4. Das angenehme Gespenst

1.
Das Wolken-dach war mit der Nacht umzogen/
Arkas hielt die Mittel-stelle durch den Sternen-Bogen
Als Oridor verhindert von dem Zug
nach seiner Mele Verlangen trug.
Er lieff entsinnt durch Wiesen/ Wälder/ Berg und Tahl
das Scheiden bracht' ihm Herzens-angst und Qwaal.
Solt'ich/
ach Schöne/ dich
noch sehn einmahl!
[88] 2.
So schrie er biß er zu der Hütte kahme/
da/ wo seine Mele die süsse Ruh einnahme.
Kaum rührt' er an den Riegel bey der Tühr/
so wischte Mopsa vom Stroh herfür:
Wer klopffet an so langsam schon nach Mitternacht?
Mach/ Mägdchen auf! Ja/ bald hätt' ich aufgemacht.
Ey ja.
Wer ist denn da?
hastu nicht acht?
3.
Kennstu nicht mehr der Melen ihren Treuen/
kan ein halber Tag so bald der Liebe Band entzweyen?
Doch sie weiß nichts hiervon das gute Kind/
daß Oridor so schnell Abschied find:
Ach! möchte nur das fromme Herze werden wach
ich weiß gewiß/ Oridor kähm unter Dach.
Nu weh!
ich/ ich vergeh!
wer fragt darnach.
4.
Der Oridor/ den du dich fälschlich nennest/
weil du unsrer Hirtin Liebes-Brunst vielleichten kennest/
ist weit von hier/ wo der Trommeten Hall
bedämpfft den süssen Schallmeien Schall.
Er ist hinweg/ und wolte Gott! er wäre hier
er würde bald weisen dir ein' andre Tühr/
O nein!
es kan nicht sein.
Geh sag' es ihr.
5.
Was mag es sein/ daß Wächter so muß bellen.
Mopsa/ Mopsa/ hörstu Magd nicht/ wer ist an der Schwellen.
[89]
Ich gläube/ Sakk/ du hast dir wen bestellt
des Nachbarn Knecht/ der dir so gefallt.
Mach lieber Feur im Schorrstein/ spinne deine Zahl/
iezt kreht der Han allbereit zum andernmahl.
Au! au!
Es ist die Frau,
ich leg mich tahl.
6.
Was? meinstu so zu bergen deine Tükke?
Sag mit wehme triebstu vor der Tühr so Schelmenstükke.
Ach herze Frau/ wir sind verrahten hier/
es ist ein Mensche drauß für der Tühr/
der klopffet an/ wil mit Gewalt zu uns herein/
spricht: Oridor bin ich/ [o] Mele/ laß mich ein.
Macht auff.
Gebt Achtung drauff.
Die Stimm' ist sein.
7.
O Mele/ Mele/ was hab' ich verbrochen!
ist nu diß die Treue/ die du mir so offt versprochen?
Nu steh ich hier der Regen treufft auff mich
der Wind durchweht mich kalt-grimmiglich.
Ach/ meines Leids! wo kommt doch diese Stimme her?
So seuffzet/ klagt/ so beschweert und bittet er.
Wer ist?
den du vergist/
was darff es mehr.
8.
Ihr Götter ach! was soll ich darvon denken/
wollt ihr meine kranke Seele gar zu Tode kränken.
Ists Oridor! Ach nein/ es ist ein Geist/
mein Oridor ist ja fortgereist.
[90]
Ich wil hingehn/ er sey es oder sey es nicht.
Tritt mit herzu/ Mopsa/ sich/ hier kommt ein Licht.
Er ists.
Ja/ Frau/ ihr wists.
Schweig/ Bösewicht.
9.
Ich wag' es drauff/ und wil den Riegel ziehen:
Bleibe Schälkinn/ wirstu nu von mir in Nöhten fliehen?
Ich fürchte mich/ Frau/ lasset ja nichts ein/
wer weiß es/ was für ein Ding mag sein/
denn Oridor hab' ich ja heute selbst gesehn
dort übern Berg schnell mit vielen Pferden gehn.
Wer weiß,
was auff der Reis'
ihm sey geschehn.
10.
Still mit der Tühr! daß nicht mein Vater höre/
und mir meine Lust mit Oridor auff heute wehre.
Ach Frau/ er ists/ zünd' ich den Schorrstein an
daß meine Zahl ich außspinnen kan?
Schweig/ Närrin/ nein iezt ist nicht Licht noch spinnen noht/
mein Vater hat ja Gott lob ohn diß noch Brodt.
Geh vor/
mein Oridor/
sonst bin ich todt.
11.
Drauff trat er ein. Ein liebliches umfangen
stillte beyder keusche Lust und ehrliches Verlangen/
und ob die Nacht schon sonder Monden war
sie ganz allein/ und ausser Gefahr/
war doch ein Kuß genug zu leschen ihre Brunst/
die Pallas hat so bewiesen Lieb und Gunst/
[91]
in Zucht/
wenn sie besucht
der Gott der Kunst.
12.
Darum/ mein Freund/ der du die Nacht bedenkest/
und auff ihre süsse Lust die heisse Sinnen lenkest/
sezz hier nicht ein des Lästers gelben Zahn/
Sie haben nichts nicht iemahls getahn
Das wieder Zucht/ Gebühr/ Zulaß und Tugend streitt
Sie liebten sich in der seltnen Reinligkeit.
Gleich wie
Geschwister ie
sich keusch erfreut.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Stieler, Kaspar. Gedichte. Die geharnschte Venus. Filidors Geharnschter Venus viertes Zehen. 4. Das angenehme Gespenst. 4. Das angenehme Gespenst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1719-F