick, ein Wort sie je verkünden.

Ab.
[20]
Dritte Szene
Das griechische Lager.

Trompeten. Es treten auf Agamemnon, Nestor, Ulysses, Menelaus und andre.

AGAMEMNON.
Fürsten,
Kann Gram mit Gelbsucht eure Wangen färben?
Der weite Vorwurf, den Erwartung bildet
Bei jedem Plan auf Erden hier begonnen,
Entbehrt gehoffter Größe. – Unstern und Hemmung
Keimt in den Adern hocherhabner Tat,
Wie Knorren, durch zu üpp'gen Saft erzeugt,
Der schlanken Fichte Wachstum stockend lähmen,
Daß sie gekrümmt und siech nicht hoch erwächst.
Auch kann's, ihr Fürsten, nicht befremdlich sein,
Wenn uns Erwartung täuscht, und Trojas Mauern
Noch aufrecht stehn, bedroht seit sieben Jahren,
Weil jede Kriegstat schon in vor'ger Zeit,
Von der uns Kunde zukam, ward gekreuzt,
Und im Versuch weit abgelenkt vom Ziel
Und jenem geist'gen Vorbild des Gedankens,
Das ihr ein Traumbild schuf. Weshalb denn, Fürsten,
Seht ihr beschämten Blicks auf unser Werk,
Als wäre Schmach, was doch nichts anders ist,
Als des erhabnen Zeus verzögert Prüfen,
Ob noch im Menschen fest Beharren sei?
Denn nicht erprobt sich dieser echte Stahl,
Begünstigt uns Fortuna – denn alsdann
Scheint Held und Feiger, Narr und Weiser, Künstler
Und Tor, Weichling und Starker nah verwandt –

Doch in dem Sturm und Schnauben ihres Zorns
Wirft Sond'rung mit gewalt'ger, breiter Schaufel
Alles aufschüttelnd, leichte Spreu hinweg;
Und was Gewicht und Stoff hat in sich selbst,
Bleibt reich an Tugend liegen, unvermischt.
NESTOR.
In schuld'ger Ehrfurcht deinem heil'gen Thron,
[21]
O Agamemnon, wird dein letztes Wort
Nestor erläutern. In dem Kampf mit Wechsel
Bewährt sich echte Kraft. Auf stiller See,
Wie fährt so mancher gaukelnd winz'ge Kahn
Auf ihrer ruh'gen Brust und gleitet hin
Mit Seglern mächt'gen Baus?
Doch laß den Raufer Boreas erzürnen
Die sanfte Thetis, – rasch durchschneidet dann
Das starkgerippte Schiff die Wellenberge,
Springt zwischen beiden feuchten Elementen
Gleich Perseus' Roß – wo bleibt das eitle Boot,
Des schwachgefügte Seiten eben noch
Wettkämpften mit der Kraft? Es flieht zum Hafen,
Wenn's nicht Neptun verschlingt. So trennt sich auch
Des Mutes Schein vom wahren Kern des Muts
Im Sturm des Glücks; denn strahlt es hell und mild,
Dann wird die Bremse quälender der Herde
Als selbst der Tiger; doch wenn Stürme spaltend
Der knot'gen Eiche Knie darniederbeugen
Und Schutz die Fliege sucht, – ja, dann das Tier des Muts,
Wie aufgeregt von Wut, wird selber Wut,
Und brüllt, in gleichen Tönen widerhallend,
Dem zorn'gen Glück entgegen.
ULYSSES.
Agamemnon,
Du großer Fürst, Gebein und Nerv der Griechen,
Herz unsrer Scharen, Seel' und einz'ger Geist,
In dem Gemüt und Wesen aller sollte
Beschlossensein, – hör', was Ulysses spricht,
Den Beifall und die Huld'gung abgerechnet,
Die, Mächt'ger du durch Rang und Herrscherwürde,
Und du, Ehrwürd'ger durch dein hohes Alter,
Ich euren Reden zolle (die so trefflich,
Daß Agamemnon und der Griechen Hand
Sie sollt' in Erz erhöhn, und deine gleichfalls,
Ehrwürd'ger Nestor, silberweiß, mit Banden
Aus Luft gewebt, stark wie die Ax', um die
Der Himmel kreist, sollt' aller Griechen Ohr
An deine weise Zunge fesseln) – doch,
[22]
Du Staatsmann und du Fürst, vergönnt Ulysses,
Nach euch zu reden.
AGAMEMNON.
Sprich, Held von Ithaka: so sicher ist's,
Daß kein unnützes, kein gehaltlos Wort
Je deine Lippen teilt, als wir erwarten,
Wenn Hund Thersites anstimmt sein Gebell,
Je Witz, Musik, Orakel zu vernehmen.
ULYSSES.
Troja, noch unerschüttert, wär' gefallen,
Und herrenlos des großen Hektor Schwert,
Wenn folgendes nicht hemmte:
Verkannt wird Seel' und Geist des Regiments;
Und seht! So viele Griechenzelte hohl
Stehn auf dem Feld, so viel Parteien-Hohlheit. –

Wenn nicht der Feldherr gleicht dem Bienenstock,
Dem alle Schwärme ihre Beute zollen,
Wie hofft ihr Honig? Wenn sich Abstufung verlarvt,
Scheint auch der Schlechtste in der Maske edel.
Die Himmel selbst, Planeten und dies Zentrum,
Reihn sich nach Abstand, Rang und Würdigkeit,
Beziehung, Jahrszeit, Form, Verhältnis, Raum,
Amt und Gewohnheit in der Ordnung Folge;
Und deshalb thront der majestät'sche Sol,
Als Hauptplanet, in höchster Herrlichkeit
Vor allen andern; sein heilkräftig Auge
Verbessert den Aspekt bösart'ger Sterne,
Und trifft, wie Königs Machtwort, allbeherrschend
Auf Gut' und Böses. Doch wenn die Planeten
In schlimmer Mischung irren ohne Regel,
Welch Schrecknis! Welche Plag' und Meutereil
Welch Stürmen auf der See! Wie bebt die Erde!
Wie rast der Wind! Furcht, Umsturz, Graun und Zwiespalt
Reißt nieder, wühlt, zerschmettert und entwurzelt
Die Eintracht und vermählte Ruh' der Staaten
Ganz aus den Fugen! Oh, wird Abstufung,
Die Leiter aller hohen Plan', erschüttert,
So krankt die Ausführung. Wie könnten Gilden,
Würden der Schule, Brüderschaft in Städten,
Friedsamer Handelsbund getrennter Ufer,
[23]
Der Vorrang und das Recht der Erstgeburt,
Ehrfurcht vor Alter, Szepter, Kron' und Lorbeer
Ihr ewig Recht ohn' Abstufung behaupten?
Tilg' Abstufung, verstimme diese Saite,
Und höre dann den Mißklang! Alles träf'
Auf offnen Widerstand. Empört dem Ufer
Erschwöllen die Gewässer übers Land,
Daß sich in Schlamm die feste Erde löste;
Macht würde der Tyrann der blöden Schwäche,
Der rohe Sohn schlüg' seinen Vater tot;
Kraft hieße Recht – nein, Recht und Unrecht, deren
Endlosen Streit Gerechtigkeit vermittelt,
Verlören, wie Gerechtigkeit, den Namen.
Dann löst sich alles auf nur in Gewalt,
Gewalt in Willkür, Willkür in Begier;
Und die Begier, ein allgemeiner Wolf,
Zwiefältig stark durch Willkür und Gewalt,
Muß dann die Welt als Beute an sich reißen
Und sich zuletzt verschlingen. Großer König,
Dies Chaos, ist erst Abstufung erstickt,
Folgt ihrem Mord: –

Und dies Nichtachten jeder Abstufung
Geht rückwärts Schritt für Schritt, indem's hinauf
Zu klimmen strebt. Des Oberfeldherrn spottet
Der unter ihm zunächst, den höhnt der Zweite,
Den nächsten dann sein Untrer:so vergiftet
Vom ersten Schritt, der seinem Obern trotzt,
Wird jeder folgende zum neid'schen Fieber
Kraftloser, bleicher Nebenbuhlerschaft: –

Und solch ein Fieber ist's, das Troja schirmt,
Nicht eigne Stärke. Kurz, den Troern schafft
Nur unsre Schwäche Frist, nicht eigne Kraft.
NESTOR.
Sehr weislich hat Ulysses uns enthüllt
Die Seuch', an welcher unsre Macht erkrankt.
AGAMEMNON.
Der Krankheit Art hast du durchschaut, Ulysses;
Welch Mittel nun?
ULYSSES.
Der Held Achilles, den die Meinung krönt
Als Nerv und rechte Hand des ganzen Heers, –
[24]
Das Ohr gefüllt mit seinem luft'gen Ruhm,
Wird frech und launenhaft, und ruht im Zelt,
Verspottend unser Tun. Mit ihm Patroklus,
Auf einem Lotterbett, treibt freche Possen
Den lieben langen Tag,
Und stellt mit tölpisch lächerlichem Pathos
(Das der Verleumder Nachahmung benennt)
Uns all' zur Schau. Manchmal, o großer König,
Agiert er deine höchste Majestät,
Stolzierend wie ein Bühnenheld, des Geist
Im Kniebug wohnt, und den's erhaben dünkt,
Der Bretter Schall und hölzern Echo hören,
Wenn er mit steifem Fuß den Boden stampft, –

So jämmerlich verdreht und übertrieben
Verzerrt er deine Hoheit. Wenn er spricht,
Klingt's wie geborstne Glocken: sinnlos Zeug,
Wie es von Typhons Schlund hervorgebrüllt
Noch Bombast schiene. Bei dem schalen Wust
Liegt breit und faul Achilles auf den Polstern,
Lacht aus der tiefen Brust ihm lauten Beifall,
Ruft: »Herrlich! Das ist Agamemnon völlig!
Nun spiel' mir Nestor! Räuspre, streich' den Bart
Wie er, wenn er zu reden Anstalt macht!« –

Er tut's und trifft's, wie Nord und Süd sich treffen,
So ähnlich, wie Vulkan der Gattin ist.
Doch Freund Achill ruft nochmals:»Meisterhaft!
's ist Nestor ganz! Jetzt spiel' ihn mir, Patroklus,
Wie er sich nachts beim Überfall bewaffnet.« –

Und dann, wie klein! Muß selbst des Alters Schwachheit
Zur Posse dienen; hustend räuspert er,
Schiebt, krankhaft fuschelnd, an des Panzers Hals
Die Nieten ein und aus: und bei dem Spaß
Stirbt Herr Großmächtig, schreit: »Genug, Patroklus!
Schaff' Rippen mir von Stahl! Sonst spreng' ich alle
Vor übermäß'ger Lust!« So dient den beiden
All unsre Fähigkeit, Natur, Gestalt,
Besondre Gab' und allgemeine Art,
Vollbrachte Tat, Entwurf, Befehl und Plan,
[25]
Auffoderung zum Kampf, Antrag um Stillstand,
Erfolg und Mißgeschick, was ist und nicht ist,
Zum Stoff für Albernheit und Übertreibung.
NESTOR.
Und von dem schlimmen Beispiel dieser zwei,
Die, wie Ulysses sagt, die Meinung krönt
Mit Herrscherton, ward mancher angesteckt.
Ajax, voll Eigendünkels, trägt das Haupt
So hoch gezäumt, so trotzig wie der breite
Achilles; bleibt in seinem Zelt wie jener;
Gibt Schmause den Partei'n; schimpft unsre Waffen,
Als wär' er ein Orakel; hetzt Thersites,
Den Schalksnarr'n, der wie Münze Läst'rung prägt,
Durch niedrigen Vergleich uns zu besudeln,
Mit Schimpf und Hohn zu schmähn auf unsre Drangsal,
Wie sehr uns auch ringsher Gefahr bedräut. –
ULYSSES.
Sie lästern unsre Politik als Feigheit;
Sie stoßen Weisheit aus dem Rat des Kriegs,
Verlachen Vorbedacht und würdigen
Nur Tat der Faust – die stille Geisteskraft,
Die prüft, wie viele Hände wirken sollen,
Wenn's Zeit erheischt, und durch mühsame Schätzung
Voraus bestimmt, wie zahlreich sei der Feind, –

Das alles hält man keines Fingers wert,
Bettarbeit nennt man's, Stubenkrieg und Schreibwerk;
So daß der Widder, der die Mauern bricht,
Und die Gewalt und Sturmkraft seiner Wucht
Den Rang hat vor der Hand, die ihn gezimmert,
Ja selbst vor denen, die mit List und Klugheit
Scharfsinnig seine Wirkung angeordnet.
NESTOR.
Dies eingeräumt, so gilt Achilles' Pferd
Viel Thetis-Söhne!

Trompetenstoß.
AGAMEMNON.
Horcht! Wes die Trompeten?
Sieh, Menelaus!
MENELAUS.
Von Troja!

Äneas tritt auf.
AGAMEMNON.
Was führt Euch hieher?
[26] ÄNEAS.
Ist dies
Des großen Agamemnon Zelt?
AGAMEMNON.
Ja, dieses.
ÄNEAS.
Darf einer, der ein Herold ist und Fürst,
Mit offner Botschaft nahn des Königs Ohr?
AGAMEMNON.
Noch sichrer, als geschützt vom Arm Achills,
Vor allen griech'schen Häuptern, die einstimmig
Als Haupt und Feldherrn Agamemnon ehren.
ÄNEAS.
Höflich Gewähren; Sicherheit vollauf.
Wie mag, wer diesen höchsten Blicken fremd,
Von andern Sterblichen ihn unterscheiden?
AGAMEMNON.
Wie?
ÄNEAS.
Ich frag', auf daß ich Ehrfurcht in mir wecke
Und ein Erröten auf die Wange rufe,
Beschämt, so wie Aurora, wenn sie kühl
Zum jungen Phöbus schaut.
Wer ist der Gott im Amt, der Helden lenkt?
Wer ist der Hochgebieter Agamemnon?
AGAMEMNON.
Der Troer höhnt uns, oder Trojas Ritter
Sind überfeine Hofherrn.
ÄNEAS.
Hofherrn so mild und adlig, ohne Wehr,
Wie Engel hold geneigt: also im Frieden.
Doch fehlt im Kriegsschmuck Zorn nicht, kräft'ger Arm,
Der Glieder Macht, getreues Schwert, – und, Gott voran,
Kein Herz so muterfüllt. Doch still, Äneas!
Still, Troer! Leg' den Finger auf die Lippe,
Des Ruhmes Würdigkeit verliert an Wert,
Wenn der Gepriesne selbst mit Lob sich ehrt:
Doch Lob, das vom besiegten Feind erklingt,
Der Taten Ruf ist's, der zum Himmel dringt.
AGAMEMNON.
Trojan'scher Ritter, nennt Ihr Euch Äneas?
ÄNEAS.
Ja, Grieche, also heiß' ich.
AGAMEMNON.
Eu'r Geschäft?
ÄNEAS.
Verzeiht, es ist für Agamemnons Ohr!
AGAMEMNON.
Er hört nichts heimlich, was von Troja kommt.
ÄNEAS.
Auch kam ich nicht von Troja, ihm zu flüstern;
Trompeten lass' ich schmettern an sein Ohr
[27]
Und weck' es, aufmerksam sich mir zu neigen;
Dann will ich reden.
AGAMEMNON.
Sprich, so frei wie Luft;
Dies ist nicht Agamemnons Schlummerstunde;
Vernehmen sollst du, Troer, er ist wach:
Er selber sagt es dir.
ÄNEAS.
Trompet', erklinge
Mit eh'rnem Schall durch all die trägen Zelte;
Und jedem tapfern Griechen tu' es kund,
Was Troja edel meint, das spricht es laut.

Trompetenstoß.

In Troja lebt, o großer Agamemnon,
Ein Prinz, Hektor mit Namen, Priams Sohn,
Den diese dumpfe, lange Waffenruh'
Verrostet hat. Nimm die Trompeten, sprach er,
Und rede so: Ihr Kön'ge, Fürsten, Herrn,
Ist einer von den Edeln Griechenlands,
Dem mehr die Ehre gilt als seine Ruh',
Der mehr nach Ruhm strebt, als Gefahren scheut,
Der seinen Mut wohl kennt, nicht seine Furcht,
Der seine Dame mehr liebt als in Worten,
Mit müß'gen Schwüren ihrem Mund gelobt, –

Und ihren Wert und Reiz behaupten darf
Nicht bloß mit Liebeswaffen, – dem entbiet' ich:
Im Angesicht der Griechen und Trojaner
Beweist es Hektor, oder müht sich drum, –

Er hab' ein Weib, verständ'ger, schöner, treuer,
Als an die Brust jemals ein Grieche schloß: –

Und morgen ruft er mit Trompetenklang
In Mitten eurer Zelt' und Trojas Mauern,
Daß sich ein Griech' erheb' in Liebe treu.
Tritt einer auf, wird Hektor hoch ihn ehren;
Wenn keiner kommt, wird er in Troja sagen:
Die griech'schen Frau'n sind sonnverbrannt und unwert
Des Splitters einer Lanze. – Dies mein Auftrag.
AGAMEMNON.
So, Prinz, verkünd' ich's unsern Liebenden.
Hat keiner ein Gemüt also entzündet,
[28]
Kam keiner mit uns her. Doch wir sind Ritter:
Und sei mit Schmach vom Rittertum vertrieben,
Wer nicht schon liebt, geliebt hat, noch wird lieben!
Drum, wer in Lieb' ist, sein wird oder war,
Der stelle sich, sonst biet' ich selbst mich dar.
NESTOR.
Sag ihm vom Nestor, der ein Mann schon war,
Als Hektors Ältervater sog die Brust, –

Er ist nun alt, – doch findet sich im Heer
Kein edler Mann, in dem ein Funke glüht,
Zu stehn für seine Dame. – sag ihm dies:
Den Silberbart berg' ich im Goldvisier
Und in der Schiene den gewelkten Arm:
So tret' ich auf und sag' ihm, mein Gemahl
Besiegt' an Schönheit seine Ältermutter,
An Keuschheit alle. Seinem Jugendmut
Zeug' ich's mit meinen sieben Tropfen Blut.
ÄNEAS.
Verhüte Gott, daß Jugend also selten!
ULYSSES.
Amen!
AGAMEMNON.
Erlauchter Lord Äneas, reicht die Hand!
Ich führ' Euch, Herr, in unsern Pavillon:
Achill vernehme, was Ihr heut bestellt,
Und jeder griech'sche Ritter, Zelt für Zelt –

Dann speist mit uns, eh' Ihr nach Troja kehrt,
Und edler Feindesgruß sei Euch gewährt!

Sie gehn ab.

Es bleiben Ulysses und Nestor.
ULYSSES.
Nestor –
NESTOR.
Was sagt Ulysses?
ULYSSES.
In meinem Hirn erzeugt sich ein Gedanke;
Seid Ihr die Zeit, ihn zur Geburt zu fördern!
NESTOR.
Was ist es?
ULYSSES.
Dies: man sprengt mit stumpfem Keil
Den harten Klotz. Den überreifen Stolz,
Der hoch in Saat geschossen in dem üpp'gen
Achill, muß unsre Sichel schleunig mähn,
Sonst streut er rings dieselbe böse Saat,
Uns alle zu ersticken.
[29] NESTOR.
Wohl! Und wie?
ULYSSES.
Der Kampf, zu dem der tapfre Hektor ruft, –

(Obschon in Allgemeinheit ausgesprochen)
Zielt doch zunächst allein nur auf Achill.
NESTOR.
Der Zweck ist augenfällig; wie ein Ganzes,
Des Großheit sich aus kleinen Teilen formt.
Und wird dies kund getan, so zweifle nicht,
Achilles, wär' auch sein Gehirn so trocken
Als Libyens Strand – (und doch, Apoll bezeug's,
's ist dürr genug), – wird mit eilfert'gem Urteil,
Ja, 'unverzüglich, Hektors Zweck durchschaun,
Daß er auf ihn gezielt.
ULYSSES.
Und sich der Ford'rung stellen, denkt Ihr?
NESTOR.
Ja;
So muß es sein. Wer mißt sich sonst mit ihm,
Der aus dem Kampf mit Hektorn Ehre brächte,
Als nur Achill? Ist's gleich ein Spielgefecht,
Hängt an der Kampfesprobe doch die Meinung.
Denn unser Köstlichstes schmeckt hier der Troer
Mit seinem feinsten Gaum, und glaubt, Ulysses,
Man wird unpassend schätzen unsre Würze
Nach dieser Eitelkeit; denn der Erfolg,
Obschon des einen Mannes, gibt den Ausschlag
Dem allgemeinen gut und schlimmen Ruf –

Und solcher Index (ob auch kleine Lettern,
Verglichen mit der Bände Folge) zeigt
In Kindsgestalt den Riesenkörper schon
Von dem, was kommen soll. – Man sieht im Streiter,
Der sich dem Hektor stellt, nur unsre Wahl:
Und Wahl, einmüt'ger Einklang alles Urteils,
Leiht Würde dem Erkornen, kocht heraus
Gleichsam von unsrer aller Wert und Kraft
Die Quintessenz des Manns. Mißlingt es dem,
Welch Herz faßt dann der Sieger in dem Kampf,
Die eingebild'te Ehre noch zu stählen!
Der Ehrenpunkt belebt dann jedes Werkzeug
Nicht minder kraftvoll, als Geschoß und Schwert
Vom Arm geführt.
[30] ULYSSES.
Verzeihung meinem Wort!
Drum muß Achilles nicht mit Hektor kämpfen.
Zeigt wie ein Krämer erst die schlechtste Ware,
Vielleicht bringt Ihr sie an; geläng' es nicht,
Dann wird der Glanz der bessern Euch erhöht,
Zeigt Ihr die schlechte erst. Drum gebt nicht zu,
Daß Hektor und Achill zusammenfechten:
Sonst folgen unsrer Schmach wie unserm Ruhm
Zwei höchst verderbliche Gefährten nach.
NESTOR.
Mein altes Auge sieht sie nicht: wer sind sie?
ULYSSES.
Der Ruhm, den sich Achill erringt vom Hektor,
Wär' er nicht stolz, wir alle teilten ihn:
Doch allzu übermütig ward er schon;
Und lieber möcht' uns Libyens Sonne dörren,
Als seiner Augen Stolz und bittrer Hohn,
Besiegt ihn Hektor nicht: und wich' er ihm,
Zerstörten wir den allgemeinen Glauben
Durch unsres Helden Schmach. Nein, losen wir
Und lenken's klug, daß Tölpel Ajax ziehe
Das Blatt zum Kampf mit Hektor! Unter uns
Rühm' Euer Zeugnis ihn als besten Krieger;
Das wird Arznei dem großen Myrmidonen,
Der auf die Volksgunst pocht; dann sinkt sein Kamm,
Der stolz sich wie der Regenbogen bäumt.
Kommt der schwerköpf 'ge Ajax heil davon,
Erhebt ihn unser Lob; und schlägt's ihm fehl,
Dann bleibt doch stets die Meinung unverletzt,
Daß wir noch beßre haben. Wie's auch fällt,
Des Plans geheime Absicht muß gelingen:
Ajax, erwählt, rupft dem Achill die Schwingen.
NESTOR.
Ulysses,
Jetzt fängt dein Vorschlag an, mir einzuleuchten;
Und ungesäumt soll Agamemnon gleichfalls
Ihn kosten. – Gehn wir in sein Zelt sofort;
Hier zähm' ein Hund den andern: Stolz allein
Muß dieser Bullenbeißer Knochen sein.

Sie gehn ab.
[31]

Zweiter Aufzug

Erste Szene
Das griechische Lager.

Ajax und Thersites treten auf.

AJAX.
Thersites –
THERSITES.
Agamemnon ... wie, wenn er Beulen hätte? Vollauf, über und über, allenthalben –
AJAX.
Thersites –
THERSITES.

Und die Beulen liefen; gesetzt, so wär's: liefe dann nicht der ganze Feldherr? Wäre das nicht eine offne Eiterbeule?

AJAX.
Hund –
THERSITES.
Auf diese Art käme doch etwas Materielles aus ihm; jetzt seh' ich gar nichts.
AJAX.
Du Brut einer Wolfspetze, kannst du nicht hören? So fühle denn! – Schlägt ihn.
THERSITES.
Daß dich die griechische Pestilenz, du köterhafter, rindsköpfiger Lord!
AJAX.

Sprich denn, du abgestandner Klumpen Sauerteig; sprich! Ich will dich zu einer hübschen Figur prügeln! –

THERSITES.

Ich könnte dich leichter zu einem Witzigen und Gottesfürchtigen lästern; aber dein Hengst hält eher eine Rede aus dem Kopf, als du ein Gebet auswendig sprichst. Du kannst schlagen, nicht? Das kannst du? Die Pferdeseuche über deine Gaulmanieren! –

AJAX.
Giftpilz! Erzähle mir, was hat man ausgerufen?
THERSITES.
Denkst du, ich sei fühllos, daß du mich so schlägst?
AJAX.
Was hat man ausgerufen?
THERSITES.
Man hat dich als Narren ausgerufen, denk' ich.
[32] AJAX.
Nimm dich in acht, Stachelschwein, nimm dich in acht! Meine Finger jucken!
THERSITES.

Ich wollte, es juckte dich vom Kopf zu den Füßen, und ich müßte dich kratzen; ich wollte dich zum schäbigsten Scheusal in Griechenland machen. Wenn du dich einmal bei einem Ausfall voranwagst, schlägst du so schläfrig wie ein andrer.

AJAX.
Ich frage, was hat man ausgerufen?
THERSITES.

Jede Stunde brummst und grollst du auf den Achilles und bist neidisch auf seine Größe wie Cerberus auf Proserpinens Schönheit; ja, du bellst ihn an! –

AJAX.
Frau Thersites!
THERSITES.
Den solltest du schlagen!
AJAX.
Fladen!
THERSITES.
Der würde dich mit seiner Faust zu Krümchen quetschen, wie ein Matrose seinen Zwieback! –
AJAX.
Du verdammter Köter! – Schlägt ihn.
THERSITES.
So recht! –
AJAX.
Du Hexenstuhl! –
THERSITES.

Recht, recht so, du grützköpfiger Lord! Du hast nicht mehr Hirn als ich im Ellbogen; ein Packesel kann dein Zuchtmeister sein; du schäbiger, tapfrer Esel! Du bist hieher geschickt, um auf die Trojaner zu dreschen, und unter Leuten von einigem Witz bist du verraten und verkauft wie ein afrikanischer Sklav'. – Wenn du dich darauf legst, mich zu schlagen, will ich bei deiner Ferse anfangen und dir Zoll für Zoll sagen, was du bist, du Klotz ohne Eingeweide!

AJAX.
Hund!
THERSITES.
Schäbiger Lord!
AJAX.
Köter! Schlägt ihn.
THERSITES.
Mars' dummer Tölpel! – Nur zu, Grobian; nur zu, Kamel; immer zu! –

Achilles und Patroklus treten auf.
ACHILLES.
Was gibt es, Ajax? Warum tut Ihr das?
Was gibt's, Thersites? Wovon ist die Rede? –
THERSITES.
Ihr seht ihn da, nicht wahr?
ACHILLES.
Nun ja, was gibt's?
[33] THERSITES.
Nein, seht ihn an!
ACHILLES.
Das tu' ich ja; was ist denn?
THERSITES.
Nein, seht ihn Euch recht an!
ACHILLES.
Nun ja, das tu' ich.
THERSITES.
Und doch seht Ihr ihn nicht recht an; denn wofür Ihr ihn immer halten mögt, er ist Ajax.
ACHILLES.
Ich kenn' ihn ja, du Narr! –
THERSITES.
Ja, aber der Narr kennt sich selbst nicht!
AJAX.
Darum prügle ich dich.
THERSITES.

O ho! O ho! Welche kleine Dosen Witz er von sich gibt! Seine Ausfälle haben Ohren so lang. Ich habe mehr sein Gehirn, als er meine Knochen zerschlagen. Neun Spatzen kann ich für einen Heller kaufen, und seine pia mater ist nicht so viel wert, als der neunte Teil eines Spatzen. Dieser Lord, Achilles – der Ajax, der seinen Verstand im Bauch trägt und seine Kaldaunen im Kopf, – ich will Euch sagen, was ich von ihm denke.

ACHILLES.
Was?
THERSITES.
Ich sage, dieser Ajax ...

Ajax will Thersites schlagen; Achilles tritt zwischen sie.
ACHILLES.
Laßt doch, guter Ajax! –
THERSITES.
... hat nicht so viel Verstand –
ACHILLES.
Nein, so muß ich Euch zurückhalten!
THERSITES.
... daß er das Öhr von Helenas Nadel füllen könnte, für die er zu fechten herkam.
ACHILLES.
Halt Friede, Narr!
THERSITES.
Ich hielt gern Friede und Ruhe, aber der Narr will nicht: seht nur, dieser da, der dort!
AJAX.
Ei du schändlicher Hund, ich will ...
ACHILLES.
Wollt Ihr Euern Witz gegen den eines Narren setzen?
THERSITES.
Nein, gewiß nicht, denn des Narren Verstand würde ihn zu schanden machen.
PATROKLUS.
Gib dich zur Ruhe, Thersites!
ACHILLES.
Worüber zankt ihr?
AJAX.

Ich hieß dem garstigen Schuhu, sich nach dem Inhalt des Aufrufs erkundigen, und da schimpft er auf mich los.

[34] THERSITES.
Ich bin dein Diener nicht.
AJAX.
Seht nur! Seht nur!
THERSITES.
Ich diene hier freiwillig!
ACHILLES.

Euer letztes Dienen war leidend, es war nicht freiwillig; niemand läßt sich freiwillig schlagen; Ajax war hier der Freiwillige, und Ihr wurdet zum Dienst gepreßt.

THERSITES.

Meint Ihr! Euch steckt auch der Verstand größtenteils in den Sehnen, oder die Welt lügt. Hektor wird einen rechten Fang tun, wenn er einem von euch das Gehirn ausschlägt: eben so gut möchte er eine taube Nuß ohne Kern aufknacken.

ACHILLES.
Fängst du auch mit mir an, Thersites?
THERSITES.

Da sind Ulysses und der alte Nestor, dessen Witz schon schimmlicht war, ehe Euer Großvater Nägel auf den Zehen hatte, – die jochen euch wie ein Gespann Ochsen zusammen, daß ihr den Krieg umpflügen müßt.

ACHILLES.
Was? Was?
THERSITES.
Ja, meiner Treu! Hot, Achilles! Ho, Ajax! –
AJAX.
Ich reiße dir die Zunge aus! –
THERSITES.
Das macht nichts, ich werde hernach noch eben so beredt sein wie du.
PATROKLUS.
Kein Wort mehr, Thersites; halt' Friede!
THERSITES.
Ich muß Friede halten, wenn's Achills Troddel verlangt, nicht wahr? –
ACHILLES.
Das war für dich, Patroklus!
THERSITES.

Ich will euch gehängt sehn wie dumme Teufel, ehe ich je wieder in euer Zelt komme; ich werde mich zu Leuten halten, die ihre fünf Sinne haben, und die Zunft der Narren verlassen. Geht ab.

PATROKLUS.
Glück auf den Weg!
ACHILLES.
Nun wißt: durchs ganze Lager ward verkündigt,
Daß Hektor morgen um die fünfte Stunde,
In Mitten unsrer Zelt' und Trojas Mauern,
Wird einen Ritter fodern zum Gefecht,
Der Lust hat, einen Gang zu tun; weshalb,
Das weiß ich nicht: 's ist Lumperei! – Lebt wohl!
AJAX.
Lebt wohl! Wer wird sich stellen?
[35] ACHILLES.
Ich weiß nicht: Lose soll'n entscheiden; sonst
Fänd' er wohl seinen Mann.
AJAX.
Aha! Euch selbst? – Da muß ich mehr von hören!

Sie gehn ab.
Zweite Szene
Priams Palast.

Es treten auf Priamus, Hektor, Troilus, Paris und Helenus.

PRIAMUS.
Nachdem viel Stunden, Wort' und Leben schwanden,
Spricht nochmals Griechenland durch Nestor dies: –

»Gebt Helena, und jeder andre Schaden,
Als Ehre, Zeitverlust, Aufwand und Müh',
Blut, Freund', was und noch Teures sonst verschlang
Des nimmersatten Krieges heiße Gier,
Sei abgetan.« Hektor, wie dünkt es dich?
HEKTOR.
Scheut niemand minder Gräcien auch als ich,
Was mich als einzelnen betrifft, – dennoch,
Erhabner Priamus,
Gab's nie ein Weib von zärtlicherm Gefühl,
Empfänglicher dem Sinn der Furcht, geneigter
Zum bangen Ruf: »Wer weiß, was draus entsteht?«
Als Hektor. Sicherheit macht Frieden krank,
Zu sichre Sicherheit; doch weiser Zweifel
Wird dem Klugen Leuchte, dem Arzte Sonde,
Der Wunde Grund zu prüfen. Geh' denn Helena!
Seitdem für sie der erste Schwertstreich fiel,
War jede zehnte Seel' aus tausend Zehnten
In unserm Volk so teu'r als Helena:
Verloren wir so manches Zehnt der Unsern
Für eine, die uns fremd, – für uns nicht wert,
Wenn sie die Unsre wär', ein Zehnteil nur: –

Welcher vernünft'ge Grund denn, der uns hindert,
Sie auszuliefern?
TROILUS.
Pfui, o pfui, mein Bruder!
Wägst du die Her' und Würde eines Königs,
[36]
Wie unser hoher Vater, nach dem Maß
Gemeiner Unzen? Willst mit Pfenn'gen zählen
Seiner Unendlichkeit maßlosen Wert?
Ein unabsehbar weit Gebiet umzirken
Mit Zoll und Spanne so geringer Art,
Wie Fürchten und Vernunft? O pfui der Schmach!
HELENUS.
Kein Wunder, wenn Vernunft du schiltst, der selbst
Vernunft entbehrt. Soll unser Vater nicht
Sein großes Herrscheramt baun auf Vernunft,
Weil unvernünftig deine Rede war?
TROILUS.
Du bist für Träum' und Schlummer, Bruder, Priester,
Und fütterst deine Handschuh' mit Vernunft:
Dies sind nun deine Gründe:
Du weißt, ein Feind sinnt drauf, dir weh zu tun,
Du weißt, gezückte Schwerter dröhn Gefahr,
Und die Vernunft flieht das, was Schaden bringt;
Was Wunder denn, wenn Helenus gewahrt
Den Griechen und sein Schwert, daß er selbst Fitt'ge
Tiefer Vernunft sich an die Fersen bindet
Und wie Merkur, wenn Zeus ihn schilt, entflieht,
Schnell wie ein Sternschuß? Pred'gen wir Vernunft,
So schließt die Tor' und schlaft! Mannheit und Ehre,
Wenn sie mit Gründen nur sich mästeten,
Gewännen Hasenherz; Vernunft und Sinnen
Macht Lebern bleich und Jugendkraft zerrinnen.
HEKTOR.
Bruder, sie ist nicht wert, was sie uns kostet,
Sie hier zu halten.
TROILUS.
Was hat wohl andern Wert, als wir es schätzen?
HEKTOR.
Doch nicht des Einzeln Willkür gibt den Wert,
Er hat Gehalt und Würdigkeit sowohl
In eigentümlich innrer Kostbarkeit,
Als in dem Schätzer: Wahn und Tollheit ist's,
Den Dienst zu machen größer als den Gott! –

Und töricht schwärmt der Wille, der sich neigt
Zu dem, was seine Liebe fälschlich adelt,
Wenn innrer Wert dem Scheinverdienst gebricht.
TROILUS.
Ich nehme heut ein Weib, und meine Wahl
Hängt von der Leitung meines Willens ab:
[37]
Mein Wille ward entflammt durch Aug' und Ohr,
Zwei wackern Lotsen durch die schroffen Klippen
Von Will' und Urteil. Wie verstieß' ich nun
(Wenn einst dem Willen meine Wahl mißfiel)
Das Weib, das ich erkor! – Da ist kein Ausweg,
Kein Wanken gilt, wenn Ehre soll bestehn.
Wir senden nicht die Seide heim dem Kaufmann,
Die wir verderbt, noch werfen wir verächtlich
Die übrigbliebnen Speisen durch einander,
Weil wir nun satt: – man hielt es wohlgetan,
Daß Paris Rache nehm' am Griechenvolk;
Einmüt'ger Beifall schwellt' ihm seine Segel:
Die alten Kämpfer, Meer und Wind, sie ruhten,
Ihm beizustehn; den Port erreicht' er schnell,
Und statt der alten Base, dort gefangen,
Bracht' er 'ne griech'sche Fürstin, deren Frische
Apollo runzlicht, welk den Morgen macht. –

Mit welchem Fug? Die Griechen halten jene! –

Und ist sie's wert? Ha, eine Perle ist sie,
Die mehr denn tausend Schiffe jagt' ins Meer
Und Kaufherrn schuf aus Kön'gen.
Gesteht ihr ein, recht war's, daß Paris ging –

(Ihr müßt; denn alles rief: Zieh hin! Zieh hin!),
Bekennt ihr, daß ein Kleinod seine Beute –

(Ihr müßt; denn alle schlugt ihr in die Hände
Und rieft: Unschätzbar!): warum schmäht ihr nun
Den Ausgang eures eignen weisen Plans
Und tut, was selbst Fortuna nicht getan,
Entwürd'gend, was ihr reicher habt geschätzt
Als Land und Meer? Dann, pfui dem schnöden Raub!
Wir stahlen, was wir fürchten zu behalten,
Als Dieb', unwert des so gestohlnen Guts!
Was wir vergeltend raubten ihrem Strand,
Scheun wir zu schützen in der Heimat Land!
KASSANDRA
draußen.
Weint. Troer, weint! –
PRIAMUS.
Welch Schrei'n? Welch Angstgestöhn?
TROILUS.
Die tolle Schwester; ihre Stimm' erkenn' ich.
KASSANDRA
draußen.
Weint, Troer!
[38] HEKTOR.
's ist Kassandra!

Kassandra kommt, in Verzückung, mit fliegenden Haaren.
KASSANDRA.
Weint, Troer, weint! Leiht mir zehntausend Augen,
Und alle füll' ich mit prophet'schen Tränen!
HEKTOR.
Still, Schwester, still! –
KASSANDRA.
Jungfrau'n und Knaben, Männer, schwache Greise,
Unmünd'ge Kindheit, die nichts kann als weinen,
Verstärkt mein Wehgeschrei! Und zahlt voraus
Die Hälfte all des Jammers, der uns nah!
Weint, Troer, weint: gewöhnt Eu'r Aug' an Tränen:
Troja vergeht, das schöne Ilium sinkt!
Paris, der Feuerbrand, verzehrt uns alle.
Weint, weint! O Helena, du Weh der Wehen! –

Weint! Troja brennt! Verbannt sie, heißt sie gehen!

Geht ab.
HEKTOR.
Nun, junger Troilus, weckt dies grause Lied
Der prophezei'nden Schwester kein Gefühl
Der Reu' im Herzen? Oder ist dein Blut
So toll erhitzt, daß Überlegung nicht,
Noch Furcht vor schlechtem Ausgang schlechter Sache
Die Glut dir mäß'gen kann? –
TROILUS.
Ei, Bruder Hektor,
Wir dürfen nicht die Güte jeder Tat
Ermessen nach dem Ausgang des Erfolgs,
Noch unsre Herzen gleich entmut'gen, weil
Kassandra rast. Ihr hirnverrücktes Toben
Verbittre nicht die Lust an einem Streit,
Dem unser aller Ehre sich verpfändet
Als wohlgeziemend. Mir, für meinen Anteil,
Gilt er nicht mehr als jedem Sohn des Priam;
Und Zeus verhüte, daß wir etwas täten,
Verföchten, drauf beharrten, was auch nur
Rechtmäß'gen Grund zum kleinsten Tadel gäbe!
PARIS.
Sonst dürfte wohl die Welt des Leichtsinns zeihn
Mein Unternehmen so wie euern Rat.
Doch, bei den Göttern! Eu'r vollkommner Beifall
Gab Flügel meinem Wunsch und schnitt hinweg
[39]
Jeglich Bedenken solcher kühnen Wagnis.
Denn was vermag allein mein schwacher Arm?
Was beut die Kühnheit eines Manns für Kampf,
All' derer Stoß und Feindschaft zu bestehn,
Die solche Fehd' erweckte? Dennoch schwör' ich:
Müßt' ich allein den schweren Kampf versuchen,
Und käme nur die Macht dem Willen gleich,
Nie widerriefe Paris, was er tat,
Noch wankt er im Verfolg!
PRIAMUS.
Paris, du sprichst
Wie einer, der von süßen Lüsten schwindelt.
Du hast den Honig stets, die Galle sie,
So tapfer sein verdiente Ruhm noch nie.
PARIS.
Ich trachte nicht allein den Freuden nach,
Die solche Schönheit ihrem Eigner bringt;
Des holden Raubes Vorwurf wünscht' ich auch
Getilgt, indem wir ehrenvoll sie wahren.
Welch ein Verrat an der entführten Herrin,
Schmach euerm hohen Ruhm und Schande mir,
Nun aufzugeben solch ein Eigentum
Nach abgezwungenem Vergleich? Wär's möglich,
Daß so entartete Gesinnung je
Den Eingang fänd' in eure edlen Herzen?
Auch dem Geringsten nicht in unserm Volk
Fehlt Mut, zu wagen und das Schwert zu ziehn
Für Helena; und kein so Edler ist,
Des Lebens wär' zu teu'r, des Tod unrühmlich,
Ist Helena der Preis. Deshalb beteur' ich,
Wohl ziemt es sich, im Kampfe nicht zu weichen
Für die, der auf der Welt nichts zu vergleichen! –
HEKTOR.
Paris und Troilus, beide spracht ihr gut,
Und habt erörtert Frag' und Stand des Streits,
Doch oberflächlich – nicht ungleich der Jugend,
Die Aristoteles unfähig hielt
Zum Studium der Moralphilosophie.
Die Gründe, die ihr vortragt, leiten mehr
Zu heißer Leidenschaft des wilden Bluts,
Als die Entscheidung frei und klar zu schlichten,
[40]
Was Recht und Unrecht. Denn die Rach' und Wollust
Sind tauber als der Ottern Ohr dem Ruf
Wahrhaften Urteils! Die Natur verlangt
Erstattung jedes Guts dem Eigner: nun,
Wo wär' in aller Menschheit näh'res Anrecht,
Als zwischen Mann und Eh'frau? Wird ein solches
Naturgesetz verletzt durch Leidenschaft,
Und große Geister, dem betäubten Willen
Zu leicht sich fügend, widerstreben ihm,
So gibt's in jedem Volksrecht ein Gesetz
Als Zügel solcher wütenden Begierden,
Die in Empörung alle Schranken brechen.
Ist Helena des Sparterkönigs Weib, –

Wie sie's denn ist, – so ruft Moralgesetz
Des Staats wie der Natur, mit lauter Stimme,
Sie ihm zurück zu senden. Fest beharren
Im Unrecht tun, vermindert Unrecht nicht,
Nein, macht es schwerer. Dies ist Hektors Meinung,
Wenn er das Recht erwägt. Gleichwohl indes,
Ihr feur'gen Brüder, neig' ich mich zu euch
In dem Entschluß, nicht Helena zu lassen.
Denn wicht'gen Einfluß hat des Streits Entscheidung
Auf aller so wie jedes Einzlen Ruhm.
TROILUS.
Ja, das ist unsres Trachtens Kraft und Inhalt.
Wär's nicht die Ehre, die uns mehr entflammt,
Als unserm schwell'nden Groll genug zu tun, –

Nicht einen Tropfen Troerblut mehr wollt' ich
Für sie vergeudet sehn. Doch, tapfrer Hektor,
Sie ist ein Gegenstand für Her' und Ruhm,
Ein Sporn zu tapfrer, hochbeherzter Tat,
Gibt jetzt uns Mut, die Feinde zu vernichten,
Und für die Zukunft Preis, der uns verklärt.
Denn, weiß ich doch, Held Hektor gäbe nicht
So reichen Vorteil der verheißnen Glorie,
Wie sie auf dieses Kampfes Stirn uns lächelt,
Für alles Gold der Welt.
HEKTOR.
Wohl hast du recht,
Du tapfrer Sproß des großen Priamus.
[41]
Ich sandte schon aufreizend Fehdewort
Den trägen und entzweiten Griechenfürsten,
Das ihre Schlummergeister wecken wird.
Wie ich vernommen, schläft ihr bester Held;
Neid und Parteiung schleichen durch das Feld:
Dies, hoff' ich, regt ihn auf.

Sie gehn ab.
Dritte Szene
Das griechische Lager.

Thersites tritt auf.

THERSITES.

Wie nun, Thersites? Ganz verloren im Labyrinth deines Grimms? Soll's der Elefant Ajax so davon tragen? Er schlägt mich, und ich schimpfe auf ihn: oh, schöne Genugtuung! Ich wollte, es stände umgekehrt, und ich könnte ihn schlagen, während er auf mich schimpft! – Blitz, ich will Teufel bannen und beschwören lernen, damit ich doch irgendeine Frucht meiner zornigen Verwünschungen sehe. – Dann, dieser Achilles! Der ist mir ein trefflicher Ingenieur! Wenn Troja nicht eh'r genommen wird, bis diese beiden es untergraben, so mögen die Mauern stehn, bis sie von selbst einfallen. O du großer Donnerschleud'rer des Olymp, vergiß, daß du Jupiter, der Götterkönig, bist; und du, Merkur, verliere alle Schlangenkraft deines Caduceus, wenn ihr ihnen nicht das kleine, kleine, weniger als kleine Körnchen Verstand nehmt, das sie haben; von dem die kurzarmige Dummheit selbst einsieht, es sei so übermäßig winzig, daß es nicht so viel Umsicht haben wird, eine Fliege vor einer Spinne zu retten, ohne das plumpe Schlachtschwert zu ziehn und das Gewebe zu durchhauen. Hiernächst wünsch' ich dem ganzen Lager die Pestilenz, oder besser das Knochenweh: denn der Fluch, dünkt mich, sollte denen folgen, welche um einen Unterrock Krieg führen. Das ist mein Gebet, und der Teufel Bosheit spreche das Amen. Heda! Holla! Fürst Achilles! –


Patroklus tritt auf.
[42] PATROKLUS.
Wer da, Thersites? Lieber Thersites, komm herein und schimpfe!
THERSITES.

Hätt' ich nur an eine vergoldete falsche Münze gedacht, du wärst meiner frommen Betrachtung nicht entschlüpft; aber es macht nichts. Dich selbst wünsche ich dir an den Hals! Der allgemeine Fluch der Menschen, Torheit und Unwissenheit, sei dein in reichlicher Fülle! Der Himmel behüte dich vor einem Hofmeister, und gute Zucht komme dir nicht nah! Dein Blut regiere dich bis an deinen Tod! Wenn dich dann die Leichenfrau eine schöne Leiche nennt, so schwöre ich meinen besten Eid, sie hat nie andre als Aussätzige eingekleidet. – Amen! Wo ist Achilles? –

PATROKLUS.
Was? Gehörst du zu den Frommen? Sprachst du ein Gebet?
THERSITES.
Ja; der Himmel erhöre mich! –
Achilles tritt auf.
ACHILLES.
Wer ist da?
PATROKLUS.
Thersites, Herr.
ACHILLES.

Wo, wo? Bist du da? Ei, mein Käse, mein Verdauungspulver, warum hast du dich seit so mancher Mahlzeit nicht bei mir aufgetischt? Sag an, was ist Agamemnon? –

THERSITES.
Dein Oberherr, Achilles. Nun sage mir, Patroklus, was ist Achilles?
PATROKLUS.
Dein Gebieter, Thersites. Nun sage mir, was bist du selbst?
THERSITES.
Dein Kenner, Patroklus. Nun sage mir, Patroklus, was bist du?
PATROKLUS.
Das mußt du, der mich kennt, am besten wissen.
ACHILLES.
O sag doch! Sag doch! –
THERSITES.

Ich will die Frage noch einmal durchgehn. – Agamemnon befiehlt dem Achilles; Achilles ist mein Gebieter; ich bin Patroklus' Kenner, und Patroklus ist ein Narr!

PATROKLUS.
Du Schuft! –
THERSITES.
Still, Narr, ich bin noch nicht fertig.
ACHILLES.
Er hat das Privilegium. Nur weiter, Thersites!
THERSITES.

Agamemnon ist ein Narr, Achilles ist ein Narr, Thersites ist ein Narr, und, wie schon gesagt, Patroklus ist ein Narr.

[43]
ACHILLES.
Beweise das. Nun?
THERSITES.

Agamemnon ist ein Narr, weil er dem Achilles befehlen will; Achilles ist ein Narr, weil er sich vom Agamemnon befehlen läßt; Thersites ist ein Narr, weil er einem solchen Narren dient; und Patroklus ist ein Narr schlechthin.

PATROKLUS.
Warum bin ich ein Narr?
THERSITES.
Die Frage tue deinem Schöpfer, mir ist's genug, daß du's bist. Seht, wer hier kommt?

Es treten auf Agamemnon, Ulysses, Nestor, Ajax und Diomedes.
ACHILLES.
Patroklus, ich will mit niemand reden. Komm mit mir hinein, Thersites! Geht ab.
THERSITES.

Über alle die Lumpigkeit, alle die Gaukelei, alle die Nichtswürdigkeit! Die ganze Geschichte dreht sich um einen Hahnrei und eine Hure; ein hübscher Gegenstand, um Parteiung und Ehrgeiz aufzuhetzen und sich daran zu Tode zu bluten: daß doch der Aussatz das Gesindel fräße! Und Krieg und Lüderlichkeit alle zusammen verdürbe! – Geht ab.

AGAMEMNON.
Wo ist Achilles?
PATROKLUS.
In seinem Zelt; doch nicht wohlauf, mein Fürst.
AGAMEMNON.
Tut ihm zu wissen, ich sei selber hier.
Wir schickten unsre Boten, und wir tun
Verzicht auf unsre Würde, ihn besuchend:
Dies zeigt ihm an: daß er nicht etwa glaube,
Wir sei'n in Zweifel über unsern Rang,
Uns selbst verkennend.
PATROKLUS.
Also sag ich's ihm.

Geht ab.
ULYSSES.
Wir sahn ihn wohl am Eingang seines Zelts,
Er ist nicht krank.
AJAX.

Ja doch, löwenkrank; krank an einem stolzen Herzen. Ihr mögt's Melancholie nennen, wenn Ihr höflich von dem Manne reden wollt; aber, bei meinem Haupt, 's ist Stolz: aber, auf was? Auf was? Er soll uns einmal einen Grund angeben! Ein Wort, mein Fürst! Nimmt Agamemnon auf die Seite

NESTOR.
Was hat Ajax, daß er so gegen ihn bellt?
ULYSSES.
Achilles hat ihm seinen Narren abspenstig gemacht.
NESTOR.
Wen? Thersites?
[44] ULYSSES.
Eben den.
NESTOR.
Dann wird's dem Ajax an Stoff fehlen, wenn er sein Thema verloren hat.
ULYSSES.
Nein, Ihr seht, der ist sein Thema, der sein Thema hat: Achilles.
NESTOR.

Das kann nicht schaden; sie sind besser zerschellt, als gesellt. Aber das war ein starkes Bündnis, das ein Narr trennen konnte!

ULYSSES.
Die Freundschaft, welche Weisheit nicht knüpfte, kann Torheit leicht auflösen. Hier kommt Patroklus.

Patroklus kommt zurück.
NESTOR.
Kein Achilles mit ihm.
ULYSSES.

Der Elefant hat Gelenke, aber keine für die Höflichkeit; seine Beine sind Beine fürs Bedürfnis, nicht für die Verbeugung.

PATROKLUS.
Achill heißt mich Euch sagen, er bedaure,
Wenn etwas sonst als Eure Lust und Kurzweil
Eu'r Gnaden jetzt nebst Euren edlen Freunden
Zu ihm geführt; er hofft, es sei allein
Für Eu'r Verdaun und der Gesundheit wegen,
Ein Gang nach Eurer Mahlzeit.
AGAMEMNON.
Hört, Patroklus,
Wir kennen dies Erwidern nur zu gut.
Doch dieser Vorwand, so mit Hohn beschwingt,
Kann doch nicht unsrer Wahrnehmung entfliegen.
Manch seltnen Wert besitzt er, mancher Grund
Heißt uns dies eingestehn; doch seine Tugend,
Nicht tugendlich verwendet seinerseits,
Verlor in unsern Augen fast den Glanz:
Ja, gleich der Würz' in ungesunder Speise,
Verdirbt wohl ungekostet. Meldet ihm,
Wir kommen, ihn zu sehn. Ihr sündigt nicht,
Wenn Ihr ihm sagt, er dünk' uns mehr als stolz
Und minder als gesittet: viel größer noch
In eignem Hochmut als nach echter Schätzung.
Manch Bess'rer krümmt sich hier der spröden Wildheit
In die er sich verlarvt,
[45]
Entäußert sich der heil'gen Herrschermacht
Und räumt ihm ein, nachsichtig und aus Schonung,
Den Vorrang seiner Laune: ja, bewacht
Sein kindisch Wechseln, seine Ebb' und Flut,
Als ob der Lauf und Fortgang dieses Kriegs
Mit seiner Witt'rung schiffte. Sagt ihm dies;
Sagt noch, daß, wenn er so sich überschätzt,
Wir ihn verschmähn; dann lieg' er, wie ein Rüstzeug,
Zu dem man spricht, weil's zum Gebrauch zu schwer:
»Bewegung her! – dies kann nicht in den Krieg!« –

Und daß wir vorziehn einen rühr'gen Zwerg
Dem Riesen, welcher schläft. Dies alles sagt ihm!
PATROKLUS.
Ich tu's und bring Euch Antwort unverzüglich.
Geht ab.
AGAMEMNON.
Antwort durch fremden Mund genügt uns nicht;
Er komme selbst. Geht Ihr, Ulyß, zu ihm!

Ulysses geht ab.
AJAX.
Was ist er mehr als andre?
AGAMEMNON.
Nicht mehr, als was er selbst zu sein wähnt.
AJAX.
So viel? Und glaubt Ihr nicht, daß er sich dünkt ein bess'rer Mann als ich zu sein?
AGAMEMNON.
Das ist kein Zweifel.
AJAX.
Und teilt Ihr diesen Dünkel? Bejaht Ihr's?
AGAMEMNON.
Nein, edler Ajax; Ihr seid eben so stark, so tapfer, so klug, so edel, und viel gesitteter.
AJAX.
Warum sollte ein Mensch stolz sein? Wo kommt der Stolz her? Ich weiß nicht, was Stolz ist!
AGAMEMNON.

Eu'r Gemüt ist um so reiner, Ajax, und Eure Tugenden um so leuchtender. Wer stolz ist, verzehrt sich selbst; Stolz ist sein eigner Spiegel, seine eigne Trompete, sein eigne Chronik! Und wer sich selbst preist, außer durch die Tat, vernichtet die Tat im Preise.

AJAX.
Ich hasse einen stolzen Mann, wie ich das Brüten der Kröten hasse.
NESTOR
beiseit.
Und liebst dich selber doch: ist das nicht seltsam?
Ulysses kommt zurück.
[46] ULYSSES.
Achill will morgen nicht im Feld erscheinen.
AGAMEMNON.
Womit entschuldigt er's?
ULYSSES.
Den Grund verschweigt er,
Dem Strome seiner Stimmung folgt er nach
Und weigert jedem Ehrfurcht und Gehorsam
In selbstisch eigenwilliger Verstocktheit.
AGAMEMNON.
Warum nicht kommt er, freundlich doch ersucht,
Aus seinem Zelt und teilt die Luft mit uns?
ULYSSES.
Ein Stäubchen, die Verhandlung zu erschweren,
Macht er zum Berg; er ist an Größe krank;
Ja, mit sich selbst nur redend, schnaubt sein Hochmut,
Und ihm versagt der Atem. Eigendünkel
Erregt sein Blut durch so erhitzten Schwulst,
Daß, wie des Leibs und Geistes Kräfte kämpfen,
Sein Reich des Lebens in Empörung wütet
Und den Achilles niederstürzt. Was noch?
So pestkrank ist sein Stolz, daß jede Beule
Ruft: Keine Rettung!
AGAMEMNON.
Ajax, geht zu ihm!
Mein teurer Fürst, geht Ihr hinein und grüßt ihn;
Man sagt, er schätzt Euch sehr, und kommt vielleicht
Ein wenig zu sich selbst, von Euch ermahnt.
ULYSSES.
O Agamemnon, dies geschehe nicht!
Es soll des Ajax Schritt gesegnet sein,
Der weggeht vom Achill. Soll jener Stolze,
Der seinen Trotz mit eignem Fett beträuft
Und nichts, was nur geschehn ist, je gewürdigt
Der Überlegung, – wenn's ihn selber nicht
Anregt' und traf, – soll dem gehuldigt werden
Von ihm, der unser Abgott mehr als er?
Nein, dieser dreimal würd'ge, tapfre Fürst
Soll nicht so schmähn den wohlerrungnen Lorbeer,
Noch sich mit meinem Will'n so weit erniedern –

Er, ganz so hochberühmt als selbst Achill –,
Jetzt zum Achill zu gehn.
Das hieße spicken Stolz, der schon zu feist,
Und Feu'r zutragen dem Cancer, wenn er flammt
In des Hyperion strahlendem Geleit. –
[47]
Der Fürst vor ihm erscheinen? Zeus verhüt' es
Und spreche donnernd: Geh' Achill zu diesem! –
NESTOR
beiseit.
O das ist recht; er kratzt ihn, wo's ihn juckt.
DIOMEDES
beiseit.
Und wie sein Schweigen diesen Beifall trinkt!
AJAX.
Geh' ich zu ihm, dann mit der Eisenfaust
Schlag' ich ihm ins Gesicht.
AGAMEMNON.
Ihr sollt nicht gehn.
AJAX.
Und tut er stolz, so zwiebl' ich seinen Stolz;
Laßt mich nur hin!
ULYSSES.
Nicht um den ganzen Kampfpreis unsres Kriegs!
AJAX.
Der schuft'ge, freche Bursch!
NESTOR
beiseit.
Wie er sich selber schildert!
AJAX.
Kann er nicht umgänglich sein?
ULYSSES
beiseit.
Der Rabe schilt auf die Schwärze!
AJAX.
Ich will seinen Launen zur Ader lassen!
AGAMEMNON
beiseit.
Der will der Arzt sein, der der Kranke sein sollte.
AJAX.
Dächten nur alle so wie ich –
ULYSSES
beiseit.
Dann käme Witz aus der Mode.
AJAX.
Dann ginge es ihm so nicht durch! – Er müßte erst Klingen kosten; soll's der Hochmut davon tragen?
NESTOR
beiseit.
Wenn das geschieht, fällt dir die Hälfte zu.
ULYSSES
beiseit.
Zehn Teile wären sein.
AJAX.
Ich will ihn kneten, will ihn geschmeidig ma chen, –
NESTOR.

Er ist noch nicht heiß genug: stopft ihn mit Lob; füllt nach, füllt nach, sein Hochmut ist noch trocken.

ULYSSES
zu Agamemnon.
Mein Fürst, Ihr nehmt Euch den Verdruß zu nah. –
NESTOR.
Erhabner Feldherr, tut es nicht!
DIOMEDES.
Zu dem Gefecht kommt sicher nicht Achilles.
ULYSSES.
Ihn nennen hören, muß den Mann schon kränken.
Hier ist ein Held – doch, weil er gegenwärtig, –

So schweig' ich lieber.
NESTOR.
Warum wollt Ihr das?
Er ist nicht wie Achill von Ehrgeiz krank!
ULYSSES.
Sei's kund der ganzen Welt: gleich tapfer ist er!
AJAX.
Ein niederträchtiger Hund, der uns verhöhnt!
Wär' er ein Troer! –
[48] NESTOR.
Welch ein Fleck am Ajax –
ULYSSES.
Erschien er stolz?
DIOMEDES.
Wär' er auf Ruhm erpicht?
ULYSSES.
Zanksüchtig?
DIOMEDES.
Selbstisch oder eigenwillig? –
ULYSSES.
Ihr seid, gottlob, von sanfter Art, mein Fürst;
Preis ihm, der dich gezeugt, ihr, die dich säugte!
Ruhm deinem Lehrer! Deinem Mutterwitz
Dreimal mehr Ruhm als aller Wissenschaft!
Doch wer im Fechten deinen Arm geübt,
Für den halbiere Mars die Ewigkeit
Und geb' ihm eine Hälfte! Gilt es Stärke?
Stierträger Milo weiche dir an Ehre,
Gewalt'ger Held! Von deiner Weisheit schweig' ich,
Die wie ein Hag, ein Zaun, ein Damm umgrenzt
Dein weites Denkgebiet. Hier, seht auf Nestor!
Belehrt durch Alter, muß er weise sein,
Und ist es auch: er kann ja anders nicht;
Allein verzeiht, mein Vater: wär' Eu'r Leben
So jung wie Ajax', und Eu'r Haupt wie damals,
Ihr hättet keinen Vorrang, wär't nicht mehr,
Als Ajax ist.
AJAX.
Soll ich Euch Vater nennen?
ULYSSES.
Ja, guter Sohn.
DIOMEDES.
Nehmt Rat von ihm, Fürst Ajax!
ULYSSES.
Hier gilt kein Zögern; denn der Hirsch Achill
Verläßt den Wald nicht. Unser hoher Feldherr
Berufe jetzt der Obern ganze Schar –

Hülfskönige verstärkten Troja; morgen
Muß für uns bürgen unsre höchste Kraft:
Hier steht der Mann! – Ritter von Ost und Westen,
Kommt, pflückt den Preis: Ajax besiegt den Besten.
AGAMEMNON.
Folgt mir zum Rat; ob auch Achilles schlief,
Schnell schwimmt der Kahn, das Orlogschiff geht tief.

Sie gehn ab.
[49]

Dritter Aufzug

Erste Szene
Troja.

Es treten auf Pandarus und ein Diener; man hört Musik hinter der Szene.

PANDARUS.
Freund, Ihr da, bitte Euch, nur ein Wort – folgt Ihr nicht dem jungen Herrn Paris? –
DIENER.
Ja, Herr, wenn er vor mir geht.
PANDARUS.
Ich meine, Ihr dient ihm?
DIENER.
Ich diene dem Herrn.
PANDARUS.
Dann dient Ihr einem edeln Herrn; ich kann nicht anders als ihn lobpreisen.
DIENER.
Der Herr sei gepriesen!
PANDARUS.
Ihr kennt mich, nicht wahr?
DIENER.
Ei nun, Herr, so obenhin.
PANDARUS.
Freund, lernt mich besser kennen: ich bin der Herr Pandarus.
DIENER.
Ich hoffe, Eure Herrlichkeit besser kennen zu lernen.
PANDARUS.
Das wünsche ich.
DIENER.
So seid Ihr also im Stande der Gnade?
PANDARUS.
Gnade? O nein, Freund; Hochgeboren und Gestrengen sind meine Titel. Was ist das für Musik?
DIENER.
Ich kenne sie nur zum Teil: es ist Musik mit verteilten Stimmen.
PANDARUS.
Kennt Ihr die Musikanten?
DIENER.
Ganz und gar, Herr.
PANDARUS.
Für wen spielen sie?
DIENER.
Für die Zuhörer, Herr.
PANDARUS.
Wem zu Gefallen?
DIENER.
Mir, Herr, und allen denen, die gern Musik hören.
PANDARUS.
Auf wes Geheiß trag' ich, Freund?
[50] DIENER.
Ich denke, Ihr fragt auf niemands Geheiß.
PANDARUS.

Freund, wir verstehn einander nicht. Ich bin zu höflich, und Ihr seid zu spitz. Auf wes Verlangen spielen diese Leute? –

DIENER.

Ja, nun traft Ihr's, Herr. Nun, auf das Verlangen des Prinzen Paris, meines Herrn, welcher selbst dabei ist, und mit ihm die sterbliche Venus, das Herzblatt der Schönheit, der Liebe unsichtbare Seele –

PANDARUS.
Wer? Meine Nichte Cressida?
DIENER.
Nein, Herr, Helena; konntet Ihr das nicht aus ihren Ehrentiteln erraten?
PANDARUS.

Ich sehe schon, lieber Freund, du kennst das Fräulein Cressida noch nicht. Ich komme, um mit Paris vom Prinzen Troilus zu sprechen; ich will eine freundliche Bestellung ihm eilend beibringen, denn mein Geschäft ist siedend.

DIENER.
Ein gesottnes Geschäft! Das nenn' ich eine Phrase für die Schwitzbäder.

Es treten auf Paris und Helena mit Gefolge.
PANDARUS.

Alles Schöne für Euch, mein Prinz, und für Eure schöne Umgebung! Schöne Wünsche in schönem Maß begleiten Euch schönstens! Vor allen Euch, schönste Königin! Schöne Träume seien Euer schönes Kopfkissen!

HELENA.
Werter Herr, Ihr seid voll von schönen Worten.
PANDARUS.

Ihr sprecht Euer schönstes Wohlgefallen aus, holde Königin. Schönster Prinz, hier ist vortreffliche fugierte Musik.

PARIS.

Ihr habt sie aus den Fugen gebracht, Vetter; so wahr ich lebe, Ihr sollt sie wieder herstellen: Ihr sollt ein Stück von Eurer Komposition anstücken. Er ist ein Meister in der Harmonie, Lenchen.

PANDARUS.
Ach nein, Königin!
HELENA.
Oh, mein Herr. ...
PANDARUS.
Rauh, bei den Göttern; ja, bei den Göttern, sehr rauh und unmelodisch.
PARIS.
In den Dissonanzen; gut gesagt, Vetter!
PANDARUS.

Ich habe ein Geschäft mit dem Prinzen, teure Königin. Gnädiger Herr, wollt Ihr mir ein Wort vergönnen?

[51] HELENA.
Nein, damit sollt Ihr uns das Tor nicht sperren; wir müssen Euch singen hören, ganz gewiß.
PANDARUS.

Ihr habt die Gnade, mit mir zu scherzen, süße Königin. Aber die Sache ist die, mein Prinz, ... mein gnädigster Prinz und höchstgeehrter Freund, Euer Bruder Troilus –

HELENA.
Herr Pandarus! Mein honigsüßer Pandarus –
PANDARUS.
Laßt mich, süße Königin, laßt mich;..empfiehlt sich Euch aufs inständigste –
HELENA.
Ihr sollt uns nicht aus unsrer Melodie foppen; wenn Ihr's tut, so komme unsre Melancholie über Euch!
PANDARUS.
Süße Königin! Das ist eine süße Königin! Nein, welche süße Königin!
HELENA.
Und eine süße Königin traurig machen, ist ein bittrer Frevel.
PANDARUS.

Nein, damit setzt Ihr's nicht durch, damit wahrhaftig nicht! Nein! Solche Worte machen mich nicht irre, nein! Nein! – Und, mein gnädiger Prinz, er bittet Euch, Ihr wollt seine Entschuldigung übernehmen, wenn der König bei der Abendtafel nach ihm fragt.

HELENA.
Bester Pandarus –
PANDARUS.
Was sagt die süße Königin? Die allersüßeste Königin?
PARIS.
Was hat er denn vor? Wo speist er zu Nacht?
HELENA.
Aber, bester Pandarus –
PANDARUS.
Was sagt die süße Königin? Meine Nichte würde sich mit Euch erzürnen.
HELENA.
Ihr dürft nicht fragen, wo er zu Nacht speist! –
PARIS.
Ich setze mein Leben dran, bei meiner Herzenskaiserin Cressida.
PANDARUS.
Ach nein, nichts dergleichen: nein, da irrt Ihr; Eure Herzenskaiserin ist krank.
PARIS.
Gut, ich will ihn entschuldigen.
PANDARUS.
Schön, mein teurer Prinz. Wie kommt Ihr auf Cressida? Nein, Eure arme Herzenskaiserin ist krank.
PARIS.
Ich errate.
PANDARUS.
Ihr erratet? Was erratet Ihr? Kommt, gebt mir eine Zither! Nun, süße Königin?
HELENA.
So, das ist recht artig von Euch.
[52] PANDARUS.
Meine Nichte ist erschrecklich verliebt in ein Ding, das Ihr habt, süße Königin.
HELENA.
Sie soll's haben, wenn's nicht mein Gemahl Paris ist.
PANDARUS.
Den? Nein, nach dem fragt sie nicht. Er und sie sind entzweit.
HELENA.
Heut zwieträchtig, morgen einträchtig: so könnten wohl drei draus werden.
PANDARUS.
Geht, geht, nichts mehr davon: ich will Euch nun mein Lied singen. –
HELENA.
Ja; singt es gleich! Meiner Treu, Pandarus, Ihr habt eine hübsche Stirn.
PANDARUS.
Ei, ei! –
HELENA.
Singt uns ein verliebtes Lied: die Liebe wird uns noch alle verderben. O Cupido, Cupido, Cupido!
PANDARUS.
Ein Liebeslied! Ja, wahrhaftig!
PARIS.
Ja, von Liebe; nichts als von Liebe! –
PANDARUS.
Wahrhaftig, so fängt's auch an:
O Liebe, Lieb' in jeder Stunde! –

Dein Pfeil mit Weh
Trifft Hirsch und Reh;
Doch nicht entrafft
Sie gleich der Schaft,
Er kitzelt nur die Wunde.
Verliebte schrein:
O Todespein!
Doch was so tödlich erst gedroht,
Daraus wird Jubeln und Juchhein.
Die Sterbenden sind frisch und rot;
O weh, ein Weilchen, dann ha! Ha!
O weh seufzt nur nachha! Ha! Ha!
Juchhei!
HELENA.
Verliebt, wahrhaftig, bis an die Spitze seiner Nase!
PARIS.

Er ißt nichts als Tauben, Liebste, und die brüten ihm heißes Blut, und heißes Blut erzeugt heiße Gedanken, und heiße Gedanken erzeugen heiße Werke, und heiße Werke sind Liebe.

PANDARUS.

Ist dies die Stammtafel der Liebe? Heißes Blut, [53] heiße Gedanken und heiße Werke: das heiße ich eine heiße Abstammung. – Wer ist heut im Felde, liebster Prinz?

PARIS.

Hektor, Deiphobus, Helenus, Antenor und die ganze junge Ritterschaft von Troja. Ich hätte heut auch gern die Waffen angelegt, Lenchen wollte es aber nicht zugeben. Wie kommt's, daß mein Bruder Troilus ausblieb? –

HELENA.
Er läßt den Mund um etwas hängen, – Ihr wißt schon warum, Herr Pandarus.
PANDARUS.

Ich weiß nichts, honigsüße Königin. Mich soll doch wundern, wie es ihnen heut gegangen ist. – Ihr denkt daran, Euern Bruder zu entschuldigen?

PARIS.
Aufs pünktlichste.
PANDARUS.
Lebt wohl, süße Königin!
HELENA.
Empfehlt mich Eurer Nichte!
PANDARUS.
Das werd' ich tun, süße Königin.

Er geht ab. Es wird zum Rückzug geblasen.
PARIS.
Sie kehren heim. Gehn wir in Priams Halle,
Sie zu begrüßen; und du, süßes Weib,
Hilf Hektorn sich entpanzern. Fühlt sein Harnisch
Den Zauber deiner weißen Hand, gehorcht er
Weit williger als scharfem Stahl, gezückt
Von griech'scher Kraft; und dir gelingt, was nicht
Dem Bundesheer: Held Hektorn zu entwaffnen.
HELENA.
Es soll mein Stolz sein, ihm zu dienen, Paris.
Das, was wir ihm als schuld'ge Pflicht geweiht,
Wird unsrer Schönheit Palme noch erhöhn;
Ja, überstrahlt uns selbst.
PARIS.
Du Süße! Über alles lieb' ich dich!

Sie gehn ab.
Zweite Szene
Troja. Pandars Garten.

Pandarus und Troilus' Diener treten auf.

PANDARUS.
Heda! Wo ist dein Herr? Ist er bei meiner Nichte Cressida? –
[54] DIENER.
Nein, Herr, er wartet auf Euch, daß Ihr ihn zu ihr führt.

Troilus kommt.
PANDARUS.
Oh, hier kommt er. Nun, wie geht's? Wie geht's?
TROILUS.
Du da, geh fort!

Diener ab.
PANDARUS.
Habt Ihr meine Nichte gesehn? –
TROILUS.
Nein, Pandarus. Ich wank' um ihre Tür
Gleich einer neuen Seel' am Strand des Styx,
Des Fährmanns wartend. O sei du mein Charon
Und schaff' mich schnell zu jenen sel'gen Fluren,
Wo ich mag schwelgen in dem Lilienbeet,
Bestimmt für den Beglückten! Liebster Pandar,
Von Amors Schulter nimm die bunten Schwingen,
Und fleuch mit mir zu Cressida!
PANDARUS.
Weilt hier im Garten; und ich rufe sie.

Pandarus geht ab.
TROILUS.
Mir schwindelt; rings im Kreis dreht mich Erwartung;
Die Wonn' in meiner Ahnung ist so süß,
Daß sie den Sinn verzückt. Wie wird mir sein,
Wenn nun der durst'ge Gaumen wirklich schmeckt
Der Liebe lautern Nektar? Tod, so fürcht' ich,
Vernichtung, Ohnmacht, oder Lust zu fein,
Zu tief eindringend, zu entzückend süß
Für meiner gröbern Sinn' Empfänglichkeit:
Dies furcht' ich sehr, und fürchte außerdem,
Daß im Genuß mir Unterscheidung schwindet,
Wie in der Schlacht, wenn Scharen wild sich drängend
Den flieh'nden Feind bestürmen.

Pandarus kommt zurück.
PANDARUS.

Sie macht sich fertig: gleich wird sie hier sein; nun seid gescheut! Sie errötet und holt so kurz Atem, als wäre sie von einem Gespenst erschreckt. Ich will sie holen. Es ist die niedlichste Spitzbübin: sie atmet so kurz wie ein eben gefangner Sperling. Geht ab.

[55] TROILUS.
Die gleiche Angst umspannt auch meine Brust;
Mein Herz schlägt rascher als ein Fieberpuls,
Und alle Kräfte stocken regungslos,
Vasallen gleich, die unversehns begegnen
Dem Aug' der Majestät.

Pandarus kommt mit Cressida zurück.
PANDARUS.

Komm, komm; wozu dies Erröten? Scham ist nur ein einfältiges Kind. – Hier ist sie nun; schwört Ihr nun die Eide, die Ihr mir geschworen habt. – Was, willst du schon wieder entfliehen? Muß man dich erst durch Wachen zähmen, sag? Komm doch heran; komm heran! Wenn du zurückgehst, stellen wir dich vorn in die Reihen. – Warum sprecht Ihr nicht mit ihr? Nun, zieh doch diesen Vorhang weg, und laß dein Gemälde betrachten! Liebe Zeit! Wie sie sich fürchtet, dem Tageslicht ein Ärgernis zu geben! Wenn es dunkel wäre, ihr würdet einander schon näher kommen. So, so; jetzt bietet Schach, und Ihr nehmt die Dame. Seht, dieser Kuß war das Handgeld – hier baue, Zimmermann; hier ist die Luft lieblich. Ja, wahrhaftig, ihr sollt alle Karten ausgespielt haben, ehe ich euch von einander lasse – nur zu! Nur zu!

TROILUS.
Ihr habt mich aller Worte beraubt, Liebste! –
PANDARUS.

Worte zahlen keine Schulden; gebt ihr Taten; aber sie wird Euch auch um die Taten bringen, wenn sie Eure Tätigkeit in Anspruch nimmt. – Was, wieder geschnäbelt? Hier heißt's, »zur Bekräftigung dessen von beiden Parteien wechselseitig« – Kommt hinein, kommt hinein, ich will ein Feuer machen lassen. Pandarus geht ab.

CRESSIDA.
Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?
TROILUS.
O Cressida, wie oft habe ich mich so gewünscht!
CRESSIDA.
Gewünscht, mein Prinz? Die Götter gewähren – o mein Prinz! –
TROILUS.

Was sollen sie gewähren? Was verursacht dies liebliche Abbrechen? Was für tiefverborgne Trübung erspäht mein süßes Mädchen in dem klaren Brunnen unsrer Liebe?

CRESSIDA.
Mehr Trübung als Wasser, wenn meine Furcht Augen hat.
[56] TROILUS.
Die Furcht macht Teufel aus Engeln; sie sieht nie richtig.
CRESSIDA.

Blinde Furcht, von sehender Vernunft geführt, geht sichrer zum Ziel als blinde Vernunft, die ohne Furcht strauchelt. Das Schlimmste fürchten, heilt oft das Schlimmste.

TROILUS.
Was könnte meine Geliebte fürchten? In Cupidos Maskenzug wird nie ein Ungeheuer aufgeführt.
CRESSIDA.
Auch nie etwas Ungeheures?
TROILUS.

Nichts als unsre Unternehmungen: wenn wir geloben, Meere zu weinen, in Flammen zu leben, Felsen zu verschlingen, Tiger zu zähmen; weil wir wähnen, es sei der Dame unsres Herzens schwerer, genug Prüfungen zu ersinnen, als für uns irgend etwas Unmögliches zu bestehn. Das ist das Ungeheure in der Liebe, meine Teure, – daß der Wille unendlich ist, und die Ausführung beschränkt; daß das Verlangen grenzenlos ist, und die Tat ein Sklav' der Beschränkung.

CRESSIDA.

Man sagt, jeder Liebhaber schwöre, mehr zu vollbringen, als ihm möglich ist, und behalte dennoch Kräfte, die er nie in Anwendung bringt; er gelobe, mehr als zehn auszuführen, und bringe kaum den zehnten Teil von dem, was einer vermöchte, zustande. Wer die Stimme eines Löwen und das Tun eines Hasen hat, ist der nicht ein Ungeheuer?

TROILUS.

Gibt es solche? Wir sind nicht von dieser Art. Lobt uns nach bestandener Prüfung, und schätzt uns nach Taten; unser Haupt müsse unbedeckt bleiben, bis Ruhm es krönt. Keine Vollkommenheit, die noch erst erreicht werden soll, werde in der Gegenwart gepriesen; wir wollen das Verdienst nicht vor seiner Geburt taufen, und ist es geboren, so soll seine Bezeichnung demütig sein: Wenig Worte und feste Treue! Troilus wird für Cressida ein solcher sein, daß, was Bosheit ihm Schlimmstes nachsagen mag, ein Spott über seine Treue sei; und was Wahrheit am wahrsten sprechen kann, nicht wahrer als Troilus.

CRESSIDA.
Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?

Pandarus kommt zurück.
[57] PANDARUS.
Wie? Noch immer errötend? Seid Ihr noch nicht mit Schwätzen fertig?
CRESSIDA.
Nun, Oheim, was ich Törichtes beginne, sei Euch zugeeignet.
PANDARUS.

Ich danke schönstens. Wenn der Prinz von dir einen Buben bekommt, so soll er mir gehören. Sei dem Prinzen treu; wenn er wankelmütig wird, so halte dich an mich.

TROILUS.
Ihr kennt nun Eure Bürgen: Eures Oheims Wort und meine feste Treue.
PANDARUS.

Nun, ich will auch für sie gut sagen. Die Mädchen aus unsrer Verwandtschaft wollen lange gebeten sein; aber, einmal gewonnen, sind sie standhaft: rechte Kletten, sag' ich Euch, sie bleiben haften, wo man sie hinwirft.

CRESSIDA.
Kühnheit kommt nun zu mir und macht mir Mut:
Prinz Troilus! Euch liebt' ich Tag und Nacht,
Seit manchem langen Mond.
TROILUS.
Wie warst du mir so schwer denn zu gewinnen?
CRESSIDA.
Schwer nur zum Schein; doch war ich schon gewonnen
Vom ersten Blick, der jemals, – o verzeiht!
Sag' ich zu viel, so spielt Ihr den Tyrannen.
Ich lieb' Euch nun; doch nicht bis jetzt so viel,
Daß ich's nicht zähmen kann – doch nein, ich lüge:
Mein Sehnen war wie ein verzognes Kind
Der Mutter Zucht entwachsen. Oh, wir Ärmsten!
Was plaudr' ich da? Wer bleibt uns wohl getreu,
Wenn wir uns selbst so unverschwiegen sind?
So sehr ich liebte, warb ich nicht um Euch,
Und doch fürwahr wünscht' ich ein Mann zu sein,
Oder daß wir der Männer Vorrecht hätten,
Zuerst zu sprechen. Liebster, heiß' mich still sein!
Sonst im Entzücken red' ich ganz gewiß,
Was mich dereinst gereut. O sieh, dein Schweigen,
So schlau verstummend, lockt aus meiner Schwachheit
Die innersten Gedanken: schließ' den Mund mir!
TROILUS.
Gern! Tönt er auch die süßeste Musik.

Er küßt sie.
PANDARUS.
Recht artig! Meiner Treu!
[58] CRESSIDA.
Mein Prinz, ich bitt' Euch sehr, entschuldigt mich;
Nicht wollt' ich so mir einen Kuß erbetteln.
Ich bin beschämt, – o Himmel! Was begann ich?
Für diesmal muß ich Abschied nehmen, Prinz.
TROILUS.
Abschied, mein süßes Mädchen?
PANDARUS.
Abschied? Nun ja, ihr mögt bis morgen früh Abschied nehmen –
CRESSIDA.
Laßt's nun genug sein –
TROILUS.
Was erzürnt dich, Liebste?
CRESSIDA.
Mein eignes Hiersein, Prinz.
TROILUS.
Ihr könnt Euch selbst
Doch nicht entfliehn?
CRESSIDA.
Laßt mich, daß ich's versuche.
Zwar, eine Art von meinem Selbst bleibt hier,
Doch ein Unart'ges, das sich selbst verläßt,
Als deine Törin. Oh, wo blieb mein Sinn?
Ich möchte gehn, – ich sprech', ich weiß nicht was.
TROILUS.
Wer so verständig spricht, weiß, was er spricht.
CRESSIDA.
Vielleicht, mein Prinz, zeig' ich mehr List als Liebe
Und sprach so dreist ein frei Geständnis aus,
Mir Euer Herz zu fahn. Doch Ihr seid weise,
Oder liebt nicht; denn weise sein und lieben
Vermag kein Mensch; nur Götter können's üben.
TROILUS.
Oh, daß ich glaubt', es könne je ein Weib
(Und wenn sie's kann, glaub' ich's zuerst von Euch)
Für ewig nähren Liebesflamm' und Glut,
In Kraft und Jugend ihre Treu' bewahren,
Die Schönheit überdauernd durch ein Herz,
Das frisch erblüht, ob auch das Blut uns altert!
Daß nur die Überzeugung mir erstarkte,
Ihr könntet meine Treu' und Innigkeit
Erwidern mit dem gleichgefüllten Maß
Der reinen, ungetrübten Herzensneigung:
Wie würde mich's erheben! Aber, ach!
Ich bin so wahrhaft, wie der Wahrheit Einfalt,
So einfach, wie die Wahrheit spricht im Kinde.
CRESSIDA.
Den Wettkampf nehm' ich an.
[59] TROILUS.
O hold Gefecht,
Wenn Recht um Sieg und Vorrang ficht mit Recht!
Treuliebende in Zukunft werden schwören
Und ihre Treu' mit Troilus versiegeln:
Und wenn dem Vers voll Schwür' und schwülst'gen Bildern
Ein Gleichnis fehlt, der oft gebrauchten müde,
Als – treu wie Stahl, wie Sonnenschein dem Tag,
Pflanzen dem Mond, das Täubchen seinem Täuber,
Dem Zentrum Erde, Eisen dem Magnet,
Dann, nach so viel Vergleichungen der Treu',
Wird als der Treue höchstes Musterbild
»So treu wie Troilus« den Vers noch krönen
Und weihn das Lied.
CRESSIDA.
Prophetisch sei dies Wort!
Werd' ich dir falsch, untreu nur um ein Haar, –

Wenn Zeit gealtert und sich selbst vergaß,
Wenn Regen Trojas Mauern aufgelöst,
Blindes Vergessen Städte eingeschlungen,
Und mächt'ge Reiche spurlos sind zermalmt
Ins staub'ge Nichts: – auch dann noch mög' Erinn'rung,
Spricht man von falschen, ungetreuen Mädchen,
Schmähn meine Falschheit: sagten sie, so falsch
Wie Luft, wie Wasser, Wind und lockrer Sand,
Wie Fuchs dem Lamm, wie Wolf dem jungen Kalbe,
Panther dem Reh, Stiefmutter ihrem Sohn,
Ja, schließ' es dann und treff' ins Herz der Falschheit:
»So falsch wie Cressida!«
PANDARUS.

Wohlan, der Handel ist geschlossen; das Siegel drauf, das Siegel drauf, ich will Zeuge sein. Hier fass' ich Eure Hand, hier die meiner Nichte; wenn ihr je einander untreu werdet, die ich mit so viel Mühe zusammengebracht habe, so mögen alle armen Liebesvermittler bis an der Welt Ende nach meinem Namen Pandarus heißen; alle unbeständigen Liebhaber soll man Troilus nennen, alle falschen Mädchen Cressida, und alle Zwischenträger Pandarus. Sagt Amen!

TROILUS.
Amen!
CRESSIDA.
Amen!
[60] PANDARUS.

Amen! Und somit will ich euch eine Kammer und ein Bett nachweisen: und damit das Bett euer artiges Liebeständeln nicht ausschwatze, drückt es tot! Nun fort! – Und Amor gönn' auch hier allen schweigsamen Kindern 'nen Pandar, Bett und Kammer, um ihre Not zu lindern.


Sie gehn ab.
Dritte Szene
Das griechische Lager.

Es treten auf Agamemnon, Ulysses, Diomedes, Nestor, Ajax, Menelaus und Kalchas.

KALCHAS.
Nun, Fürsten, für den Dienst, den ich getan,
Ermahnt der Zeit Gelegenheit mich laut,
Zu fodern Lohn. Erinnert euch, wie ich,
Vorahnend das Geschick, dem Liebesgott
Mein Eigentum und Troja überließ,
Schmach des Verräters trug, und eingetauscht
Für wohlerworbnen ruhigen Besitz
Unsichre Zukunft, losgesagt von allen,
Die Zeit, Bekanntschaft, Umgang und Gewöhnung
Zu Freunden und Vertrauten mir gemacht;
Und hier, um euch zu dienen, bin geworden
Ein Neuling in der Welt, fremd, unbekannt.
Deshalb ersuch' ich euch, als Vorgeschmack
Mir jetzt ein kleines Gunstgeschenk zu geben
Aus jenen vielen mir von euch verheiß'nen,
Die ihr mir zugedacht nach Euerm Wort.
AGAMEMNON.
Was willst du von uns, Troer? Fodre denn!
KALCHAS.
Ihr machtet einen Troer zum Gefangnen,
Antenor, gestern; Troja schätzt ihn sehr.
Oft habt ihr – und ich dankt' euch oft dafür –

Mir meine Cressida auswechseln wollen,
Die Troja stets verweigert. Doch Antenor
Ist, weiß ich, solche Triebkraft ihres Tuns,
Daß ihre Volksberatung, fehlt sein Wirken,
Erschlaffen muß; und diesen einzutauschen
[61]
Gäben sie wohl 'nen Prinzen von Geblüt,
Ja, einen Sohn des Priam. Den entlaßt
Als Preis für meine Tochter; deren Freiheit
Zahlt alle Dienste, die ich euch erwies,
In hocherkannter Müh'.
AGAMEMNON.
Geleit' ihn, Diomed,
Und bring' uns Cressida: gewährt sei Kalchas,
Was er von uns gewünscht. Ihr, Diomed,
Rüstet Euch stattlich aus zu diesem Tausch:
Zugleich erforscht, ob Hektor seines Aufrufs
Erwid'rung morgen wünscht; Ajax ist fertig.
DIOMEDES.
Dies übernehm' ich gern, als eine Bürde,
Die ich zu tragen stolz bin.

Diomedes und Kalchas gehn ab.

Achilles und Patroklus treten aus ihrem Zelt.
ULYSSES.
Achilles steht am Eingang seines Zelts; –

Wollt nun, mein Feldherr, fremd vorübergehn,
Als wär' er ganz vergessen; und, ihr Fürsten,
Nachlässig nur und achtlos blickt ihn an.
Ich folg' euch nach; gewiß dann fragt er mich,
Warum so seitab kalt man auf ihn sah.
Dann, als Medikament, soll Ironie
Behandeln seinen Stolz und euer Fremdtun,
Die er freiwillig gern verschlucken wird.
Das mag wohl helfen: Stolz hat keinen Spiegel,
Sich selbst zu schaun, als Stolz: des Knies Verehrung
Mästet den Hochmut, wird des Stolzen Zehrung.
AGAMEMNON.
Wir tun nach Euerm Rat und woll'n uns fremd
Gebärden, wie wir ihm vorübergehn.
So tue jeder Lord und grüß' ihn gar nicht,
Oder verächtlich: das verdrießt ihn mehr,
Als säh' ihn keiner an. Ich geh' voraus.
ACHILLES.
Wie? Kommt der Feldherr zum Gespräch mit mir?
Ihr wißt's, ich fechte gegen Troja nicht! –
AGAMEMNON.
Was sagt Achill? Begehrt er was von uns?
NESTOR.
Wollt Ihr, mein Fürst, etwas vom Feldherrn?
[62] ACHILLES.
Nein!
NESTOR.
Nichts, Feldherr!
AGAMEMNON.
Um so besser!
ACHILLES.
Guten Tag! Guten Tag!
MENELAUS.
Wie geht's? Wie geht's?
ACHILLES.
Was, spottet mein der Hahnrei?
AJAX.
Wie steht's, Patroklus?
ACHILLES.
Guten Morgen, Ajax!
AJAX.
He?
ACHILLES.
Guten Morgen!
AJAX.
Ja, und guten Tag dazu! –

Sie gehn vorüber.
ACHILLES.
Was heißt das? Kennt das Volk Achilles nicht?
PATROKLUS.
Sie tun ganz fremd! Sonst bückten sie sich tief
Und sandten dir entgegen schon ihr Lächeln,
Demütig nah'nd, als wenn zur Tempelweihe
Sie schlichen!
ACHILLES.
Ha! Bin ich verarmt seit gestern?
Zwar, Größe, wenn sie mit dem Glück zerfällt,
Zerfällt mit Menschen auch. Der Hingestürzte
Liest sein Geschick so schnell im Blick der Menge,
Als er den Fall gefühlt. Die Menschen zeigen,
Wie Schmetterlinge, die bestäubten Schwingen
Dem Sommer nur, und keinen Menschen gibt's,
Der, weil er Mensch ist, irgend Ehre hat –

Er hat nur Ehre, jener Ehre halb,
Die Zutat ist, als Reichtum, Rang und Gunst
Des Zufalls Lohn so oft, wie des Verdienstes –:
Wenn diese fallen, die nur schlüpfrig sind,
Muß Lieb', an sie gelehnt und schlüpfrig auch,
Eins mit dem andern niederziehn, und alle
Im Sturze sterben. Nicht so ist's mit mir;
Das Glück und ich sind Freunde; noch genieß' ich
In vollem Umfang, was ich sonst besaß,
Bis auf die Blicke jener, die, so scheint mir's,
An mir gefunden, was so reichen Ansehns
Wie sonst nicht würdig ist. Da kommt Ulyß –
[63]
Ich will sein Lesen unterbrechen –:
Wie nun, Ulyß?
ULYSSES.
Nun, großer Thetis-Sohn?
ACHILLES.
Was lest Ihr da?
ULYSSES.
Nun, ein seltsamer Geist
Schreibt hier: »Ein Mann, wie trefflich ausgestattet,
Wie reich begabt an äußerm Gut und innerm,
Rühmt sich umsonst zu haben, was er hat,
Noch fühlt er's sein, als nur im Widerstrahl –

Als müßte erst sein Wert auf andre scheinen
Und dann das Feuer, das er jenen lieh,
Dem Geber wiederkehren.«
ACHILLES.
Das ist nicht seltsam!
Die Schönheit, die uns hier im Antlitz blüht,
Kennt nicht der Eigner: fremdem Auge nur
Empfiehlt sie sich. Auch selbst das Auge nicht,
Das geistigste der Sinne, schaut sich selbst
Für sich allein; nur Auge gegen Auge
Begrüßen sich mit wechselseit'gem Glanz.
Denn Sehkraft kehrt nicht zu sich selbst zurück,
Bis sie gewandert und sich dort vermählt,
Wo sie sich sieht. Das ist durchaus nicht seltsam!
ULYSSES.
Der Satz an sich ist mir nicht aufgefallen:
Er ist nicht neu; die Folg'rung nur des Autors,
Der, wie er ihn erörtert, dartun will,
Niemand sei Herr von irgendeinem Ding
(Obgleich in ihm und für sich selbst bestehend),
Bis er's als Gabe andern mitgeteilt:
Noch hab' er selbst Begriff von ihrem Wert,
Eh' er sie abgeformt im Beifall sieht,
Der sie auffaßt und, einer Wölbung gleich,
Rückwirft die Stimme; oder wie ein Tor
Von Stahl die Sonn' empfängt und wiedergibt
Ihr Bild und ihre Glut. – Ich war vertieft
In dem Gedanken: alsbald fiel mir ein
Ajax, so unbeachtet.
O Himmel, welch ein Mann! Ein wahres Pferd,
Das hat, es weiß nicht was. Natur, wie manches
[64]
Wird schlecht geschätzt und ist, genutzt, so teuer!
Wie steht ein andres in erhabnem Ansehn,
Das arm an Wert ist! Morgen sehn wir nun
Durch Tat, die ihm das Los nur zugeworfen,
Ajax berühmt. Himmel, was mancher tut,
Indessen andre alles Tun verschmähn!
Wie der zum Saal der launigen Fortuna kriecht,
Wenn der vor ihren Augen müßig spielt den Narr'n!
Wie der sich in den Ruhm einschwelgt des andern,
Wenn jener macht den Müßiggang zum Schmaus! –

Seht unsre Griechenfürsten! Wie sie schon
Dem Tölpel Ajax auf die Schultern klopfen,
Als stemmt' er seinen Fuß auf Hektors Brust
Und Troja zitterte!
ACHILLES.
Ich glaub' es wohl; sie gingen mir vorüber,
Wie Geiz'ge Bettlern, gönnten mir auch nicht
Wort oder Blick. So ward ich schon vergessen?
ULYSSES.
Die Zeit trägt einen Ranzen auf dem Rücken,
Worin sie Brocken wirft für das Vergessen,
Dies große Scheusal von Undankbarkeit.
Die Krumen sind vergangne Großtat, aufgezehrt
So schleunig als vollbracht, so bald vergessen
Als ausgeführt. Beharrlichkeit, mein Fürst,
Hält Her' im Glanz; was man getan hat, hängt
Ganz aus der Mode, wie ein rost'ger Harnisch,
Als armes Monument, dem Spott verfallen.
Verfolge ja den Pfad, der vor dir liegt;
Denn Ehre wandelt in so engem Hohlweg,
Daß einer Platz nur hat: drum bleib' im Gleise!
Denn tausend Söhne hat die Ruhmbegier,
Und einer drängt den andern; gibst du Raum,
Lenkst du zur Seit' und weichst vom gradsten Weg,
Gleich eingetretner Flut stürzt alles vor
Und läßt dich weit zurück –

Oder du fällst, ein edles Roß, im Vorkampf
Und liegst als Damm für den verworfnen Troß,
Zerstampft und überrannt. Was diese jetzt tun,
Wird Größres, das du tatest, überragen:
[65]
Denn Zeit ist wie ein Wirt nach heut'ger Mode,
Der laudem Gast die Hand drückt, wenn er scheidet,
Doch ausgestreckten Arms, als wollt' er fliegen,
Umschlingt den, welcher eintritt.
Stets lächelt Willkomm', Lebewohl geht seufzend.
Nie hoffe Wert für das, was war, den Lohn;
Denn Schönheit, Witz,
Geburt, Verdienst im Kriege, Kraft der Sehnen,
Geist, Freundschaft, Wohltat, alle sind sie Knechte
Der neidischen, verleumdungssücht'gen Zeit.
Natur macht hierin alle Menschen gleich;
Einstimmig preist man neugebornen Tand,
Ward er auch aus vergangnem nur geformt,
Und schätzt den Staub, ein wenig übergoldet,
Weit mehr als Gold, ein wenig überstäubt.
Die Gegenwart rühmt Gegenwärt'ges nur;
Drum staune nicht, o hochberühmter Held,
Daß alle Griechen jetzt auf Ajax schaun:
Denn die Bewegung fesselt mehr den Blick
Als Ruhendes. Sonst jauchzte alles dir;
Und tät' es noch, und würd' es wieder tun,
Wenn du dich lebend selber nicht begrübst
Und deinen Ruhm einhegtest in dein Zelt –

Du, dessen glorreich Tun noch jüngst im Kampf
Neid und Parteiung selbst den Göttern schuf
Und Mars zum Einschritt rief.
ACHILLES.
Für mein Entziehn
War starker Grund.
ULYSSES.
Doch wider dein Entziehn
Sind heldenhafter noch die Gründ' und mächt'ger.
Es ist bekannt, Achill, Ihr seid verliebt
In eine Tochter Priams.
ACHILLES.
Ha! Bekannt?
ULYSSES.
Ist das ein Wunder?
Die Weisheit einer klug wachsamen Staatskunst
Kennt jedes Korn beinah' von Plutos' Gold,
Ergründet unerforschte Tiefen; sitzt
Zu Rat mit dem Gedanken; ja, wie Götter fast
[66]
Schaut sie in seiner stummen Wieg' ihn schleierlos.
Ein tief Geheimnis wohnt (dem die Geschichte
Stets fremd geblieben) in des Staates Seele,
Des Wirksamkeit so göttlicher Natur,
Daß Sprache nicht noch Feder sie kann deuten.
All der Verkehr, den Ihr mit Troja pflogt,
Ist unser so vollkommen, Fürst, wie Euer,
Und besser ziemte wohl sich's für Achill,
Hektorn bezwingen, als Polyxena.
Denn zürnen muß daheim der junge Pyrrhus,
Wenn durch die Inseln Famas Tuba schallt
Und unsre griech'schen Mädchen hüpfend singen:
»Des Hektor Schwester konnt' Achill besiegen,
Doch Hektor selbst mußt' Ajax unterliegen.«
Lebt wohl, ich sprach als Freund. Der Tor kann gleiten
Nun übers Eis, weil Ihr's nicht bracht bei Zeiten.

Ulysses geht ab.
PATROKLUS.
Wie oft ermahnt' ich Euch zu gleichem Zweck –,
Ein Weib, das unverschämt und männlich ward,
Ist nicht so widrig als ein weib'scher Mann,
Wenn's Taten gilt. Ich werde drum gescholten!
Man glaubt, mein schwacher Eifer für den Krieg
Und Eure Gunst zu mir lähmt Euern Arm:
Drum, Liebster, auf! Des zarten Weichlings Amor
Lieblich Umarmen streift von Euerm Nacken,
Und wie Tautropfen von des Löwen Mähne
Sei er zu luft'gem Nichts zerschüttelt.
ACHILLES.
Soll
Ajax mit Hektorn kämpfen?
PATROKLUS.
Ja, und vielleicht viel Her' an ihm gewinnen.
ACHILLES.
Ich seh' es wohl, mein Ruhm steht auf dem Spiel;
Mein Ruf ist schwer verwundet.
PATROKLUS.
Oh, dann wahrt Euch!
Denn selbstgeschlagne Wunden heilen schwer!
In Ohnmacht unterlassen das Notwend'ge,
Heißt eine Vollmacht zeichnen der Gefahr:
[67]
Und heimlich, faßt Gefahr uns wie ein Fieber,
Selbst wenn wir müßig in der Sonne sitzen.
ACHILLES.
Geh, ruf' mir den Thersites, holder Freund;
Den Narr'n send' ich zum Ajax und ersuch' ihn,
Die Troerfürsten zu mir einzuladen,
Uns friedlich nach dem Kampfe hier zu sehn.
Mich treibt ein kranker Wunsch, ein Frau'ngelüst,
Im Hauskleid hier zu sehn den großen Hektor,
Mit ihm zu reden, sein Gesicht zu schaun
Nach Herzenslust. Da sieh, ersparte Müh'! –

Thersites tritt auf.
THERSITES.
Ein Wunder!
ACHILLES.
Was?
THERSITES.
Ajax geht das Feld auf und ab und sucht nach sich selbst.
ACHILLES.
Wieso?
THERSITES.

Morgen soll er einen Zweikampf mit Hektor bestehn und ist so prophetisch stolz auf ein heroenmäßiges Abprügeln, daß er, ohne ein Wort zu reden, rast.

ACHILLES.
Wie das?
THERSITES.

Ei nun, er stolziert auf und ab wie ein Pfau; ein Schritt und dann ein Halt; murmelt, wie eine Wirtin, die keine Rechentafel hat als ihren Kopf, um die Zeche richtig zu machen; beißt sich in die Lippe mit einem staatsklugen Blick, als wollt' er sagen: in diesem Haupt wäre Witz, wenn er nur heraus könnte; und es ist auch vielleicht welcher da, aber er liegt so kalt in ihm, wie Feuer im Kiesel, das nicht zum Vorschein kommt, eh' er geschlagen wird. Der Mann ist auf ewig geliefert, denn wenn ihm Hektor nicht im Kampf den Hals bricht, so bricht er ihn sich selbst durch seinen Dünkel. Mich kennt er nicht mehr: ich sagte ihm: »Guten Morgen, Ajax!« Und er antwortete: »Großen Dank, Agamemnon!« Was meint Ihr von einem Menschen, der mich für den Feldherrn ansieht? Er ist ein wahrer Landfisch geworden, sprachlos, ein Ungeheuer. Hol' der Henker die öffentliche Meinung! – Es kann sie einer auf beiden Seiten tragen, wie ein ledernes Wams.

[68] ACHILLES.
Du sollst mein Gesandter an ihn sein, Thersites.
THERSITES.

Wer, ich? Ei, er gibt niemand Antwort: Antworten sind seine Sache nicht; reden schickt sich für Bettler: er trägt die Zunge im Arm. Ich will ihn Euch vorstellen; laßt nun Patroklus Fragen an mich richten. Ihr sollt ein Schauspiel vom Ajax sehn.

ACHILLES.

Red' ihn an, Patroklus. Sag ihm, ich lasse den tapfern Ajax in Demut ersuchen, er wolle den großmütigen Hektor einladen, unbewaffnet in meinem Zelt zu erscheinen, und ihm ein sichres Geleit verschaffen bei dem höchst mannhaften und durchlauchtigen, sechs- oder siebenmal preiswürdigen Feldhauptmann des Griechenheers, Agamemnon: – nun, fang' an!

PATROKLUS.
Heil dem großen Ajax!
THERSITES.
Hum!
PATROKLUS.
Ich komme von dem edeln Achilles –
THERSITES.
Ha!
PATROKLUS.
Der Euch in aller Demut ersucht, Hektorn in sein Zelt einzuladen –
THERSITES.
Hum!
PATROKLUS.
– und ihm sichres Geleit von Agamemnon zu verschaffen –
THERSITES.
Agamemnon?
PATROKLUS.
Ja, mein Fürst.
THERSITES.
Ha! –
PATROKLUS.
Was meint Ihr dazu?
THERSITES.
Gott sei mit Euch! Ganz der Eurige.
PATROKLUS.
Eure Antwort, Herr!
THERSITES.

Wenn's morgen ein schöner Tag ist, – um elf Uhr, – da wird sich's finden auf eine oder die andre Art; aber wie's auch wird, er soll für mich zahlen, ehe er mich bekommt.

PATROKLUS.
Eine Antwort, Herr!
THERSITES.
Lebt wohl! Ganz der Eurige.
ACHILLES.
Und ist er wirklich in solcher Stimmung? Sag!
THERSITES.

Nein, in eben solcher Verstimmung. Wie viel Musik in ihm nachbleibt, wenn Hektor ihm den Schädel eingeschlagen hat, das weiß ich nicht, aber ich denke gar keine: [69] Fiedler Apollo müßte denn seine Sehnen nehmen und sich Darmsaiten daraus machen.

ACHILLES.
Komm, du sollst ihm jetzt diesen Brief bringen.
THERSITES.
Gebt mir noch einen für sein Pferd, denn das ist doch von beiden die klügste Bestie.
ACHILLES.
Mein Geist ist trüb, wie ein gestörter Quell,
Ich selber kann ihm auf den Grund nicht schaun.

Achilles und Patroklus gehn ab.
THERSITES.

Ich wollte, der Born Eures Geistes wäre wieder klar, daß ich einen Esel daraus tränken könnte. Wär' ich doch lieber eine Laus in Schafwolle, als solche tapfre Dummheit! Er geht ab.

[70]

Vierter Aufzug

Erste Szene
Troja. Eine Straße.

Es treten auf Äneas und ein Diener mit einer Fackel, von der einen Seite; von der andern Paris, Antenor, Deiphobus und Diomedes nebst Gefolge und Fackeln.

PARIS.
Heda, wer kommt hier?
DEIPHOBUS.
Fürst Äneas, Herr.
ÄNEAS.
Wie, Paris, seid Ihr's wirklich?
Hätt' ich so schönen Anlaß, lang' zu schlafen,
Als Ihr, mein Prinz, – nur heil'ge Pflichten hielten
Von meiner Bettgenossin mich entfernt.
DIOMEDES.
So denk' ich auch. Guten Morgen, Fürst Äneas!
PARIS.
Ein tapfrer Griech', Äneas; reicht die Hand ihm;
Erinnert Euch, wie oft Ihr uns erzählt,
Daß Diomed Euch eine ganze Woche
Täglich im Kampf gesucht.
ÄNEAS.
Ich biet' Euch Gruß,
Solang' der Stillstand währt und Waffenruh';
Doch treff' ich Euch im Feld, so finstern Trotz,
Wie nur das Herz ihn denkt, ausführt der Mut! –
DIOMEDES.
Freundschaft wie Kampf erwidert Diomed;
Nun wallt das Blut uns kühl, drum Gruß und Heil!
Doch trifft Gelegenheit und Schlacht zusammen,
Beim Zeus, dann mach' ich auf dein Leben Jagd
Mit aller Kraft, Verschlagenheit und List.
ÄNEAS.
Und jagen sollst du einen Leu'n, der flieht
Mit rückgewandtem Haupt. Jetzt sei gegrüßt
In Freundlichkeit: ja, bei Anchises' Leben,
Herzlich willkommen! Bei Venus' Hand beteur' ich,
[71]
Kein Mann auf Erden kann in solcher Weise
Den Feind mehr lieben, den er wünscht zu töten! –
DIOMEDES.
Wir fühlen gleich. Zeus, laß Äneas leben,
Wenn meinem Schwert sein Tod nicht Ruhm erkauft,
Bis tausend Sonnenläufe sich erfüllen –

Doch mir zu Preis und Ehre laß ihn sterben,
Verwundet jedes Glied, und morgen schon! –
ÄNEAS.
Wir kennen uns einander gut.
DIOMEDES.
Und wünschen auch im Bösen uns zu kennen.
PARIS.
Das ist so schmähend trotz'ger Feindesgruß,
So edler Liebeshaß, als je geboten. –

Warum so früh geschäftig, edler Fürst?
ÄNEAS.
Der König
Hat mich verlangt, doch weiß ich nicht, warum.
PARIS.
Ich kann's Euch melden. Diesen Griechen führt
In Kalchas' Haus: dort für Antenors Freiheit
Sollt Ihr die schöne Cressida erstatten.
Laßt uns zusammen gehn; sonst, wenn Ihr wollt,
Eilt jetzt vor uns zu ihm. Ich glaube sicher –

Vielmehr, mein Glaub' ist ein bestimmtes Wissen –

Dort weilt mein Bruder Troilus zu Nacht.
Weckt ihn und meldet ihm, daß wir uns nahn,
Und Kunde gebt, weshalb; ich fürchte sehr,
Wir sind ihm nicht willkommen.
ÄNEAS.
Sicher nicht! –

Eh' wünscht erTroja hin nach Griechenland,
Als Cressida aus Troja.
PARIS.
Wer kann's ändern!
Der Zeit gebiet'rische Notwendigkeit
Verlangt es so: geht, Fürst, wir folgen Euch.
ÄNEAS.
Guten Morgen allerseits!

Er geht ab.
PARIS.
Nun sagt mir, edler Diomed, sagt frei,
Im echten Geist aufricht'ger Brüderschaft –

Wer würd'ger sei der schönen Helena,
Ich oder Menelaus?
DIOMEDES.
Beide gleich! –

Wert ist er, sie zu haben, der sie sucht,
Für gar nichts achtend ihrer Ehre Fleck,
[72]
Mit solcher Welt von Qual und Höllenpein; –

Du wert, sie zu behalten, der sie schützt
(Mit stumpfem Gaum nicht ihre Schande schmeckend),
Mit solchem teuern Preis von Gut und Blut.
Er, ein schwachmüt'ger Hahnrei, tränke willig
Die Neig' und Hefe abgestandnen Weins;
Dich Lüderlichen freut's, aus Hurenleib
Dir deine künft'gen Erben zu erzeugen:
Drum wiegt ihr gleich, wie man die Pfunde setze,
Hat einer mehr Gewicht, ist's um 'ne Metze.
PARIS.
Zu herbe seid Ihr Eurer Landsmännin.
DIOMEDES.
Herb ist sie ihrem Lande. Hört mich, Paris:
Für jeden Tropfen ihres schnöden Bluts
Zahlt eines Griechen Leben; jeder Skrupel
Des pesterfüllten, buhlerischen Leibes
Erschlug 'nen Troer. Seit sie stammeln konnte,
Sprach sie der guten Worte nicht so viel,
Als griechisch Volk und troisch für sie fiel.
PARIS.
Freund Diomed, Ihr macht's wie kluge Käufer
Und schmäht das Gut, das Ihr zu markten wünscht; –

Doch wir sind Euch voraus und schweigen still;
Man rühmt nicht, was man nicht verkaufen will.
Hier geht der Weg. –

Sie gehn ab.
Zweite Szene
Garten.

Troilus und Cressida.

TROILUS.
Mein Liebchen, müh' dich nicht; die Luft ist kalt.
CRESSIDA.
Dann, Liebster, ruf ich mir den Ohm herab,
Er soll das Tor aufschließen.
TROILUS.
Stör' ihn nicht!
Zu Bett, zu Bett! Schlaft süß, ihr holden Augen,
Und linde Ruh' umschmiege deine Sinnen
Wie Kindern, aller Sorgen frei!
CRESSIDA.
Guten Morgen denn!
[73] TROILUS.
Ich bitt' dich, nun zu Bett! –
CRESSIDA.
So seid Ihr mein schon müde?
TROILUS.
O Cressida! Nur daß der rege Tag,
Geweckt vom Lerchenton, aufscheucht die Krähe,
Und Nacht nicht länger unsre Freuden birgt,
Sonst schied' ich nicht.
CRESSIDA.
Die Nacht war allzu kurz!
TROILUS.
Giftmischern weilt die widerwärt'ge Hexe,
Wie Hölle scheußlich; doch der Liebe Kosen
Flieht sie, mit Schwingen schneller als Gedanken. –

Erkälten wirst du dich und auf mich zürnen.
CRESSIDA.
O blieb' noch! Männer wollen niemals warten.
Ich Törin! Hätt' ich nein zu dir gesagt,
Dann würd'st du wohl noch warten. Horch! Wer kommt?
PANDARUS
draußen.
Was? Alle Türen offen?
TROILUS.
's ist dein Oheim.

Pandarus kommt.
CRESSIDA.
Der Unerträgliche! Nun wird er spotten,
Das wird ein Leiden sein –
PANDARUS.

Nun, wie geht's? wie geht's? Wie steht's um die Jungfernschaft? Hört, Ihr, Jungfer: wo ist meine Nichte Cressida? –

CRESSIDA.
Fort, fort mit Euch, Ihr böser, spött'scher Ohm!
Erst treibt Ihr mich dazu, dann höhnt Ihr mich!
PANDARUS.
Wozu? Wozu? Nun sage doch einmal, wozu? Wozu habe ich dich gebracht?
CRESSIDA.
Pfui, schlimmer Ohm! Ihr selbst tut nimmer gut,
Noch leidet Ihr's von andern.
PANDARUS.

Ha, ha, ha! Ach du armes Ding! Das liebe Närrchen! Hast du diese Nacht nicht geschlafen? Wollte er dich nicht schlafen lassen, der garstige Mann? Hol' ihn der Popanz! –


Es wird an die Tür geklopft.
CRESSIDA.
Sagt' ich's nicht? – Klopft doch lieber seinen Kopf!
Wer pocht so? Geht doch, lieber Oheim, seht!
Ihr, Liebster, kommt zurück in meine Kammer –

Ihr lächelt spöttisch, als meint' ich was Arges.
[74] TROILUS.
Ha, ha!
CRESSIDA.
Ihr irrt Euch; nein, an so was denk' ich nicht.

Man klopft wieder.

Wie stark man klopft! Ich bitt' Euch, geht hinein;
Halb Troja nähm' ich nicht, wenn man Euch fände.

Sie gehn.
PANDARUS.
Wer ist denn da? Was gibt's? Wollt Ihr die Tür einschlagen? Was ist? Was gibt's? –

Äneas tritt auf.
ÄNEAS.
Guten Morgen, Herr, guten Morgen!
PANDARUS.
Wer ist's? Fürst Äneas? Auf meine Ehre, ich kannte Euch nicht; was bringt Ihr so früh Neues?
ÄNEAS.
Ist nicht Prinz Troilus hier? –
PANDARUS.
Hier? Was sollte er wohl hier machen?
ÄNEAS.
Ei, er ist hier; verleugnet ihn nur nicht!
Es liegt ihm viel daran, mit mir zu reden.
PANDARUS.

Er ist hier, sagt Ihr? Das ist mehr, als ich weiß, das schwöre ich Euch. Was mich betrifft, so kam ich spät heim. Was sollte er hier zu tun haben?

ÄNEAS.
Wer? Nun, wahrhaftig, –

Geht, geht! Ihr tut ihm Schaden, eh' Ihr's denkt;
Ihr wollt ihm treu sein und verratet ihn –

Wißt immer nichts von ihm, nur holt ihn her!
Geht! –

Während Pandarus abgeht, kommt Troilus.
TROILUS.
Nun, was gibt es hier?
ÄNEAS.
Kaum bleibt mir Zeit, Euch zu begrüßen, Prinz,
So drängt mich mein Geschäft. Ganz nah schon sind
Eu'r Bruder Paris und Deiphobus,
Der Grieche Diomed und, neubefreit,
Unser Antenor; und für diesen soll'n wir
Noch diese Stunde, vor dem Morgenopfer,
In Diomedes' Hand als Preis erstatten
Das Fräulein Cressida.
TROILUS.
Ist das beschlossen?
[75] ÄNEAS.
Von Priamus und Trojas ganzem Rat;
Sie nahn und sind bereit, es zu vollziehn.
TROILUS.
Wie spottet mein nun der errungne Preis! –

Ich geh', sie zu empfahn, und Ihr, Äneas,
Traft mich durch Zufall, fandet mich nicht hier.
ÄNEAS.
Recht wohl, mein Prinz! Naturgeheimnisse
Sind nicht mit größrer Schweigsamkeit begabt. –

Troilus und Äneas gehn ab.
PANDARUS.

Ist's möglich? Wie gewonnen, so zerronnen? Hole der Teufel diesen Antenor! Der junge Prinz wird den Verstand verlieren. Zum Henker mit diesem Antenor! Ich wollte, sie hätten ihm den Hals gebrochen! –


Cressida kommt.
CRESSIDA.
Wie nun? Was gibt es hier? Wer kam vorhin?
PANDARUS.
Ach, ach! –
CRESSIDA.
Was seufzt Ihr so? Wo ist mein Liebster? Fort?
Sagt, lieber Ohm, was ist geschehn?
PANDARUS.
Ich wollte, ich wäre so tief unter der Erde, als ich drüber bin! –
CRESSIDA.
O Götter! Nun, was ist geschehn? –
PANDARUS.

Ach, geh nur hinein. Wärst du doch nie geboren! Ich wußte es wohl, du würdest sein Tod sein. Oh, der arme, junge Mann! Verdammter Antenor!

CRESSIDA.
Mein bester Ohm, auf meinen Knie'n beschwör' ich,
Ich fleh' Euch, sagt, was ist geschehn? –
PANDARUS.

Du mußt fort, Kind, du sollst fort; du bist für den Antenor ausgewechselt; zu deinem Vater sollst du, und den Troilus verlassen. Das wird sein Tod sein, das überlebt er nicht, das bringt ihn um! –

CRESSIDA.
O ihr Unsterblichen! Ich gehe nicht! –
PANDARUS.
Du mußt!
CRESSIDA.
Ich will nicht, Ohm. Was frag' ich nach dem Vater!
Was ist Verwandtschaft mir? Nein, keine Seele,
Nicht Freundschaft, Lieb' und Blut sind mir so nah
Als du, herzliebster Troilus. O Götter,
Laßt Cressida der Falschheit Gipfel heißen,
[76]
Wenn sie dich je verläßt! Zeit, Not und Tod,
Tut diesem Leben euer Äußerstes;
Doch meiner Liebe starker Bau und Grund
Ist wie der Erde ew'ger Mittelpunkt,
Der alles an sich zieht. Ich will hinein
Und weinen.
PANDARUS.
Ja, mein Kind.
CRESSIDA.
Zerraufen will ich
Mein glänzend Haar; die schönen Wangen furchen,
Die Stimme heiser schluchzen, und mein Herz
Zersprengen mit dem Namen Troilus: –

Ich will nicht fort von Troja! –

Sie gehn ab.
Dritte Szene
Straße.

Es treten auf Paris, Troilus, Äneas, Diomedes und Gefolge.

PARIS.
Es ist schon heller Morgen, und die Stunde,
Sie abzuliefern diesem tapfern Griechen,
Rückt schnell heran. Mein bester Troilus,
Sag du der Dame, was ihr nah bevorsteht,
Und heiß' sie eilen.
TROILUS.
Geht ins Haus hinein;
Ich sende sie dem Griechen ungesäumt; –

Und seine Hand, wenn ich sie überliefre,
Ist der Altar, dein Bruder Troilus
Der Priester, der sein eignes Herz dort opfert.

Troilus ab.
PARIS.
Ich weiß, was Lieben heißt, und wünschte nur,
Ich könnte dir, wie Mitleid, Hülfe bieten. –

Beliebt's, ihr Herrn, so geht hinein!

Sie gehn ab.
[77]
Vierte Szene
Garten.

Pandarus und Cressida treten auf.

PANDARUS.
Sei mäßig, Kind, sei mäßig!
CRESSIDA.
Was sprecht Ihr mir von Mäßigung? Der Schmerz,
Den ich empfind', ist geistig, tief, erschöpfend,
Und ganz so groß und heftig, wie die Ursach',
Die ihn erzeugt: wie kann ich ihn da mäß'gen?
Wenn meine Liebe mit sich handeln ließe,
Daß sie dem kältern, schwächern Sinn genügte,
So könnt' ich eben so den Schmerz auch kühlen;
Mein Sehnen duldet kein vermittelnd Lindern,
So großes Leid vermag nicht Trost zu mindern.

Troilus kommt.
PANDARUS.
Hier, hier, hier kommt er. Ach die lieben Täubchen!
CRESSIDA.
O Troilus! Troilus!
PANDARUS.

Welch ein Schauspiel! Das arme Paar! Laßt mich euch auch umarmen. – O Herz – wie's im alten Liede steht –

O Herz, o volles Herz,

Was seufzest du, und brichst nicht?

Und er antwortet hernach:

Weil du nicht lindern kannst den Schmerz,

Drum wend'st du dich, und sprichst nicht.

Nie gab's einen so wahren Reim. Man muß nichts wegwerfen, denn wir können's alle erleben, solchen Vers nötig zu haben; wir sehn es, wir sehn es. Nun, meine Lämmchen? –

TROILUS.
Ich liebe dich mit solcher seltnen Reinheit,
Daß sel'ge Götter, meiner Liebe zürnend, –

Die heißer als Gebet, von kalten Lippen
Der Gottheit dargebracht, – dich mir entreißen!
CRESSIDA.
Sind Götter neidisch?
PANDARUS.
Ja, ja! Da sieht man's deutlich!
CRESSIDA.
Und ist es wahr? Muß ich von Troja scheiden?
TROILUS.
Verhaßte Wahrheit!
CRESSIDA.
Auch von Troilus?
[78] TROILUS.
Von Troja wie von Troilus!
CRESSIDA.
Unmöglich!
TROILUS.
Und augenblicks, so daß des Schicksals Hohn
Das Lebewohl zurückweist; jede Muße
Grausam versagt; arglistig unsern Lippen
Alle Vereinung wehrt; gewaltsam hemmt
Der Lieb' Umarmung und den Schwur erstickt
Im Kreißen und Geburtsschmerz unsres Atems.
Wir beide, die wir uns mit tausend Seufzern
Gewonnen, müssen ärmlich uns verkaufen
Für eines Einzgen abgebrochenen Hauch.
Der rohe Augenblick, mit Diebes Hast,
Zwängt ein den reichen Raub fast unbesehn.
So manch Lebwohl als Stern' am Himmel, jedes
Mit eignem Kuß und Abschiedswort besiegelt,
Huscht er zusammen in ein kalt Ade
Und speist uns ab mit einem dürft'gen Kuß,
Verbittert mit dem Salz verhalt'ner Tränen.
ÄNEAS
draußen.
Prinz, ist das Fräulein nun bereit?
TROILUS.
Sie rufen dich! So ruft der Todesengel
Sein »Komm!« dem Mann, der plötzlich sterben soll. –

Heißt jene warten, sie wird gleich erscheinen.
PANDARUS.

Wo sind meine Tränen? Regnet, damit dieser Sturm sich lege, sonst reißt es mein Herz mit allen Wurzeln aus.


Pandarus geht.
CRESSIDA.
So muß ich zu den Griechen?
TROILUS.
's ist kein Mittel!
CRESSIDA.
Ein trauernd Mädchen bei den lust'gen Griechen?
Wann werden wir uns wiedersehn?
TROILUS.
Hör' mich, Geliebte, bleibe du nur treu –
CRESSIDA.
Ich treu? Wie das? Welch schmählicher Verdacht!
TROILUS.
Nein, laß uns freundlich schlichten diesen Streit,
Er scheidet gleich von uns.
Ich sage nicht aus Argwohn: Sei mir treu,
Denn selbst dem Tod werf' ich den Handschuh hin,
Daß ohne Fleck und Makel sei dein Herz;
Dies »Sei mir treu« war nur, um einzuleiten
[79]
Die folgende Beteu'rung: Sei mir treu,
Und bald seh' ich dich wieder.
CRESSIDA.
O dann, mein Prinz, wagt Ihr Euch in Gefahren,
Zahllos und furchtbar. Doch ich bleib' Euch treu!
TROILUS.
Dann lockt Gefahr mich. Tragt die Ärmelkrause!
CRESSIDA.
Und Ihr den Handschuh. Wann seh' ich Euch wieder?
TROILUS.
Erkaufen werd' ich mir die griech'schen Wachen
Und dann dich nachts besuchen. Doch sei treu!
CRESSIDA.
O Himmel! Wieder dies: Sei treu!
TROILUS.
Hör' an,
Geliebteste, weshalb ich dir's gesagt.
Die griech'schen Jünglinge sind reich begabt;
Ihr Lieben schmücken sie mit Körperschönheit,
Und Kunst und List vollenden ihren Reiz.
Wie Neuheit rühren mag und Wohlgestalt,
Ach! Läßt mich eine fromme Eifersucht
(Ich bitt' dich, nenn' es tugendhafte Sünde)
Zu sehr befürchten.
CRESSIDA.
Oh, Ihr liebt mich nimmer! –
TROILUS.
Dann mag ich sterben als ein Bösewicht!
Nicht deine Treu' und Liebe macht mich zweifeln
So sehr, als mein Verdienst. Ich kann nicht dichten,
Nicht springen wie ein Tänzer, künstlich kosen,
Noch feine Spiele spielen: lauter Gaben,
Worin die Griechen meisterlich gewandt;
Allein ich weiß, in jeder dieser Zierden
Lauert ein list'ger, stummberedter Teufel,
Der schlau versucht. O laß dich nicht versuchen! –
CRESSIDA.
Glaubst du, ich werd' es?
TROILUS.
Nein!
Doch oft geschieht uns, was wir nicht gewollt,
Und oftmals sind wir unsre eignen Teufel,
Wenn wir des Willens Schwäche selbst versuchen,
Zu stolz auf unsre wandelbare Kraft.
ÄNEAS
draußen.
Nun, werter Prinz –
TROILUS.
Noch einen Kuß zum Abschied!
PARIS
draußen.
Auf, Bruder Troilus!
[80] TROILUS.
Paris, komm herein,
Und bring' Äneas mit und Diomedes!
CRESSIDA.
Ihr bleibt doch treu, mein Prinz?
TROILUS.
Wer, ich? Das ist mein Fehl ja, meine Schwäche!
Wenn andre listig Gunst und Ehre fischen,
Fang' ich mit echter Treu' mir schlichte Einfalt;
Wenn mancher schlau sein Kupferblech vergoldet,
Trag' ich es schlicht und ehrlich ungeschmückt.
Sorg' nicht um meine Treu'; denn all mein Sinnen
Ist ehrlich, treu: mehr will ich nicht gewinnen.

Äneas, Paris und Diomedes treten auf.

Willkommen, Diomed! Hier ist die Dame,
Die für Antenor wir euch überliefern.
Am Tor, Herr, geb' ich sie in deine Hand
Und schildre unterwegs dir, was sie ist.
Begegn' ihr gut, und dann, beim Himmel, Grieche,
Fällst du jemals in meines Schwerts Gewalt
Und nennst mir Cressida, dann bleibst du sicher,
Wie Priamus in Ilium.
DIOMEDES.
Schöne Dame,
Ihr spart den Dank mir, den der Prinz erwartet.
Eu'r glänzend Aug', der Himmel dieser Wangen,
Heischt wackern Dienst; und Diomedes nennt
Euch seine Herrin, ist Euch ganz gewidmet.
TROILUS.
Grieche, nicht höflich gegen mich verfährst du,
Das Siegel meiner Bitte nicht zu achten
Durch solchen Preis. Ich sag' dir, griech'scher Fürst,
Sie überstrahlt so hoch dein Lob, als du
Unwürdig bist, dich ihrem Dienst zu weihn.
Ich heiß' dir, halt' sie gut, weil ich's dir heiße:
Denn, beim furchtbaren Pluto, tust du's nicht,
Wär' auch dein Schutz Achilles' ries'ge Wucht,
Du hast gelebt.
DIOMEDES.
O nicht so hitzig, Prinz!
Laßt mir das Vorrecht meiner Sendung, daß
Ich frei hier sprechen darf. Bin ich erst fort,
Dann folg' ich meiner Willkür; und vernimm,
[81]
Ich tu' nichts auf Geheiß: nach ihrem Wert
Wird sie geschätzt; doch sprichst du: So soll's sein,
Werd' ich nach Mut und Her' erwidern: Nein!
TROILUS.
So komm zum Tor! – Und wisse, Diomed,
Daß, wer hier trotzt, dereinst um Gnade fleht.
Gebt, Fräulein, mir die Hand, und mag im Wandeln
Ein leises Wort des Herzens Wunsch verhandeln.

Troilus und Cressida gehn ab. Trompetenstoß.
PARIS.
Horch! Hektors Herold! –
ÄNEAS.
Wie der Morgen schwand!
Der Prinz muß träge mich und säumig schelten,
Da ich versprach, vor ihm im Feld zu sein.
PARIS.
Die Schuld trägt Troilus: kommt, ins Feld mit ihm!
DIOMEDES.
Nun laßt uns eilig sein!
ÄNEAS.
Ja, mit des Bräut'gams muntrer Freudigkeit
Woll'n wir dem Hektor folgen auf dem Fuß.
Heut ficht für unsres Troja Heil und Ruhm
Sein Arm allein und edles Rittertum! –

Sie gehn ab.
Fünfte Szene
Das griechische Lager.

Es treten auf Ajax, in voller Rüstung; Agamemnon, Achilles, Patroklus, Menelaus, Ulysses, Nestor und Gefolge.

AGAMEMNON.
Hier stehst du, Auserwählter, frisch und kühn,
Der Zeit voreilend mit frühregem Mut.
Laß die Drommete laut dich Troja künden,
Furchtbarer Ajax, daß die Luft entsetzt
Des großen Kämpen Ohr durchbohre scharf
Und stürm' ihn her!
AJAX.
Trompeter, nimm die Börse;
Nun spreng' die Lung' und brich dein erznes Rohr:
Blas', Kerl, bis deine aufgeschwellte Wange
Noch straffer sei als Pausback Aquilo;
[82]
Dehn' aus die Brust, dem Aug' entspritze Blut,
Du schmetterst Hektorn mir heran!
ULYSSES.
Kein Erz gibt Antwort! –
ACHILLES.
's ist noch früh am Tag.
AGAMEMNON.
Kommt dort nicht Diomed mit Kalchas' Tochter?
ULYSSES.
Ja wohl, ich kenn' ihn an der Art des Gangs,
Er hebt sich auf den Zeh'n; hochatmend strebt
Sein Geist von dieser Erd' empor.

Diomedes und Cressida treten auf.
AGAMEMNON.
Ist dies das Fräulein Cressida?
DIOMEDES.
Sie ist's.
AGAMEMNON.
Seid hold gegrüßt den Griechen, schönes Fräulein!
NESTOR.
Mit einem Kuß begrüßt Euch der Feldhauptmann.
ULYSSES.
Wer möchte nicht solch reizend Feld behaupten?
Wir folgen Haupt für Haupt dem Mann ins Feld.
NESTOR.
Ein trefflich art'ger Vorschlag! Ich beginne: –

Soviel für Nestor.
ACHILLES.
Ich will das Eis von Euern Lippen küssen:
Achill heißt Euch willkommen, schönes Kind.
MENELAUS.
Zum Küssen hatt' ich hübschen Anlaß sonst –
PATROKLUS.
Doch ist das Anlaß nicht zum Küssen jetzt: –

Denn so wie ich drang Paris Euch ins Haus,
Und mit dem hübschen Anlaß war es aus.
ULYSSES.
O bittre Schmach! All unsrer Leiden Born!
Mit unserm Lebensblut färbt er sein Horn!
PATROKLUS.
Der Kuß für Menelaus, der für mich;
Patroklus küßt Euch.
MENELAUS.
Ei, so abzuziehn!
PATROKLUS.
Paris und ich, wir küssen stets für ihn.
MENELAUS.
Erlaubt mir, meinen Kuß will ich nicht missen.
CRESSIDA.
So sagt, empfangt Ihr oder nehmt im Küssen?
MENELAUS.
Ich nehm' und geb' im Kusse.
CRESSIDA.
Dann vergönnt:
Ihr nehmt Euch bessern, als Ihr geben könnt;
Drum keinen Kuß.
[83] MENELAUS.
Ich zahl' Euch Aufgeld, geb' Euch drei für einen;
CRESSIDA.
Von einem halben Manne nehm' ich keinen.
MENELAUS.
Ein halber? Und wo wär' die andre Hälfte?
CRESSIDA.
Die hat Prinz Paris längst sich eingefangen,
Als er mit Eurer Frau davon gegangen.
MENELAUS.
Ihr schnippt mir an die Stirn!
CRESSIDA.
O nein, fürwahr!
ULYSSES.
Wie brächt' Eu'r Händchen seinem Horn Gefahr?
Darf ich um einen Kuß Euch bitten, Schöne?
CRESSIDA.
Ihr dürft!
ULYSSES.
Gern hätt' ich einen!
CRESSIDA.
Nun, so bittet!
ULYSSES.
Um Venus werde mir ein Kuß von dir,
Wenn Helena als Jungfrau lebt, und hier!
CRESSIDA.
Sobald die Schuld verfallen, zahl' ich sie.
ULYSSES.
Dann hat es gute Zeit, Ihr küßt mich nie.
DIOMEDES.
Fräulein, ein Wort: ich bring' Euch Euerm Vater.

Geht mit Cressida ab.
NESTOR.
Sie hat behenden Witz.
ULYSSES.
Pfui über sie!
An ihr spricht alles, Auge, Wang' und Lippe,
Ja selbst ihr Fuß: der Geist der Lüsternheit
Blickt vor aus jedem Glied und Schritt und Tritt.
O der Kampflustigen, so zungenglatt
Die Willkomm' schielen, eh' man sie noch grüßt,
Und weit auftun die Blätter ihres Denkbuchs
Für jeden üpp'gen Leser! Merkt sie euch
Als niedre Beute der Gelegenheit
Und Töchter schnöder Lust.

Trompetenstoß.
ALLE.
Trojas Trompete!
AGAMEMNON.
Seht, es naht der Zug! –

Es treten auf Hektor, Äneas, Troilus und Gefolge.
ÄNEAS.
Heil, Griechenfürsten! Was wird dem zu Teil,
Der obsiegt? Oder habt ihr nicht den Vorsatz,
Daß einer Sieger sei? Sollen die Ritter
[84]
Aus aller Kraft sich bis aufs äußerste
Bekämpfen? Oder wird der Streit geschieden
Durch irgend ein Gebot und Kampfgericht?
So fragt euch Hektor.
AGAMEMNON.
Was ist Hektors Wunsch?
ÄNEAS.
Ihm gilt es gleich, er fügt sich der Bestimmung.
ACHILLES.
Ganz Hektorn ähnlich, doch sehr zuversichtlich;
Ein wenig stolz, und überaus mißachtend
Den Gegner.
ÄNEAS.
Wenn Achilles nicht, mein Fürst,
Wer seid Ihr?
ACHILLES.
Wenn Achilles nicht, dann nichts.
ÄNEAS.
Achilles also. Demnach, Held, vernehmt: –

In beiden Äußersten von Groß und Klein,
Sind Stolz und Mut in Hektor unerreicht;
Der eine fast so endlos wie das All,
Der andre leer wie nichts. Erwägt ihn recht,
Und was Euch stolz scheint, ist nur Höflichkeit:
Held Ajax ist von Hektors Blute halb;
Zu Liebe dem bleibt Hektor halb zu Hause:
Halb Herz, halb Hand, halb Hektor naht er, wo er
Den Bastardhelden sucht, halb Griech', halb Troer.
ACHILLES.
Ein Scheingefecht also! Ha, ich versteh' Euch! –

Diomedes tritt auf.
AGAMEMNON.
Hier kommt Fürst Diomed. Auf, edler Ritter,
Stellt Euch zu unserm Ajax; so wie Ihr
Und Lord Äneas ordnen dies Gefecht,
So sei es: ob ein Anlauf, ob ein Gang
Auf Tod und Leben; weil die zwei verwandt,
Ist halb der Kampf erloschen, eh' entbrannt.
ULYSSES.
Sie stehn sich gegenüber.
AGAMEMNON.
Wer ist der Troer, der so finster schaut?
ULYSSES.
Des Priam jüngster Sohn: ein echter Ritter;
Kaum reif, schon unvergleichbar: fest von Wort,
Beredt in Tat und tatlos in der Rede;
Nicht bald gereizt, doch dann nicht bald besänftig
Sein Herz wie Hand gleich offen, beide frei:
[85]
So gibt er, was er hat, spricht, was er denkt;
Doch gibt er nur, lenkt Urteil seine Güte.
Nie adelt er durch Wort unwürd'ges Denken;
Mannhaft wie Hektor, doch gefährlicher:
Denn Hektor, in des Zornes Glut, verschont
Gefallne; während dieser, kampfbegeistert,
Blutdürst'ger trifft als eifersücht'ge Liebe.
Man nennt ihn Troilus und baut auf ihn
Die zweite Hoffnung, stark, wie Hektor selbst;
So spricht Äneas, der den Jüngling kennt
Ganz durch und durch, und in Geheimgespräch
Im großen Ilion mir ihn so geschildert.

Trompeten. Hektor und Ajax kämpfen.
AGAMEMNON.
Der Kampf beginnt.
NESTOR.
Nun, Ajax, halt' dich brav!
TROILUS.
Hektor, du schläfst, erwache!
AGAMEMNON.
Er führt den Degen trefflich: recht so, Ajax!

Die Trompeten hören auf zu blasen.
DIOMEDES.
Ihr dürft nicht weiter! –
ÄNEAS.
Prinzen, 's ist genug!
AJAX.
Ich bin kaum warm, tun wir noch einen Gang.
DIOMEDES.
Wie's Hektor wünscht.
HEKTOR.
Nun gut, denn sei's geendet.
Du, Fürst, bist meines Vaters Schwestersohn,
Ein Freund und Vetter Priams großem Stamm,
Und der Verwandtschaft Heiligkeit verbietet,
Daß sich der Kampf des Ruhms mit Blut entscheide.
Wär' Gräcien dir und Troja so gemischt,
Daß du könnt'st sagen: Diese Hand ist griechisch,
Und troisch jene; dieses Schenkels Bau
Griechisch, der troisch; meiner Mutter Blut
Rinnt in der rechten Wange; das des Vaters
In jener linken: beim allmächt'gen Zeus!
Hinweg von mir trüg'st du kein griechisch Glied,
Dem nicht mein Schwert hätt' eingeprägt ein Mal
Des bösen Streits. Doch hindern das die Götter,
Daß nur ein Tropfen deines Mutterbluts,
[86]
Geheiligt mir, von meinem Todesstahl
Vergossen sei. Laß dich umarmen, Ajax!
Bei dem, der donnert, du hast tücht'ge Arme!
Gern läßt sich Hektor so von ihnen fassen:
Dir, Vetter, aller Ruhm!
AJAX.
Ich dank' dir, Hektor!
Du bist ein Mann, zu frei und hoch gesinnt;
Dich töten wollt' ich, Vetter, und an Ehre
Durch deinen Fall mir reichen Zuwachs ernten.
HEKTOR.
Selbst Neoptolemus, der Wunderheld,
Von dessen Helm lauttönend Fama ruft:
Das ist Er selbst! Hegt nicht den Wahngedanken,
Daß Ruhm, Hektorn entrissen, seinen mehrte.
ÄNEAS.
Von beiden Seiten fragt Erwartung jetzt,
Was ferner ihr beginnt?
HEKTOR.
Dies unsre Antwort:
Der Ausgang ist Umarmung. – Ajax, leb wohl! –
AJAX.
Wenn ich Erfolg der Bitte könnt' erwarten,
Der selten mir zu Teil wird, – lüd' ich Euch,
Ruhmvoller Vetter, zu den griech'schen Zelten.
DIOMEDES.
's ist Agamemnons Wunsch; auch Held Achilles
Möcht' ohne Wehr den tapfern Hektor sehn.
HEKTOR.
Ruf' meinen Bruder Troilus, Äneas,
Und melde diesen friedlichen Besuch
Der Troer Schar, die meiner Rückkunft harrt; –

Sie soll'n heimkehren. – Gib die Hand mir, Vetter;
Ich speis' in deinem Zelt mit Euern Rittern.
AJAX.
Der Herrscher Agamemnon naht sich uns. –
HEKTOR.
Sag mir die Namen aller Würdigsten;
Nur den Achilles laß mein spähend Aug'
An seiner Hochgestalt und Wucht erkennen.
AGAMEMNON.
Streitbarer Held! Willkommen mir, wie einem,
Der solches Feindes gern entledigt wäre!
Doch das ist kein Willkomm; drum red' ich klarer:
Vergangnes und Zukünftiges verdeckt
Formloser Schutt und Trümmer des Vergessens:
Doch in der gegenwärt'gen Stund' entbeut
Dir Treu' und Glaub' in frommster Lauterkeit,
[87]
Abwendig aller schiefen Nebendeutung,
O großer Mann, herzinnige Begrüßung.
HEKTOR.
Ich dank' dir, hocherhabner Agamemnon.
AGAMEMNON.
Erlauchter Troilus, nicht mindres Euch!
MENELAUS.
Ich grüß' Euch, wie mein königlicher Bruder:
Du krieg'risch Brüderpaar, sei uns willkommen!
HEKTOR.
Wer spricht zu uns?
MENELAUS.
Der edle Menelaus.
HEKTOR.
Oh, Feldherr, Dank, bei Mavors' Eisenhandschuh!
Verargt mir nicht den seltsamlichen Schwur:
Eu'r weiland Weib schwört stets bei Venus' Handschuh;
Wohl ist sie – doch sie schickt Euch keinen Gruß.
MENELAUS.
Nennt sie nicht jetzt; sie mahnt an tödlich Weh.
HEKTOR.
Verzeihung! Ich vergaß! –
NESTOR.
Ich sah dich oft, du weidlicher Trojaner,
Wenn du, in Arbeit für den Tod, dir Bahn
Durch unsre Jugend wütig brachst; ich sah dich,
Wie Perseus heiß dein phrygisch Schlachtroß spornend,
Viel Waffentat und Kampfespreis verschmähn.
Vordringend schwangst du hoch ums Haupt dein Schwert,
Und nicht auf den Gefallnen durft' es fallen;
So daß ich sprach zu meinen Schlachtgenossen:
Seht Jupiter, wie er dort Leben spendet!
Dann sah ich dich verschnaufend Atem schöpfen,
Wenn dich ein Kreis von Griechen rings umschloß,
Wie ein olymp'scher Ringer: solches sah ich;
Doch dies dein Antlitz, stets in Stahl verriegelt,
Schau' ich erst heut. Mit deinem Ältervater
Focht ich einmal: er war ein guter Streiter,
Allein, beim Kriegsgott, unser aller Haupt,
Dir nimmer gleich. Nimm eines Greisen Kuß,
Und unserm Zelt sei, tapfrer Fürst, willkommen!
ÄNEAS.
Er ist der alte Nestor.
HEKTOR.
Laß dich umarmen, gute, alte Chronik,
Die mit der Zeit so lang' schritt Hand in Hand:
Ehrwürd'ger Nestor, froh umschließ' ich dich.
NESTOR.
O daß mein Arm dir's gleich tun könnt' im Kampf,
Wie er nun kämpft mit dir in Freundlichkeit!
[88] HEKTOR.
Ich wünscht' es gleichfalls.
NESTOR.
Ha,
Bei diesem weißen Bart, ich föchte mit dir morgen!
Willkommen dann, willkomm! Ich sah die Zeit –
ULYSSES.
Mich wundert nur, wie jene Stadt noch steht,
Da wir jetzt ihren Grund und Pfeiler haben!
HEKTOR.
Wohl kenn' ich Eure Züge, Fürst Ulyß! –

O Herr, schon mancher Griech' und Troer fiel,
Seit ich zuerst Euch sah mit Diomed
In Ilion, als Gesandte Griechenlands.
ULYSSES.
Da sagt' ich Euch vorher, was folgen würde;
Noch weilt auf halbem Weg die Prophezeiung,
Denn jene Mauern, keck die Stadt umschirmend,
Die Zinnen, die mit Wolken üppig buhlen,
Sie küssen noch den eignen Fuß.
HEKTOR.
Nicht glaub' ich's!
Da stehn sie noch; bescheiden mein' ich auch,
Uns zahlt für jedes phryg'schen Steines Fall
Ein Tropfen Griechenblut. Das Ende krönt's;
Und jener alte, ew'ge Richter, Zeit,
Wird einst es enden.
ULYSSES.
Lassen wir es ihm!
Höchst edler, tapfrer Hektor, sei willkommen!
Nach unserm Feldherrn bitt' ich dich zunächst,
Mein Gast zu sein und mich im Zelt zu sehn.
ACHILLES.
Dawider muß ich Einspruch tun, Ulysses!
Nun, Hektor, hast du meinen Blick gesättigt.
Mit scharfem Aug' durchforscht' ich dich, o Hektor,
Und prüfte Glied vor Glied.
HEKTOR.
Ist dies Achilles? –
ACHILLES.
Ich bin Achilles.
HEKTOR.
Ich bitte, stell' dich so, daß ich dich schaue!
ACHILLES.
Sieh dich nur satt!
HEKTOR.
Nun, ich bin fertig schon.
ACHILLES.
Du bist zu eilig. Ich durchmustre dich
Noch einmal Zug für Zug, als wär's zum Kauf.
HEKTOR.
So wie ein Scherzbuch blätterst du mich durch?
[89]
Doch mehr wohl liegt in mir, als du verstehst!
Was will mich so dein Auge niederdrücken? –
ACHILLES.
Ihr Götter, sagt, an welchem Teil des Körpers
Vernicht' ich ihn? Ist's hier, dort oder da?
Daß ich genau den Sitz der Wunde nennen
Und scharf das Tor bezeichnen mag, wodurch
Sein großer Geist entflieht. Antwort, ihr Götter!
HEKTOR.
Mißziemen würd' es heil'gen Göttern, Stolzer.
Antwort zu geben solcher Frage. Sprich:
Glaubst du mein Leben so im Scherz zu fahn,
Daß du vorzeichnen willst im scharfen Umriß,
Wo treffen soll der Tod? –
ACHILLES.
Ja, sag' ich dir.
HEKTOR.
Und wär'st du, solches kündend, ein Orakel,
Nicht glaubt' ich dir. Hinfort sei auf der Hut!
Denn nicht hier töt' ich dich, noch dort, noch da,
Nein, bei dem Hammer, der Mars' Helm geformt,
Dich töt' ich, wo's auch sei; ja über und über.
Verzeiht, ihr weisen Griechen, meinem Prahlen:
Sein Hochmut zwingt mich, Törichtes zu reden.
Doch streb' ich, so zu tun, wie ich gesprochen,
Sonst mög' ich nie –
AJAX.
Kommt nicht in Eifer, Vetter!
Und Ihr, Achilles, unterlaßt dies Drohen,
Bis Zufall oder Vorsatz wahr es macht.
Genug könnt Ihr von Hektor täglich haben,
Wenn es Euch hungert; doch ganz Griechenland
Bringt Euch wohl kaum mit ihm in Hader, denk' ich.
HEKTOR.
Ich bitt' Euch, laßt im Feld uns Euch begegnen;
Es gab nur kleinen Krieg, seit Ihr verließt
Die griech'schen Fahnen.
ACHILLES.
Du verlangst nach mir?
Dir nah' ich morgen, furchtbar wie der Tod: –

Heut abend sei'n wir Freunde!
HEKTOR.
Wohl, schlag' ein!
AGAMEMNON.
Vorerst, ihr griech'schen Herrn, kommt in mein Zelt,
Dort woll'n wir Tafel halten; und hernach,
Wie Hektors Muß' und eure Gastlichkeit
[90]
Zusammentrifft, bewirtet ihn dann einzeln.
Nun laßt die Pauken, laßt Trompeten schallen:
Willkommen sei der Troerfürst uns allen!

Sie gehn ab. Es bleiben Troilus und Ulysses.
TROILUS.
Ich bitt' Euch, Fürst Ulysses, gebt mir Kunde,
In welchem Teil des Lagers Kalchas weilt.
ULYSSES.
In Menelaus' Zelt, mein edler Prinz:
Dort speiset Diomed mit ihm zu Nacht,
Der nicht an Erde mehr noch Himmel denkt
Und, ganz von Lieb' entflammt, nur Augen hat
Für Fräulein Cressida.
TROILUS.
Erzeigt Ihr mir die Huld, mein werter Fürst,
Wann wir verlassen Agamemnons Zelt,
Mich hinzuführen?
ULYSSES.
Schaltet über mich!
Gleich freundlich sagt, mein Prinz, in welchem Ruf
Hielt Troja diese Schöne? Weint ihr dort
Kein Liebster nach? –
TROILUS.
O Fürst, wer rühmend prahlt mit seinen Wunden,
Verdienet Spott. Gehn wir zusammen, Herr?
Sie liebt' und ward geliebt, und wird's noch heute,
Doch neid'schem Glück ward Liebe stets zur Beute.

Sie gehn ab.
[91]

Fünfter Aufzug

Erste Szene
Zelt des Achilles.

Es treten auf Achilles und Patroklus.

ACHILLES.
Mit griech'schem Wein durchglüh' ich heut sein Blut,
Und mit dem Schwerte kühl' ich's morgen ab.
Patroklus, laß uns weidlich mit ihm bechern!
PATROKLUS.
Hier kommt Thersites.

Thersites tritt auf.
ACHILLES.
Nun, du neid'sche Schwäre?
Du der Natur verbrannt Gebäck, was gibt's?
THERSITES.

Nun, du Bildnis dessen, was du scheinst, du Abgott der Dummheit-Anbeter, hier ist ein Brief für dich.

ACHILLES.
Von woher, du Brocken?
THERSITES.
Nun, du volle Schüssel Narrheit, aus Troja.
PATROKLUS.
Wer blieb in den Zelten?
THERSITES.
Soll ich von euern Zeltern und Mäulern Rechenschaft geben, Esel?
PATROKLUS.
Nicht übel, Scheelsucht; nun, was soll die Bosheit?
THERSITES.

Ich bitte dich, Knabe, schweig' still; ich lerne nichts aus deinem Geschwätz. Man hält dich für Achills Mann-Buben.

PATROKLUS.
Mann-Buben, du Schurke? Was soll das heißen?
THERSITES.

Ei nun, seine männliche Hure. Mögen doch alle faulen Seuchen des Südwinds, Bauchgrimmen, Brüche, Flüsse, Stein- und Rückenschmerzen, Schlafsucht, Lähmung, (triefende Augen, verschleimte Lebern, pfeifende Lungen,) Eiterbeulen, Hüftweh, verkalkte Finger, unheilbarer [92] Knochenfraß und das Ehrengeschenk der schäbigtsten Krätze fallen und nochmals fallen auf so widernatürliche Entdeckungen! –

PATROKLUS.
Was, du teuflische Giftbüchse du, was willst du mit all diesen Flüchen?
THERSITES.
Fluch' ich dir?
PATROKLUS.
Nein, du wurmstichiges Faß, du verruchter, hündischer Blendling, das nicht.
THERSITES.

Nicht? Worüber ereiferst du dich denn, du lose, fasrige Seidenflocke, du grünflorner Schirm für ein böses Auge, du Quast an eines Verschwenders Geldbeutel du? Ach, wie die arme Welt verpestet wird von solchen Wasserfliegen! Solchem Wegwurf der Natur! –

PATROKLUS.
Pfui über dich, Galle!
THERSITES.
Finkenei! –
ACHILLES.
Liebster Patroklus, ganz durchkreuzt der Brief
Mein großes Wollen für den nächsten Morgen.
Es sendet ihn die Kön'gin Hekuba
Und ihre Tochter, meine schöne Buhlin;
Sie beide tadeln und beschwören mich,
Zu halten meinen Eid: ich brech' ihn nicht.
Fallt, Griechen, welke Ruhm, werd' Ehre Spreu:
Mein erst Gelübd' ist hier, dem bleib' ich treu.
Thersites, geh und ordne mir das Mahl,
Die Nacht durchjubeln wir beim Festpokal.
Komm, mein Patroklus!

Sie gehn ab.
THERSITES.

Bei zu viel Blut und zu wenig Hirn können die beiden noch toll werden; wenn sie's aber bei zu viel Hirn und zu wenig Blut werden, so will ich selbst Narren kurieren. Da ist Agamemnon: eine gute, ehrliche Haut und Liebhaber von jungen Schnepfen; aber Gehirn hat er nicht so viel als Ohrenschmalz. Und nun vollends diese unvergleichliche noble Metamorphose des Jupiter, sein Bruder, der Stier, – dieses uranfängliche Prototyp und Musterbild der Hahnreie, – dieses gedeihliche Schuhhorn an der Kette, das an seines Bruders Schenkel hängt, – in welche andere Gestalt [93] als seine eigne könnte Bosheit mit Witz gespickt und Witz mit Bosheit gefüllt den umschaffen? In einen Esel? Das wäre nichts; er ist beides, Ochs und Esel. In einen Ochsen? Das wäre nichts; er ist beides, Esel und Ochs. Müßt' ich ein Hund sein, ein Maultier, ein Kater, ein Iltis, eine Eidechse, eine Kröte, eine Eule, ein Fischrabe oder ein Hering ohne Rogen, das sollte mir nichts machen; aber ein Menelaus sein? Da würde ich gegen das Fatum rebellieren. Fragt mich nicht, was ich sein möchte, wenn ich nicht Thersites wäre; denn mir wär's gleichviel, die Laus eines Aussätzigen zu werden, müßt' ich nur nicht Menelaus sein. – Heida! Geister und Feuer! –


Es kommen Hektor, Troilus, Ajax, Agamemnon, Ulysses, Nestor, Menelaus und Diomedes mit Fackeln.
AGAMEMNON.
Wir gehn fehl, wir gehn fehl!
AJAX.
O nein, dort ist's,
Wo Ihr die Lichter seht! –
HEKTOR.
Ich werd' Euch lästig.
AJAX.
O nicht doch! –
ULYSSES.
Seht, er kommt Euch selbst entgegen.

Achilles tritt auf.
ACHILLES.
Held Hektor und ihr, Fürsten, seid willkommen!
AGAMEMNON.
Nun, gute Nacht, mein edler Prinz von Troja;
Ajax besorgt Euch sichre Ehrenwache.
HEKTOR.
Dank und gute Nacht dem Feldherrn Griechenlands!
MENELAUS.
Gut' Nacht!
HEKTOR.
Gut' Nacht, liebwerter Menelaus! –
THERSITES.
Liebwerter Abtritt! Liebwerter, – so! – Liebwerter Kloak, liebwerter Rinnstein!
ACHILLES.
Gut' Nacht und Willkomm allen, die da gehn
Und bleiben!
AGAMEMNON.
Gute Nacht!
Agamemnon und Menelaus ab.
ACHILLES.
Bleibt, Vater Nestor – Ihr auch, Diomed;
Verweilt mit Hektorn hier auf ein paar Stunden!
[94] DIOMEDES.
Ich kann nicht, Prinz; mich ruft ein wichtiges
Geschäft, das dringend mahnt. Gut' Nacht, Held Hektor!
HEKTOR.
Gebt mir die Hand!
ULYSSES
zu Troilus.
Er geht zu Kalchas' Zelt, folgt seiner Fackel;
Ich geb' Euch das Geleit.
TROILUS.
Viel Ehre, Herr!
HEKTOR.
Nun dann, gut' Nacht!
ACHILLES.
Kommt, tretet in mein Zelt!

Sie gehn nach verschiedenen Seiten ab.
THERSITES.

Der Diomed da ist ein falscher Schurke, eine recht tückische Bestie. Ich traue ihm so wenig, wenn er von der Seite schielt, als einer Schlange, wenn sie zischt; er hat ein so weites, freigebiges Maul für Versprechungen, wie ein kläffender Hund; aber wenn er sie erfüllt, prophezeien die Sterndeuter daraus: es ist ein Wunderzeichen, das eine Umwälzung ankündigt; die Sonne borgt vom Monde, wenn Diomed Wort hält. Ich will lieber den Hektor nicht sehn, als diesem nicht nachspüren; man sagt, er hält sich eine trojanische Metze, und der Verräter Kalchas leiht ihm sein Zelt; ich will ihm nach. Nichts als Unzucht! Lauter lüderliche Spitzbuben! Geht ab.

Zweite Szene
Kalchas' Zelt.

Diomedes tritt auf.

DIOMEDES.
Heida! Seid Ihr noch wach hier? Holla! Sprecht!
KALCHAS.
Wer ruft hier? –
DIOMEDES.
Diomed.
's ist Kalchas, denk' ich. Wo ist Eure Tochter?
KALCHAS.
Sie kommt zu Euch.

Troilus und Ulysses kommen und stellen sich in den Hintergrund des Zelts; nach ihnen Thersites.
ULYSSES.
Bleibt stehn, daß uns die Fackel nicht verrate!

Cressida tritt auf.
TROILUS.
Was, Cressida, die zu ihm kommt?
[95] DIOMEDES.
Wie geht's, mein Mündel?
CRESSIDA.
Lieber Vormund, hört, –

Ein Wort mit Euch.

Sie spricht leise mit Diomedes.
TROILUS.
Und so vertraulich?
ULYSSES.
Sie spielt Euch jedem auf, beim ersten Anblick.
THERSITES.
Und jeder spielt sie vom Blatt, wenn er den Schlüssel weiß; sie ist notiert.
DIOMEDES.
Willst du dran denken?
CRESSIDA.
Dran denken? Ja!
DIOMEDES.
Nun gut, vergiß es nicht,
Und laß die Tat zu deinen Worten stimmen!
TROILUS.
Was soll sie nicht vergessen?
ULYSSES.
Lauscht!
CRESSIDA.
Nicht weiter
Verlocke mich zur Torheit, süßer Grieche!
THERSITES.
O ihr Gesindel!
DIOMEDES.
Nun dann, –
CRESSIDA.
Hör' mich an!
DIOMEDES.
Nichts, nichts da; Kinderei! Du hältst nicht Wort.
CRESSIDA.
Wirklich, es geht nicht. Was verlangst du denn?
THERSITES.
'nen Diebesdietrich für geheime Fächer.
DIOMEDES.
Was hast du zugesagt? Was schwurst du mir?
CRESSIDA.
Ich bitte dich, besteh nicht auf den Schwur;
Nur das begehre nicht, mein süßer Grieche!
DIOMEDES.
Gut' Nacht!
TROILUS.
O Wut!
ULYSSES.
Still, Troer!
CRESSIDA.
Diomed –
DIOMEDES.
Nein, nicht gut' Nacht; ich bin dein Narr nicht länger.
TROILUS.
Dein Beßrer muß es sein!
CRESSIDA.
Ein Wort ins Ohr –
TROILUS.
O Tod und Wahnsinn! –
ULYSSES.
Ihr seid bewegt, Prinz; laßt uns fort, ich bitt' Euch,
Daß Euer Schmerz sich nicht entladen möge
Zu wüt'ger Tat! Der Ort hier ist gefährlich,
Die Zeit todbringend; ich beschwör' Euch, kommt!
[96] TROILUS.
Seht nur, o seht!
ULYSSES.
Entfernt Euch, werter Prinz!
Ihr seid dem Wahnsinn nah – kommt, lieber Herr!
TROILUS.
Ich bitt' dich, bleib'!
ULYSSES.
Ihr habt nicht Fassung, kommt!
TROILUS.
Ich bitt' Euch, bleibt! Bei Höll' und Höllenqual,
Ich rede nicht ein Wort.
DIOMEDES.
Nun dann, gut' Nacht!
CRESSIDA.
Du gehst doch nicht in Zorn?
TROILUS.
Das kümmert dich? –

Verwelkte Treu'!
ULYSSES.
Still, Prinz!
TROILUS.
Beim Jupiter!
Ich schweige.
CRESSIDA.
Mein Beschützer, – lieber Grieche –
DIOMEDES.
Pah! Pah! Lebt wohl! Ihr habt mich nur zum besten!
CRESSIDA.
Nein, ganz gewiß nicht. Kommt noch einmal her!
ULYSSES.
Ihr schreckt zusammen, Prinz – wollt Ihr nun gehn?
Ihr brecht noch los!
TROILUS.
Sie streicht die Wang' ihm!
ULYSSES.
Kommt!
TROILUS.
Nein, bleibt! Beim Zeus, ich rede nicht ein Wort!
Geduld hält Wache zwischen meinem Willen
Und aller Kränkung. Bleibt nur noch ein wenig!
THERSITES.

Wie der Unzuchtteufel mit dem feisten Bauch und dem Kartoffelfinger die zwei zusammenkitzelt! Siede, Lüderlichkeit, siede!

DIOMEDES.
So willst du wirklich?
CRESSIDA.
Nun ja, ich will, sonst trau' mir niemals wieder!
DIOMEDES.
Gib mir zur Sicherheit ein Unterpfand!
CRESSIDA.
Ich hole dir's. Cressida geht ab.
ULYSSES.
Ihr schwurt Geduld!
TROILUS.
Seid unbesorgt! Ich will
Ich selbst nicht sein; will mir bewußt nicht werden,
Was ich empfinde; ich bin ganz Geduld.

Cressida kommt zurück.
[97] THERSITES.
Nun kommt das Pfand; jetzt, jetzt, jetzt! –
CRESSIDA.
Hier, Diomedes, trag' die Ärmelkrause!
TROILUS.
O Schönheit! Wo ist deine Treu'?
ULYSSES.
Mein Prinz. ...
TROILUS.
Ich will ja ruhig sein; von außen will ich's.
CRESSIDA.
Ihr seht die Kraus' Euch an; beschaut sie wohl!
Er liebte mich! O falsches Mädchen! Gebt sie wieder!
DIOMEDES.
Wes war sie?
CRESSIDA.
Gleichviel wes! Ich hab' sie wieder.
Ich werd' Euch nicht erwarten morgen nacht;
Ich bitt' dich, Diomed, besuch' mich nicht!
THERSITES.
Nun wetzt sie; recht so, Schleifstein!
DIOMEDES.
Ich muß sie haben.
CRESSIDA.
Was?
DIOMEDES.
Nun, diese da!
CRESSIDA.
O Götter! O du liebes, liebes Pfand!
Dein Herr liegt jetzt im Bett, und denkt gewiß
An dich und mich, und seufzt; nimmt meinen Handschuh,
Und gibt ihm manchen süßen Kuß gedenksam,
So wie ich dir. Nein, reiß' sie mir nicht weg;
Wer diese nimmt, muß auch mein Herz mit nehmen.
DIOMEDES.
Dein Herz war mein schon; dieses folgt ihm nach.
TROILUS.
Ich schwur Geduld!
CRESSIDA.
Dies kriegst du nicht, nein, wahrlich, Diomed;
Ich geb' dir etwas anders.
DIOMEDES.
Ich will dies Pfand: wes war's?
CRESSIDA.
Das gilt ja gleich.
DIOMEDES.
Komm, sag' von wem dir's kam?
CRESSIDA.
Von einem, der mich mehr geliebt als du:
Doch nun es dein, behalt' es!
DIOMEDES.
Wessen war's?
CRESSIDA.
Bei Diana selbst und ihren Nymphen dort,
Das werd' ich dir nicht sagen.
DIOMEDES.
Ich trag' es morgen früh an meinem Helm
Und kränk' ihn, der's nicht wagt zurückzufodern.
TROILUS.
Wär'st du der Teufel, der es trüg' am Horn,
Gefodert soll es werden.
[98] CRESSIDA.
Nun gut, 's ist aus, vorbei! Nein! Doch nicht aus;
Ich will mein Wort nicht halten!
DIOMEDES.
Leb denn wohl!
Du neckst den Diomed zum letzten Mal.
CRESSIDA.
So bleibe doch! Sagt man auch nur ein Wort,
Gleich fährst du auf!
DIOMEDES.
Ich hasse solche Possen.
THERSITES.
Ich auch, beim Pluto! Doch was dir mißfällt,
Behagt mir just am besten.
DIOMEDES.
Nun, soll ich kommen? Wann?
CRESSIDA.
Ja, komm! O Zeus,
Komm nur. Schlimm wird mir's gehn!
DIOMEDES.
Leb wohl so lange!

Geht ab.
CRESSIDA.
Gut' Nacht; – ich bitt' dich, komm! – Ach, Troilus,
Noch blickt mein eines Auge nach dir hin,
Das andre wandte sich, so wie mein Sinn.
Wir armen Frau'n, wir dürfen's nicht verhehlen,
Des Augs Verirrung lenkt zugleich die Seelen:
Was Irrtum führt, muß irr'n: so folgt denn, ach!
Vom Blick betört, verfällt die Seel' in Schmach!

Ab.
THERSITES.
Das sind untrüglich folgerechte Sätze;
Noch richt'ger: meine Seele ward zur Metze.
ULYSSES.
So wär's denn aus!
TROILUS.
Ja, aus!
ULYSSES.
Wozu noch bleiben?
TROILUS.
Um mir's im Geist recht tief noch einzuprägen,
Silbe für Silbe, was ich hier gehört. –

Doch, sag' ich, wie die beiden hier gehandelt,
Werd' ich, das Wahre kündend, dann nicht lügen?
Denn immer noch wohnt mir ein Glaub' im Herzen,
Ein Hoffen also fest und unverwüstlich,
Das leugnet, was mir Aug' und Ohr bezeugt;
Als wenn die Sinne, uns zum Trug erschaffen,
Nur als Verleumder tätig hier gewirkt.
War's Cressida?
ULYSSES.
Denkst du, ich banne Geister?
TROILUS.
Gewiß, sie war's nicht!
ULYSSES.
Ja, gewiß, sie war's.
[99] TROILUS.
Nun, mein Verleugnen schmeckt doch nicht nach Tollheit?
ULYSSES.
Auch meins nicht. Cressida war eben hier.
TROILUS.
Um aller Frauen Ehre, glaubt es nicht!
Denkt, daß wir Mütter hatten, gebt nicht recht
Den rohen Läst'rern, die auch ohne Grund
Die Frau'n erniedern, – jedes Weib zu messen
Nach Cressida: eh'r denkt, sie war es nicht! –
ULYSSES.
Was tat sie, unsre Mütter zu beflecken? –
TROILUS.
Nichts, gar nichts, wenn dies Cressida nicht war.
THERSITES.
Will er seinen Augen einen blauen Dunst vormachen?
TROILUS.
Dies wäre sie?
Nein, dies ist Diomedes' Cressida!
Hat Schönheit Seele, dann war sie es nicht.
Wenn Seele Eide zeugt, wenn Eide heilig,
Wenn Heiligkeit den Göttern Wonne ist,
Wenn Maß und Ordnung in der Einheit walten,
Dann war sie's nicht. O Wahnsinn der Gedanken,
Der Gründe aufstellt für und gegen sich,
Durch schnöde Anmaßung! Wo sich Vernunft
Empört und nicht vernichtet, wo Verlust
Alle Vernunft mit fortreißt ohn' Empörung:
So war dies Cressida und war es nicht!
In meiner Seele hebt ein Kämpfen an
Seltsamster Art, das ein unteilbar Wesen
Mehr von einander reißt als Erd' und Himmel! –

Und doch gewährt die weitgespaltne Kluft,
Um einzudringen, nicht den kleinsten Zugang
Für einen Punkt, fein wie Arachnes Faden.
Beweis, Beweis, so fest wie Plutos Pforte:
Ein Himmelsband schließt mich an Cressida; –

Beweis, Beweis, fest wie der Himmel selbst:
Das Himmelsband ist mürb, erschlafft, gelöst,
Ein andrer Knoten, den fünf Finger knüpften,
Schlingt jetzt die Trümmer ihrer Lieb' und Treu',
Den Abhub, Nachlaß, Rest und ekle Brocken
Der abgestandnen Lieb' um Diomed.
ULYSSES.
Und kann der würd'ge Troilus nur halb
Das fühlen, was der Wahnsinn aus ihm spricht? –
[100] TROILUS.
Ja, Griech', und offenkundig soll's erscheinen,
In Lettern, purpurrot wie Mavors' Herz,
Entflammt von Venus! Nimmer liebt' ein Jüngling
Mit so unendlich ewig fester Treu'!
Hör', Grieche: wie ich Cressida geliebt,
Ganz so unendlich hass' ich Diomed.
Die Kraus' ist mein, die er am Helm will tragen;
Und wär' der Helm ein Schmiedewerk Vulkans,
Mein Schwert zerschnitt' es: nicht der grause Schwall
Des Meers, den Schiffer Hurrikano nennen,
Durch den allmächt'gen Sol zum Berg verdichtet,
Betäubt mit mehr Gekrach das Ohr Neptuns
Im Niedersturz, als meines Schwertes Wucht
Einschmettern soll auf Diomed.
THERSITES.
Er wird ihn kitzeln für seine Fleischeslust! –
TROILUS.
O falsche Cressida! O falsch, falsch, falsch!
Zu deinem schnöden Namen hingestellt,
Glänzt alle Untreu' rein! –
ULYSSES.
Bezähmt Euch, Prinz! –

Eu'r Toben wird gehört! –
Äneas tritt auf.
ÄNEAS.
Seit einer Stunde such' ich Euch, mein Prinz;
Hektor legt schon die Waffen an daheim,
Und Ajax, Eu'r Geleitsmann, harrt auf Euch.
TROILUS.
Ich steh' zu Dienst; – mein güt'ger Fürst, lebt wohl!
Falsche, fahr' hin! Und stürze, Diomed,
Ob auch ein Turm auf deinem Haupte steht!
ULYSSES.
Ich bring' Euch bis ans Tor.
TROILUS.
Empfangt verwirrten Dank!

Troilus, Äneas und Ulysses ab.
THERSITES.

Käme mir nur der Schurke Diomed in den Wurf, ich wollte krächzen wie ein Rabe; – dem wollt' ich – dem wollt' ich prophezeien! Patroklus gibt mir, was ich will, wenn ich ihm von dieser Hure sage: kein Papagei tut mehr für eine Mandel, als er für eine willige Metze. Unzucht, Unzucht; lauter Krieg und Lüderlichkeit; die bleiben immer in der Mode. Daß ein brennender Teufel sie holte! – Er geht ab.

[101]
Dritte Szene
Troja, im Palast. Hektor und Andromache treten auf.

ANDROMACHE.
Wann war mein Gatte je so schlimm gelaunt,
Sein Ohr zu schließen einer Warnungsstimme?
Entwaffn', entwaffne dich, ficht heute nicht!
HEKTOR.
Du zwingst mich, hart zu sein; geh du hinein!
Bei allen ew'gen Göttern! Ich will kämpfen.
ANDROMACHE.
Mein Traum weissagt ein Unglück diesem Tag!
HEKTOR.
Nichts weiter, sag' ich! –

Kassandra kommt.
KASSANDRA.
Wo ist mein Bruder Hektor?
ANDROMACHE.
Bewaffnet, Schwester, und auf Blut gestellt.
Stimm' ein mit mir in lautem, heft'gen Flehn!
Beschwören wir ihn knieend! Denn mir träumte
Von blut'gem Wirrwarr, und die ganze Nacht
Sah ich Phantome nur und Mordgestalten.
KASSANDRA.
Oh, das trifft ein!
HEKTOR.
Laß die Trompete schallen!
KASSANDRA.
Kein Ton zum Angriff; Gott verhüt' es, Bruder!
HEKTOR.
Hinweg, die Götter hörten meinen Schwur.
KASSANDRA.
Taub sind die Götter raschen, tör'gen Eiden:
Das sind entweihte Spenden, mehr verhaßt
Als fleck'ge Lebern eines Opfertiers!
ANDROMACHE.
Oh, laß dir raten! Acht' es nicht für heilig,
Durch Rechttun schaden. Gleich erlaubt ja wär's,
Was wir als Dieb errungen, zu verschenken
Und aus barmherz'ger Liebe Raub begehn.
KASSANDRA.
Der gute Vorsatz leiht dem Eid die Kraft,
Nicht Eid auf jeden Vorsatz darf uns binden:
Entwaffne dich, mein Hektor! –
HEKTOR.
Laßt mich, Frau'n!
Denn meine Ehre trotzt des Schicksals Sturm.
Das Leben gilt uns teu'r; doch teurer Mut
Hält Her' um vieles teurer als das Leben.

Troilus kommt.
Nun, junger Mann, denkst du zu fechten heut?
[102] ANDROMACHE.
Kassandra, ruf den Vater, ihm zu raten!

Kassandra geht ab.
HEKTOR.
Nein, junger Troilus, leg' die Rüstung ab!
Heut hab' ich hohen Mut zur Ritterschaft! –

Laß wachsen erst die Sehnen stark und fest,
Und noch versuche nicht den Sturm der Schlacht!
Entwaffne dich, mein Knab', und glaub's dem Starken,
Heut schirmt er dich, sich selbst und Trojas Marken.
TROILUS.
Bruder, in deiner Großmut wohnt ein Fehl,
Der mehr dem Löwen ziemet als dem Mann.
HEKTOR.
Was für ein Fehl, mein Troilus? Schilt mich drum!
TROILUS.
Oft, wenn gefangne Griechen stürzten hin
Schon vor dem When und Sausen deines Schwerts,
Riefst du: steht auf, und lebt! –
HEKTOR.
So spielen Helden!
TROILUS.
So spielen Narr'n, beim Zeus! –
HEKTOR.
Wie das? Wie das?
TROILUS.
Um aller Götter willen,
Dies Klausner-Mitleid laß bei unsrer Mutter;
Und haben wir den Panzer umgeschnallt,
Dann schweb' auf unsern Schwertern gift'ge Rache,
Das Mitleid zügelnd, und mit Leid sie spornend.
HEKTOR.
Pfui, Wilder, pfui!
TROILUS.
Hektor, dann ist es Krieg!
HEKTOR.
Heut wünscht' ich, Troilus, du bliebest heim!
TROILUS.
Wer hielte mich zurück?
Nicht Schicksal, nicht Gehorsam, selbst nicht Mars,
Mit feur'gem Stab gebietend meinen Rückzug:
Nicht Hekuba noch Priam auf den Knie'n,
Mit Augen rot von bittrer Tränen Salz, –

Noch du, mein Bruder, mir mit tapferm Schwert
Entgegendrohend, sperrtest mir den Weg,
Als durch den Tod.

Kassandra kommt zurück mit Priamus.
KASSANDRA.
Leg' Hand an ihn, o Priam, halt' ihn fest:
Es ist dein Stab; verlierst du deine Stütze, –
[103]
Auf ihn gelehnt, und Trojas Volk auf dich,
Sinkt alles hin mit eins.
PRIAMUS.
Bleib', Hektor, bleib';
Dein Weib sah Träume, deine Mutter Zeichen,
Kassandra weissagt Unglück, und ich selbst,
Wie ein Prophet in plötzlicher Verzückung,
Verkünde dir, der Tag ist vorbedeutend:
Drum kehr' zurück!
HEKTOR.
Äneas harrt im Feld;
Und manchem Griechen hab' ich's zugesagt,
Ins Angesicht des Ruhms, an diesem Morgen
Mich ihm zu stellen.
PRIAMUS.
Dennoch sollst du bleiben.
HEKTOR.
Ich darf mein Wort nicht brechen.
Ihr kennt mich pflichtgedenk; drum, teurer Herr,
Laßt mich die Ehrfurcht nicht verletzen; laßt
Auf Eu'r Geheiß und Wort dem Lauf mich folgen,
Den Ihr mir jetzt verweigert, hoher Fürst.
KASSANDRA.
Oh, Priam, gib nicht nach!
ANDROMACHE.
Tu's nicht, mein Vater!
HEKTOR.
Andromache, ich bin erzürnt auf dich.
Bei deiner Liebe fodr' ich's, geh hinein!

Andromache ab.
TROILUS.
Die abergläub'sche, tolle Träumerin
Schafft all die Angst.
KASSANDRA.
Leb wohl, mein teurer Hektor!
Sieh, wie du stirbst! Sieh, wie dein Aug' erbleicht!
Sieh, wie dein Blut aus vielen Wunden strömt!
Horch Trojas Wehruf, Hekubas Geheul,
Den lauten Jammerschrei Andromaches!
O sieh Verzweiflung, Wahnsinn, wild Entsetzen
Gleich tollen Larven durcheinander rennen
Und rufen: »Hektor! Hektor fiel! O Hektor!« –
TROILUS.
Hinweg! Hinweg!
KASSANDRA.
Leb wohl! Doch still! Nie sehen wir uns wieder;
Du täuschest dich und stürzest Troja nieder!

Sie geht ab.
HEKTOR.
Du staunst, o Herr, ob ihrem Weheruf!
[104]
Geh, sprich dem Volk Mut ein, wir woll'n zur Schlacht
Und tapfre Tat dir künden noch vor Nacht.
PRIAMUS.
Leb wohl! Die Götter leih'n dir ihren Schutz! –

Priamus und Hektor ab. Kriegslärm.
TROILUS.
Die Schlacht beginnt. Auf, Diomed, zum Reigen!
Und gölt's den Arm, der Ärmel wird mein eigen!

Pandarus kommt.
PANDARUS.
Hört doch, mein bester Prinz, o hört doch!
TROILUS.
Was gibt's?
PANDARUS.
Hier ist ein Brief von dem armen Kinde.
TROILUS.
Laß sehn! –
PANDARUS.

Ein verwettertes Asthma, einverwettertes, niederträchtiges Asthma, setzt mir so zu, und obendrein das närrische Schicksal der Dirne, und bald das eine, und bald das andre, daß ich Euch nächster Tage drauf gehn werde. Und außerdem einen Fluß auf dem Auge, und solch ein Reißen im Gebein, daß mich wer behext haben muß, oder ich weiß nicht, was ich davon denken soll. – Was schreibt sie denn?

TROILUS.
Nur Wort' und Worte, aus dem Herzen nichts;

Zerreißt den Brief.

Die Wirklichkeit verfolgt ganz andern Weg.
Geh' Wind zum Wind; da dreht und wirbelt fort!
Mit Trug und Wort will sie mein Lieben krönen,
Und ihre Taten spart sie auf für jenen. –

Sie gehn ab.
Vierte Szene
Vor Troja.

Schlachtlärm. Thersites tritt auf.

THERSITES.

Nun hämmern sie auf einander los, und ich will mir's ansehn. – Der heuchlerische, boshafte Bube Diomed hat jenes lumpigen, verliebten, dummen, trojanischen, jungen Gelbschnabels Ärmelkrause an seinen Helm gesteckt: ich wollte, sie gerieten an einander, und daß unser junger [105] Esel aus Troja, der die Metze dort liebt, den schurkischen, griechischen Dirnenjäger mit seiner Krause zu der heuchlerischen, lüderlichen Hure zurückschickte und ihn einmal recht kraus auszackte. Und nun auf der andern Seite, die Staatsweisheit dieser ränkevollen, hochbeteuernden Schurken, – des alten, abgestandenen, mauszerfressenen, dürren Käse Nestor und des Schelmenfuchses Ulysses ist nun, wie sich's ausweist, keine Heidelbeere wert. Da hetzen sie in ihrer Staatskunst den Blendlings-Bullenbeißer Ajax gegen den eben so schlechten Köter Achilles auf, und nun ist Köter Ajax stolzer als Köter Achilles und will heut nicht ins Feld: so daß die Griechen anfangen, es mit der Barbarei zu halten, und die Staatsweisheit in Verruf kommt. Still! Hier sehe ich Ärmel und den andern.


Diomedes und Troilus treten auf.
TROILUS.
Flieh' nicht! Denn schirmte dich die Flut des Styx,
Ich schwömme nach!
DIOMEDES.
Rückzug ist keine Flucht;
Ich fliehe nicht; aus guter Vorsicht nur
Entzog ich mich der überlegnen Zahl.
Nun sieh dich vor! –

Sie gehn fechtend ab.
THERSITES.

Wehr' dich für deine Metze, Grieche! Ficht für deine Metze, Trojaner! Nun gilt's die Krause! Nun gilt's die Krause!


Hektor tritt auf.
HEKTOR.
Wer bist du, Grieche? Bist du Hektors würdig?
Von echtem Blut und Ehre?
THERSITES.
Nein, nein, ich bin ein Schuft, ein schäbiger, schmähsüchtiger Bube, ein recht armseliger Lump.
HEKTOR.
Ich glaube dir, drum lebe! Hektor geht ab.
THERSITES.

Gott Lob und Dank, daß du mir glauben willst; aber die Pest breche dir den Hals, daß du mich so erschreckt hast. – Was ist aus den lüderlichen Bengeln geworden? Ich denke, sie haben einander aufgefressen: über das Wunder wollt' ich mich totlachen. Und doch frißt sich auf gewisse Weise die Lüderlichkeit selbst auf. Ich will sie suchen.


Er geht ab.
[106]
Fünfte Szene
Ebendaselbst. Diomed und ein Diener treten auf.

DIOMEDES.
Geh, Knappe, nimm das Pferd des Troilus,
Und bring' das gute Roß an Cressida;
Entbiete meinen Ritterdienst der Schönen,
Sag, der verliebte Troer sei gezüchtigt,
Und ich ihr treubewährter Held.
DIENER.
Ich gehe.

Ab.

Agamemnon tritt auf.
AGAMEMNON.
Drauf, drauf! Der wütige Polydamus
Erschlug Menon; Bastard Margarelon
Siegt über Doreus,
Steht als Koloß und schwenkt den Weberbaum
Hoch überm hingestreckten wunden Leib
Der Fürsten Cedius und Epistrophus.
Polyxenes ist tot; Amphimachus
Und Thoas schwer verwundet; tot Patroklus,
Wenn nicht gefangen; Ritter Palamedes
Tödlich verletzt; der grimme Bogenschütz
Schreckt unsre Reih'n. Eilt, Diomed, wir holen
Verstärkung, sonst erliegt das ganze Heer.

Nestor kommt.
NESTOR.
Geht, tragt Patroklus' Leiche zum Achill!
Der träge Ajax waffne sich aus Scham! –

Ein tausend Hektors schalten heut im Feld: –

Nun kämpft er hier, vom Rosse Galathee,
Und alles stürzt; gleich ist er hier zu Fuß,
Und alles weicht ihm, oder stirbt wie Fischbrut
Im Rachen eines Hais; dann kehrt er wieder,
Und die gedrängten Griechen, reif der Sichel,
Sie fallen vor ihm, wie des Mähers Schwad.
Hier, dort und allwärts schneidet er und rafft,
Und so gehorcht Gewandtheit seiner Lust.
Daß, was er will, er tut; und tut so viel,
Daß solch Gelingen scheint Unmöglichkeit.

Ulysses tritt auf.
[107] ULYSSES.
Mut, Mut gefaßt, ihr Fürsten! Held Achill
Greift zu den Waffen, weint, flucht, dürstet Rache.
Patroklus' Fall erregt sein schläfrig Blut
Und sein verstümmelt Myrmidonenvolk,
Das hand- und nasenlos, zerhackt, ihn anschreit,
Hektorn verklagend. – Ajax verlor den Freund
Und schäumt vor Wut und naht in Waffen schon,
Brüllend nach Troilus, der, wie im Wahnsinn,
Unglaublich, übermenschlich heut gemordet,
Einstürzend in den Drang, sich draus befreiend
Mit so sorgloser Kraft und schwacher Sorgfalt,
Als ob ein solch Gelingen recht zum Trotz
Der Klugheit alles ihn gewinnen hieße.

Ajax kommt.
AJAX.
Troilus! Du Memme, Troilus!

Ab.
DIOMEDES.
Dort! Dort!
NESTOR.
Nun zieht's mit allen Strängen! –

Sie gehn ab.

Achilles kommt.
ACHILLES.
Wo ist Hektor?
Komm, Knabenwürger, zeig' mir dein Gesicht!
Sieh, was es heißt, Achilles' Zorn begegnen!
Hektor! Wo ist Hektor? Ich will einzig Hektor!

Geht ab.
Sechste Szene
Ebendaselbst.

Ajax tritt auf.

AJAX.
Troilus! Du Memme Troilus, laß dich sehn! –

Diomedes kommt.
DIOMEDES.
Troilus, dich ruf' ich: wo ist Troilus?
AJAX.
Was willst du?
DIOMEDES.
Zücht'gen will ich ihn.
AJAX.
Wär' ich der Feldherr, meine Würd' empfingst du
Eh'r als dies Zuchtamt. Troilus, sag' ich, Troilus!

Troilus kommt.
[108] TROILUS.
Oh, falscher Diomed! Hieher, Verräter!
Und büß' mit deinem Leben für mein Roß!
DIOMEDES.
Ha, bist du da?
AJAX.
Ich kämpf allein mit ihm; weg, Diomed!
DIOMEDES.
Er ist mein Kampfpreis; müßig bleib' ich nicht.
TROILUS.
Kommt beid', ihr falschen Griechen, steht mir beide! –

Sie gehn kämpfend ab.

Hektor kommt.
HEKTOR.
's ist Troilus: o recht brav, mein jüngster Bruder!

Achilles kommt.
ACHILLES.
Nun seh' ich dich; so komm und steh mir, Hektor!

Sie fechten.
HEKTOR.
Verschnaufe, wenn du willst! –
ACHILLES
fechtend.
Hohn deiner Höflichkeit, du stolzer Troer!
Sei froh, daß meine Waffen außer Übung –

Mein Ruhn und Lässigsein kommt dir zu gut;
Doch alsobald vernimmst du mehr von mir.
Bis dahin geh auf gutes Glück!

Ab.
HEKTOR.
Leb wohl!
Ich wär' zum Kampf ein frischrer Mann gewesen,
Hätt' ich auf dich gewartet. – Nun, mein Bruder?

Troilus kommt zurück.
TROILUS.
Ajax fing den Äneas: – dulden wir's?
Nein, bei dem Lichtglanz des erhabnen Himmels,
Er darf ihn nicht behalten, ich errett' ihn,
Und sollt' ich fallen. Schicksal, hör' mein Wort:
Mich kümmert's nicht, raffst du mich heute fort.

Ein Grieche in einer sehr schönen Rüstung tritt auf.
HEKTOR.
Steh, Grieche, steh! Du bist ein weidlich Ziel.
Nicht? – Willst du nicht? – Dein Panzer dünkt mich schön;
Ich klopf' ihn dir und brech' ihm alle Nieten,
Bis er mein eigen. – Läufst du, Tier, so schnell?
Flieh' immerhin! Ich jage nur dein Fell.

Geht ab.
[109]
Siebente Szene
Ebendaselbst.

Achilles tritt auf, mit einem Gefolge von Myrmidonen.

ACHILLES.
Kommt um mich her, ihr, meine Myrmidonen,
Vernehmt mein Wort: Folgt mir, wohin ich führe;
Tut keinen Streich, erhaltet frisch die Kraft;
Doch wenn der blut'ge Hektor uns erscheint,
Dann rings mit euren Lanzen pfählt ihn ein,
Und ohn' Erbarmen braucht mir eure Waffen!
Folgt, Knappen, schaut mir nach, wohin ich leite:
Held Hektor sei des Todes sichre Beute! –

Sie gehn ab.
Achte Szene
Ebendaselbst.

Thersites, Menelaus und Paris treten auf.

THERSITES.

Der Hahnrei und der Hahnreimacher sind an einander: nun drauf los, Stier! Drauf los, Köter! Faß ihn, Paris, faß! – Frisch, du Spatz mit der zweimännigen Henne; faß, Paris, faß! – Der Stier hat den Vorteil; nimm dich vor den Hörnern in acht, ho! –


Paris und Menelaus ab. Margarelon tritt auf.
MARGARELON.
Komm, Sklav', und ficht!
THERSITES.
Wer bist du?
MARGARELON.
Ein Bastardsohn des Priamus.
THERSITES.

Ich bin auch ein Bastard; ich liebe die Bastarde; ich bin ein eingefleischter Bastard, ein ausgelernter Bastard, ein Bastard an Geist, Bastard an Herz, in allen Dingen illegitim. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, warum soll's ein Bastard? Sieh dich vor; der Kampf wäre für uns gegen alle Religion: wenn der Sohn einer Hure für eine Hure ficht, so ist kein Menschenverstand drin. Leb wohl, Bastard!

MARGARELON.
Hol' dich der Teufel, Feighard! – Gehn ab.
[110]
Neunte Szene
Ebendaselbst.

Hektor tritt auf.

HEKTOR.
Du ganz verfaulter Kern, so schön von außen
Dein schmucker Panzer brachte dir den Tod. –

Mein Tagwerk ist getan, gekühlt mein Mut:
Ruh' jetzt, mein Schwert, du schwelgtest heut in Blut.

Er legt den Helm und Schild ab.

Achilles tritt auf mit seinen Myrmidonen.
ACHILLES.
Sieh, Hektor, wie die Sonne sinkt herab
Und schwarze Nacht auf ihren Spuren keucht:
Und wenn die Sonn' im Dunkel niederschwebt,
Erlischt der Tag, und Hektor hat gelebt.
HEKTOR.
Entwaffnet bin ich: dann wirst du nicht fechten!
ACHILLES.
Schlagt, Bursche, schlagt! Wir trafen hier den Rechten.
Hektor fällt.

So, Ilion, fall' auch du! Troja, stürz' ein!
Hier liegt dein Herz, dein Nerv und dein Gebein: –

Auf, Myrmidonen, ruft aus aller Macht:
Achilles hat den Hektor umgebracht! –

Horch! Rückzug wird geblasen von den Griechen!
MYRMIDONEN.
Im Troerfeld ertönt der gleiche Schall.
ACHILLES.
Die Nacht mit Drachenflügeln deckt die Flur
Und trennt die Scharen mit dem Heroldstab.
Schlaf' nun vergnügt, mein halbgesättigt Schwert,
Das gern noch mehr so leckern Fang verzehrt;
Kommt, knüpft den Leib an meines Rosses Schweife,
Daß ich ihn so um Trojas Mauern schleife.

Sie gehn ab. Es wird zum Rückzug geblasen.
[111]
Zehnte Szene
Ebendaselbst.

Es treten auf Agamemnon, Ajax, Nestor, Menelaus, Diomedes und andere im Marsch. Draußen Freudengeschrei.

AGAMEMNON.
Horch, welch ein Freudenruf?
NESTOR.
Still, Trommeln, still!
SOLDATEN
hinter der Szene.
Achilles hoch! Fürst Hektor fiel! Achilles!
DIOMEDES.
Sie rufen: Hektor fiel! Und durch Achilles!
AJAX.
Und wenn's auch ist, so prahlet nicht so sehr,
Held Hektor war nicht minder wert als er.
AGAMEMNON.
Zieht still vorbei. Entbietet dem Achill,
Daß ich in meinem Zelt ihn sprechen will.
Da uns sein Sieg den größten Feind gebändigt,
Fällt Troja bald, und unser Feldzug endigt.

Sie marschieren weiter.
Elfte Szene
Ebendaselbst. Äneas und Trojaner treten auf.

ÄNEAS.
Halt! Weicht nur nicht! Noch ist das Schlachtfeld unser,
Wir halten stand, erwarten hier den Tag.

Troilus tritt auf.
TROILUS.
Hektor ist tot.
ALLE.
Hektor? Verhüt'es Zeus! –
TROILUS.
Ja, tot; und an dem Roßschweif seines Mörders
Viehisch geschleift auf der beschämten Flur.
Zürnt, Götter! Eure Rache treff' uns schnell;
Hohnlächelnd schaut von Euerm Thron herab,
Die Gnade nur gewährt, und endet schnell:
Verzögert nicht den sichern Untergang!
ÄNEAS.
Mein Prinz, das ganze Heer entmutigt Ihr!
TROILUS.
Ihr faßt nicht meinen Sinn, wenn Ihr so sprecht.
Ich rede nicht von Furcht, von Flucht, noch Tod;
Trotz biet' ich allem Grau'n, womit die Götter
[112]
Und Menschen noch bedrohn. – Hektor dahin! –

Wer sagt es Priam? Wer der Hekuba?
Wer hat den Mut, als nächt'ge Eule krächzend,
In Troja zu verkünden: Hektor fiel!
Solch Wort verwandelt Priamus in Stein,
In Quell'n und Niobes: Jungfrau'n und Weiber,
Jüngling' in Marmorbilder, und entsetzt
Troja zum Wahnsinn. Auf denn, Freunde, fort!
Hektor ist hin! Das ist das Todeswort.
Doch halt! Ihr schnöden, gottverhaßten Zelte,
So stolz gereiht auf unsrer phryg'schen Flur –

Erhebe Titan sich, so früh er mag,
Ich stürm' euch durch! Und du, feigherz'ger Riese,
Kein Erdenraum soll trennen unsern Haß:
Dir jag' ich wie dein bös Gewissen nach,
Das Larven scheußlich weckt wie Fieberwahnsinn. –

Schlagt rasch den Marsch zur Heimkehr; faßt euch Herz:
Der Rache Wunsch betäub' den innern Schmerz!

Äneas mit den Troern ab.

Pandarus kommt.
PANDARUS.
Hört mich, mein Prinz! Hört mich! –
TROILUS.
Fort, kupplerischer Pandar! Dein Gedächtnis
Sei ew'ge Schmach, und Schande dein Vermächtnis!

Troilus geht.
PANDARUS.

Eine schöne Arznei für meine Gliederschmerzen! Oh, Welt, Welt, Welt! So wird dein armer Unterhändler verhöhnt! O ihr Verführer und Kuppler, wie eifrig nimmt man eure guten Dienste in Anspruch, und wie schlecht lohnt man euch! Warum sind unsre Bemühungen so geliebt, und unser Ausgang so getrübt? Welchen Denkreim gibt's dafür? Welch Gleichnis? Laß sehn: –

Recht lustiglich summt euch das Bienchen vor,

Solang' es Waff und Honig nicht verlor;

Doch ist sein scharfer Stachel erst heraus,

Ist's mit dem süßen Ton und süßen Honig aus.

Ihr, die ihr euch des schwachen Fleisches annehmt, setzt dies in eure gemalten Tapeten:

[113]
So viel hier von der Zunft des Pandar sind,
Halb blind schon, weint bei seinem Fall euch blind;
Und stöhnt, wenn euch die Träne ward versagt,
Wenn nicht um mich, doch weil die Gicht euch plagt.
Hört, wer zum Kupplerorden sich bekennt,
Auf nächsten Herbst mach' ich mein Testament:
Ich tät' es jetzt, doch trat die Furcht dazwischen,
Ein Gänschen aus Winchester möchte zischen.
Drum laßt mir Zeit, mich schwitzend neu zu fiedern,
Und all mein Kreuz vermach' ich euern Gliedern.

Er geht ab.
[114]

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TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Komödien. Troilus und Cressida. Troilus und Cressida. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0BF3-4